Der Sinneswandel kam wohl daher, dass man im Hause Marshall feststellte, dass professionelle Musiker zwar immer noch sehr gerne Marshall-Amps spielten, dabei aber in erster Linie auf Klassiker aus dem Sortiment zurückgriffen. Für einen guten Plexi aus den Endsechzigern oder einem JCM 800 aus den frühen achtziger Jahre wurden auf dem Gebrauchtmarkt hohe Preise verlangt – und auch bezahlt. Meist sogar höhere als für einen neuen Marshall aus dem aktuellen Angebot. Der Vintage-Boom war auf dem Höhepunkt angelangt. Dazu kam, dass gerade die älteren Marshall-Modelle beliebte Objekte der Amp-Tuner waren. Mal etwas mehr Gain, hier noch ein effektiverer Mitten-Regler, Einschleifweg einbauen, zusätzliches Mastervolume – an keinen Amps wurde mehr herumgeschraubt, als an den Verstärkern mit dem weißen Marshall-Logo. Das alles sahen sich die Herren Techniker von der Insel in aller Seelenruhe an, um 2007 zum großen Rundumschlag auszuholen. Die Klang-Charakteristik der alten (zum Teil aufgemotzten) Amps, kombiniert mit der heutigen Technologie (MIDI, Programmierbare Soundeinstellungen) , das Ganze in Vollröhrentechnik aufgebaut, damit kein Purist mehr was zu meckern hat. Für all das steht das Kürzel JVM. Und ganz nebenbei sind die Amps auch noch kinderleicht zu bedienen.
Gehäuse/Optik
Das aus hochwertigem Birkensperrholz gefertigte Gehäuse des 205H ist mit schwarzem Kunstleder überzogen und an den Ecken mit Kunststoff verstärkt. An der Gehäuse-Oberseite befindet sich Tragegriff aus Kunststoff. Auf der Frontseite lacht uns, mittig positioniert, das obligatorische weiße Marshall Logo an. Direkt darunter findet das goldene Bedienpanel seinen Platz. Alles also so, wie man es von einem reinrassigen Marshall-Head erwartet.
Aber auch die inneren Werte entsprechen den Erwartungen: Der JVM 205 ist in Vollröhrentechnik aufgebaut und hat fünf Vorstufen- und zwei Endstufenröhren, alle handselektiert. Im Vergleich zu seinem 4-kanaliben Bruder, dem JVM410H ist er um einiges leichter. Sein Gewicht verteilt der 50 Watt-Amp auf vier satte Gummifüße, mit denen er auf jeder Box in Standard-Grösse Platz findet.
Bedienfeld/Kanäle
Master
Regler: Master 1, Master 2, Resonance, Presence.
Mit Master 1 oder Master 2 wird die Gesamtlautstärke des Amps eingestellt. Der Schalter unter den beiden Reglern bestimmt, welcher Master gerade aktiv ist. Auf diese Weise kann man mit Master 2 die Lautstärke für Solos oder prägnate Riffs einstellen und – bei Bedarf- mit Hilfe des mitgelieferten Fußboards abrufen (siehe unten). Kommen wir zu den Reglern Resonance und Presence mit deren Unterstützung sich die tiefen (Resonance) und Hohen Frequenzen (Presence) für den kompletten Amp einstellen lassen -eine sinnvolle Einrichtung, denn so kann der Verstärker global auf das Klangverhalten des jeweiligen Raums abstimmt werden. Liefert der Raum in dem man sein Stack aufgebaut hat beispielsweise zu viele Bass-Resonanzen, können die Bässe in der Master Sektion für den gesamten Ampsound reduziert werden. Man kann die entsprechenden Frequenzen selbstverständlich auch für beide Kanäle separat im Preamp herunterregeln, aber hier hat die Klangregelung Einfluss auf das Gain-Verhalten, und der Grundsound des Kanals würde sich verändern. Und das muss ja nicht sein!
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Reverb
Regler: RVB OD, RVB Clean/Crunch
Der JVM 205H ist mit einem Digital-Reverb ausgestattet. Mit den Reglern „RVB OD, RVB Clean/Crunch“ kann der Effektanteil des Halls für die einzelnen Kanäle separat eingestellt werden. Mehr Regelmöglichkeiten gibt es für den Hall nicht. Ist aber auch nicht nötig, denn die Voreinstellung ist perfekt. Mit dem Schalter unter den beiden Reglern wird der Effekt für den gerade angewählten Kanal aktiviert. Der Amp „merkt“ sich den Status des Halls und beim nächsten Anwählen des Kanals wird der Effekt entsprechend aktiviert oder deaktiviert. Der Verstärker denkt also mit!
Die Kanäle (Clean/Crunch, Overdrive)
Regler: Volume, Bass, Middle, Treble, Gain und der Mode Schalter
Jeder der beiden Kanäle des Amps bietet Regler für Volume, Bass, Middle, Treble und Gain. Dadurch können Clean und Overdrive komplett getrennt eingestellt werden. Das halte ich für extrem wichtig, denn beim Clean Sound werden gerne mal die Mitten reduziert, beim Overdrive hingegen werden sie meistens gepusht. Müsste man das mit einer Klangregelung für beide Kanäle einstellen, würde es immer auf einen Kompromiss aus beidem hinauslaufen.
Rechts neben den Reglern wartet in beiden Kanälen ein Main-Features des JVM: Der Mode-Schalter. Mit diesem kann man zwischen drei unterschiedlichen Klang-Charakteristiken pro Kanal wählen. Der jeweils aktive Modus wird durch ein farbiges Leuchten angezeigt: Grün, Orange, Rot. Das bedeutet, zwei Kanäle mit je drei Grundsounds – es stehen als insgesamt sechs unterschiedliche Klangeinstellungen zur Verfügung.
Sämtliche Schaltungen erfolgen ausschließlich über Relais, so dass der reine Röhrensignalweg in jeder Situation zu 100% erhalten bleibt.
Sehr praktisch ist, dass beim Umschalten in den jeweils anderen Kanal immer die letzte Einstellung abgespeichert wird. Habe ich beispielsweise im Overdrive-Kanal den Orange-Mode, Master 2 , Reverb und den Effektloop aktiviert und schalte anschließend in den Clean Kanal um, wird die letzte Einstellung des Overdrive-Kanals automatisch abgespeichert und beim erneuten Wechsel in den Kanal wieder aufgerufen. Auf eine Programmieroption für die Klangregelung hat Marshall übrigens ganz bewusst verzichtet, da man sonst den Plan mit einer 100% reinen Röhrenschaltung zu arbeiten, auf Eis hätte legen müssen.
Rückseite
Wenn man die Rückseiten der beiden „Brüder“ (JVM 410H und JVM 205H) betrachtet, fällt auf, das nichts auffällt! Es gibt schlichtweg keine Unterschiede. Das heißt, auch beim „Kleinen“ wurde an nichts gespart. Der Unterschied zwischen beiden Amps liegt tatsächlich “nur” in der Leistung (100/50 Watt) und der Anzahl der Kanäle (4/2 Kanäle).
Hier die rückwärtigen Features im Überblick:
Auf der linken Seite des Rear-Panels sind die Lautsprecherbuchsen untergebracht. Hier stehen insgesamt fünf Anschlüsse zur Verfügung, die alle Variationen des Boxen-Einsatzes abdecken (1×16Ω, 1×4Ω, 1×8Ω, 2×8Ω, 2×16Ω). Viele Amps kommen mit weniger Buchsen und bieten stattdessen einen Schalter zur Anwahl der entsprechenden Impedanz. Ich halte die hier praktizierte Lösung mit den fünf Buchsen (Ohne Impedanz-Schalter) für wesentlich besser und sicherer, denn wie oft hat man schon vergessen den Impedanz-Schalter umzustellen, wenn man eine andere Box an das Topteil anschließt…
Nächster Stop auf der Featureliste ist der Effektweg, der wahlweise seriell oder parallel genutzt werden kann. Für das Abgleichen des Pegels mit dem angeschlossenen Effektgerät gibt es noch einen FX-Level Schalter (+4dBu oder –10dB) sowie einen Regler mit dem man das Effektsignal zum Ampsignal hinzumischen kann (Mix). Dadurch bleibt dem Gitarristen überlassen, wie viel Effektanteil zum Originalsound addiert wird Die Qualität des Hauptsignals wird nicht beeinträchtigt. Als nächstes kommen die Anschlussbuchsen für Pre-Amp-Out und Power-Amp-In. Hier kann man gegebenenfalls das Preamp Signal vom JVM auf einen externen PowerAmp leiten (Pre Amp Out) oder externe Preamps anschließen (Power Amp In). Daneben wartet die XLR Buchse für den Recording Out mit integrierter Speaker-Simulation. Dieser funktioniert schon wenn der Amp noch im Standby-Modus ist, was bedeutet, dass man auch ohne angeschlossene Box aufnehmen kann. Eine sehr sinnvolle Einrichtung – nicht nur für die Homerecording-Anwendung! Es folgen die Klinkenbuchse für das Fußboard und die MIDI-IN und THRU-Buchsen. Der Amp kann über ein MIDI-fähiges Effektgerät oder eine MIDI Fußleiste umgeschaltet werden. Dabei werden die kompletten Einstellungen für den Kanal, Reverb und Master gespeichert. Als letztes kommt rechts außen noch der Anschluss für das Netzkabel. Auch auf der Rückseite wurde also an praktischen Featuren nicht gegeizt. Die Ausstattungen des Amps lässt keine Wünsche offen.
Fußboard, FX Loop und MIDI
Die Umschaltung des Amps erfolgt per mitgeliefertem, frei konfigurierbarem Fußboard. Es verfügt über vier Schalter und fünf kleine LED´s, die den Status der Kanäle sowie das aktuelle Setting von Master, Reverb und FX anzeigen. Eine Besonderheit des Boards ist, dass alle Presets und Informationen dort und nicht im Amp gespeichert werden. Somit kann man sein Board an einen anderen JVM205H anschließen und hat (trotz Fremdamp) unmittelbaren Zugriff auf die eigenen Sound-Settings. Die Schaltvorgänge gehen absolut geräuschlos von statten und trotz der verschiedenen Speichermöglichkeiten kommt es beim Umschalten zu keinen Signalaussetzern. Der Reverb wurde von den Marshall-Designer sogar so programmiert, dass er ausklingt, wenn beim Umschalten der Hall deaktiviert wird. Bei anderen Amps mit Digitalhall wird das Effektsignal häufig einfach ausgeschaltet, das klingt natürlich völlig unecht.
Das Board hat zwei unterschiedliche Bedien-Modi. Im „Switch Store Mode“ kann jedem Schalter eine Funktion zugewiesen werden. Zum Beispiel:
1 – Clean/Crunch Channel
2 – Overdrive Channel
3 – Master 1/2
4 – Reverb
Das wäre die Standardbelegung. Wenn man jetzt die einzelnen Modes der Kanäle anwählen möchte, muss man nur noch erneut den jeweiligen Schalter treten und man gelangt in den nächsten Modus.
Parallel dazu besteht jedoch auch die Möglichkeit vier Basic Sounds völlig frei zu programmieren. Dies geschieht im so genannten „Preset Store Mode“. Hier wird der momentane Ampstatus abgespeichert und das Fußboard merkt sich die Einstellungen für Kanal, Mode, Master, FX und Reverb und ruft sie auf, sobald der Taster erneut betätigt wird. Zum Beispiel:
1 – Clean Channel, Green, Master 1, Reverb On
2 – Crunch Channel, Red, Master 2, Reverb Off
Die Programmierung ist wirklich einfach. Ein weiterer positiver und praxisnaher Aspekt ist , dass das Fußboard mit einem einfachen Klinkenkabel mit dem Amp verbunden wird. Falls es mal kaputt geht oder vergessen wurde hat bestimmt einer der Mitmusiker ein Ersatz-Klinkenkabel dabei und dem Umschalten der Sounds mit dem Board steht nichts mehr im Weg.
Wie der große Bruder besitzt auch der JVM 205H einen MIDI-Anschluss und kann so von einem externen MIDI-Fußschalter oder Multieffekt umgeschaltet werden. Dann sind 128 Einstellungen verfügbar. Beim Programmwechsel merkt der Amp sich seinen aktuellen Status (Channel, Mode, Master, Reverb, FX), und ruft diesen beim erneuten Anwählen der Programmnummer selbsttätig wieder auf. Auch hier ist die Programmierung also ein Kinderspiel.
Nils sagt:
#1 - 16.05.2013 um 22:42 Uhr
Moin,
erstmal vielen Dank für eure Reviews! Ich kann dem hier auch nur vollkommen zustimmen. Echt ein super Amp.
Wie kommts aber, dass die Sound-Samples bei euren Tests immer so dünn und überhaupt nicht warm klingen? Ist mir schon mehrmals aufgefallen, besonders jetzt aber noch mal beim JVM...
DonFroscho79 sagt:
#2 - 28.09.2015 um 20:19 Uhr
Kann man den auch spielen, wenn man nicht in einer Band spielt? also im Wohnzimmer??
Thomas Dill - bonedo sagt:
#3 - 29.09.2015 um 09:00 Uhr
Hallo DonFroscho79,
selbstverständlich kannst Du einen solchen Amp im Wohnzimmer spielen. So richtig Spass macht es allerdings bei gehobener Lautstärke.
Thomas Barkhausen-Buesing sagt:
#4 - 30.06.2024 um 21:45 Uhr
Dem Kommentar über die Soundsamples kann ich mich nur anschließen, da kann man echt nur hoffen, daß sie mit dem eigentlichen Amp-Sound nichts zu tun haben. Was in dem Bericht keinerlei Erwähnung findet, ist der enorme Rauschpegel den übrigens die gesamte Baureihe unter Arbeitskonditionen hat. Das sollte gesagt werden, nicht jeder kommt mit Noisegate-Kompromissen klar. Preisgünstiges produzieren hat halt immer Folgen. Ich für meinen Teil nehme lieber einmal etwas Geld in die Hand für vernünftiges Werkzeug, als ständig mit solchen Kompromissen leben zu müssen.