In einigen erfolgreichen Pop- und Hip Hop-Produktionen dieser Zeit – wie etwa Chance The Rapper’s “Coloring Book” oder Bon Ivers “22, A Million” – werden die jeweiligen Hauptstimmen immer seltener durch Backing-Gesänge angereichert, wie es bisher der Fall war. Häufig werden auf Basis der Stimme elektronisch anmutende, chor-ähnliche Klänge eingesetzt. Immer öfter taucht hierbei ein neuartig wirkender Effekt auf, der sich irgendwo zwischen den bekannten Vocal-FX Auto-Tune, Vocoder und Harmonizer bewegt.
Künstler wie Chance the Rapper oder Francis & The Lights etablierten den Begriff “Prismizer” – eine Art Wortschöpfung aus “Prism” (engl. für Prisma) und “Harmonizer”, einem Harmonien erzeugenden (Vocal)-Effekt. Jedoch gibt es immer noch keinen Effekt namens “Prismizer” zu kaufen, während die Faszination für diesen Sound stetig ansteigt und immer mehr Künstler zu inspirieren scheint. Am liebsten will man selbst überall den Effekt einsetzen können. Da kommt die Frage auf, was genau sich eigentlich hinter dem Begriff “Prismizer” verbirgt. Ein normales Effekt-Pedal? Oder nur die besondere Einstellung eines herkömmlichen Plug-in-Programms? Mit diesem Artikel wollen wir den Mythos ‘Prismizer’ endlich aufdecken und euch zeigen, welches Prinzip hinter diesem innovativ wirkenden Sound steckt.
Wie klingt der Prismizer?
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Mehr InformationenBei diesem Song kann man sehr gut den Klang und die Wirkung des “Prismizer”-Effektes raushören. Das Projekt “Bon Iver” um Mastermind Justin Vernon brachte diese Form von Vocal-Effekt mit dem Album “22, A Million” einer breiteren Masse näher, obwohl bereits zuvor Acts wie Chance The Rapper oder Kanye West derartige Klänge in ihren Songs angewendet hatten, was wiederum Bon Iver als Inspiration gedient haben soll.
In “715 Creek” ist die Haupt-Gesangsstimme von Sänger Justin Vernon deutlich herausgestellt. Sie ist mit hörbarem Auto-Tune belegt und erhält dadurch bereits einen elektronisch anmutenden, unmenschlichen Charakter.
Durch Vernons emotionale Vocal-Performance bricht dieses Auto-Tune-Gerüst jedoch ständig kurz ein, wodurch die Emotionalität der Stimme in den Vordergrund gestellt wird. Der eigentlich unmenschliche Auto-Tune-Effekt wird also hier genutzt, um in seinem Gewand menschliche Charaktermerkmale herauszustellen. Es klingt, als ließe Justin Vernon sich lediglich von einer Art elektronischem Chor begleiten, dessen Stimmen Alien-artig und phasenweise unmenschlich tief beziehungsweise hoch klingen. Dieser “Alien-Chor” reagiert stark auf die Dynamik des Hauptgesanges. Tonal klingt es jedoch nicht so, als würden auf Basis der Main Vocals passende Harmonie-Stimmen aus einer festgelegten Tonart erzeugt werden, wie es bei einem herkömmlichen Harmonizer passiert. Die klingenden Töne des Begleitchors wirken wie von einer weiteren Instanz kontrolliert, die unabhängig von den Harmonien des Hauptgesanges agiert. Vergleicht man das Effekt-Klangbild von “715 Creek” mit dem von “All We Got” von Chance The Rapper (Effekt hörbar ab 1:15 min.), wird außerdem deutlich, dass der Klang des Prismizer-Chors abhängig von der Stimme des Hauptsängers variiert.
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Video : Chance The Rapper – All We Got
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Mehr InformationenIst der Prismizer ein neuer Effekt?
Dass der “Prismizer” etwas Modernes, Innovatives mit sich bringt, zeigt sich in nahezu allen Songs, in denen er angewendet wird. Aber welche besondere Technik verbirgt sich hinter diesem Sound? Chris Messina, Studio-Techniker von Bon Iver, antwortet darauf kurz nach der Veröffentlichung des “22, A Million”-Albums im Interview:
“Here’s the thing – it’s not a thing…It’s many things working together and none of them are ours, but the product is. Basically, we used things the way they’re not normally intended, and we put them together. That’s how we get the sound.” Chris Messina, Interview mit dem W Magazine, 19.12.2016.
Über viele Monate galt der “Prismizer” in einschlägigen Internetforen als revolutionäre, unkäufliche Effekt-Neuerfindung. Akribisch wurde über die mögliche technische Zusammensetzung und Art der Anwendung des Effektes diskutiert.
Messina löst den großen Mythos auf, indem er mit einfachen Worten erklärt: Der “Prismizer” ist keine eigenständige, neu geschaffene Erfindung eines nie da gewesenen Effektes! Es handelt sich dabei vielmehr um die unkonventionelle Nutzung und Kombination bereits bestehender Vocal-Effekte, um so zu einem einzigartigen, markanten Eigensound zu gelangen.
Eine Art mystische Unmenschlichkeit und der mehrstimmige, chorähnliche Charakter zeichnen diesen besonderen Klang aus. Dadurch erklärt sich auch der erste Baustein des Wortes “Prismizer”: prism. Durch den Effekt wird die Hauptstimme als “Licht” wie durch ein Prisma in mehrere Einzeltöne zerteilt, die zusammen dann eine farbenreiche Harmonie bilden.
Wie setzt sich der Sound des Prismizers zusammen?
Wie wir bereits in unserem Harmonizer-Workshop erklärt haben, erzeugt der Effekt Harmonie-Töne zu einer existierenden Melodie (Gesang oder Instrument). Aus welchem harmonischen Pool diese Töne stammen, lässt sich beispielsweise per Festlegung einer bestimmten Tonart definieren. Allerdings ermöglichen manche Harmonizer auch die Kontrolle über die Harmonien mittels externem MIDI-Keyboard. Nun kommen wir der Sache schon näher: In dem gängigen Harmonizer-Programm “Antares Harmony Engine” lässt sich auf eingehende Signale eine Art automatischer Auto-Tune-Effekt legen. Die nun im Computer getunten, elektronisch klingenden Melodie-Töne können von einem externen Keyboard kontrolliert, transponiert und neu kombiniert werden. Gut zu sehen ist dieser Workflow auch im Live-Video zu Bon Ivers Song “45”, auf welches ich später noch genauer eingehen werde. Durch dieses Prinzip wird die menschliche Stimme oder ein beliebiges Instrument in Echtzeit in eine Art Alien-Hybrid-Konstrukt verwandelt. In den vorgestellten Songs von Bon Iver oder Chance The Rapper wird genau dieser Effekt eingesetzt, um einen choralen, epischen und ästhetischen Klang zu erschaffen. Dieser wird dann mit der Hauptgesangsstimme gemischt, auf der je nach Belieben noch ein moderater Auto-Tune zur Stimmenverfremdung eingesetzt wird.
Prismizer, selfmade
Hinter dem mysteriösen Prismizer stecken also im Prinzip lediglich mehrere Auto-Tune-Instanzen, die per MIDI-Keyboard kontrolliert und dann zu neuen Harmonien kombiniert werden. Es ist also nichts, was wir “Normalsterblichen” nicht mit herkömmlichen Mitteln nachbauen könnten. Versucht es beispielsweise mit Programmen wie “Antares Harmony Engine”, deren Input-Signal ihr auf “Auto-Tune” einstellt und euch ein externes MIDI-Keyboard schnappt. Der Effekt lässt sich aber auch realisieren, indem man in einer DAW die Haupt-Vocalspur in diverse Einzelspuren vermehrt und sie jeweils durch eigenständige Auto-Tune-Programme jagt, welche dann per MIDI-Keyboard in der Tonhöhe kontrolliert werden.
Natürlich muss die Arbeitsgrundlage hierbei nicht die menschliche Stimme sein. Das dachte sich auch Justin Vernon von Bon Iver und schnappte sich seinen Saxofonisten für ein kleines Experiment. In dem folgenden Video ist sehr gut zu sehen, wie Justin Vernon den “Prismizer” live einsetzt und damit den Klang des Saxofons verfremdet.
Video : Bon Iver – 45 (Live)
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Mehr InformationenDer Prismizer live: Welcome to The Messina
Der Saxofonist spielt eine Melodie, die zunächst durch die “Prismizer”-Effektkette geschickt und dann von Justin Vernon aus sich selbst heraus mit Harmonien angereichert wird. Dass diese Effekt-Prozesse live und in Echtzeit umgesetzt werden können, ist ebenfalls Chris Messina zu verdanken. Dieser entwickelte für Bon Iver eine Art Hardware/Software-Setup, welches das Prismizer-Prinzip live-tauglich macht. Aus welchen Geräten und Programmen dieses von Bon Iver lieblich “The Messina” genannte Live-Setup besteht, ist nicht näher bekannt. Der erzeugte, besondere Harmonizer-Effekt bleibt allerdings derselbe, es geht bei dem Setup scheinbar vorwiegend um die Minimierung sogenannter “Latenzen”, also Zeitverzögerungen in der digitalen Effekt-Berechnung.
Fazit
Der “Prismizer” ist kein eigenständiger Effekt, sondern bezeichnet die innovative Nutzung und Kombination vorhandener Vocal-Effekte zu einem choralen, markanten Hybrid-Sound. Eine wichtige Basis hierfür ist die spezielle Zusammenarbeit zwischen Harmonizer und Auto-Tune, welche einen synthetischen, Vocoder-ähnlichen Klang erzeugt. Bei dem derzeitigen Überangebot und der langen Historie an Effekten und Klangbildern wird es immer schwieriger, noch ungehörte und innovative Klänge zu erzeugen. Das “Prismizer”-Prinzip zeigt, dass das Geheimnis vielleicht nicht in der Erfindung völlig neuer Effekte liegt, sondern vielmehr in der unkonventionellen Nutzung vorhandener Möglichkeiten.
Vielleicht seid auch ihr die nächsten Klangpioniere, indem ihr bestimmte Effekte für eure Stimme einsetzt, die bisher eigentlich nur für Gitarre oder Keyboards gedacht waren. Der Kreativität sind hierbei kaum Grenzen gesetzt und der Prismizer ist ein gutes Beispiel dafür, dass es sich lohnt, gegen den Strom zu denken – dabei wünsche ich euch viel Spaß und Erfolg!
Euer Tom