Der deutsche Gitarrist Martin Miller ist ein Musterbeispiel dafür, wie man mit einer ordentlichen Portion Talent, viel Fleiß und den Möglichkeiten des Internets zu einem weltweit respektierten und erfolgreichen Gitarristen werden kann. Durch seine Kurse bei Jam Track Central, eigenen Releases sowie seiner YouTube-Präsenz erreichte der Leipziger Gitarrist ein riesiges Publikum. Jüngst erschien sein neuestes Album „Maze Of My Mind“ sowie sein Lehrwerk „Modern Rock Guitar Soloing“. Wir durften Martin kürzlich im Rahmen eines Video-Workshops in Berlin auf die Finger schauen!
Biografie von Martin Miller
Martin Miller wurde 1985 in Leipzig geboren und beschloss bereits in der Grundschule, Gitarre zu spielen. Zu seinen Einflüssen zählen Steve Morse, John Petrucci, aber auch Jazzgitarristen wie Joe Pass oder Pat Metheny.
Von 2004 bis 2010 besuchte er die Carl-Maria-von-Weber-Musikhochschule in Dresden, wo er von Stephan Bormann unterrichtet wurde und zwischen 2015 und 2020 selbst als Gitarrendozent für die Bachelor- und Masterstudiengänge tätig war.
Bald begann die Zusammenarbeit mit Jam Track Central, wo er einerseits diverse Kurse veröffentlichte und auf deren Label er auch 2013 sein erstes Soloalbum „The Other End“ herausbrachte. Seitdem gibt Martin auf der ganzen Welt Workshops, spielte als Gastmusiker auf zahlreichen Releases und feiert als YouTuber mit über 700.000 Abonnenten große Erfolge. Aktuell leitet er seine eigene „Martin Miller Session Band“, ein YouTube-Coverprojekt, das großen Zuspruch erfährt und bei dem international etablierte Gitarristen wie Paul Gilbert, Andy Timmons oder Mark Lettieri (Snarky Puppy) als Gäste mitwirkten. Nebenbei veröffentlichte er im November letzten Jahres noch sein neues Album „Maze oft my mind“ und ein Lehrbuch mit dem Titel „Modern Rock Guitar Soloing“.
Das Equipment von Martin Miller
Martin verwendete in seiner Anfangszeit noch Suhr-Gitarren, sattelte jedoch später auf Ibanez um. Hier wurde ihm eine eigene Signature-Serie, basierend auf der AZ-Serie, auf den Leib geschneidert. Die Gitarre im blauen Finish besitzt einen Mahagoni-Body mit geflammter Ahorndecke, Seymour Duncan Pickups und einen Hals aus geröstetem Ahorn. Seine Serie besteht aus zwei Sechssaitern, der MM-1 und MMN-1, sowie dem siebensaitigen Modell MM-7. An Verstärkern setzt Martin schon seit Längerem auf Laney, von denen er sowohl die Ironheart als auch Lionheart Modelle spielte. Auf Tour sieht man ihm mit dem Fractal Audio FM9 in Kombination mit einer aktiven Laney FRFR Boxen.
Der Martin Miller Workshop
Martins Spiel zeichnet sich einerseits durch seine wahnsinnige Alternate-Picking-Technik aus, die es ihm ermöglicht, sowohl Skalenläufe als auch Arpeggios rasant abzufeuern. Das Ganze kombiniert er geschickt mit Hybridpicking, Legatoläufen und Sweepings. Seinem Spiel merkt man eine profunde Jazzausbildung an, denn die Lines sind häufig mit chromatischen Approach-Notes garniert. Manchmal hört man auch Ausflüge in die Harmonisch- oder Melodisch-Moll-Tonleiter, wenn es darum geht, Ghost-Dominanten auszuspielen.
1. Improvisation über Akkordchanges
Martin verfolgt beim Spielen über Akkordfolgen unter anderem einen vertikalen Approach, bei dem er jede einzelne Harmonie berücksichtigt. Diese Herangehensweise findet man häufig auch bei der Jazzimprovisation, bei der es über weite Strecken darum geht, die „Changes“ deutlich zu machen. Das setzt natürlich voraus, dass man einerseits die Akkordverbindung, aber andererseits auch die Akkord-, sprich, Arpeggiotöne kennt. Zur Verdeutlichung nimmt Martin hier eine diatonische I-V-VI-IV Akkordverbindung in D-Dur:
In der folgenden Übung spielt Martin zunächst nur die Grundtöne der jeweiligen Akkorde, dann die Terzen und schließlich die Quinten:
Das Ganze kann man nun auch in seine Sololines integrieren. Im folgenden Beispiel findet ihr eine Anwendung des Prinzips, bei dem natürlich auch andere Skalentöne Verwendung finden. Entscheidend ist vielmehr, dass wichtige Zählzeiten mit Arpeggiotönen bedient werden und die Phrasen den Akkordsound gut abbilden. In Takt 14 findet ihr z. B. eine der eingangs erwähnten „Ghost-Changes“, denn Martin spielt eine F#7 phrygisch-dominant/Flamenco-Scale-Linie, die euch elegant zum Bm führt.
2. Einsatz von Chromatik
Martin legt bei seinem Einsatz von Chromatik zwei Kriterien fest: Zum einen ist es wichtig, auf einer sinnvollen Zielnote zu landen und zum anderen sucht er eine systematische Konzeption, wie chromatische Noten integriert werden. Dieser Gedanke entstammt auch der Jazz-Schule, wo Chromatik, abgesehen von modernen intervallistischen Konzepten, primär in Form von Figurationen, also „Approach Notes“ oder „Passing Tones“ auftritt. Im folgenden Beispiel hört ihr, wie Martin einen sogenannten „4-Note“-Approach verwendet, um die Akkordtöne des darunterliegenden Am11-Grooves zu umspielen. Das Prinzip lautet: Mit einer oberen diatonischen Note zu beginnen, von dieser ausgehend zwei fallende chromatische Töne zu spielen und zum Abschluss chromatisch von unten den Zielton anzuvisieren.
Zunächst findet ihr den Backing Groove und im Anschluss eine Praxisanwendung, bei der die Quinte e, Terz c und Septime g „approacht“ wird.
3. Verwendung von Open Triads
Ein weiterer Trademark von Martin ist der Einsatz von „Open Traid“-Voicings, sprich Dreiklängen in weiter Lage. Im Gegensatz zur engen Lage, wo man eine Terzschichtung oder in den Umkehrungen Quarten erhält, werden weite Lagen so geschichtet, dass zwischen jeden Akkordton noch ein weiterer Akkordton passen würde. Das Ganze resultiert dann in größeren Intervallen, aber auch einem offeneren, schon fast klassisch anmutenden Akkordsound. Diese Strukturen lassen sich einerseits als Begleitakkorde nutzen, aber auch in der Verwendung von Lines, bei denen man die Noten sukzessive spielt, geben sie eine tolle Farbe ab. Martin begleitet hier die Akkordfolge vom Jimi Hendrix Klassiker „Little Wing“ nur mit dem Einsatz von Open Triads und deren Umkehrungen.
4. Alternate Picking
Martin ist bekannt für seine herausragende Picking-Technik. Auch wenn er in vielen Szenarien die Verwendung des Halspickups bei schnellen Wechselschlag-Runs vorzieht, empfiehlt er, diese Technik auch mit dem Bridge-Pickup zu üben. Im folgenden Beispiel findet ihr einen Picking-Lick in A-aeolisch, bei dem Martin zum Saitenwechsel zum Economy-Picking springt:
Hier findet ihr ein von Steve Morse inspiriertes Lick in G-mixolydisch. Spielt hier die Noten der A-Saite gemutet und stoßt dann mit einem Downstroke auf die G-Saite durch, die dann ungedämpft angeschlagen wird:
Get the Sound
An der Gitarrenfront empfiehlt sich eine Superstrat mit einem Humbucker in der Stegposition und einem Humbucker oder Singlecoil am Hals. User von Modelern oder Plugins können sich eher an amerikanischen Zerrsounds aus dem Mesa-Boogie-Lager orientieren, bei denen man gerne die Bässe und Höhen zurücknimmt und je nach Gusto die Mitten etwas boostet. Der Sound wirkt sehr „throaty“ und hat eine mittenbetonte Zerre. Das Gain ist eher moderat hoch gesetzt, was zu einem sehr ausbalancierten Klangcharakter in allen Lagen führt. Wer es genauer mit seinem Sound nehmen will und im Besitz eines Modelers ist, kann natürlich die Preset-Packs, die er für das Fractal Audio-, Kemper- und Helix-Format erstellt hat, auf seiner Website erwerben. Hier findet ihr eine Annäherung von mir mit dem Neural DSP Plini PlugIn:
Klaus Deininger sagt:
#1 - 27.07.2023 um 13:11 Uhr
Sehr cooler Workshop! Toller Gitarrist; mit den Konzepten ist man eine Weile beschäftigt!