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Das Bändchen-Prinzip
Das Funktionsprinzip des Bändchenmikrofons ist relativ einfach. Ein hauchdünner Streifen aus Aluminiumfolie wird zwischen den Polen eines Permanentmagneten gespannt. Sobald Schallwellen diesen Streifen zum Schwingen anregen, wird eine Spannung induziert, und schon haben wir Schall in ein elektrisches Signal gewandelt. Hauchdünn ist übrigens nicht untertrieben – die Dicke eines solchen Bändchens beträgt in der Regel etwa 2 Mikrometer. Beim R77 sind es sogar nur 1,8 Mikrometer (0,0018 Millimeter). Wir reden hier also fast von der Kategorie „unvorstellbar dünn“, und daher rührt auch die erwähnte Störungsanfälligkeit solcher Mikrofone. Der Aluminiumstreifen zerreißt bei hohem Schalldruck (zum Beispiel in einer Bassdrum – bitte nicht ausprobieren!) oder sonstigen Gewalteinwirkungen gerne einmal, und in diesem Fall wird unser lebendes Fossil leider zum toten Fossil. Auch ein Zuschalten von Phantomspeisung kann vor allem bei defekten Mikrofonkabeln zum Exitus des Bändchens führen. Die positive Kehrseite der Medaille ist aber, dass ein so dünner Aluminiumstreifen wegen seiner geringen Masse sehr schnell auf Schwingungen reagiert. Ein Bändchenmikro glänzt dementsprechend mit einem hervorragenden Impulsverhalten und einem fein aufgelösten Klangbild. Zu Deutsch: Die frühen Signalanteile einer Schallquelle werden bereits eingefangen, während die im Vergleich „elefantöse“ Membran eines Kondensatormikros gerade einmal darüber nachdenkt, ob sie nun mitschwingen soll oder nicht. Diese frühen Signalanteile (Transienten) sind charakterformend für unsere Wahrnehmung von Schall, und folglich ist es natürlich eine sehr feine Sache, wenn ein Mikrofon möglichst viel davon einfangen kann.
Da die Impedanz eines Bändchenmikros relativ gering ist, wird generell zu einem Preamp mit hoher Eingangsimpedanz geraten (beim R77 konkret mindestens 1500 Ohm). So lässt sich das naturgemäß ausgeprägte Eigenrauschen dieser Mikrofongattung in den Griff bekommen. Mit den Vorverstärkern aus handelsüblichen Audio-Interfaces der Mittelklasse wird man wohl nur schwer eine rauscharme Aufnahme machen können. MXL rät für das R77 im beiliegenden Datenblatt ausdrücklich zum P-Solo Ribbon von True Systems, den wir für einen Teil der Audios zu diesem Test auch wirklich verwendet haben. Ganz nach Vorschrift also! Wer sich für diesen neutral klingenden Vorverstärker genauer interessiert, der darf sich freuen, denn auch zu diesem wird es in naher Zukunft einen Testbericht auf bonedo geben.
Ein wahres Schmuckstück
Nach Biologie und Bändchen-Theorie wird es jetzt aber wirklich Zeit, den Spot auf unser Testobjekt zu richten, und ich möchte die liebe Leserschaft vorwarnen! Bei starker Lichteinstrahlung sollte man das R77 nicht direkt ansehen oder zumindest vorsichtshalber eine Schutzbrille von der letzten Sonnenfinsternis bereithalten. Das mehr als edle, in Gold und Chrom gehaltene Finish sorgt dafür, dass das Mikrofon im wahrsten Sinne des Wortes blendend aussieht – ein wahres Schmuckstück, das auf Glamour-süchtige RnB-Sängerinnen einen magischen Einfluss ausüben könnte!
Das 18 x 6,5 cm messende Gehäuse des 860 g schweren Klunkers wirkt massiv und ist mittels zweier Spannschrauben an einem U-förmigen Haltebügel montiert. An einer Mikrofonspinne wird sich das R77 nur schwer befestigen lassen, und das ist schade, da gerade die sensiblen Bändchenmikros besonders anfällig für Trittschall sind. Die Spannschrauben sind mit je zwei Kunststoffscheiben unterlegt, und sobald sie festgezogen sind, hält das Mike vorbildlich die Stellung. Etwas problematisch ist die Position der XLR-Buchse am unteren Ende des Gehäuses. Wenn das Mikro senkrecht auf einem Stativ montiert werden soll, schiebt der Haltebügel dem Anschluss einen Riegel vor. Von daher gilt ein Stativ mit Galgen als Pflicht für das R77.
Für dich ausgesucht
Schalter zum Anpassen der Richtcharakteristik oder Absenken des Ausgangspegels (Pad) gibt es keine, und das ist bei einem Bändchenmikrofon auch nicht zu erwarten. Den ohnehin geringen Output wird niemand absenken wollen, und die Richtcharakteristik ist gattungstypisch eine Acht (nur wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel). Von vorne oder hinten eintreffende Schallwellen werden also bevorzugt, während die seitlichen Bereiche fast völlig ausgeblendet werden. Mit einem Grenzschalldruckpegel von 135 dB(SPL) steht zu erwarten, dass sich das R77 vor einem bis zum Anschlag aufgerissenen Gitarrenverstärker noch gut halten wird oder seinen Dienst auch als Overhead in einer Schlagzeugaufnahme verrichten könnte.
Was Zubehör angeht, hat MXL die Spendierhosen an. Die Holzkiste mit zurückhaltendem Firmenlogo, in der das Schmuckstück zur Aufbewahrung auf roten Samt gebettet wird, ist wirklich schön anzusehen. Der opulente Anblick scheint für ein Mikrofon fast ein wenig übertrieben zu sein und erinnert an eine Auszeichnung oder eine Trophäe. Zum Anschluss an einen Preamp liegt ein 7,5 Meter langes Kabel aus dem Hause Mogami bei, einer Schwesterfirma des Herstellers, deren Strippen dem alteingesessenen MXL-Anwender bekannt sein dürften. Für Sprecher findet sich ein kleines Tischstativ, auf dem das Mikro zum Einsprechen von Hörbüchern oder dem Wetterbericht montiert werden kann, und sogar ein Reinigungstuch ist im Lieferumfang enthalten. So kann man ein von Fettfingern gepeinigtes R77 zu seinem alten Glanz aufpolieren. Ein Reduziergewinde auf die kleinen Schrauben an Mikrofonstativen, wie sie hier zu Lande zu finden sind, fehlt leider und sollte also auch gleich mit auf die Einkaufsliste gesetzt werden.