Musik selber vermarkten – Teil 2

Unter dem Namen Lacey Flea hat Florian Schlögl, Drummer, Sänger und Songwriter aus Hannover, kürzlich sein Solo-Projekt gelauncht. Jüngst wurde die erste Musik veröffentlicht nun folgt der Dokumentarfilm “Vagabunden”, in dem Florian und einige gute Freunde und Musiker in wechselnder Besetzung zwei Monate lang durch Süd- und Mitteleuropa getourt sind, um Straßenmusik zu machen. Begleitet wurden sie von Filmemacherin Elena Scharwächter.

(Bild: © Teaserfoto: Lacey Flea)
(Bild: © Teaserfoto: Lacey Flea)


Wie sich in dieser Aktion Freiheitsdrang und Lebensphilosophie mit musikalischen Ambitionen und Promotion vereinen lassen und was wir alle daraus lernen können, lest ihr im folgenden Artikel.

Vorab aber noch eine Bitte an euch: Florian und Elena teilen eine Menge Erfahrung und Wissen mit uns. Also supportet die beiden gern, indem ihr in die mit sehr viel Liebe produzierte EP reinhört oder euch den ganzen Film zum Projekt anschaut. Es lohnt sich.
Inhalte
  1. Der Künstler
  2. Die Idee
  3. Organisation und Umsetzung der Tour
  4. Die Medienwirksamkeit
  5. Der zusätzliche Content: Live Sessions
  6. Das Filmkonzept
  7. Die Bilanz
  8. Die Symbiose oder besser: Das Fazit
  9. Das Brandbuilding

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1. Der Künstler

Florian ist 2017 in einer, wie er selbst sagt, schwierigen und überfordernden Zeit das erste Mal auf Straßenmusiktour gegangen. Dabei konnte er einige sehr lehrreiche Erfahrungen sammeln. Die Tour hat ihm gelehrt, dass das Gefühl von Freiheit, Positivität, Weltoffenheit und Spontaneität wichtige Werte im Ausgleich zu den Wertvorstellungen, Parametern und Klischees sind, mit denen man sonst in der Welt und der Musikszene konfrontiert wird. Als Lacey Flea konserviert er in seiner Musik Momente der Hoffnung, Positivität und Kraft, in die es sich gut entfliehen lässt, wenn der Alltag mal wieder seine Krallen ausfährt.
Aber wie man so schön sagt: aller Anfang ist schwer. Der Prozess vom ersten Straßenmusikset zur europaweiten Tour begann mit einem oktopus-artigen Ein-Mann-Setup aus Gitarre, Cajon, Schellenkranz, Looper und Vocals. Lacey hatte schon einige Erfahrungen damit gemacht, seine eigenen sowie Cover-Songs auf den Straßen deutscher Großstädte zu performen. Frei nach Murphys Gesetz ging es natürlich holprig los – aber mit der Zeit lernt man, worauf es ankommt.
Florian: “Ich war damals, ich glaube es war 2017, an einem Punkt, an dem ich nicht so richtig weiterkam. Ich hatte viel zu viele Baustellen und musste alles irgendwie unter einen Hut kriegen, was einfach nicht geklappt hat. Darum habe ich dann ein Urlaubssemester eingelegt, in dem ich einige meiner Freunde in unterschiedlichen Städten besuchen wollte. Das war quasi schon eine Deutschlandtour. Dazu kam, dass ich damals ein paar Songs geschrieben hatte, die schon einige Zeit auf der Festplatte verstaubten. Die wollte ich endlich mal live ausprobieren, hatte aber keine Band und vorher auch sowieso noch nie als Frontsänger live gesungen. Die Konsequenz war dann eben Straßenmusik. Und die Erfahrungen, die ich bisher mit Straßenmusik machen durfte, bedeuten mir echt viel. Man lebt ja meistens irgendwie in seiner eigenen Bubble und da schleichen sich dann auch Ängste, “Vergleicheritis” oder Vorurteile ein. Straßenmusik ist da echt ein gutes Heilmittel und hält einem selbst den Spiegel vor. Wenn ich eine sanfte Soulnummer singe, ein Typ mit dicker Goldkette und gruseligem Hund stehen bleibt und mir einen Euro in den Hut wirft, dann zeigt mir das, wie viel weniger voreingenommen wir in unserer Gesellschaft sein sollten und dass man einfach offen aufeinander zugehen muss.
Mein erstes Straßenset lief allerdings ganz schön mies. Nach der Hälfte des ersten Songs fragte der Besitzer von Laden gegenüber schon wann ich wieder gehe und am Ende meines ersten Sets waren gerade einmal 2,50 Euro im Hut. Danach wurde es aber schnell besser.”
Wie lukrativ ist Straßenmusik für dich?
Florian: Das ist von vielen Faktoren abhängig, die ich selbst auch noch nicht ganz verstanden habe. Was sich für mich allerdings gezeigt hat, ist, dass Plätze, an denen man sich für längere Zeit einem Publikum widmen kann, besser laufen. Außerdem muss das Ambiente stimmen. Als Solo-Artist freue ich mich über einen Hut mit 30-60 Euro nach einer Stunde Spielzeit. Wenn das Ambiente stimmt und die Menschen eine Weile zuhören, sind viele bereit auch ein bisschen mehr reinzuschmeißen. Dann nimmt man nach einer Stunde auch mal 120 Euro ein. Andere Straßenmusiker haben da aber vielleicht auch ganz andere Zahlen.”

2. Die Idee

Die Idee des Projekts lautete folgendermaßen: Zwei Monate Tour durch Südeuropa, Gigs auf der Straße, ein festes Kernteam und eine wechselnde Bandbesetzung. Darüber sollte eine Doku gedreht, gleichzeitig die Medienpräsenz erweitert und along the way Content für das Musikprojekt produziert werden.
Florian: Ein paar Monate nach meiner ersten kleinen Tour erzählte ich Elena von der Idee der Straßenmusiktour. Elena brauchte noch Filmmaterial für ihr Abschlussprojekt an der Uni und so kam ziemlich schnell eins zum anderen und Elena war mit dabei.”
Elena: Das kam tatsächlich einfach spontan beim Biertrinken. Am Tag danach habe ich Florian noch mal gefragt, ob er das wirklich ernst gemeint hat und ob wir das wirklich machen wollen. Er sagte: “Ja, klar!”
Gab es konkrete Inspirationen, Motivationen oder Ambitionen?
Florian: Die Motivation war für mich, aus bestehenden Skills und Ressourcen eine Art Symbiose zu schaffen. Jeder macht das, was er am besten kann und am Ende haben alle etwas davon. Am Anfang dachten wir, dass wir mit der Idee groß rauskommen. Im Laufe der Vorbereitungen und während der Tour wurden wir dann natürlich mit der Realität konfrontiert.”
Elena: Ich habe mir vorher bewusst keine Filme oder ähnliche Projekte angeschaut. Uns war nicht klar, was uns passieren wird und ich wollte das Ganze auch nicht vorgeben. Mein Anspruch war sozusagen, das Leben das Drehbuch schreiben zu lassen und aus den Situationen heraus zu entscheiden, wie ich was filme. Diese Möglichkeit hat man in der normalen Arbeitswelt eigentlich nie und manchmal habe ich das Gefühl, dass das teilweise unheimlich einschränkt. Ich finde es wichtig, dass man Spontaneität und Zufällen Raum gibt, weil solche Momente unglaublich wertvoll sind. Zum Beispiel waren wir in Frankreich in einer Bar und auf einmal haben die Gäste angefangen mit den Jungs zu jammen. Da habe ich direkt ein kleines Zoom aufgestellt und zwei Stunden lang aufgenommen. Das Ergebnis ist jetzt als Soundtrack im Film zu hören. Und so etwas kann man nicht scripten.”

3. Organisation und Umsetzung der Tour

Für eine solche Aktion ist natürlich eine Menge Organisation notwendig. Woher bekommen wir ein geeignetes Auto? Wo können wir übernachten? Wie laufen die Finanzen? Können wir von den Einnahmen leben? Wie genau sieht die Route aus? Welche Orte peilen wir an und warum? Wie stellen wir einen einigermaßen anständigen Bandsound auf die Beine? Und wer spielt überhaupt in der Band? Bisher waren Florian und Johannes eine Zwei-Mann-Band aus Drums, Gitarre und Vocals, die es allerdings noch zu komplettieren galt, damit eine vollständige Bandbesetzung dabei herauskommt.
Aufgrund der Distanz zwischen den Reisemitgliedern wurde die Organisation per Skype, Telefon und Online-Dokumenten erledigt und erstreckte sich insgesamt über fast ein gesamtes Jahr.
Jeder, der schon einmal auf Tour war, weiß: it’s a wild ride and it ain’t easy! Es gibt immer wieder unvorhergesehene Probleme und Strapazen, die es einem nicht gerade leicht machen, so eine Sache durchzuziehen. Und glaubt mir, wenn ich als zwischenzeitlicher Mitreisender auf dieser Tour sage: Achterbahnfahrt ist kaum ein Ausdruck!
Florian: Das erste Online-Orgatreffen war ca. acht Monate vorher. Die ersten konkreten Aufgaben haben wir dann ca. fünf Monate vorher verteilt und in den letzten Monaten vor der Tour haben wir uns dann fast wöchentlich getroffen.
Die erste große Frage, die es zu klären galt, war, wie viele Menschen überhaupt mitkommen, also auch wie groß unser Auto sein muss. Es gab noch keine feste Bandbesetzung und mir war es wichtig, dass die Aktion auch davon lebt, dass Menschen, die sich vorher vielleicht noch nie gesehen haben, spontan zusammen Musik machen. Also haben Johannes und ich unter unseren Musikerbekanntschaften mal rumgefragt, wer denn Zeit und Lust hätte, mitzufahren.
Schwierig dabei war, terminlich alle unter einen Hut zu kriegen. Die Lösung war dann, dass Elena, Johannes und ich die Stammbesetzung bildeten und wir quasi in wechselnder Besetzung unterwegs waren.
Die zweite und schwierigste Frage war dann: Wo bekommen wir ein Auto her, in dem man zu sechst pennen kann? Unser Traumziel war, am Ende der Reise finanziell auf null rauszukommen, die Reise also von den Einnahmen des Musikmachens zu finanzieren. Deswegen war unser Budget ziemlich knapp und letztendlich war ein Langzeit-Mietauto die beste Option.
Was uns auch eine Menge Zeit und Nerven gekostet hat, waren unsere Bookingversuche. Die Idee war, im Tausch gegen einen Schlafplatz auf Campingplätzen zu spielen oder für eine kleine Gage in Bars. Nachdem wir knapp 200 Campingplätze und Bars mit Mails in der jeweiligen Landessprache, Telefonanrufen und Facebook Messages genervt hatten und kein einziger brauchbarer Gig dadurch entstanden ist, haben wir es letztendlich aufgegeben und mussten uns auf die Großzügigkeit der Hutspenden verlassen.
Das erste große Problem war eine Autopanne. Wir wollten unbedingt Musik machen, mussten aber zwei Tage darauf warten, dass die nächste Werkstatt öffnet. So was kann man halt nicht planen.
Das nächste Desaster ließ nicht lange auf sich warten. Leon und Alina waren kurz zuvor dazugestoßen und waren in bester Form, um zusammen auf der Strandpromenade südlich von Barcelona zu spielen. Es sollte anders kommen, denn kurz vorher wurde in unseren Bus eingebrochen. Gitarren weg, Mikros weg. Glücklicherweise waren Anlage und Co. aber noch da, daher entschlossen wir uns am nächsten Tag Gitarren und Mikros zu kaufen und dem Schicksal den Mittelfinger zu zeigen. Und wie es so oft ist, liegt im Pech auch manchmal etwas Gutes. Durch unsere kaputte Scheibe lernten wir nämlich einen Mann kennen, der eine Tiefgarage direkt an der Promenade besaß. Genau dieser Typ buchte uns dann ein paar Tage später für seinen siebzigsten Geburtstag und wir konnten mit unserer Gage das Loch in unserer Hutkasse wieder auffüllen.”

4. Die Medienwirksamkeit

Wie kann aus einer Straßenmusiktour durch Europa, abgesehen von den Gigs an sich, Medienwirksamkeit für das Projekt generiert werden? Lacey Flea gibt vier Antworten:
Instagram
Den wichtigsten Player für Lacey Fleas Insta-Game seht ihr im folgenden Bild:

Credits: Lacey Flea
Credits: Lacey Flea

Durch dieses Schild entstanden pro Gig meist zwischen einer und zehn Stories von fremden Menschen aus dem Publikum – content for free und auch ein paar neue Follower.
Material für Postings und Newsletter
Als Profi erstellte Elena regelmäßige Instagram Stories, Feed Posts wurden etwas ausgewählter und mit ein paar Tagen Abstand zueinander veröffentlicht. Die Posts enthielten Videos mit kurzen Ausschnitten von Gigs und unterschiedliche Fotos.
Newsletter
Beim Tourauftakt konnten sich Menschen zum Newsletter anmelden, der dann regelmäßig mit Updates verschickt wurde. So konnten Abonnenten die Tour über persönliche Berichte von Florian aus der Ferne verfolgen.
Blog
Die Berichte aus dem Newsletter wurden auch als Blog auf der eigenen Website veröffentlicht, sodass auch Menschen, die sich nicht zum Newsletter angemeldet hatten, das Projekt verfolgen konnten.
Wie viele Newsletter-Anmeldungen und Instagram-Follower hat die Aktion letztendlich gebracht?
Florian: “Wir haben den Newsletter bei zwei Jam Sessions und einem Konzert im Vorfeld promotet. Die Leuten konnten sich dann auf einer Liste zum Newsletter anmelden ­- insgesamt waren das etwa 120 Menschen. In den zwei Monaten Tour sind ca. 350 Instagram Follower dazugekommen.”
Hattest du da konkrete Erwartungen und hat das Ergebnis denen entsprochen?
Florian: “Ich hatte im Vorfeld mal abgecheckt, wie Straßenmusik auf Instagram so ankommt. Es gibt ein paar Leute, die wirklich nur Straßenmusik machen und zehntausende Follower haben. Das hat mich schon inspiriert. Ich wusste nicht so recht, wie viel ich von zwei Monaten erwarten kann, war aber am Ende sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Wenn wir noch ein paar Euros in Ads investiert hätten, hätte das vermutlich noch mal ein Stück besser funktioniert.”

5. Der zusätzliche Content: Live Sessions

Auf so einer Tour durch Südeuropa, deren Route nicht unwesentlich nach dem Touristen- und somit Straßenmusik-Faktor der angesteuerten Orte ausgerichtet wird, begegnet man nicht wenigen sehr schönen Orten, an denen man am liebsten direkt eine Live-Session drehen würde. Gesagt, getan – und das mit minimalen Mitteln.

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Wie nimmt man also ohne Strom und irgendwo im Nirgendwo eine Live-Session auf?
Mit Handheld-Recordern und batteriebetriebenen Amps! Die heutigen Handheld-Recorder funktionieren je nach Modell wie ein Stereomikrofon und Audio-Interface in einem, können mit Batterien betrieben werden und bieten somit in Kombination mit ein paar Mikrofonen eine super Basis, um mobile Recordings umzusetzen. Die Roland Street Cube Amps sind schon seit Jahren unter Straßenmusikern eine zurecht beliebte Wahl für mobile Verstärkung auf Batteriebasis.
Wie habt ihr den Aufnahmesound hinbekommen?
Florian: Wir hatten insgesamt drei Zoom Pocket Recorder dabei (H2, H4n und H6). Die eingebauten Mikrofone des H6 waren die Drum Overheads. Ein SM57 in der Bassdrum wurde über den externen Input des H6 aufgenommen. Die Backing-Vocal-Mics von Johannes und Gregor bzw. Tim gingen ebenso direkt in den externen Eingang vom H6. Der Bass ging in einen Cube Street EX und von dort aus dem Direct Out in den externen Eingang vom H6.
Die Main Vocals habe ich mit den eingebauten Mikros vom H4n aufgenommen. Meine Gitarre ging durch ein Zoom G3Xn Multieffektgerät in einen Cube Street EX und von dort aus dem Direct Out in den externen Eingang vom H4n. Mit einer zusätzlichen Akustikgitarre sind wir direkt in den externen Eingang vom H4n gegangen.
Die Vocals von Leon und Alina gingen beide in die eingebauten Mikrofone des Zoom H2.”
Elena: Die Straßensets habe ich auch mit einem Zoom H2n und mit der Kamera aufgenommen. Das hört sich natürlich schon ein bisschen “dreckig” und nach Straße an, aber genauso wollte ich es ja auch haben.”
Alles musste hinterher dann ja noch gemischt werden. Kostenfaktor?
Florian: “Mischen lassen konnte ich das von einem Freund von mir, der mir da einen guten Preis gemacht hat. Mit 100 Euro pro Song sollte man da aber mindestens rechnen.”

6. Das Filmkonzept

Einen Musikfilm zu drehen ist nicht ohne. Welche Gedanken hat sich Filmemacherin Elena sich vorher zum Filmkonzept gemacht? Wie ausgefeilt musste das Konzept vor Drehbeginn sein? Und wie dreht man überhaupt komplett alleine einen ganzen Film?
Elena: “Es gab kein richtiges Konzept. Also ich habe mir schon vorher überlegt, dass ich mich vor allem auf die Musik und die Gruppendynamik fokussieren will. Es sollte schon ein Musikfilm werden. Mich hat interessiert, was passiert, wenn da ein Haufen junger Musiker:innen aufeinandertrifft. Menschen, die sich teilweise gar nicht kennen und gemeinsam durch Europa reisen. Außerdem wollte ich festhalten, wie die Musik in den unterschiedlichen Ländern ankommt. Alles andere habe ich bewusst offengelassen.”
Gab es konkrete Inspirationen oder Vorbilder?
Elena: “Nein, nicht wirklich. Vielleicht ein bisschen Werner Herzogs “The White Diamond”, den hatte ich kurz davor in Rom an der Uni gesehen und der Film hat mich ziemlich beeindruckt, weil er viele Szenen enthält, die nicht geplant waren, die intuitiv aus der Situation heraus entstanden sind und die stärksten Momente im Film waren.
Wahrscheinlich haben mich aber auch die fünf Monate in Rom inspiriert. An der Uni kannten die so was wie Drehgenehmigungen oder Vorstopps nicht, die haben da immer ziemlich viel improvisiert, einfach gemacht. Und das haben wir dann alle, die auf der Tour dabei waren, auch ein bisschen gemacht.”

Wie sah es mit Budget und Ausstattung aus?
Elena: “Es gab kein Budget, also hatte ich bei sieben Wochen Dreh nur mein eigenes Equipment zur Verfügung. Da hatte ich eine kleine Sony Alpha 7 rII plus 2 Objektive (eine Festbrennweite und ein Zoom-Objektiv), wobei ich im Nachhinein eigentlich alles mit einem Objektiv gedreht habe. Ich habe mir in Rom noch zwei alte ND-Filter gekauft, dann acht Akkus plus Netzteile und einen kleinen DJI-Ronan. Und fünf SD-Karten, zwei Festplatten und einen Laptop. Die Kosten für Festplatten, Speicherkarten, Plugins usw. habe ich selbst getragen. Zum Glück haben uns viele Leute unterstützt, die die Idee genial fanden und das deshalb für umme gemacht haben, auch viele meiner Kommiliton:innen. Sonst wäre das so nicht möglich gewesen.”

Was waren die größten Schwierigkeiten für dich, sowohl beim Filmen als auch im Schnitt?
Elena: “Insgesamt war für mich das größte Problem, dass wir ziemlich viel wild gezeltet haben, sodass ich nur während der Fahrt oder in einem Café die Akkus laden konnte und ich auch nicht wirklich wusste, wann wir wieder irgendwo sind, wo es überhaupt Strom gibt. Da musste ich dann teilweise entscheiden ob ich etwas drehe oder den Akku für einen möglicherweise besseren Moment aufspare.
Teilweise waren auch alle Speicherkarten voll, der Akku des Laptops aber leer, sodass ich das Material nicht sichern konnte. Das hat mich an zwei Stellen echt geärgert, weil mir dadurch Momente verloren gegangen sind. Der größte Abfuck-Moment war aber der Einbruch in den Bus. Ich hatte einfach so ein Glück, dass ich die Akkus und meinen Laptop mithatte und dass die Einbrecher den Ronan und die Festplatten nicht gefunden haben.
Wenn man sowas komplett allein macht, ist es außerdem echt hart, den Überblick zu behalten. Welche Akkus sind schon geladen? Hast du von dem ganzen Material das Back-Up gemacht? Ich habe ja für Flo die Straßenmusik-Gigs immer noch zusätzlich mit dem Handy gefilmt und für seine Social-Media-Kanäle Fotos gemacht. Im Nachhinein würde ich das nicht noch mal machen. Das ist ein eigenständiger Job und ich war manchmal echt überfordert.
Die Postproduktion hat dann ca. ein Jahr gedauert. Erstmal das ganze Material zu sichten, die Interviews zu transkribieren, zu überlegen, was kommt davon rein, was nicht. Das hat sich schon gezogen. Ich habe den Film allein geschnitten, aber die Farbkorrektur, die Tonmischung und die Grafikanimationen habe ich zum Glück an sehr talentierte Freunde abgeben können, sonst wäre ich bis heute nicht fertig.”

Credits: Lacey Flea
Credits: Lacey Flea

7. Die Bilanz

Nach einem Jahr Organisation, zwei Monaten on the road mit über 70 Sets, Tourauftaktkonzert in Deutschland, einem Tourabschlusskonzert in Deutschland und unzähligen Stunden Materialnachbereitung ist die Bilanz trotz aller Schwierigkeiten jedoch durchweg positiv und die Kasse schreibt, wie erhofft, eine schwarze Null.
Florian: “Mein Plan, mit dieser Aktion Freiheit und Spontaneität zu leben, mit unterschiedlichen Menschen Live-Musik zu machen und dabei Reichweite zu generieren, ist total aufgegangen. Außerdem gibt es noch einen echt gelungenen Film, der diesen Spirit aufgreift. Ich bin super happy mit dem Ergebnis.”
Elena: “Ich persönlich bin auch sehr zufrieden. Klar habe ich im Nachhinein auch Kritikpunkte am Film, aber insgesamt kommt die Stimmung während der Tour ziemlich gut rüber – und es ist jede Menge Musik drin, das war mir sehr wichtig. Die Tour an sich war einfach auch mega geil. Was wir alles erlebt haben, an welche Orte es uns verschlagen hat, welche Menschen wir auch kennengelernt haben … das waren alles so unglaublich schöne Momente, die habe ich jetzt für mein Leben lang, daran werde ich mich auch noch in 50 Jahren gerne erinnern. Das ist super wertvoll.”
Wie ist die nervliche Bilanz kurz danach gewesen? Vollkommen blank, euphorisiert oder beides?
Florian: “Wir waren erst mal alle sehr euphorisch und sprachen schon davon, wo die nächste Tour hingeht. Ich habe dann auf jeden Fall ein paar Tage gebraucht, um mich wieder an einen festen Wohn- und Schlaf und Essensrhythmus zu gewöhnen. Ich war dann total platt von den ganzen Eindrücken, die ich während der Zeit gar nicht verarbeiten konnte. Was mich nachhaltig sehr beschäftigt hat, war das Vertrauen, das die Menschen uns zugesprochen haben und wie hilfsbereit alle waren, denen wir auf der Reise begegnet sind. Das hat schon auch was in mir verändert, da denke ich jetzt deutlich positiver. Für mich bleibt: So eine Reise holt dich garantiert aus deiner Bubble und ich würde es jederzeit wieder tun.”
Elena: “Für mich war es beides. Sieben Wochen touren und drehen war für uns alle schon anstrengend, aber ich habe unser Vagabundenleben direkt am ersten Tag vermisst. Es war am Anfang echt komisch, wieder in einem Zimmer oder in einem richtigen Bett zu schlafen, anstatt auf der Rückbank vom Bus oder im Zelt. Und auch wieder dauerhaft an einem Ort zu sein und nicht, wie auf der Tour, ständig weiterzuziehen. Das hat mir schon gefehlt und fehlt mir auch heute manchmal noch.”

8. Die Symbiose oder besser: Das Fazit

Warum ist die Idee, die Straßenmusiktour mit dokumentarischem Musikfilm, eigentlich so genial? Weil zwei aufstrebende Kreativschaffende sich im richtigen Moment miteinander abgestimmt haben und voneinander profitieren konnten. Eine Filmerin, die Praxiserfahrung sammeln will, und ein aufstrebender Musiker, der eine Straßenmusiktour durchziehen will. Von dieser Symbiose können wir DIY-Menschen einiges lernen: Groß zu denken kann sich lohnen. Nicht jede Tresenidee sollte schon beim Katerfrühstück wieder vergessen oder aufgrund des Aufwands verworfen werden.
Nicht zuletzt konnte die Tour außerdem auch dafür genutzt werden, eine Menge Content zu produzieren. Es stehen nicht nur ein Film samt Outtakes als Rohmaterial für Social Media zur Verfügung, sondern auch einige Live-Sessions, die an besonders idyllischen Orten gedreht und recordet worden sind – ein immenser Mehrwert für die Zeit nach der Tour.
Mit der Veröffentlichung des Films schließen sich sozusagen mehrere Kreise auf einmal. Elena hat ihren ersten eigenen Film veröffentlicht, Florian hat einen soliden Storytelling-Aufhänger und drei Jahre nach dem ersten Aussprechen der Idee, unzähligen alkoholischen Kaltgetränken, Sonnenbränden, Kilometern, Tankladungen und Skype-Hangouts findet ein großes Projekt mit der Veröffentlichung des Films seinen endgültigen Abschluss.
Wie blickt ihr heute auf das Projekt zurück?
Elena: “Die Tour war ein krass schönes und spannendes Erlebnis, wodurch ich unglaublich viel gelernt und mich irgendwie auch richtig frei gefühlt habe.”
Würdet ihr das noch mal machen?
Beide: “Auf jeden Fall!”
Was würdet ihr anders machen?
Florian: “Ich würde noch ein wenig mehr Zeit einplanen, sodass man mehr Zeit an den Orten verbringen kann. Außerdem würde ich noch mehr Zeit für Sessions an eindrucksvollen Orten einplanen. Und nicht mehr dort parken, wo das Auto aufgebrochen wird.”
Elena: “Ich würde gerne jemanden dabeihaben, der oder die den Content für Social Media übernimmt und mir bei der Datensicherungen und den Tonaufnahmen unter die Arme greift. Und ich würde noch mehr Akkus und Speicherkarten mitnehmen.”
Was hat euch diese Aktion gelehrt – sowohl fachlich, organisatorisch als auch menschlich?
Florian: “Zuerst mal habe ich Musik als Ventil noch einmal mehr schätzen gelernt als je zuvor. Außerdem habe ich gelernt, dass es Dinge gibt, die man nicht planen kann, auf die man sich einfach mit einer ordentlichen Portion Urvertrauen einlassen können muss. Und: Always be recording! Besondere Momente lassen sich nicht erzwingen!”
Elena: “Fachlich habe ich gelernt, welche Kameraeinstellungen funktionieren und welche Schnittbilder wichtig sind, um eine Situation zu etablieren, den Vibe rüberzubringen. Und ich glaube, ich habe ein ganz gutes Gefühl dafür entwickelt, wann man die Kamera anmachen sollte, wann man “draufhalten” sollte. Vom Organisatorischen her muss man einfach auf alle Situationen gefasst sein, es so nehmen, wie es kommt. Man kann bei so einer Aktion gar nicht viel planen, weil sowieso alles anders sein wird, wie man es sich vorher gedacht hatte. Aber das ist ja auch der Reiz. Menschlich habe ich gelernt, dass Ehrlichkeit bei so einer langen Zeit, in der man auf engstem Raum mit Leuten zusammenlebt, sehr wichtig ist. Direkt kommunizieren, was stört, was man sich wünscht und nicht in sich reinfressen und Gefahr laufen, dass irgendwann alles aus einem rausbricht.”
Wie habt ihr eure jeweiligen Interessen unter einen Hut bekommen und wo gab es da die größten Schwierigkeiten?
Florian: “Für mich bestand die größte Herausforderung darin, einen Kompromiss zwischen der maximal möglichen Anzahl und der minimal nötigen Anzahl an Straßenkonzerten zu finden. Da unsere Schlaf- und Essensqualität von der Hutkasse abhing und die wiederrum von der Anzahl der Konzerte, die wir spielten, haben wir uns da manchmal ein wenig in die Haare gekriegt, wie man Arbeit und Freizeit ausbalanciert. Aber am Ende ging dann alles gut.”
Elena: “Wir haben viel darüber geredet und ich bin sehr dankbar, dass alle da auch immer mitgemacht haben. Wenn ich zum Beispiel mal ein O-Ton-Interview führen wollte, haben immer alle mitgezogen. Wie gesagt, die größte Schwierigkeit war für mich, die Social-Media-Geschichte und die Doku unter einen Hut zu bekommen. Das sind echt zwei völlig unterschiedliche Sachen, die beide viel Zeit und Hirnschmalz in Anspruch nehmen, wenn man es gut und richtig machen will. Natürlich habe ich versucht, beides zu verbinden, aber das ging nicht immer. Den Aufwand habe ich einfach unterschätzt, das würde ich definitiv das nächste Mal anders machen.”

…und nochmal zum Mitschreiben für alle potenziellen Nachahmungstäter:

  1. Choose your Parkplatz carefully
  2. Always be recording: Die besten Momente passieren ungeplant!
  3. Mehr Festplatten und Akkus – man kann kaum genug haben
  4. Mehr Zeit für die wirklich schönen Orte einplanen, z. B. für ausgecheckte Video-Sessions
  5. Es kommt, wie es kommt – also enjoy the ride
  6. Urvertrauen und Spontaneität will hold your hand, wenn’s mal richtig hart wird
  7. Ehrlichkeit und Transparenz in der Kommunikation zahlen sich aus, Probleme in sich reinfressen weniger
  8. Social Media ist ein eigener Job, den im besten Fall eine eigene Person übernimmt

9. Das Brandbuilding

Ein weiterer und nicht ganz unwesentlicher An- beziehungsweise Vorteil von “Vagabunden” ist der Einfluss auf die Marke Lacey Flea. Film, Texte, Sessions und die “overall attitude” des Films gehen miteinander Hand in Hand und bieten somit eine stimmige, verständliche und authentische Angriffsfläche für Zuschauer/innen und Fans. Außerdem bietet solch ein Film natürlich auch ein Alleinstellungsmerkmal, um grundsätzlich auch über die Musik hinaus Interesse zu erregen und tatsächlich eine Geschichte zu erzählen.
Also Kinder, was lernen wir jetzt daraus? Anstatt euch jetzt 20 Punkte für eure To-do-Liste zu diktieren, würde ich vorschlagen: Schaut euch erstmal den Film an, zieht euch Florians Musik rein und lasst mal eure Gedanken schweifen. Lasst euch davon inspirieren, wie bei diesem Projekt nicht nur groß gedacht und ordentlich gemacht wurde, sondern auch inwiefern es uns zeigt, dass man mit etwas Feinsinn tatsächlich Spaß, Erfüllung, Ambitionen, Brandbuilding, Storytelling und Promotion unter einen Hut kriegen kann. Denn wenn man sich traut, auszustrahlen, wofür man brennt, dann erledigt sich das Storytelling und Brandbuilding meist schon etwas unverkrampfter. Wer konkret weiß, was er oder sie erzählen möchte, kann Promomaterial auch dementsprechend fotografieren und drehen. Man braucht nur eben hin und wieder auch mal jemanden, der im richtigen Moment draufhält. Wenn es im Notfall mal ein Smartphone ist, so be it – aber vielleicht findet man ja mit etwas Mühe eine tolle Person, die mit ihren Skills die Qualität des Contents steigern und sich im selben Zuge selbst verwirklichen kann.

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