Menderes Bagci hat bei der Castingsendung DSDS an jeder Staffel teilgenommen und immer wieder verloren. Trotzdem: Er hat es geschafft, damit bekannt zu werden und sich daraus eine Karriere zu bauen.
Menderes Bagci ist einer der bekanntesten DSDS-Teilnehmer, obwohl er bislang nur einmal über die erste Runde hinaus kam. Acht mal war der Deutsch-Türke vom Niederrhein dabei und ließ sich von “Titan” Dieter Bohlen in jeder Staffel erneut in der Luft zerreißen. Beim letzten Auftritt schaffte er es erstmals in den Recall – seitdem ist der Mann mit der Erdhörnchen-Stimme Stammgast in der privaten Fernseh-Programm-Promi-Landschaft: Ob beim Barfuß-Wasserski (“Trau dich doch! Freaks am Limit” auf Sport1), beim RTL-Spendenmarathon oder “Die Einrichter” (VOX) – die Liste wird ständig länger. Den Song “Yummy Yummy Yummy” der Band Ohio Express (genau, der aus der Kinderriegel-Werbung), den er als Gast in der Finalsendung der letzten DSDS-Staffel singen durfte, hat er sogar als Single veröffentlicht. Durch diese Präsenz hat er es geschafft, dass er nach eigener Aussage von Auftritten wie zuletzt mit Jürgen Drews auf Mallorca seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Das ist mehr, als die meisten ambitionierten Musiker von sich behaupten können …
Da schwitzt man unter Ausschluß der Öffentlichkeit wochenlang im Proberaum auf der Suche nach innovativen Ideen, und am Ende kommt es auf die gar nicht an? Casting-Shows und Katzenberger machen den Umstand, dass es auf viel mehr als nur schnelle Finger ankommt, so offensichtlich wie nie: ohne Schein kein erfolgreiches Sein. Nur mit Singen kann die Quote halt nicht erfüllt werden: Es ist schon wirklich kurios, dass die Verlierer oft nachhaltigeren Erfolg aufbauen können als die Gewinner. Ob Alexander Klaws oder Mehrzad Marahshi – Menderes ist inzwischen ebenso bekannt und lässt mit seiner Antihelden-Marke die Kassen klingeln.
Geht es dabei nur um die gute alte Promo? Viel hilft ja bekanntlich viel. Wer ständig im Fernsehen zu sehen ist, hat mehr Chancen als der durch Kneipen tingelnde Ottonormalmusiker. Allerdings sind DSDS-Gewinner ja eigentlich durch die vielen Folgen der Sendung noch präsenter als Menderes. Das allein kann es also nicht sein.
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“(…) Wollte Dir nur sagen, geh Deinen Weg und bleib so, wie Du bist, lass Dich nicht verbiegen, Du bist klasse und authentisch, und das lieben die Menschen so an Dir” schreibt EDDA im Gästebuch der professionell gestalteten Menderes Homepage. Kommt der Erfolg tatsächlich, weil Menderes “authentischer” ist als seine Kollegen? Immerhin macht die personifizierte Freakshow ja nichts Anderes als seinen Idolen nachzueifern: Laut seiner offiziellen Biographie ist sein größtes Vorbild Michael Jackson und eine der prägendsten musikalischen Erfahrungen David Hasselhoffs “Looking For Freedom”. Sogar die Nasen-Op nutzt er zur ständigen Selbstdarstellung und bleibt sich damit treu?
Durch das eigenwillige Kopieren seines großen Vorbildes Michael Jackson ist er selbst zum Original geworden: War bei Michael Jackson das Interesse an seinem Privatleben groß, weil er ein Superstar war, ist es bei Menderes das Zentrum der Marketingmaschine. Er lässt sich von Vox das Zimmer einrichten, operiert sich öffentlich die Nase und nimmt auch sonst jede Möglichkeit war, sich zu zeigen. Ob er sich beim Barfuß-Wasserski vollständig erniedrigt, ist ihm offensichtlich egal. Erfolg um des Erfolges willen. Dieses Streben nach Erfolg scheint auf eine Art authentisch. Das wird noch dadurch unterstützt, dass er sich nach den ständigen DSDS-Misserfolgen diesem großen Zirkus zu Gunsten einer kleineren, aber (scheinbar) eigenen Manege entzieht. Will heißen: Er geht nicht einfach zu seiner Bäcker-Lehre zurück, wenn es mit DSDS nicht klappt, sondern probiert es auf eigene Faust.
Was heisst “Authentizität” eigentlich bei einem Musiker? Laut dem Popularmusikwissenschaftler Dirk Budde findet bei “authentischen” Musikern eine Vergleichbarkeit zu den eigenen Lebensverhältnissen einer Zielgruppe statt (Dirk Budde: “High Ideals and Crazy Dreams”, Berlin 2004, S. 27f., auch zitiert bei Wikipedia). Solche “Street-Credibility” entsteht also dieser Ansicht nach nicht dadurch, dass ein Künstler “echt” ist. Der Musiker, ob Rapper, Grunger oder Metaler, muss eine breite Identifikationsfläche für seine Anhänger bieten. Daraus entsteht ein Kundenstamm, der besonders treu ist, aber auch unflexibel, sollte man sich mal außerhalb des Tellerrandes bewegen wollen. Was das bedeutet, kann man z.B. an den vernichtenden Reaktionen auf Chris Cornells Album mit Timbaland ablesen. Mit Menderes kann man sich nicht identifizieren. Die Faszination, die von dem Rheinländer ausgeht gleicht eher der, die man vor einem Käfig im Zoo empfindet. Man bewundert den Orang Utan, aber man möchte keiner sein – und man hält sich für überlegen. Ist Menderes authentisch? Nein, im Wikipedia-Sinne nicht. Aber man kann ihm auch nicht vorwerfen, er würde sich verbiegen.
Eigentlich bleibt nur noch eins: sein extremes Durchhaltevermögen. Seit der ersten Staffel ließ sich Menderes von der Jury mit schöner Regelmäßigkeit jegliches Talent absprechen. Erst in der 8. Staffel durfte er in den ersehnten Recall. Wahrscheinlich weil einem Dieter Bohlen der Marktwert einer guten Freakshow nicht entgeht, und sich diese dann über mehr Folgen ausschlachten lässt. Dessen Mantra ist ja auch, dass man nur lange genug durchhalten und weiter machen muss (beschrieben in seiner recht launigen Autobiographie).
Natürlich wirkt die tiefe Überzeugung, mit der Menderes seine Karriere vorantreibt, wie maßlose Selbstüberschätzung. Dabei erscheint er keinesfalls unreflektiert: Aussagen wie “Bekanntheit ist nicht das Gleiche wie Erfolg” zeugen schon von einer gewissen Einsicht in das eigene Schaffen. Auch bezeichnet er sich als Entertainer, nicht als Sänger. Die Regelmäßigkeit, mit der er sich immer wieder der Erniedrigung aussetzt, lässt ebenfalls eher auf Kalkül schließen. Die Medienpräsenz weiß Menderes ja durchaus zu nutzen. Immerhin kann er schon seinen Lebensunterhalt mit diesen Auftritten als Entertainer verdienen.
Die magische Freakshow entsteht erst, wenn so offensichtlicher Talentmangel auf extremes Geltungsbedürfnis trifft. Sprich, wenn jemand mit Ausstrahlung und Aussehen von Christina Aguilera vor die Jury tritt, überrascht einen die Aussage “Ich will Popstar werden” nicht so sehr. Bei Menderes schmunzelt man entweder mitleidsvoll, erleidet eine ausgeprägte Fremdscham-Attacke oder regt sich über die Sendung auf – ganz egal, die Reaktion ist deutlich stärker ausgeprägt. Man schenkt dem einen schwarzen Schaf aufgrund des extremen Kontrasts mehr Aufmerksamkeit als den vielen weißen. Ob die Wolle der anderen besser tragbar ist, scheint da nebensächlich.
Muss man als Musiker also in den sprichwörtlichen Käfig? Muss man alles mit machen? Nein, aber man sollte nie vergessen, dass Performance und Entertainment ein erheblicher Teil dieses Jobs sind: vom Bandoutfit bis zur lustigen Story auf der Band-Homepage. Und es muss einfach gut zu einem passen: Egal ob man Freak oder Held sein will – es muss klar werden, was man verkörpert.
Was man von Menderes lernen kann, ist der Wille durchzuhalten und seinen Weg kompromisslos zu gehen – der natürlich nicht mit dem eigenen übereinstimmen muss. Eine ähnliche Hingabe und Konsequenz sollte vorhanden sein. Sein “Erfolg” wäre nicht denkbar ohne diesen inneren Antrieb. Auch wenn das eigene Ziel ARTE und nicht RTLII oder die Festivalbühne statt eines Ballermannzeltes ist, Menderes’ Motto “Gib niemals auf” ist nicht nur für Musiker ein guter Tipp!
Er beweist, dass Unverkennbarkeit und Einzigartigkeit wichtige Merkmale eines Performers sind. Also: Seid lieber das schwarze Schaf in der Herde! Leichtgrau mit lauwarmem Einsatz wird nirgends hinführen. Nicht Schema F ist das nächste große Ding ist, sondern z.B. eine unerwartet auftauchende kleine Grungeband aus der Pop-Peripherie-Stadt Seattle. Oder die Rock-Punk Band aus der Eifel, die nach dem dritten Album plötzlich DEN Radiohit hinlegt (ihr wisst schon wen ich meine). Also: Nicht meckern – weitermachen!
Astro sagt:
#1 - 23.12.2011 um 12:28 Uhr
Klar und solche Dumpfbacken wie ihr bietet so einem Nichtskönner noch eine Plattform.
Taubenfreund sagt:
#2 - 30.12.2011 um 16:32 Uhr
Einen dümmeren Komentar als von Astro kann ich mir kaum vorstellen. Ich finde der Autor unterscheidet sehr klar zwischen Können und Einsatz. Das Beispiel Menderes ist meiner Meinung nach perfekt als Anschauungsbeispiel gewählt. Meistens sind es die "mittelmäßigen"
Musiker die wesentlich mehr mit ihrer Musik erreichen als studierte -. Je mehr man sich mit Musiktheorie beschäftigt desto weniger Zeit, und oft auch Lust bleibt für die eigene Vermarktung. Man muss ja nicht auf allen RTL2-Hochzeiten tanzen. Wer aber nur zuhause sitzt und übt wird das sein Leben lang machen.