Schon beim ersten Aufrufen der B4 II wird deutlich, dass sich bei der optischen Gestaltung im Vergleich zum Vorgänger nichts Grundlegendes geändert hat. Warum auch, denn authentischer und schöner konnte man eine Hammond bzw. Orgelsimulation nicht präsentieren. Alle optischen Leckerbissen einer echten Hammond, von der typischen Bedienung der Zugriegel, der Anordnung der Percussion- und Vibrato- Regler bis zum Holzfurnier, sind originalgetreu nachempfunden und lassen einmal mehr das Gefühl aufkommen, Herr über eine waschechte Hammond zu sein. Und das, bevor überhaupt der erste Ton erklungen ist. Die neuen Features sind erst einmal wenig offensichtlich. Für den Neukunden erscheint alles so, als wäre es schon immer da gewesen.
Die Neuerungen „verstecken“ sich in allerlei Fenstern und neuen Reglern: hier ein Modus mehr und da ein überarbeitetes Menü. Wie gut, dass NI auf ihrer Webseite dem User behilflich sind und die neuen Merkmale auflisten, sonst würde ich an mancher Stelle ein wenig hilflos das alte Spiel mit den zwei vermeintlich gleichen Fotos spielen: „Finde den Unterschied…“
Im Vergleich zur Ur-B4 sind die Unterschiede schon eklatant, obgleich man auch mit diesem Instrument bis heute sehr gut musizieren kann. Der Hammond-Spezi aber kommt erst mit der neuen B4 II so richtig in Wallung, da sich nun alle erdenklichen virtuellen Parameter der Hammond verändern und in Beziehung setzen lassen – Parameter, die es in der Realität gibt und solche, die es bei einer Hammond nicht gibt oder gab. Oder hat jemand schon einmal die Anschlags-Velocity an seiner Hammond justiert? (Wenn man bei einer Hammond überhaupt von einer Velocity sprechen kann, dann ist es das sensible Ansprechverhalten, welches es erlaubt, beim langsamen Anschlag das Einsetzen der verschieden Pitches hörbar zu machen.)
Insgesamt stehen 22 verschiedene Orgeln (Tonewheels) und 13 Kabinetts zur Auswahl bereit. Kein Studio der Welt hatte oder hat ein solch üppiges Angebot zu bieten. Wohl dem, der bei derartigem Soundangebot einen kühlen Kopf behält und schnell und sicher die passenden Klänge für seinen Song findet.
Für manchen User bietet die neue B4 II schon fast wieder zu viel des Guten, aber es liegt in der Natur des Entwicklers, alles technisch Mögliche in seine Entwicklung mit einfließen zu lassen (besonders natürlich bei der Software-Entwicklung).
Manchmal leidet aber gerade die Kreativität und Individualität unter dem Überangebot an virtuellen Möglichkeiten. Wurde einst ein charakteristischer Sound einer Produktion oder Band durch die oft beschränkten Möglichkeiten der Bandmitglieder oder der Studioausstattung geprägt, besitzen heute die meisten Produzenten alle virtuellen Möglichkeiten, und man wundert sich, warum die Produktionen keinen individuellen Sound mehr besitzen. So hat folgender Satz bis heute nichts von seiner Bedeutsamkeit verloren:
Man kann mit Weniger, das man bestens beherrscht, mehr erreichen,
als mit Viel, dessen Eigenschaften man nur oberflächlich kennt.
Für die Betrachtung der Details, setze ich nun voraus, dass der Leser willens ist, sich mit den geballten Features einer B4 II auseinander zu setzen. Beginnen möchte ich mit einem kleinen Drawbar-Tutorial, um das Prinzip der Zugriegel zu verdeutlichen.
Kleine Einführung in das Drawbar Prinzip
Die Bezeichnungen der einzelnen Drawbars (oder zu Deutsch „Zugriegel“) stammen ursprünglich aus dem Instrumentenbau der Pfeifenorgel. Ein Register einer mechanischen Pfeifenorgel wird mit einem Zugriegel aktiviert, “gezogen“ und die Bezeichnungen am Registerzug, Name und Fußmaß beschreiben prinzipiell nichts anderes als die Größe der einzelnen Pfeifengruppen. Je größer die Pfeife, desto tiefer ist der erklingende Ton. Das Häkchen hinter den Bezeichnungen, z.B. 16´ ist eine Kurzform für 16 Fuß, einer alten Längeneinheit, die wir auch heute noch z.B. in der Luftfahrt finden. Die tatsächliche Länge in cm variierte im Mittelalter noch beträchtlich von Region zu Region und wurde bekanntlich erst durch die napoleonischen Kriege in Europa durch die feste Längeneinheit Meter abgelöst. Heute entspricht 1 Fuß exakt 30,48 cm. Jeder kann sich nun selbst ausrechnen, wie gewaltig eine Orgelpfeife ist, die bis zu 64´ groß sein kann (ca. 19m). Da benötigt man schon eine etwas größere „Kapelle“.
Das Drawbar-Prinzip kopiert also diese Größenverhältnisse. Somit klingt ein „C“ 8´ genau eine Oktave höher als ein „C“ 16´usw.
Die Grundregistraturen 16´, 8´, 4´, 2´,1´ fügen dem Klang dementsprechend jeweils Oktaven hinzu. Die restlichen Drawbars 5 1/3´, 2 2/3´, 1 3/5´und 1 1/3´ ergänzen den Klang um Quinten und im Fall von 1 3/5´ um eine Terz und sind als selbstständige Registraturen nur bedingt brauchbar. Sie ergänzen die Grundregistratur vielmehr um Obertöne.
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Die Oberton-Zugriegel machen als Soloregister nur selten wirklich Sinn, da es sich um einen Quint- und einen Terz-Klang handelt. Sie entfalten sich erst in der Kombination mit einem Grundton und machen den Klang obertonreicher.
Spiele ich eine Melodie oder Akkorde, mischt das menschliche Ohr den Dreiklang
zu einer Soundfarbe, und die einzelnen Intervalle sind nicht mehr direkt auszumachen.
Die Stärke der Drawbar-Klangreglung liegt also in ihrer Variabilität, und für einen bestimmten Sound müssen längst nicht immer alle Oktavriegel voll gezogen werden. Durch den Dreh am Zugriegelparameter wird das Level des Registers lauter bzw. leiser, und so lassen sich beinahe unendlich viele Registraturen einstellen.
Das Manual-Menü
Das Manual-Menü ist sehr überschaubar und deshalb für den Einsteiger am besten geeignet. Es wird den meisten recht familiär erscheinen, da es die Optik und die Parameter zeigt, die eine echte Hammond zu bieten hat: ein Doppelmanual mit jeweils fünf Oktaven. Die invertiert kolorierten Tasten rechts daneben sind wie beim Original für den Wechsel der Presets zuständig. Und zur Verwaltung von 120 Presets hat man der B4 II ganz rechts neben dem Obermanual noch ein Soundbank-Drehpoti spendiert.
Die zwei Schalter unten links unter dem Manual zeichnen für die Rotation slow/fast und Brake Stop/Run verantwortlich. Die Funktion „Brake“ steht für das abrupte Abbremsen der Leslierotation. Die zwei Potis für Reverb- und Distortion-Anteil rechts unter dem unteren Manual sind ebenfalls im Corporate-Design der NI-Oberfläche dargestellt. Habe ich am Original aber so noch nie zu Gesicht bekommen.
Die Percussion- und Vibrato-Taster sind ebenfalls an den jeweiligen Originalpositionen untergebracht.
Das Organ-Menü
Hier wird es nun ein wenig spezieller, und ich persönlich hätte den Namen Cabinet/Amp-Menü fast treffender gefunden, da es sich fast nur um Parameter handelt, die auf den Amplifier- bzw. Cabinet-Sound einwirken. Alle folgenden Fenster haben eine Zweiteilung gemein. Die für die Registratur spezifischen Parameter sind in der unteren Hälfte des Fensters untergebracht, in der oberen Hälfte parken die für das Menü spezifischen Parameter. Das macht gerade beim Editieren richtig Sinn, da man die Menüs für Veränderungen an der Registratur nicht ständig wechseln muss.
Im Vergleich zur “alten B4” kommen Organ-Menü bei der B4 II zwei für den Sound äußerst wichtige Parameter hinzu. Der Tube-Amplifier, der neben dem Distortion-Anteil nun auch noch eine Klangregelung hat, und eine Kabinett-Sektion, in deren Fensterchen man verschiedene Cabinets auswählen kann. Die jeweilige Mikrofonposition kann hier frei verändert werden. Wer einen speziellen Sound sucht, braucht hier schon etwas Fingerspitzengefühl oder Studio-Erfahrung, um mit der richtigen Positionierung den gewünschten Effekt zu erzielen.
Im Panel rechts oben sind die Regler für den Key-Click, die Velocity sowie Leakage untergebracht. Bei Letztgenanntem handelt es sich um ein elektronisches Übersprechungsproblem der Kondensatoren alter Hammond-Modelle (besonders vor 1964), welches sich durch das meist dissonante Mitklingen benachbarter Tonräder äußert.
Das Expert-Menü
Hier können die Percussion-Effekte und das Vibrato stufenlos eingestellt und variiert werden. Das kenne ich aus meiner Praxiserfahrung mit einer echten Hammond in dieser Form ebenfalls nicht. Aber die „Virtual Reality“ macht es möglich, und für manchen Song kann es durchaus sinnvoll sein, diese Einstellungen stufenlos regeln zu dürfen. Nicht mit aller Konsequenz durchdacht empfinde ich dann allerdings den Umstand, dass sich ein gewählter Parameter wie beispielsweise „Harmonic Percussion“ nicht mehr durch den „Harmonic Percussions“-Taster aufrufen lässt, wenn er den Wert der Terz über- oder den Wert der Sekunde unterschreitet. Das Original würde hier vielmehr nur zwischen Third und Second hin- und herwechseln. Damit ist ein schneller Wechsel beim Live-Spiel mit diesem Parameter-Feature passé. Dies gilt auch für die Einstellungen für „Percussion Volume“ und „Percussion Delay“. Gehalten werden die Einstellungen lediglich mit Percussion On/Off.
Reverb
In der B4 II ist das Reverb zu einem echten Effektgerät geworden. Man hat die Wahl zwischen zwei Hall-Algorithmen, Spring und Studio-Hall. Beide lassen sich in den Parametern Time, Size, Bright und Pre/Post editieren.
Rotor
Richtig klasse finde ich das neue Panel für die Rotorsteuerung. Hier können auf Wunsch zwei Rotoren, Treble und Bass, verknüpft werden. So lassen sich schöne und unkonventionelle Schwebungen einstellen. Sie machen den Sound richtig breit, und das kann gerade für Orgel-Layer ideal sein!
Orgel Typen
Im Tonewheel-Fenster kann sich der Produzent nun seine spezielle Hammond auswählen,
Alter und Grad des Verschleißes inbegriffen. Neben der Hammond stellt NI noch die Vox Continental mit einigen Variationen und eine Farfisa zur Verfügung. Selbst eine Harmonium-Emulation ist zu finden, die aber meiner Meinung nach nicht so richtig in die Riege der ansonsten auszuwählenden Orgeln passt und vielleicht ein wenig augenzwinkernd dem Spieltrieb der Entwickler Tribut zollt. Vorbei also die Zeiten, in der die Entscheidung für ein Studio nur nach dem Typus der Orgel gefällt wurde.
Das Preset-Menü
Die B 4 II von Native Instruments hat, neben den enormen Möglichkeiten, Soundveränderungen vorzunehmen, 120 überschreibbare Preset-Speicherplätze. Hier ist für jeden Musikgeschmack und Stil etwas zu finden, und die Namen der Presets verraten natürlich bereits, wo die Reise klanglich und stilistisch hingeht.
Macht man sich den Spaß und hört die Presets mit Hilfe der Audition-Funktion durch, stellt man fest, dass der User einen bestimmten Sound gar nicht mehr so viel editieren muss, hat er erst einmal sein Wunsch-Preset gefunden. Geordnet in Bänken, sind die Sounds in jedem Menü-Fenster über das Dropdown-Menü im Preset-Namensfensterchen auszuwählen oder zur besseren Übersicht auch in einem eigenen Menü-Fenster, dem Preset-Menü. Mit der Audition-Funktion am unteren linken Fensterrand kann der User das ausgewählte Preset mittels drei verschiedener MIDI-Files vorhören. Das hilft bekanntlich bei der Suche. Hier kann man auch seine Sounds umbenennen und abspeichern.