Musik und Strom #2

Viele der grundlegenden Erfindungen sind im 18. Jahrhundert entwickelt worden, denn ohne Schallplatte gäbe es kein Sampling und ohne Oszillator keine Synthesizer. Aber nicht nur die tatsächlichen Erfindungen spielen eine Rolle, sondern auch die Visionen: Erfinder, die von Möglichkeiten träumten, die in der Gegenwart noch nicht vorlagen. Zum Beispiel die Idee, dass man das, was ein Oszilloskop zeigt, eigentlich auch von Hand in eine Schallplatte ritzen könnte. Tatsächlich gab es damals genau solche Versuche, aber die Zeit war einfach noch nicht reif. Doch die Idee der Wavetable-Synthese war damit schon mal geboren.

Die Geschichte der Musikelektronik besteht also nicht nur aus den hergestellten Instrumenten, sondern auch aus Visionen, Forschung, Möglichkeiten und Glück. Und damit sind wir wieder bei Thaddeus Cahills „Telharmonium“

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 und seiner Vision, ein Musikinstrument zu erschaffen, das alle bekannten Methoden verwendete, um jede denkbare Musik an jeden denkbaren Ort zu übertragen. Die Schwierigkeit lag wie so oft beim Interface und der unzulänglichen Technik.

Fourier, Helmholtz und die additive Synthese

Im 19. Jahrhundert konnte man noch etwas werden, zum Beispiel Universalgelehrter. So einer war zum Beispiel Hermann von Helmholtz, welcher die erste Klangsyntheseart überhaupt entdeckt hat: die Additive Synthese. Streng genommen hat Helmholtz sogar den ersten Synthesizer gebaut! Aber der Reihe nach.

Die Additive Synthese wurde nicht im Alleingang entwickelt, sondern es brauchte eine entscheidende Vorarbeit. Der am Ende des letzten Teils erwähnte Jean Baptiste Fourier hat nämlich nicht nur Sümpfe trockengelegt und den Treibhauseffekt entdeckt, sondern auch die nach ihm benannte Fourier-Transformation entwickelt. Das ist eine mathematische Methode, die wir glücklicherweise nicht bis ins Kleinste nachvollziehen müssen, um ihre praktische Verwendung zu verstehen.

Mit der Fourier-Analyse kann man jeden Klang in seine Bestandteile, die Sinus-Töne, zerlegen. Umgekehrt geht das auch: man kann jeden Klang aus Sinus-Tönen herstellen. Das heißt dann Additive Synthese, weil man lauter Sinus-Töne „addiert“, bis der gewünschte Klang entsteht. Die Tonhöhe wird dabei meistens durch den untersten Ton bestimmt, die Klangfarbe durch die höheren Töne. Und genau hier kommt Helmholtz ins Spiel.

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Helmholtz entdeckte nämlich, dass die Klangfarbe eines Instruments von den höheren Tönen, den „Obertönen“ abhängt. Wenn man zum Beispiel auf einem Ton die Vokale a – e – i – o – u singt, ändert sich die Klangfarbe. Die Tonhöhe, der Grundton, bleibt gleich, aber die Obertonstruktur (Welche Obertöne klingen wie laut?) ändert sich. Die Folgerung daraus ist: ich kann eine Trompete nachmachen, wenn ich weiß, welche Obertöne sie hat. Ich kann aber genauso gut eine Flöte nachahmen. Ich kann sogar eine Trom-Flöte machen. Ich brauche nur Sinus-Oszillatoren. Helmholtz hat sich aber gar nicht mit Trompeten und Flöten beschäftigt, sondern nur mit den Vokalen.

Zur besseren Erforschung baute er einen Apparat, der Stimmgabeln elektrisch anregte. Der „Helmholtz Synthesizer“ konnte so die ersten zehn Obertöne eines Tones spielen. Weil der Helmholtz-Synthesizer aber immer nur einen Ton spielen konnte, konnte er nicht wirklich zum musizieren verwendet werden und war auch niemals dafür gedacht. Deshalb ist der Helmholtz-Synthesizer ein wissenschaftliches Instrument und kein Musikinstrument.

Das Problem von Thaddeus Cahill´s „Telharmonium“ war, dass die Rotoren nur „reine“ Töne ohne Obertöne produzieren konnten. Töne ohne Obertöne heißen Sinustöne, kommen in der Natur nicht vor und die meisten Leute finden sie auch nicht besonders schön. Sie hören sich sehr matt an und können sich klanglich nicht verändern. Das kann man nur, wenn man sie stapelt, also durch Additive Synthese. Das Telharmonium hatte eine Tastatur mit 36 Tönen pro Oktave, damit man künstlich Obertöne hinzufügen konnte. Blöd nur, dass die Pianisten nicht gewohnt waren, mit dreimal so vielen Tasten wie normal zu arbeiten und deshalb ständig falsch spielten. Es gab ein Problem in der Klangerzeugung, das durch ein kompliziertes Interface gelöst werden sollte. 

Fotostrecke: 2 Bilder Die Damen vom Vermittlungsamt des Tel-Musici…

Dem Telharmonium machten aber auch andere technische Probleme das Leben schwer: die elektrische Spannung der Generatoren fiel häufiger ab. So konnte es passieren, dass alles plötzlich viel leiser klang, sobald eine neue Stimme dazugeschaltet wurde. Tja, und dann noch der Ärger mit den übersprechenden Telefonleitungen: es gibt die Geschichte, dass ein wütender Geschäftsmann in die Telharmonium-Hall stürmte und Teile des Instruments in den Hudson River warf, weil er bei seinen telefonischen Verhandlungen immer durch die Musik aus dem Telharmonium gestört wurde. 1916 war es dann zu Ende mit dem Telharmonium. Aber es war ein großer Schritt in die Zukunft, denn die Technik wurde weiter verbessert, und es entstanden später bessere Instrumente daraus. Zum Beispiel fand sich dieselbe Technik Anfang der 1930er Jahre in der Hammond-Orgel wieder. Und Musik übers Telefon gab es noch lange Jahre in vielen großen Städten. Wer mehr über die Geschichte des Telharmoniums wissen möchte, findet bei Youtube eine schöne Doku!

1907 – Entwurf einer neuen “Ästhetik der Tonkunst”

Bevor wir mit den nächsten Instrumenten weiter machen, müssen wir ein bahnbrechendes Buch erwähnen: der „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“ von Ferrucio Busoni. Was sich hinter dem umständlichen Titel verbirgt, ist nicht weniger als eine Vision einer neuen Musik. Busoni bedauert nämlich, dass die ganze Musik nur in Dur und Moll stattfindet. Dabei kann man unsere 12-tönige Tonleiter doch auch ganz anders unterteilen. Überhaupt: wieso ausgerechnet 12 Töne? In der klassischen indischen Musik sind es 22, eine Tonart der Gamelanmusik hat nur fünf. Busoni stellt dann aber fest, dass man dazu neue Instrumente braucht und kommt so zur elektronischen Musik. In New York gäbe es da einen gewissen Herrn Cahill, der solche Instrumente baue. 

Leute, die eine neue Art der Musik entwerfen, bekommen oft ziemlich Gegenwind von den Anhängern der „alten“ Musik. Ein anderer berühmter Komponist der Zeit schrie dann auch gleich „Futuristengefahr!“. Aber wenn eine Idee mal in Umlauf ist, kann man sie meist nicht mehr stoppen. Busoni hatte mit dieser Vision mit einem Schlag die Mikrotonalität „erfunden“ und damit eine neue Kompositionsweise ins Rennen geschickt, welche die Geschichte des elektronischen Instrumentenbaus 30 Jahre bestimmen sollte. Mikrotonalität ist auch heute noch eine Angelegenheit, die viele Leute brennend interessiert. Der Yamaha DX-7 war lange Zeit der einzige Synthesizer, den man nach belieben umstimmen konnte. Heute können viele Soft-Synthesizer alternative Stimmungen spielen, zum Beispiel durch die Intonationsdateien von Scala (http://www.huygens-fokker.org/scala/). Zur Zeit (Frühjahr 2009) gibt es eine Bibliothek mit schlappen 3500 Tonleitern. Wer selber tätig werden möchte, kann auch seine eigenen entwickeln.

Das Theremin

Auch wenn Lew Sergejewitsch Termen nicht der erste war, der ein elektronisches Instrument gebaut hat: das Theremin ist das früheste elektronische Instrument, das bis heute gebaut wird. Das Theremin, auch Termenvox oder Ätherophon, ist nur die erste Erfindung des russischen Erfinders, der eine abenteuerliche Biographie hatte – Entführung durch den KGB und Lagerhaft inbegriffen. Weitere neue Musikinstrumente von ihm waren unter anderem das Theremincello (ein elektrisches Cello ohne Saiten), das Rhythmicon (eine Art Drummachine) und das Terpsiton (setzte Bewegung von Tänzern in Klang um). Aber das ist noch nicht alles: er hat außerdem die Abhörwanze, eine Alarmanlage, einen automatischen Türöffner und ein ferngesteuertes Flugzeug gebaut. 

Fotostrecke: 2 Bilder Theremin in Zigarrenkiste. Oben: Autoantenne, links: on/off und Klinkenausgang, rechts: Trimmer

Dazu kamen dann so Kleinigkeiten wie ein drahtloser elektronischer Handschuh, ein Modell zur Überwindung der Gravitation und eine elektrische Geburtstagstorte – ein echtes Multitalent also. Die Faszination des Theremins liegt sicher in seiner einzigartigen Spielweise: durch „magische“ Bewegungen in der Luft werden genauso seltsame, geisterhafte Klänge erzeugt. Dabei kontrolliert eine Hand die Lautstärke und die andere die Tonhöhe.

Exkurs: Der Beat Frequency Oscillator, oder: Wie funktioniert ein Theremin?

Differenzton, Schwebungssummer, Beat Frequency Oscillator – jeder, der schon mal eine Gitarre oder ein anderes Instrument gestimmt hat, kennt Schwebungen. Und wer, dank robuster deutscher Musikerziehung, als Kind mit anderen Kindern zusammen Blockflöte gespielt hat, erinnert sich vielleicht, dass manchmal plötzlich so ein Summton auftrat, der in den Ohren nur so gekitzelt hat. Die beiden Sachen hängen miteinander zusammen, auch wenn der Schwebungssummer seinen Namen nicht von summen, sondern von summieren hat. Gut, wir hören uns eine Schwebung an. Dazu laden wir uns hier die fantastische Demo-Version des Clavia Nord G2 in der Version 1.40 herunter. Die knapp 10 MB laufen auf allen PCs und Macs, auch auf den nicht explizit angegebenen. Der Nord Modular ist ein virtuell analoger, modularer Synthesizer, ähnlich Reaktor, Capybara, Max/Msp oder SynthEdit. Er eignet sich hervorragend für unsere Zwecke: er läuft überall,  ist kostenlos, man kann ihn „beschriften“ und er hat keine Begrenzungen wie Zeitlimits oder Rauschen. Das wichtigste aber: man kann mit ihm (fast) alles zeigen. Nach dem Download muss man den Synth entpacken und installieren. Wer Lust hat, kann erstmal die verschiedenen Demo-Sounds ausprobieren. Wenn es nicht gleich funktioniert, muss man vielleicht unter „Setup“ noch die richtigen Audio-Einstellungen vornehmen.

Schwebungen kann man besonders gut mit zwei Sinustönen hören, weil sich zwei überlagerte Sinus-Töne gegenseitig auslöschen können. Das heißt: manchmal hört man was, manchmal nicht. Genau das ist die Schwebung. Schauen wir das Patch mal an:

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Wir sehen einen grünen und einen blauen Oszillator. Die Oszillatoren spielen Sinus-Töne und sind auf 440Hz gestimmt. Die Ausgänge der beiden gehen in einen Mixer und von dort in den Audio-Ausgang.

Fortsetzung: Der Beat Frequency Oscillator, oder: Wie funktioniert ein Theremin?

Wir stimmen jetzt den rechten Oszillator mit dem Feinregler auf 440.20Hz. Das machen wir, indem wir den kleineren der beiden Drehknöpfe des grünen Oszillators, einen Tick nach rechts drehen (ganz Faule klicken auf Variation 2). Wir hören, wie der Sinus-Ton ein- und ausschwingt: Voilà, die Schwebung. Englischsprechende nennen das „beating“. Noch einmal vier Klicks und der rechte Oszillator steht jetzt auf 440.99Hz (Variation 3). Der Unterschied von 0.99 Hz bedeutet, dass wir jetzt eine Schwebung von ca. einer Sekunde hören.  

Jetzt machen wir das Ganze vier Oktaven höher (Variation 4). Wenn der Feinregler auf 12 steht (grünes Dreieck leuchtet!), hören wir einen unangenehm hohen Ton (vielleicht auch keinen, falls sich die Wellen gerade überlagern). Wenn wir jetzt den Feinregler Schritt für Schritt nach rechts drehen, hören wir für Veränderungen von 0-10, wie die Schwebung immer schneller wird (Variation 5). Zwischen 10 und 20 wird die Schwebung dann schon so schnell, dass sie in den Audio-Bereich kommt (Variation 6). Ab 20 wird die Schwebung zu einem definierten Ton (Variation 7). Dabei ist es egal, ob wir nach links oder rechts drehen. Der Ton entsteht durch die Differenz zwischen dem ersten und dem zweiten Oszillator, die sich im Bereich zwischen 0 – 15 Hz durch das  Ein- und Ausschwingen hörbar macht, zwischen 15 und 20 Hz ein undefinierbares Etwas darstellt und ab 20Hz zu einem definierten Ton wird. Genau das ist der Differenz-Ton, und was wir mit den zwei Sinusoszillatoren gebaut haben, ist ein „Beat Frequency Oscillator“ (BFO). Der Trick bei einem BFO, genauso wie beim Theremin oder den Ondes Martenot und vielen anderen elektronischen Instrumenten aus dieser Zeit, besteht darin, dass man die beiden Oszillatoren weit über 20.000Hz, also außerhalb des Hörbereichs einstellt. Dann hört man tatsächlich nur noch den Ton, der durch die Schwebung produziert wird. Einer der beiden Oszillatoren ist dabei konstant, die Tonhöhe des anderen – und damit auch der hörbare Ton – wird von der anderen Hand gesteuert.

Zurück zum Theremin. Der große Vorteil des Theremins ist auch sein größter Nachteil: wenn man alle Töne spielen kann, ist es kompliziert, einen bestimmten Ton genau zu treffen. Man kann sich ziemlich sicher sein, dass man auf einem Theremin auch ziemlich falsch spielt. Außerdem ist das Theremin, so faszinierend der geisterhafte Klang auch ist, klanglich nicht sehr flexibel: außer „Singende Säge“ gibt es nichts. Trotzdem üben die berührungslose Spielweise und die damit einhergehenden „magischen“ Bewegungen in der Luft eine riesige Faszination aus. Immer neue Modelle werden gebaut, und auch der große Bob Moog hat sich für das Instrument eingesetzt. Seine Firma stellt immer noch einen Bausatz her und auch die „großen“ Konzert-Theremine kommen aus seiner Schmiede. Aber auch als Do-it-yourself-Projekt ist es sehr beliebt, wie zum Beispiel das auf der letzten Seite abgebildete Theremin in einer Zigarrenkiste.

Die Beschränkungen des Theremins wurden schon sehr bald erkannt, und die Erfinder bemühten sich, das Manko der fehlenden Kontrolle und der ungenügenden Klangfarben zu verbessern. Der Franzose Maurice Martenot entwickelte dazu ein Instrument, dass in der klassischen Musik bis in die 1960er Jahre hinein eine große Rolle spielte: die „Ondes Martenot“. Aber auch die Technik des Telharmoniums wurde weiterentwickelt und führte schließlich zur Hammond-Orgel.

Fotostrecke: 3 Bilder Hammond!

Und dann gibt es noch einen obskuren, sagenumwobenen Zwitter der beiden: das Trautonium. Um diese drei Instrumente wird es in der nächsten Folge gehen: Musik und Strom #3: Drei Große aus den 30ern

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