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Musik ist systemrelevant

Am 22. April 2020 wachte Christina Lux, Musikerin aus Köln, getrieben auf. In ihrem Kopf gefühlt 1000 Gedankenkarusselle. Es war sieben Uhr morgens. Für eine Künstlerin eine denkbar ungewöhnliche Zeit. Ihr gesamter Rhythmus hat sich seit dem Shut Down verschoben. Alles ist auf den Kopf gestellt. Sie dachte hin und her, wie das jetzt wohl hier weitergehen könnte. Zunehmend wurde ihr klar, dass höchstwahrscheinlich auch im Oktober, vielleicht im ganzen Herbst, keine Konzerte stattfinden werden.

Teaserfoto: Shutterstock, Ravi Vijitha Madusanka
Teaserfoto: Shutterstock, Ravi Vijitha Madusanka

Und wenn doch, in welcher Größenordnung, fragte sie sich. Alles fühlte sich enorm wackelig an und wenn sie nicht mächtig aufpasste, dann packte sie die kleine fiese Panik. Also setzte sie sich an diesem Morgen an den Computer und verfasste folgenden Facebook Post:

Christina Lux – Systemrelevanz

Systemrelevanz. Ja, das bin ich, systemrelevant. Es geht mir nicht um eine Extrabehandlung für Künstler, sondern eine…

Gepostet von Christina Lux am Mittwoch, 22. April 2020

Der Beitrag von Christina Lux wurde inzwischen 920 Mal auf Facebook geteilt, über 1.200 Mal aufgerufen und auf anderen Onlineseiten verlinkt. Auch über einen Monat später gibt es fast täglich neue öffentliche Briefe, Petitionen und Artikel von Kulturschaffenden, die dieselben Punkte aufgreifen und die Liste der Forderungen noch erweitern. Die Corona-Beschränkungen werden immer weiter aufgehoben, aber wie es für Musiker/innen, Veranstalter/innen, Clubs und Konzerte weitergeht, steht nicht im Fokus der Politik. Das zeigt auch die Verabschiedung des Konjunkturpakets der Bundesregierung Anfang Juni.
Klar ist jedoch, dass jetzt – und auch nach der Krise – ein neues Denken notwendig ist, um die vielfältige Kulturlandschaft Deutschlands mit all ihren Künstler/innen und der Gesamtheit aller in dieser Branche Arbeitenden zu schützen und zu erhalten.

Inhalte
  1. Anerkennung der Systemrelevanz von Kultur
  2. Kurzarbeitergeld für Selbständige
  3. Befristetes kulturelles Grundeinkommen
  4. Einheitliche Regelung
  5. Verlängerung der Soforthilfe mit Anpassung an die Lebensrealität
  6. Arbeitslosengeld II ist keine Alternative
  7. Zusammenschluss aller Kulturbereiche
  8. Öffentlich-rechtliche Radios müssen ihren Kulturauftrag wahrnehmen
  9. Faire Vergütung von Streamingplattformen wie Spotify
  10. Musik hat einen Wert

10 Forderungen zum Schutz der Kulturlandschaft

1. Anerkennung der Systemrelevanz von Kultur

Kultur und Musik sind unverzichtbar. Doris Dörrie schreibt im Coronatagebuchder Süddeutschen Zeitung: “[…] die Künstler helfen uns gerade […] jeden Tag durch die Krise. Weltweit. Sie ernähren uns.”
“Musik ist der soziale Kitt”, so bringt es der Neurologe Jürg Kesselring in einem Beitrag vom Deutschlandradio auf den Punkt.
“Kultur in ihrer vielfältigen Form ist für unsere Seele wie das Blut in unseren Adern! Unsere Gesellschaft wird durch sie erst lebendig. Kreative und Kulturschaffende inspirieren die Menschen, bringen sie zusammen und bieten die nötige Zerstreuung gegenüber dem Alltag. Kultur ist identitätsstiftend und gestaltet unsere soziale Gemeinschaft. Kultur ist systemrelevant, sie begleitet und stützt uns ein Leben lang”, Tino von Twickel, künstlerischer Leiter des Musikclubs Nachtspeicher in Hamburg.
Oder in Wirtschaftszahlen ausgedrückt:
Die Kultur- und Kreativwirtschaft hat im Jahr 2018 rund 100,5 Milliarden Euro zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung beigetragen. Das sind 3 % vom Bruttoinlandsprodukt und Platz 2 direkt hinter der Autobranche. Mit 1,7 Millionen Beschäftigten ist die Kultur- und Kreativwirtschaft sogar beschäftigungsstärkste Branche Deutschlands.(Quelle: https://www.kulturerhalten-aktion.de/index.html#mission)

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Mehr Informationen

Wir fordern eine Anerkennung der Wichtigkeit von Kunst, Kultur und Musik für den Erhalt unserer Gesellschaft. Wir fordern das Mitdenken einer Perspektive, wie der Kulturbereich die Krise überleben kann.

2. Kurzarbeitergeld für Selbständige

Wir fordern die Bundesregierung auf, Selbständige in der Krise nicht schlechter zu behandeln als Angestellte und ihnen deshalb auch ein Kurzarbeitergeld, welches aus dem Querschnitt der Einnahmen des letzten Jahres errechnet wird, zu zahlen.
Der öfter genannte Hinweis darauf, dass Selbstständige, die keine freiwilligen Zahlungen in die Arbeitslosenversicherung tätigen, auch keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben, führt sich von selbst ad absurdum, da Arbeitslosengeld 1 und Kurzarbeitergeld nicht im Zusammenhang stehen und deswegen Selbständige, auch mit Arbeitslosenversicherung, keinen Anspruch darauf haben.

3. Befristetes kulturelles Grundeinkommen

Eine Alternative wäre die Einführung eines befristeten Grundeinkommens. Die Forderung, eines befristeten Grundeinkommens für Künstler/innen für die Dauer der Corona-Maßnahmen wurde einstimmig von der Wirtschaftsministerkonferenz der Länder formuliert und bereits am 8. April an den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier übergeben.
Die Bundesregierung wird darin aufgefordert den “mehr als anderthalb Millionen Soloselbstständigen”, die durch den Lockdown “in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind”, endlich ebenfalls zu helfen. Und zwar “in jedem Fall ohne die Beantragung von Arbeitslosengeld II”, also jener Grundsicherung, die von Politiker/innen nur deswegen als Lösung gepriesen werden kann, weil sie selbst noch nie persönlichen Kontakt mit ihrem Sozialstaat hatten. Der gemeinsame Vorschlag der Länder sieht nun vor, dass alle Berufe, die “ihre Dienstleistung außer Haus und beim Kunden erbringen” und nicht angestellt sind, einen monatlichen Pauschalbetrag von 1000 Euro erhalten, wofür sie lediglich nachweisen müssen, dass sie “coronabedingt substantielle Umsatzeinbrüche” von mindestens 50 Prozent haben. Außerdem sollen Betriebskosten bezuschusst werden. Eine wirksame Fördermaßnahme für Soloselbständige dürfe laut Süddeutscher Zeitung über die enge Eingrenzung auf eine reine Sachkostenentschädigung nicht wieder den größten Teil dieser Zielgruppe ausgrenzen. (Süddeutsche Zeitung, Hilfe für die Kultur: Frust, Wut und Fassungslosigkeit)
Eine am 14. März auf change.org gestartete Petition zu einem kulturellen Grundeinkommen, die vom Verein “Mein Grundeinkommen” und der Initiative “Expedition Grundeinkommen” unterstützt wurde, erreichte 463.259 Unterzeichner/innen. Sie läuft noch immer. Die Petition 108191, mit der selben Ausrichtung, auf der E-Petitionsseite des deutschen Bundestages hat 176.137 Unterzeichner/innen und muss nun vom Bundestag öffentlich verhandelt werden.

4. Einheitliche Regelung

Wir fordern eine Absprache der Regelungen für alle Bundesländer. Der Flickenteppich der unterschiedlich groß ausfallenden Unterstützung der einzelnen Bundesländer muss aufhören! Es kann nicht sein, dass der Wohnort über eine Förderung oder die Förderhöhe bestimmt. Es kann nicht sein, dass Fördertöpfe zu schnell ausgeschöpft sind und späte Antragstellungen leer ausgehen, nach dem Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Hier findet eine klare Benachteiligung Einzelner statt. Wir erinnern an Artikel 3 des Grundgesetzes, dass alle Menschen vom Staat gleich behandelt werden müssen, und fordern die Politik auf, sich unserer Verfassung verpflichtet zu fühlen und nachzubessern.
Es darf außerdem keinen Unterschied in der Förderung machen, ob freie Musiker/innen für vom Bund geförderte Einrichtungen arbeiten oder für privatwirtschaftliche.Wir fordern auch weiterhin ein Hilfsprogramm vom Bund, das der Vielfalt der Musikakteur/innen gerecht wird.

5. Verlängerung der Soforthilfe mit Anpassung an die Lebensrealität

Wir fordern, dass die Soforthilfe deutlich länger gelten muss als die bisher eingeräumten drei Monate. Dass dieses Geld nur für Betriebskosten verwendet werden darf, ist realitätsfern. Wir brauchen ein Gehalt, um den Betrieb erhalten zu können. Deswegen fordern wir die Einbeziehung der Lebenshaltungskosten in die Berechnung der Soforthilfen. Außerdem muss klar gefasst sein, wofür die Soforthilfe sonst genutzt werden darf. Denn die schwammig gefasste Liste der Betriebskosten bisher greift nicht bei Soloselbstständigen, deren Betriebskosten “nur” die eigene Person umfassen. Es muss möglich gemacht werden, dass die Betriebsausgaben, wie in der Steuererklärung erfasst, durch die Soforthilfe ausgeglichen werden können. Der Kulturrat NRW hat eine solche klare Beschreibung bereits eingefordert.

6. Arbeitslosengeld II ist keine Alternative

Auch wenn für Frau Grütters, Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, ALG II immer noch die Lösung ist: Wenn die Not wirklich groß ist und man keinen anderen Weg sieht, außer Hartz IV zu beantragen, dann müssten die Jobcenter deutlich angewiesen werden, wirklich überall gleich zu agieren und das vereinfachte Antragsverfahren zu benutzen.
Das ist zurzeit nicht der Fall. Leider unterstehen nicht alle Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit. 303 der insgesamt 408 Jobcenter in Deutschland sind gemeinsame Einrichtung (gE) der Bundesagentur für Arbeit und des kommunalen Trägers. In 105 Fällen werden die Jobcenter unter alleiniger Verantwortung der Kommune bzw. des Landkreises durch einen zugelassenen kommunalen Träger (zkT) betrieben. Diese nehmen die Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende in alleiniger Verantwortung wahr, also ohne die Agentur für Arbeit. Hier liegt das Problem. Nach dem einfachen Antrag kommt in vielen Fällen das böse Erwachen und die Soloselbstständigen, denen schnelle Hilfe versprochen wurde, sehen sich plötzlich durch Papierdünen waten und endlose Seiten ausfüllen, was ein Gefühl der Ohnmacht provoziert und eine Entwürdigung durch die heftige Offenlegung aller Dinge ist.
Wir fordern zudem die Aussetzung der Regelung zur Bedarfsgemeinschaft, denn diese zwingt die Mitbewohner eines Haushalts (auch WG-Mitbewohner mit gemeinsamer Haushaltskasse wären betroffen) dazu, ihr Einkommen offenzulegen und sich selbst auch auf den Regelsatz von 432 Euro zu reduzieren. Die eigene Grundsicherung sinkt dann je nach Einkommen des Mitbewohners. Verdient dieser mehr als 2400 Euro netto, bekommt man nichts. Und auch die Altersvorsorge ist aufgrund der Regelung zum verwertbaren Vermögen gefährdet, sollte beispielsweise eine Lebensversicherung den Betrag von 60.000 Euro übersteigen, dann würde keine Grundsicherung gewährt.
Zunehmend gibt es Berichte von abgewiesenen Anträgen mit der Begründung, man habe ja die Soforthilfe bekommen. Das ist widersprüchlich und nicht rechtens, denn die Soloselbständigen werden dazu angehalten, ALG II für die Lebenshaltungskosten zu beantragen und die Soforthilfe schließt die Benutzung der Gelder für den Lebensunterhalt aus.

7. Zusammenschluss aller Kulturbereiche

Wir fordern alle Kulturbereiche samt aller im Hintergrund arbeitenden Menschen auf, sich zu einer großen Gemeinschaft zusammenschließen und ihre Aktionen zu vernetzen, um mehr Gehör zu finden. “Support each other” anstatt viele kleine oft gegeneinander konkurrierende Einzelaktionen.

8. Öffentlich-rechtliche Radios müssen ihren Kulturauftrag wahrnehmen

Wir fordern das öffentlich-rechtliche Radio auf, seinen Kulturauftrag wahrzunehmen und die vielfältige Musikszene Deutschlands in seinem Radioprogramm angemessen abzubilden. Denn öffentlich-rechtliche Sender, die vom Geld der Beitragszahler/innen finanziert werden, sollten vor allem Orte des Entdeckens sein, die dazu beitragen, vielfältiger zu sein, und widerspiegeln, was die in Deutschland lebenden Musiker/innen tun.
Wir schließen uns den Forderungen der Initiative “Airplayforartists” an, freie Musiker/innen in der momentanen Situation zu unterstützen, indem vermehrt Songs von ihnen im Radio gespielt werden, damit die dadurch verbundenen Tantiemen der Gema zur Sicherung der bedrohten Existenz beitragen können. Artistsforairplay fordert, einmal pro Stunde einen Titel eines Independent-Künstlers zu spielen. Selbst dieser schmale Wunsch wird abgelehnt. “Der Tenor bei den Mainstream-Sendern ist, dass ihr Publikum in dieser Zeit so konservativ sei wie nie und so sehr wie nie den Wunsch nach altbekannter Musik habe. Es gestalte sich eher schwierig, das Programm zu ändern.” (Tokunbo, Organisatorin Airplayforartists). Wir akzeptieren diese Antwort nicht.
Wir schließen uns den Gedanken des Musikers und Labelchefs Michy Reinckes an, der überlegt, eine Petition mit folgenden Inhaltspunkten zu starten:
” 1. Wollen wir ein Radio, das von vielen kompetenten, eigenverantwortlich arbeitenden Redakteuren (die auch die Vielfalt der Gemeinschaft abbilden) zusammengestellt wird oder soll ein einziger Musik-Chef pro Sender und undurchschaubare Marktforschung dafür zuständig sein?
2. Wollen wir, dass in unseren „unabhängigen“ Rundfunk-Medien, die wir ja schon bezahlen, auch noch Werbung verkauft wird, die selbstverständlich auf die Programmatik Einfluss nimmt (u.a. durch die „Zwänge“ einer „Einschalt-Quote“)?
3. Brauchen wir vielleicht eher eine Quote für konzern-unabhängige Musikangebote? “

9. Faire Vergütung von Streamingplattformen wie Spotify

Spotify hat jetzt die Möglichkeit geschaffen, einen virtuellen Trinkgeldbutton auf der eigenen Künstler/innenseite zu implementieren, damit Musiker/innen unterstützt werden können. Wir finden diese Praxis zweifelhaft, vielleicht sogar einen Ansatz von Greenwashing, und fordern Spotify sowie alle anderen Streamingplattformen auf, uns fair zu bezahlen, indem sie die Vergütung der Streams deutlich erhöhen, um uns an ihren Gewinnen teilhaben zu lassen.

10. Musik hat einen Wert

Wir fordern die Musik- und Kulturkonsument/innen auf: Supportet, was ihr liebt. Ernährt die, die euch geben, was euch etwas bedeutet. Kauft physische Produkte eurer Herzenskünstler/innen, um sie wieder unabhängiger vom Livespielen zu machen und für ihre Arbeit anständig zu entlohnen. Es müssen keine CDs oder LPs sein, wenn ihr lieber streamt, aber im Merch ist bestimmt etwas anderes dabei, was euch gefällt. Kauft möglichst direkt, am Besten in den eigenen Shops der Musiker/innen. Kunst kostet Geld, doch ein Song, der euch durch den Tag oder die Nacht bringt, ist so unbezahlbar, dass er euch etwas wert sein muss.

Abschließend noch ein Rat an alle Musiker/innen

Macht eure Hausaufgaben
Vielen Musiker/innen fällt es offensichtlich noch immer schwer, ihre Musik anzupreisen, sprich zu vermarkten. Dabei ist es immens wichtig, einen vernünftigen eigenen Shop einzurichten und bei jedem Konzert E-Mail-Adressen für einen Newsletter zu sammeln, um einen echten Draht zu den Fans aufzubauen. Das eigene Business muss klar und sichtbar aufgestellt und beworben werden. Es ist wichtig, den eigenen Wert anzuerkennen und ihn dann auch im Booking und beim Merchandising mit aufgerichteter Haltung umzusetzen, um aus der eigenen Kunst ein Business zu machen. Musik ist keine Ware, eine CD schon.

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Lynn sagt:

#1 - 23.06.2020 um 11:34 Uhr

0

Wie kann es eigentlich sein, dass in dem Kontext solchen Inhalts weiße Fäuste (white power....?) benützt werden? Habt ihr nicht mitgedacht?

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