Details
Nach einer fast halbstündigen Installation von 7GB Samples und anschließender Online-Aktivierung im „NI Service Center“ öffne ich Alicia’s Keys im Kontakt-Player aus gleichem Hause. Ich blicke auf ein farblich rosa dominiertes GUI: In der Mitte steht der moderne Yamaha Flügel, links und rechts sind Requisiten wie eine Vase mit Blumen, ein Schellenkranz, eine Stehlampe und eine flaschenförmige Lavalampe zu sehen. Das Ganze sieht in etwa aus wie das Klischee eines amerikanischen Mädchenzimmers. Der Flügel natürlich einmal ausgenommen …
Ich lade das erste Preset des Flügels und staune dabei über die Datenmenge, die durch das Status-Fenster flitzt. Rund 365 MB sind nach stattlichen 38 Sekunden im Arbeitsspeicher meines Rechners angemeldet. Das ist fast dreimal so viel wie beispielsweise beim „New York Concert Grand“, einem anderen Sample-Flügel von Native Instruments, der auch schon von bonedo getestet wurde.
Klangerzeugung
Alicia’s Keys arbeitet mit zwölf Velocity-Layern bei allen Tönen. Darüber hinaus stehen den Ton-Samples aufwendig gesampelte Nebengeräusche der Mechanik, des Pedals und der mitschwingenden leeren Saiten zur Seite. Die Samples der obertonreichen leeren mitschwingenden Saiten sind laut Native Instruments maßgeblich für den Klang dieser Flügelreproduktion verantwortlich. Und sogar Aufnahmen vom Brummen und Rauschen der Mikrofone und Pre-Amps kann man beimischen! Hier sollen im Übrigen ausschließlich hochwertige Vintage Modelle zum Einsatz gekommen sein. Alicia’s Keys ist eine rein auf Samples basierende Pianosoftware.
Unterschiedliche Einstellungen von Deckelstellungen gibt es allerdings nicht. Da auf dem GUI der Flügel mit geöffnetem Deckel zu sehen ist, gehe ich mal davon aus, dass er auch genau so aufgenommen wurde. Wer einen „geschlossenen Sound“ sucht, behilft sich am besten einen nachgeschalteten, externen Lowpass Filter oder EQ. Genau so werden die Klänge der verschiedenen Deckelstellungen bei der NI Classic Piano Collection (früher NI Akoustik Piano) nämlich auch erzeugt.
Die Samples liegen im WAV Format in 24Bit/44,1kHz vor und werden im DFD-Verfahren nur zu kleinen Anteilen in das RAM geladen und in Echtzeit von der Festplatte gestreamt. Die Software verzichtet komplett auf Loops und Pitchtunings, die tiefsten Töne sind mit bis zu 47 Sekunden Ausklangzeit gesampelt.
Für dich ausgesucht
Klangbearbeitung
Besitzer von Kontakt 4 können über die Möglichkeiten, die der Kontakt Player bietet, hinaus noch in die Skripte eingreifen. Aber auch das GUI des Flügels im bietet in Sachen Klanggestaltung schon einiges, und nicht zuletzt beherbergt Kontakt und auch der Kontakt Player ja auch einige Effekte, die man auf geladene Instrumente anwenden kann.
Klickt man im linken oberen Eck den Reiter „Settings“, poppt im Vordergrund ein Fenster mit sämtliche Armaturen auf:
Unter „Room” stehen zwei unterschiedliche Hallgeräte zur Auswahl, die sogar beide gleichzeitig eingesetzt werden können: ein algorithmischer Hall und ein Faltungshall. Letzterer errechnet mit den Impulsantworten von drei Räumen (Studio, Auditorium, Hall) sehr realistische und wirklich gut klingende Räume, was wohl auch kein Wunder sein dürfte, denn Scarbye hatte sich den Impulsantwort Spezialisten Ernest Cholakis mit ins Boot geholt. Aber auch der algorithmische, etwas künstlicher klingende Hall kann musikalisch gute Ergebnisse liefern.
Wichtig ist hier auch die Sektion „Stereo Image“, mit der man – wer hätte es gedacht – das Stereobild breiter oder kleiner macht. Auch lässt sich hier auswählen, ob man den Yamaha C3 Neo aus der Spieler- oder Publikumsposition hören möchte. Diese beiden Positionen werden allerdings nicht mit Samples aus zwei verschiedenen Raumaufnahmen erzeugt, sondern resultieren aus Settings des Faltungshalls.
Zunächst das gleiche Beispiel aus Publikums- und Spielerposition, dann zwei verschiedene Räume aus der Publikumsposition. Im Beispiel Nr. 5 setze ich beide Reverbs ein, der algorithmische Hall fügt mit einem kleinen Raum ein „andickendes Slap-Back Echo“ hinzu. Beispiel Nr. 6 demonstriert eine Fahrt des Parameters „Stereo Spread“ von 0-100%.
Unter dem Reiter „Keys“ lassen sich Einstellungen bezüglich Velocity-Kurven und Ansprache und Ausklang der Samples bei schneller Wiederholung der gleichen Note in verschiedenen Velocities machen. Dieses Feature kann verhindern, dass mehrere Samples pro Note gleichzeitig erklingen können bzw. Machine-Gun Effekte hörbar werden. Mit “Finger Attack” kann man die Zeit beeinflussen, die Tasten und nachfolgende Mechanik benötigen, bis die Saite angeschlagen wird.
Unter „Pedal“ kann man den Funktionen Sustain und Sostenuto beliebige MIDI Controller zuweisen. In der Regel wird man hier wohl CC64 (Sustain) und CC66 (Sostenuto) verwenden, es stehen hier jedoch alle 127 MIDI Controller zur Verfügung. Wer ein MIDI-Pedal besitzt, das mehr als die Controller-Werte 0 oder 127 sendet, kann mit der Option “Simulate half pedaling with impulse response“ sogar dynamische Dämpferklänge erzeugen.
Unter „Resonance“ lässt sich bestimmen, wie stark die resonierenden leeren Saiten des Flügels mitschwingen und mit subtilen Obertönen den Gesamtklang des Flügels beeinflussen. Mit dem Regler “Voices” bestimmt man die Anzahl der zusätzlichen Resonanzstimmen. Maximal 200 Resonanz-Stimmen sind möglich, hohe Werte erhöhen aber auch die CPU Last des Rechners. Besonders beim Beispiel Nr. 3 (ein Extremfall) ist das „Mitsingen“ der leeren Saiten sehr gut zu hören.
Der Parameter „Noise“ stellt dem Benutzer nicht nur die Möglichkeit zur Verfügung, die Geräusche der Hammermechanik und des Pedals anzuheben oder auch abzusenken. Hier lässt sich auch ein „Microphone Noise“ zumischen, ein angenehmes Sirren oder Rauschen, das die Mikrofone und Pre-Amps erzeugt haben sollen. Diese Funktion gefällt mir sehr gut! Setzt man sie dezent ein, färbt das Rauschen den Klang angenehm und fügt eine subtile, warme Atmosphäre hinzu. Dreht man den Mic-Noise Regler auf den maximalen Wert, hört man das Rauschen deutlich, für einen „dirty Vintage-Sound“ genau das richtige. Hier drei Beispiele dazu:
Über die Umgebung des „Mutterschiffs Kontakt Player“ können darüber hinaus Einstellung bezüglich Stimmung (in Cent), MIDI-Kanal und Output Routing gemacht werden. Kontakt oder der Kontakt Player können nämlich in einer DAW auch als Multioutput Instrument geöffnet werden, dessen vielfache Ausgänge auf verschiedene Spuren des Mixers adressiert werden können.
Wer sein RAM entlasten möchte, der kann mit der Funktion „Purge“ alle Samples, die in einer abzuspielenden MIDI-Spur nicht gebraucht werden, aus dem Arbeitsspeicher entfernen und auch wieder hinzufügen, sollte man später doch noch Noten hinzufügen wollen.
Resourcen Hunger
Alicia’s Keys liegt hier im Mittelfeld des Branchenüblichen. Wer größere Produktionen fährt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass Alicia’s Keys kein kleiner Fisch ist. Aber andererseits auch kein RAM-Fresser. Ein aktueller, leistungsfähiger Rechner sollte aber schon vorhanden sein.