Praxis
Der DSL15H 2012 ist nicht nur von seiner Leistung her eine abgespeckte Version des 100-Watt-Flaggschiffs, seine beiden Kanäle bieten im Gegensatz zum großen Bruder auch nur jeweils einen Sound. Ebenfalls entfallen ist der Einschleifweg sowie der Hall, den allerdings die Combovariante unseres Testkandidaten weiterhin an Bord hat. Wir haben es hier jedenfalls mit einem kleinen High Gain Verstärker ohne Netz und doppelten Boden zu tun. Die cleane Abteilung entspricht in etwa dem cleanen Kanal des DSL100 2012, der sich durchaus zu bluesigen und angezerrten Sounds hinreißen lässt, wenn man eine Gitarre mit kräftigen Pickups benutzt und den Gainregler weit aufdreht. Der Kanal harmoniert übrigens auch sehr gut mit Boostern oder milden Overdrive-Pedalen wie dem Tubescreamer. So bekommt man aus dem DSL15H 2012 bei Bedarf neben den modernen Sounds des Ultra Gain Kanals auch sehr authentische klassische Rocksounds aus dem Cleankanal, ohne dass dieser sich dabei verschluckt. Die Endstufe klingt weniger brachial als beim 100-Watt-Top, wodurch auch die cleanen Sounds je nach Einstellung der Klangregelung erstaunlich weich daherkommen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass damit auch hartgesottene Jazzer und Clean-Fetischisten auf ihre Kosten kommen. Erst wenn man den Gain- oder Volumeregler weit aufdreht, geht der Amp allmählich über eine weiche Kompression in einen leicht angezerrten bluesigen Sound über. Das Ganze gestaltet sich nicht so fein und schimmernd, wie man es vom AC 30 gewohnt ist, sondern rauer und ruppiger, so wie man es von Marschall kennt.
Kommen wir zum Ultra Gain Kanal. Wie der Name verspricht, geht es hier gainmäßig weitaus deftiger zur Sache. Dieser Kanal ist auf moderne High Gain Sounds getrimmt und von seiner gesamten Klangstruktur relativ breit und fett abgestimmt. Er glänzt besonders im wirklich heftigen Bratgeschäft und bietet ein Mördergain, zusätzliche Verzerrer braucht hier kein Mensch. Der Bereich zwischen dezenter Anrauhung und einer leichten bluesigen Zerre gefällt mir hier am wenigsten. Dreht man den Gain zu weit zurück, klingt es für meinen Geschmack einfach zu bröselig und zu flach.
Das soll uns an dieser Stelle aber nicht weiter stören, schließlich ist der Ultra Gain Kanal ganz klar den richtig bösen Buben gewidmet. Hier werden gainmäßig keine Gefangenen gemacht und klanglich tendiert der Kanal in Richtung Metal/Trash/Punk. Dem Bassbereich kann man mit dem Deep-Schalter noch zusätzliche Kraft geben, was bis zu einem gewissen Grad durchaus Sinn macht. Man sollte sich nur nicht dazu hinreißen lassen, den Sound auch im Bandgefüge zu fett einzustellen, weil man sonst den Frequenzen des Bassisten in die Quere kommt und einen mulmigen Sound erhält. Dagegen sind die Höhen hier längst nicht so hart, wie ich es von meinen alten JMP Marshall Tops her kenne. So kann man den Treble- und Presence-Regler durchaus bis auf 15 oder 16 Uhr drehen, ohne die gefürchteten Eierschneider-Höhen zu erhalten. Der DSL15H 2012 ist also ein durchweg flexibler Amp, der sowohl clean als auch leicht angezerrt, bei Bedarf aber auch als Höllenmaschine seinen Dienst verrichtet. Einziger Minuspunkt ist das Fehlen des Einschleifwegs, um ein Delay, ein Reverb oder Modulationseffekte ins Spiel zu bringen.
Soundbeispiele
Hier gebe ich euch ein paar Erklärungen zu den einzelnen Soundbeispielen, die ihr ganz unten findet:
Soundbeispiel 1
Kanal: Classic Gain
Gain: Maximum
Deep: On
Tone Shift: Off
Presence: 14 Uhr
Bass: 12 Uhr
Middle: 15 Uhr
Treble: 13 Uhr
Für das erste Soundbeispiel habe ich meine EMG-Stratocaster aktiviert. Gain steht auf Vollgas, und weil die EMGs mehr Leistung bringen als gewöhnliche Singlecoils, bekommt man auch schon aus dem ersten Kanal eine anständige klassische Verzerrung. Mehr ist aber nicht drin, sonst verschluckt sich der Amp und es klingt besonders im Bassbereich kaputt. Man merkt aber, wie gut der Amp die Nuancen beim dynamischen Anschlagen wiedergibt.
Soundbeispiel 2
Kanal: Ultra Gain
Deep: On
Tone Shift: On
Gain: 15 Uhr
Presence: 15 Uhr
Bass: 12 Uhr
Middle: 13 Uhr
Treble: 14 Uhr
Hier kommt eine Gibson Firebird zum Einsatz, die ich gerne für Bratgitarrenaufnahmen im Studio heranziehe. Der Ausgangspegel der Gitarre entspricht in etwa alten PAFs, was für gestandene Metallarbeiter und Punk-Angestellte sicher nicht ersten Wahl ist. Der Ultra Gain Kanal biete aber enorme Gainreserven, die selbst mit dieser Gitarre eine ungeheure Verzerrung liefern. Den Gain habe ich extra nicht voll aufgedreht, weil es mir dann zu bratzig wird.
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Soundbeispiel 3
Kanal: Classic Gain
Gain: 11 Uhr
Deep: Off
Tone Shift: Off
Presence: 14 Uhr
Bass: 12 Uhr
Middle: 13 Uhr
Treble: 14 Uhr
Der Amp klingt im Classic Gain Modus bei Bedarf sehr weich und kommt auch bestens mit Jazzklampfen klar. In diesem Audiobeispiel hab ich eine Gibson 335 mit dem Halspickup verwendet. Man hört sehr gut den leicht hölzernen perkussiven Ton der Gitarre.
Sean sagt:
#1 - 06.03.2014 um 20:06 Uhr
Ich bin von Marshall enttäuscht!Beim DSL15H scheint es so, als habe man den inzwischen ausgemusterten HAZE15 genommen, daran noch ein bisschen lieblos rumgedocket, das bekannte "DSL" draufgedruckt und dann dieses als neues Modell (bzw. als neue Serie) auf den Markt geworfen.Was hat Marshall hier aus meiner Sicht falsch gemacht? Fangen wir mal an:Beim gemeinsamen EQ für beide Kanäle passt es überhaupt nicht. Stelle ich für einen Kanal den EQ ein, dann passt der in keiner Weise für den anderen Kanal (insbesondere der Bassbereich). Es gibt genügend andere Amp-Beispiele, bei denen ein gemeinsamer EQ eingermaßen funktioniert (klar, ein gewisser Kompromiss ist das immer).Die Zerre im "Ultra"-Kanal ... ei ei ei ... was haben die denn da geschafft?! Gain bis auf 11 oder 12 Uhr Stellung geht noch, aber was danach kommt ist unterirdisch. Viel Gain ist ja nicht verkehrt, aber beim DSL15 kommt dann einfach nur noch Matsch! (Zur Info; ich habe eine Studio Paula mit Burstbuckern Pro, also nicht gerade ein Exot).Im Produktvideo vom Marshall ist das schon geschickt gemacht. Bei voll aufgedrehtem Gain spielt der nur ein paar Solo-Sachen. Bloß keine Riffs spielen, damit man nicht merkt, dass die obere Hälfte des Gain-Bereiches eigentlich unnütz ist.
Aber insegesamt ist die Zerre auch nicht besonders schön. Vor allem wenn man bedenkt, daß es sich hier um einen Vollröhren-Amp handelt. Der typische Marshall-Charakter ist schon da, aber für eine Röhre klingt das viel zu steril und hart. Da klingt mancher Transistoramp besser!Der fehlende 4 Ohm Boxenanschluß (es lassen sich nur 8 und 16 Ohm Boxen anschließen); sowas sollte heute nicht mehr sein. Wieviel mehr kann eine zusätzliche 4 Ohm-Anzapfung am Ausgangsübertrager und die passenden Anschluss-Buchsen dafür denn schon kosten?Der fehlende Loop; OK, hier wollte man sicher Kosten sparen, aber ob das für einen Amp der über 500 EUR kostet noch zeitgemäß ist?Leider hatte ich auf Grund des Produktvideos diesen Amp bestellt, weil ich hier in der Nähe keine Möglichkeit habe diesen anzutesten.
Ich kann nur sagen: Zum Glück gibt es das Widerrufsrecht!Für eine namhafte Firma, die seit über 50 Jahren Röhrenamps in allen möglichen Ausführungen gebaut hat, ist der DSL15 eine Schande!
Dann doch lieber für 1 bis 2 Hunderter mehr nach einem alten gebrauchten Röhren-Marshall geschaut, da hat man deutlich mehr davon.Selbsverständlich ist meine Meinung über diesen Amp subjektiv und sicher gibt es auch Leute die ihn mögen werden (vielleicht aber auch nicht ;-) .
Ich empfehle aber jeden der sich für das Teil interessiert, den irgendwo anzutesten.