Moses kennt den Weg

Bonedo: Moses, zu deiner Methode gehört es, mit einer Band bereits im Proberaum zu arbeiten. Wie sollte ein Übungsraum beschaffen sein?

Erstmal muss man den Raum, in dem man arbeitet, wertschätzen. In München etwa gibt es kaum Bands, weil es nur wenige Räume gibt, in denen man voll aufdrehen kann. Insofern sollte man anerkennen, dass so ein Raum einen Wert hat. Als nächstes sollte man den Übungsraum aufräumen, so dass man sich darin wohlfühlt. Zum dritten spricht nichts dagegen, den Song dort aufzunehmen, wo er geschrieben und arrangiert wurde. Im Tonstudio ist alles anders.

B: Beeinflusst die gewohnte Atmosphäre im (aufgeräumten!) Proberaum die Aufnahme?

Die Musiker berichten immer das Gleiche: „Im Übungsraum klang es geiler.“ Deswegen hab ich beispielsweise mit Kreator im Studio ihren Proberaum nachgebaut. Allein schon wegen der Distanzen. Der Schlagzeuger war es gewohnt, aus zwei Metern Entfernung das Gitarrenbrett zu hören. Warum soll der plötzlich acht Meter weg sein? Zumal sein Timing mit der Distanz nicht besser wird.

B: Du hast viele Übungsräume gesehen, was ist dir aufgefallen?

Oft stehen alle Instrumente in einer Ecke. Begründung: Da ist die Steckdose. Man kauft eine Dreierverlängerung für ein paar Euro und schon steht der Amp da, wo´s gut klingt. Mit einem Minimum kann man viel erreichen! Die Musiker sollen gut stehen und die Musiker sollen sich hören können.

B: Welches Equipment sollte der Proberaum haben?

Acht Mikros, einen Wandler und einen kleinen Rechner – damit liegen wir bei zweitausend Euro. Die bezahlt man schon für eine Woche in einem billigen Studio – und weg ist die Kohle. Doch von den Geräten hat man lange etwas.

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B: Die meisten Bands haben Hierarchien. Wie gehst du damit um?

Oft gibt es einen Häuptling in der Band, der sollte auch genau hören können, was gespielt wird. Viele Produzenten zerstören die Hierarchien, Brian Eno und Daniel Lanois sind damit berühmt geworden. (lacht) Ich glaube nicht an diesen Weg, ich glaube, man sollte die Hierarchie beibehalten, weil das eine Mitglied sich auf das andere verlässt.

B: Wie kann eine Band einen Sound entwickeln, der sich von anderen unterscheidet?

Es gibt die Technik, ein Charakter-Mikrophon einzusetzen. Zum einen gibt es die Stereo-Käseglocke, also den Gesamteindruck, der extrem sauber ist. Was hat in einer Käseglocke nichts zu suchen? Die Wurst! Es gibt diese Regel in der Tontechnik, nimm ein Mikro und zerstöre es. Das heißt, es soll total kaputt klingen. Dieses fügt man den anderen normalen Mikros hinzu – und schon hast du was komplett Eigenes. Die goldene Regel ist also: Achte auf einen geilen Gesamtsound, also die Käseglocke, und füge die Wurst hinzu.

B: Wie setzt du die übrigen Mikrophone ein?

Die Overhead-Mikrophone, die normalerweise nur für Becken benutzt werden, wandeln sich zu Raum-Mikrophonen, indem man sie höher stellt. Zudem klingen so auch die Drums besser. Dann richtet man ein Mikro auf die Mitte des Schlagzeugs. Die Drums zu verzerren macht am meisten Spaß, da entsteht sofort der Eindruck, der Schlagzeuger schwitzt beim Spielen.

B: Gibt es einen weiteren Grund für das Mikro in der Mitte?

In ihm sammelt sich alles. Unterbricht der Drummer sein Spiel, ziehen sich das Mikro in der Mitte sowie das verzerrte „Wurst-Mikro“ die Gitarren ´rein. Das heißt, die Gitarren werden plötzlich riesengroß.

B: Was gehört noch zu deiner Arbeitsmethode?

Bei mir nehmen die Bandmitglieder alle gleichzeitig zusammen in einem Raum auf. So spiegeln die Mikros die natürliche Dynamik des Raums wider. Das macht die Produktion einzigartig. Viele Leute nehmen live auf, aber in getrennten Räumen. Das heißt, wenn das Schlagzeug nicht mehr spielt, werden die Gitarren eben nicht größer – und umgekehrt.

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B: Du warst nicht immer der angesagte Produzent. Wie hat dein Weg begonnen?

Ich bin Sohn eines Kirchenmusikers. Mein Vater besaß eine Tonbandmaschine, eine Revox A 77. Mit dem Gerät konnte man per Tontechnik Musik beeinflussen. Mit 16 spielte ich in einer Punkrockband namens Nachdruck, schließlich stand auf den Busfahrscheinen stets „Nachdruck verboten“. 1982 haben wir in dem Übungsraum von Ideal eine Split-Single aufgenommen. Da habe ich zum ersten Mal Tonstudio-Atmosphäre geschnuppert. Die Tontechnik hat mich sofort begeistert.

B: Und nach dem Abitur hast Du gleich in einem Studio angeheuert.

Von 1985 bis ´87 hab´ im Berliner Sinus Tonstudio als Assistent gearbeitet. Mein Kollege hat das Angebot, ins Hansa Studio zu gehen, abgelehnt, weil er lieber in den Ski-Urlaub fahren wollte. Ich werde ihm ewig dankbar sein! So bin ich für ihn ins Hansa marschiert. Von ´87 bis ´89 hab ich unter dem legendären Tom Müller gearbeitet, der u.a. das erste Nina-Hagen-Album produziert hatte. Er musste sich noch dafür entschuldigen, dass er 13 Tage gebraucht hat, denn es waren nur zwölf geplant – inklusive Mix.

B: Was war dein erster Job?

Damals waren etliche Musiker heroinabhängig. Mein erster Job war es, die Blutspritzer auf dem Klo weg zu wischen. Da ging mir ein Licht auf! Die Techniker haben allerdings nie Drogen genommen. Damals hab ich in einer kleinen Wohnung im Hansa Studio gewohnt, so war ich 24 Stunden Assistent. Mit allen Nachteilen, so wurde ich morgens um drei schon mal zum Eiscreme holen geschickt. Aber der Job bot mir eine riesengroße Spielwiese.

B: Hast du damals schon produziert?

Ich wusste, wann es freie Studiozeit gab. Ich tauschte meine Überstunden gegen freie Zeiten und hab meine Kumpels produziert.

B: 1988 tauchten die Pixies auf…

Wir hatten ein Sommerloch, in dem die Pixies für drei Tage ins Hansa Tonstudio kamen. Weil ich in dem Studio gewohnt habe, bekam ich den Job. Ihr Produzent Gil Norton wurde eingeflogen, der hat mich als Engineer engagiert. Das hat mir sogar einen Credit eingebracht, denn der Song kam auf das „Bossa Nova“ – Album.

B: 1989 war die Lehrezeit zuende.

Danach bin ich für ein Jahr nach Hamburg gezogen. Ich hatte das Angebot, für den Schacht Musikverlag ein Verlagsstudio aufzubauen. Aber als Berliner geht man immer zurück, zumal die Mauer fiel und es jede Menge zu entdecken gab. Plötzlich war ich Freiberufler. Das bedeutete, ich musste die Krankenkasse selber zahlen und der Dispokredit wurde mir gestrichen. Als Freiberufler hast du also Probleme bis der Arzt kommt. Mit einem Mal war ich erwachsen.

B: Klingt nicht gerade nach einem gelungenen Start…

Heute bin ich zwar dankbar dafür, aber der Weg in die Freiheit war schmerzhaft. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass ich das Geld, das ich als Produzent mit der einen Band verdiente, in die nächste Band steckte. Irgendwann hatte ich zwei Künstler parallel mit eigenem Geld finanziert, doch die Plattenfirmen mochten die Produktionen nicht… Das war ein schwieriges Problem! Ich kam in eine Schuldenspirale. Daraufhin hatte ich drei Möglichkeiten: 1. Selbstmord – der ist zu langweilig, man ist so lange tot; 2. Offenbarungseid – dafür war ich zu jung; Abarbeiten – ja, genau so machen wir´s. Ich nahm eine Auszeit von zwei Jahren. In der Zeit hab ich dann für´s Gartenbauamt einen Teich ausgehoben, Nachtschichten bei der Post geschoben, Anwaltspraxen am Ku´damm geputzt und in einer Bäckerei gearbeitet, die hieß Brot für Berlin.

B: Wie bist du wieder zurück in den Produzenten-Job gerutscht?

Die Band Nico & The Passionfruit rief mich 1993 an. Die hatten für eine Produktion ihr ganzes Geld ausgegeben, aber nur sechs Songs eingespielt. Ich hatte immer Kontakt zu einer Hamburger Band mit eigenem Studio: Big Balls And The Great White Idiot. In deren Studio haben wir für Null Kohle weitere sechs Songs aufgenommen. Sogar eine Single war dabei. Es war immerhin eine Major Produktion bei der Polydor. Das war mein Weg zurück. Darauf kamen Angebote von Bobo And The White Wooden Houses und D Base 5, der ersten deutschen Crossover-Band.

B: Warst du auch aktiver Musiker?

Eine zeitlang war ich Mixer bei GUM. Sie sagten: ,Komm mit auf Tour.“ Ich hatte ja nix zu tun, sondern nur Schulden. Dann ist der Basser nach Thailand abgehauen und ich hab die Stelle übernommen. GUM haben schnell einen Plattenvertrag bekommen. Das Debütalbum habe ich mitproduziert. Durch all diese Aktivitäten entstand die Möglichkeit, wieder mehr als Produzent zu arbeiten. Ein großer Unterstützer war damals Udo Arndt, Besitzer des Audio Tonstudios. Der hatte in den Achtzigern nahezu alles produziert, was in Deutschland Rang und Namen besaß. Dort hab ich alles ausprobiert, was mir in den Kopf kam.

B: Gab es Mitte der Neunziger noch fette Budgets für Plattenproduktionen?

1994 kam ich langsam wieder zurück. Die Leute wussten, da gibt jemand Vollgas, ohne Geld dafür zu nehmen. Ich bin an diese Jobs damals nur gekommen, wenn das gesamte Budget schon ausgegeben war – und die Band noch nicht fertig war. Logisch, weil sie sich tagelang um einen Bassdrum-Sound gekümmert hatte. Man ist essen gegangen, hat gesoffen und irgendwann war die Kohle weg. Ich war die Notlösung, der Mann, der alles aufräumt wie Harvey Keitel in „Pulp Fiction“. Mein Glück war, dass bei meinen Songs oft auch Singles dabei waren. Die Plattenfirmen haben mich in etwa so gesehen: Mit Moses Schneider hat man eine Menge Spaß, aber Geld verdienen kann man mit dem überhaupt nicht.

B: Tontechnisch gesehen liegen deine Wurzeln in den 80ern.

In den 80ern klang die Musik unfassbar dünn. Obwohl die Tontechnik sich verbessert hatte, klang die Musik nicht so fett wie in den 60ern und 70ern. Es gab Hallgeräte für´s Schlagzeug, um die Drums acht Meter weiter in den Hintergrund zu schieben und die Produktionen wurden opulenter. Ich hab mich immer gefragt, was soll der Scheiß? Das war nicht meine Musik!

B: Irgendwann kam eine Gegenbewegung.

Anfang der 90er sind vier wichtige Platten erschienen: Lenny Kravitz „Let Love Rule“, Red Hot Chili Peppers „Blood Sugar Sex Magik“, Nirvana „Smells Like Teen Spirit“ und die erste Rage Against The Machine. Diese vier prägenden Platten haben mein Leben beeinflusst. Sie machten klar wie Aufnahmen klingen können.

B: Warum hast du dich Mitte der 90er vom technikbeladenen Produktionsstil verabschiedet?

Man muss Mensch und Maschine miteinander verbinden. Die Maschine muss dem Menschen folgen. Click Tracks habe ich darauf hin abgeschafft. Nimm einen Singer/Songwriter: Sein Anfangstempo ist ein anderes als am Ende. Das hat der Click Track zerstört. Tempo ist auch für Dynamik und Erzählform zuständig. Der erste Refrain hat eine andere Bedeutung als der dritte Refrain, denn du hast die Geschichte inzwischen erzählt. Das sind andere Geschwindigkeiten, die der Click Track kaputt macht. Nur in der Rock- und Popmusik ist der Click Track allgegenwärtig, in Jazz und Klassik gibt es den nicht. Und ab jetzt wird auch Metal ohne Click Track gemacht – hoffentlich! (lacht)

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