MXL R77 Classic Ribbon Microphone Test

Praxis

Kernfrage: Klang
Auch wenn im Falle des R77 die außergewöhnliche Optik sicherlich eine Rolle spielt, ist das wichtigste Kriterium für ein Mikrofon nach wie vor der Sound. Ich persönlich empfinde Gitarrenaufnahmen als eines der Haupteinsatzgebiete für Bändchenmikros. Dementsprechend haben wir eine akustische Gitarre und eine E-Gitarre aufgenommen und einige Vergleiche mit anderen Mikrofonen angestellt. Bereits an dieser Stelle möchte ich mich bei Haiko Heinz von Authentic Guitar für die feinen Takes bedanken. Da MXL seinen kleinen Hingucker auch für Gesang bewirbt, werden wir das R77 im weiteren Verlauf auch noch im Vocal-Einsatz zu hören bekommen. Charakteristisch für den Frequenzgang von Bändchenmikros ist ein allmähliches Absinken der Höhen ab 8 – 10 kHz. Das R77 behauptet dagegen auch bis 18 kHz noch präsent zu sein, was ein wenig außergewöhnlich wäre. Wir sind also gespannt.

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Akustische Gitarre
Für unsere Aufnahmen kam eine Stanford F-5 Pro mit Stahlsaiten zum Einsatz. Zum direkten Vergleich stellen wir dem R77 zunächst das RB-500 von t.bone gegenüber – ebenfalls ein Bändchenmikro, das nicht zuletzt wegen seines günstigen Preises zum Verkaufsschlager wurde und mittlerweile in mancher ernstzunehmender Produktion zu hören ist.

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R77 Akustik-Gitarre RB500 Akustik-Gitarre

Mit einem knapp dreimal so hohen Ladenpreis sollte das R77 den Konkurrenten aus dem Hause t.bone deutlich abhängen, und tatsächlich kann man sagen, dass unser Testobjekt offener und transparenter klingt. Eine erhöhte Präsenz in den Mitten bringt den Holzkorpus der Gitarre sehr schön zur Geltung und sorgt für Durchsetzungskraft. In den hohen Mitten (um 4 kHz herum) lässt sich ebenfalls etwas mehr Output feststellen, was für einen gewissen Biss sorgt. Hier scheiden sich höchstwahrscheinlich die Geister an der guten alten Geschmacksfrage. Die Höhen verhalten sich bei dieser Aufnahme gattungstypisch, und von einem erweiterten Bereich oberhalb von 10 kHz ist nicht viel zu hören.

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R77 EQ R77 extreme EQ

Bei beiden Mikrofonen fällt auf, dass die tiefen Frequenzen überdeutlich zur Geltung kommen. Auch bei 30 cm Abstand vom Steg macht sich hier noch der extreme Nahbesprechungseffekt von Bändchenmikrofonen bemerkbar, mit dem man durchaus aktiv arbeiten kann. Für unsere akustische Gitarre wirkt er aber eher störend und deshalb haben wir im nächsten Track ein Lo-Cut Filter bei 100 Hz hinzugeschaltet und die Höhen bei 12 kHz breitbandig um 6dB angehoben. Auch bei einer übertriebenen Anhebung um 12 dB, die man in der Praxis selten einsetzen würde, fällt auf, dass die Höhen nicht anfangen übermäßig harsch zu klingen. Ein dicker Pluspunkt, für den Bändchenmikros generell bekannt sind! Frequenzmäßig ist einfach alles da, und man kann sich seinen Sound wie ein Bildhauer aus einem rohen Stein heraus formen.
Als kleine Zugabe hört ihr im nächsten Track die Gitarre hart links und rechts im Panorama gedoppelt, mit ein wenig EQ und Kompression bearbeitet – so wie sie in einer Produktion vorkommen könnte.

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R77 gedoppelt

Die Sache mit dem Übertrager
Bevor es richtig weitergeht, wenden wir uns zwischendurch ein wenig der Schaltplan-Theorie zu. Ein Signal, das direkt hinter einem Bändchen entsteht, hat eine sehr geringe Spannung. Um es für eine Aufnahme überhaupt nutzbar zu machen, muss diese Spannung durch einen Übertrager auf Kosten der Stromstärke erhöht werden. Das ist bei allen Bändchenmikrofonen so. Gerade dieser Übertrager hat einen erheblichen Einfluss auf den Klang, weshalb Bastlernaturen gerne zum Lötkolben greifen und das Bauteil schlicht und einfach austauschen (was natürlich ein Erlöschen sämtlicher Garantieansprüche zur Folge hat). In Insiderkreisen ist der schwedische Lundahl-Übertrager ein angesagtes Teil, und wie es der Zufall so will, gibt es auch vom R77 eine Version mit einem solchen Transformator. Das MXL R77L ist allerdings gleich um 150,- Euro teurer als die hier getestete Standardvariante, in der eigens für MXL gewickelte Übertrager verbaut sind.

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E-Gitarre
Gehen wir weiter zur elektrifizierten Variante der Gitarre. Diesmal kommt zum Vergleich mit dem R77 ein (wie oben beschrieben) „gepimptes“ t.bone RB-500 mit einem Edcor RMX1 Übertrager ins Spiel, der in den Mitten etwas kräftiger klingt und so möglicherweise an unser goldenes Schmuckstück heranreichen kann. Außerdem haben wir die angezerrte Gitarre zusätzlich mit einem Beyerdynamic M130 (ebenfalls Bändchen) aufgenommen. Ihr hört eine Framus Diablo Custom Strat durch einen voll aufgerissenen 50 Watt Marshall JCM 900 an einer 12er Combo Box. Die Mikros wurden dafür zunächst mit einem Abstand von 10 cm aufgestellt und diesmal über den Preamp eines Universal Audio LA-610 MkII Channel-Strip aufgezeichnet. Ich danke Ali Lionnet von den Jam-Productions für das Öffnen seiner Studiopforten.

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R77 Amp RB500 Amp M130 Amp

Wie man hört, macht das R77 auch in diesem Vergleich keine schlechte Figur. Das aufgebohrte t.bone Mike klingt trotz Modifikation und aktiver Schaltung deutlich braver – auch hier machen sich die kräftigeren hohen Mitten des R77 bemerkbar. Das Beyerdynamic M 130 kommt allerdings noch etwas druckvoller und transientenreicher daher, was wohl nicht zuletzt mit seiner außergewöhnlichen Konstruktion zusammenhängt, bei der statt eines einzelnen Bändchens zwei noch dünnere Bändchen verarbeitet sind. Dafür kostet dieses fast schon legendäre Studiomikrofon im Vergleich zum R77 gemessen am Straßenpreis auch etwa 100,- Euro mehr.

Um den ausgeprägten Nahbesprechungseffekt von Bändchenmikros zu zeigen, ist in den folgenden Tracks jedes der Mikrofone mit einem geringeren Abstand (2 cm vor der Box) zu hören. Wir haben uns dabei bemüht, die Positionen vor dem Lautsprecher so genau wie möglich einzuhalten. Der erhöhte Bassanteil entspricht sich bei R77 und RB-500 in etwa, während sich das M130 zurückhaltender gibt. Außer Konkurrenz und als Abgrenzung zu dynamischen Tauchspulenmikrofonen hört ihr auch ein Shure SM57, das sehr gerne zur Abnahme von Gitarrenverstärkern verwendet wird. Hier wird deutlich, dass zwischen den zwei Mikrofontypen ganze Universen liegen.

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R77 Amp close RB500 Amp close M130 Amp close SM57 Amp close

Gesang
Für die Gesangsaufnahmen habe ich die Sängerin Devi Reith vors Mikro gebeten, die einen Teil des alten Jazz-Standards „God Bless The Child“ zum Besten gibt, der gegen Ende der 30er Jahre durch Billie Holiday bekannt wurde. Auch hier gibt es wieder einen Vergleich mit dem modifizierten t.bone RB-500 und dem Audio Technica AT4050 – einem Kondensatormikrofon.

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R77 Vocals RB500 Vocals AT4050 Vocals

Gesang soll in der Regel nach oben hin luftig und offen klingen. Für einen modernen „In Your Face“-Sound greift man also besser zu einem guten Kondensatormikrofon. Unser Vergleich zeigt, dass die Stimme mit dem AT4050 wirklich abhebt und anfängt zu fliegen. Bändchenmikros sind mit ihrer begrenzten Empfindlichkeit in diesem Bereich nur in speziellen Fällen eine gute Wahl: Eine spitze weibliche Stimme kann durch den Griff zum Ribbon Microphone entschärft werden. Wenn man sich bei den obigen Aufnahmen auf die Zischlaute konzentriert, bemerkt man, dass beide Bändchenmikros fast den Effekt eines natürlichen De-Essers haben – mit dem Unterschied, dass dieser nur dann zugreifen würde, wenn es nötig ist. Trotz allem bietet das R77 tatsächlich einen etwas luftigeren Sound als der belegter klingende Konkurrent aus dem Hause t.bone. Für Jazzaufnahmen oder alle Anwendungen, bei denen Natürlichkeit großgeschrieben wird, kann das R77 also funktionieren, ist aber keineswegs ein Allrounder, der von vornherein immer gute Vocals abliefert. In den meisten Fällen wird voraussichtlich noch ausgiebiges EQing nötig sein.

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