Praxis
Lebenslange Garantie
Mit diesem Mikrofon zu arbeiten ist wirklich spaßig, denn welchen Großmembran-Kondenser kann man schon komplett mit der Hand umschließen? Die Verarbeitung des nordischen Schallwandlers wirkt ordentlich und weckt eher Assoziationen zu schwedischen Automobilherstellern denn zu schwedischen Discounter-Möbelhäusern. Allerdings ist der Drehschalter zur Anwahl der Richtcharakteristik etwas wackelig. Schön, dass sich Milab vor vielen Jahren dazu entschieden hat, auf alle Produkte eine lebenslange Garantie zu geben, denn bei intensivem Gebrauch könnte ich mir vorstellen, dass das Testobjekt auf “Staatskosten” in ein paar Jahren wieder seine alte Heimat besuchen darf. Der Pad-Schalter lässt sich – einige Kleinmembran-Mikrofone waren da offenbar schlechtes Vorbild – nur sehr schwer betätigen, da er als kleiner Schiebeschalter ausgeführt ist, der im Grunde nach einem Kugelschreiber oder sonstigem Werkzeug verlangt.
Frickelige Angelegenheit
Warum die elastische Aufhängung von vielen weiterhin “Spinne” genannt wird, könnte ich meinem Biologie studierenden ehemaligen WG-Mitbewohner bestimmt nicht verständlich machen. Sie sieht eher aus, als habe man in kindlicher Gefühllosigkeit einem armen Achtbeiner seine Beine … Aber lassen wir diese Grausamkeiten: Im Grunde sind es zwei kleine Gummiwülste, in die das Mikrofon hineingedrückt wird. Diese Bauform hat sich bei vielen Kleinmembranmikros bewährt. Dadurch ist die Aufhängung schön klein, doch ist eben dieser Vorgang des “Bestückens” der entbeinten Spinne mit dem DC-196 eine frickelige Angelegenheit für ungeduldige Grobmotoriker wie mich. Außerdem sollte man sich vorher überlegen, ob man die ebenso frickelige Operation des Schaltens der Dämpfung vornehmen möchte oder nicht – die elastische Aufhängung verdeckt diesen Schalter nämlich. Und das ist nämlich dämlich.
Der Klang ist…nun ja,…irgendwie “anders”
“Aha!” ist das erste Wort, das ich nach dem ersten Soundcheck von mir gebe, “Interessant!” das nächste. Ihr merkt: Überschwänglich geht irgendwie anders. Allerdings treffen diese beiden Worte im Grunde schon in das Bull´s Eye der Soundbeschreibung, denn der Klang des DC ist wirklich in erster Linie “anders”. Vor allem in den oberen Mitten zeigt sich ein unüblicher Charakter, den man vor allem bei Stimmen wie eine Textur wahrnimmt. Äußerst leichte, harmonische Verzerrungen sorgen dafür, dass wir einen Sound bekommen, den wir so noch nicht kennen. Sicher ist die Ursache dafür das rechteckige Häutchen, auf dem die modale Verteilung gänzlich anders ist als auf den üblicherweise runden Vertretern. Ringmodi wird man hier logischerweise kaum finden. Dieser Zusammenhang alleine macht das Milab zu einer möglichen Alternative im Studioalltag: Manchmal passt ein “Paradiesvogelsound” ja ganz genau!
Der Sound klingt sehr verhalten
Allerdings gibt es durchaus Einschränkungen: Die oft gebrauchte Aussage “klingt größer als es ist” trifft hier nicht zu, denn das Milab wirkt trotz seiner eigentlich großen Membranfläche nicht wirklich ausgewachsen. Im Gegenteil: Im Vergleich zu den vielen anderen Mikrofonen, die wir in unserer Teststrecke vor Sänger und Sängerin gestellt hatten, klang das DC mit Abstand am verhaltensten. Bei gleichem Abstand scheint es indirekter und “weiter weg”, eine Eigenart, die auch per Gain nicht auszumerzen ist. In den absoluten Höhen ist es schwach und geradezu lustlos. Bei höheren Pegeln – auffällig im Nahbereich – fängt es zu stark und plötzlich zu verdichten an. Immerhin ist es sehr unanfällig für Popp-Laute.
Für dich ausgesucht
Tendenziell für Akustikgitarren zu empfehlen
Es scheint also seine Gründe zu haben, dass alle anderen Großmembran-Kondenser mit runder Membranform arbeiten. Obwohl ich gestehen muss, dass ich bei der Arbeit mit Mikrofonen durchaus ein Freund von allem bin, was unüblich und quasi “off-the road” ist. Vielleicht würde ich in manchen Recordingsituationen das DC-196 einfach aufstellen wollen, vielleicht ist es dann genau der Sound, den der Mix braucht. Allerdings ist diese Chance verhältnismäßig gering und das Mikro für diesen Einsatz auch nicht preiswert genug. Mir ist außerdem nicht ganz klar, wieso dieses Gerät auch als Gesangsmikrofon beworben wird. An Instrumenten, die klanglich nicht absolut pur übertragen werden müssen, kann es bestimmt eher ein gute Figur machen. Und dabei denke ich ganz deutlich an Akustikgitarren.
RakArt sagt:
#1 - 25.08.2015 um 10:12 Uhr
Über Mikrofone redet es sich fast so wie über Rotwein.... Was der eine als "schwache Höhendarstellung wahrnimmt, bezeichnet der andere als "natürlich" oder "seidige Höhen". Ich habe zwei DC196 bei einer Aufnahme für DECCA (Klavier und Gesang) benutzt, nachdem ich sie im Studio gegen meine zwei Brauner VM1´s getestet habe. Jetzt lässt sich meine Erfahrung nicht auf jede Stimme übertragen, aber die Brauner klangen sofort "spektakulärer", fast schon als ob die Höhen schön bearbeitet wären. Leider war es aber nicht meine Stimme, die ich wiedererkannt habe, sondern eine auf Dauer fast schon nervige Färbung. Für einen 3 Minuten Popsong, in dem die Stimme sich durch einen Mix durchsetzen muss wahrscheinlich sogar ganz ok; für eine gesamte Lied CD dann aber zu penetrant. Ich war echt schockiert, daß die 900€ Milabs einfach natürlicher klangen als die mehr als viermal so teueren Brauner. Teurer ist doch eigentlich immer besser, oder...?
Die Milabs klangen deutlich angenehmer und entsprachen viel mehr dem Klang der sich vor dem Mikrofon abgespielt hat. Unspektakulär spektakulär würde ich sagen. Musikerkollegen und befreundete Toningenieure haben diese "Natürlichkeit" immer wieder bestätigt. Klavier, Cembalo, Cello und Geige wurden inzwischen mit den DC´s aufgenommen und für mich sind sind sie durchaus den Brauner Phantom AE´s vorzuziehen, die bisher zur Instrumentenabnahme verwendet wurden.
Soweit meine Erfahrungen mit den Milabs. Ich kann nur jedem empfehlen sich Zeit zu nehmen und jedes neue Mikrofon ausgiebig anzuhören. Wieviele "Sterne" ein Mikrofon in Tests bekommt muss nicht unbedingt immer der eigenen Wahrnehmung entsprechen.
Nick (Redaktion Recording) sagt:
#1.1 - 25.08.2015 um 17:12 Uhr
Halo RakArt,vielen Dank für den Kommentar. Ja, über Rotwein lässt sich auch vortrefflich reden. Es stimmt absolut, was dem einen seine Eule, ist dem anderen seine Nachtigall. Und so muss bei Bewertungen, die sich nicht ausschließlich auf konkrete technische oder sonstige Kriterien zurückführen lassen (Haltbarkeit, manche technische Werte etc.) klar sein, dass es für manchen eben doch gut geeignet sein kann. Es ist also genau richtig, eine Kaufentscheidung nicht ausschließlich an der Meinung eines anderen festzumachen. Wichtig ist zu wissen: Was benötige ich für mein Vorhaben? Ein Testbericht und auch eine Sternchenbewertung dienen dann als Vorabinformation. Und durch nichts zu ersetzen ist die eigene Erfahrung mit verschiedenen Mikros, sowie das Kennenlernen. Vor diesem Hintergrund: Stimmt, teuer ist natürlich nicht immer besser, das erfährt man dann, wenn man den teuren Sportflitzer im Gelände ausfahren will oder damit den Samstagseinkauf nach Hause bringen möchte (den ganzen Rotwein!). Zum Milab: Das Konzept von Milab, Pearl und mittlerweile ja auch Audio-Technica mit den bei uns getesteten 5040 und 5045 ist nach wie vor hochinteressant.Beste Grüße,
Nick Mavridis (Redaktion Recording)
Antwort auf #1 von RakArt
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