Millenium MX900 T-Drive Stage Birch im bonedo-Test: Bei uns in Deutschland hat sich längst eine Lebensphilosophie etabliert, die man gemeinhin als eine amerikanische bezeichnet, nämlich die Gier nach überdimensionalen oder überfunktionalen Produkten zum minimalen Preis. Da klopft auch schon das kleine Männchen in meinem Kopf, das mir in vielen Situationen mit seinem ewig gleichen Spruch aus der Gewissens-Patsche geholfen hat: “Du kannst es dir nicht leisten, billig zu kaufen”. Und schwupps wechselte die nächste Premium-Snare den Besitzer.
Ich erinnere mich aber auch an die denkwürdige Situation, als ich mit meiner durchaus gut bestückten Snaresammlung im Planet Rock in Berlin aufgeschlagen bin und der Produzent bereits genau wusste, womit der Track des Tages gespielt werden muss, nämlich mit seiner halb zerfetzten Millenium-Snare. Das Tuning dieser Trommel war derart eigenständig, dass man den Sound als “fresh” bezeichnen darf.
Und jetzt steht da dieses riesengroße MX900 vor mir und kostet gerade mal halb soviel wie eine einzige meiner Schnarrtrommeln. Aber ist das MX900 günstig oder doch billig?!
Ein Schnäppchen ist das MX900-Drumset von Millenium in jedem Fall, zumindest dann, wenn man strikt nach dem kleinsten Preis für das größte Drumset geht. Ein komplettes Drumset mit vier Toms, einer Snare, einer Bassdrum und der gesamten Hardware plus Fellen für sagenhafte 398 Euro? Da klopft schon wieder das Männchen, sieht dabei in etwa so aus wie Hape Kerkeling und sagt “Sie haben so viele Waschmaschinen gewonnen, wie sie tragen können”. Ich komme auf diesen Uralt-Sketch, weil ich nach zwei Stunden Aufbau im Schweiße meines Angesichts nochmal über den Anblick des Postboten schmunzeln muss, der ein paar Stunden vorher schweißgebadet mit drei Paketen – die jeweils seiner Körpergröße entsprachen – an meine Tür geklopft hatte. Mehr Material für noch weniger Geld bekommt man nur, wenn man einen Kubikmeter Erde kauft. Ob – und wenn ja – auf welche Komfortausstattung der Trommler am Ende des Tages verzichten muss und was das Drumset überraschenderweise ausgesprochen gut beherrscht, das ergründen wir für euch in diesem Test.
Details
Das Millenium MX900 Drumset, das in Deutschland exklusiv von Thomann verkauft wird, ist ein Sonderfall. Die Kesselgrößen sind zwar etwas altbacken und auch sonst findet sich nichts Innovatives an diesem Drumset, aber dass es überhaupt möglich ist, ein komplettes Schlagzeug inklusive Hardware für einen Preis anzubieten, für den man normalerweise maximal einen Satz professionelle Felle für so ein Set und zwei gute Beckenständer bekommt, das ist neu.
Was zuerst ins Auge fällt, ist das goldumrandete Emblem auf den Trommelkesseln. „Millenium“ steht da geschrieben und „High Quality Product“. Soviel sei zu diesem Zeitpunkt aber schon einmal festgestellt: Ein qualitativ hochwertiges Produkt ist das Millenium-Drumset nicht unbedingt. Wenn man sich mit dieser Tatsache abgefunden hat, lassen sich allerdings etliche Features entdecken, die den Trommler des MX900 T-Drive Stage-Drumsets hochzufrieden machen dürften.
Ein “erwachsenes” Drumset
Zum einen ist hervorzuheben, dass Millenium mit diesem Set eine nahezu komplette Grundausstattung für geneigte Einsteiger anbietet. Voraussetzung dafür ist aber, dass diese einen ausreichend großen Stellplatz für das ausladende Teil zur Verfügung, lärmunempfindliche Nachbarn und bereits ein ausreichendes Körpermaß erreicht haben, denn für Kids ist das Drumset schlicht zu groß – wer oben steuert, sollte auch gleichzeitig Brems- und Gaspedal erreichen können. Das einzige, was zur Komplettausstattung des Sets fehlt, sind Becken – für diese dürfte nach einem derartigen Budgetkauf allerdings noch vergleichsweise genügend Geld auf dem Konto sein. Auch die Hardware ist in ausreichendem Umfang vorhanden: zwei Beckenständer mit Galgenfunktion und doppelstrebigen Füßen, ein Hihatständer mit zwei Füßen für ein leichteres Positionieren am Set und ein Snareständer, der mit einem Kugelgelenk ausgestattet ist. Auch hervorzuheben ist die Freefloating-Konstruktion für die Hängetoms, die ein Maximum an Kesselschwingung – das sogenannte Sustain – gewährleisten soll. Ein Bassdrum-Pedal mit Kettenabtrieb ist auch mit an Bord! Da bleibt höchstens noch die Frage nach dem Bierhalter.
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Die zwei “B”: Blech und Birke
Die komplette Ständer-Hardware ist matt chromfarben und absolut funktional konstruiert. Alle Metallteile, die direkt an den Kesseln verbaut sind, changieren metallic und schwarz und bestehen ansonsten aus gestanztem Blech. Ein anderes “B”, nämlich das vom Wörtchen Birke steht für die Holzsorte, aus der die Kessel gefertigt sind. Sechs Lagen dieses weichen Holzes sind laut Hersteller jeweils miteinander verleimt – ich habe sieben gezählt, aber egal, je mehr Holz verbraten wurde, desto besser ist das Schnäppchen, oder nicht? Jedenfalls ist die Fellauflagekante beidseitig um 45 Grad abgeschrägt und in der Mitte leicht abgerundet. Die Fellauflagefläche ist dadurch relativ groß (cirka zwei Fingerkuppen pro Fell) und sorgt für einen leicht vintage-mäßigen Dämpfungseffekt.
Strainer wirft Fragen auf
Diese Gratung strapaziert das weiche Holz nicht zu sehr und ist absolut sauber verarbeitet. Die Snare ist außerdem mit einem sogenannten Snarebed ausgestattet, einer minimale Vertiefung an der Stelle, an welcher der Snareteppich über die Fellauflagekante gezogen wird. Das sorgt für eine Entkopplung des Schnarrteppichs, dessen Rauschen dadurch leicht zu kontrollieren ist. Nicht ganz so leicht zu kontrollieren ist der Strainer, an dem der Teppich angebracht ist. Dieser ist äußerst rudimentär konstruiert, aber leider mit einem nicht besonders raffinierten Patent. Das Ergebnis ist, dass der Hebel sehr schwergängig läuft, was in Kombination mit den scharfkantigen Schnittstellen dieser kleinen Blechkonstruktion ein gewisses Verletzungsrisiko birgt. Die vierzehn mal sechseinhalb Zoll große Snare ist ansonsten sehr reduziert ausgestattet. Jeweils zwei sehr lange Spannschrauben sitzen etwas schief in nur einem Böckchen. Warum die Schrauben schief sitzen? Der Fehler befindet sich im Detail: Die Löcher in den Spannreifen sind so groß, dass sich die Schrauben samt Unterlegscheiben darin leicht verkeilen. Vermutlich wollte man bei der Konstruktion auf das Problem eingehen, dass sich die aus vergleichsweise weichem Metall bestehenden Spannreifen bei stärkerer Fellspannung leicht verbiegen und bei engeren Führungslöchern dann gar keine Stimmung mehr möglich ist.
Remo UT-Felle
Es zeichnen sich also doch ein paar auffälligere Mankos ab, die im Praxis-Teil näher beleuchtet werden. Bis dahin gibt es noch das Finish zu bestaunen, ein in natürlichem Matt gehaltenen Satin-Fade, das sinnbildlich für die Verarbeitung des kompletten Drumsets steht: Licht (das Portemonnaie bleibt voll) und Schatten (die Qualität lässt stellenweise zu wünschen übrig). Das Ganze ist außerdem auch in einem weißen Sparkle-Finish erhältlich. Auf der Homepage von Thomann ist dann noch nachzulesen, dass die Hängetoms zehn, beziehungsweise zwölf Zoll groß sind und die Standtoms 14×14″ und 16×14″. Ein junger Mann erzählt in einem Produktvideo direkt neben den Artikeldaten dann unter anderem von den Fellen, die mit dem Drumset geliefert werden – diese seien „vom Markenhersteller Remo“. Allerdings handelt es sich bei den Fellen auf dem MX900 um die billige Serie Remo UT, welche in China gefertigt wird. Diese besteht laut Hersteller zwar aus denselben Materialien wie die Vorbilder aus den USA, ist aber weniger aufwändig verarbeitet. Um welche Serien es sich handelt, lässt sich auch relativ schwer erkennen, jedenfalls ist das Coated-Snarefell dicker und schwerer als ein Remo Ambassador USA. Die Bassdrum und die Toms sind mit klaren Fellen bestückt.