Praxis
Die Soundqualität der B4 II macht dem Ruf der Firma Native Instruments alle Ehre und bestätigt somit die Poleposition, die sie in der Liste der Orgel-Emulationen einnimmt.
Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich trefflich streiten, aber diese Orgelsimulation hat wirklich für jeden Geschmack den passende Sound parat. Mit Hilfe der vielen Parameter kann der Ton der Sounds vom unauffälligen Layer bis hin zum „Screaming“-Solosound editiert werden – und ist zum Teil auch bereits als Preset zu finden.
Das macht echt Laune!
Die digitale Reproduktion einer elektromechanischen Orgel wie der Hammond B3 gehört wirklich zu den Königsdisziplinen. Einfacher gelingt dies natürlich bei so genannten phasenstarren Instrumenten wie einer Transistororgel. „Phasenstarr“ bedeutet, dass die Tonerzeugung im Gegensatz zur elektromechanischen Orgel immer mit einem Nulldurchgang beginnt. Deshalb klingen Farfisa und Vox Continental, zwei Orgeltypen, deren Sounds bei Songs vieler Bands der 60er Jahre (besonders signifikant bei „The Doors“) zum Einsatz kamen, wirklich absolut authentisch. Aber sie sind im Gegensatz zur Hammond auch einfacher zu emulieren.
Die fehlende typische Oberflächengestaltung dieser Orgelvertreter in der Software kann nur als kleiner Wermutstropfen bezeichnet werden und spiegelt auch ein wenig den Stellenwert dieser Sounds wider. In der B4 II geht es eben vornehmlich um Hammond-Sounds. Der Rest ist Beiwerk, das ich für die wenigen Gelegenheiten bei Studio-Produktionen aber trotzdem dankbar annehme.
Für sehr, sehr spezielle Fälle sind die verstimmten Tonewheels gedacht. Hier soll das Alter des Instruments simuliert werden. Von „fabrikneu“ bis „Jahrzehnte lang auf der Bühne eingesetzt“, heißt es auf Natives Internetseite. So variieren 10 Tonewheel-Stimmungen von 436 bis 452 Hz. Die Existenz dieser Stimmung ist zweifelsohne richtig, aber man möge mir einen wohl gesonnenen Kommentar zu diesem Testbericht schreiben, wann und wie ein Sound mit einer Stimmung von 452Hz zum Einsatz kommen soll…
Hätte an dieser Stelle nicht auch eine Möglichkeit zum Fine-Tuning gereicht, da die Stimmung in sich doch recht gleich bleibt?
Das Harmonium-Tonewheel ist meiner Meinung nach eher als Gimmick zu verstehen, da ich nicht so recht verstehe, wie dieses Instrument in dem Zusammenhang mit einer Software Einzug halten konnte, die elektronische Orgeln simuliert. Schließlich bietet die B4 II ja ohnehin die oft vernachlässigte Möglichkeit, die Software als FX-PlugIn zu nutzen. Auf diese Art ist sie als Effekt-Plug für diverse Sounds äußerst dienlich. Aber auch das indische Harmonium versprüht seinen eigenen Reiz und wird gerade in der Kombination mit anderen Parametern Einzug in die ein oder andere Produktion finden.
Stück für Stück kommt man den Originalen immer einen Schritt näher.
Das lässt mich aber noch nicht so intensiv ins Schwärmen geraten, dass ich meine Hammond auf den Müll werfen würde. Aber ich muss zugeben, dass ich in mehr als 90% der Fälle im Studio das gute Stück gar nicht mehr anschmeiße, sondern für den gewissen Hammond-Sound in Produktionen gerne auf das PlugIn zurückgreife. Selbstverständlich, und das sei den Sperrmülljägern vor meiner Haustüre gesagt, bleibt das Original bei einer akustischen Produktion unerreicht und wird selbst bei leerem Kühlschrank und kränkelndem Bank-Konto noch in meinem Studio zu finden sein.
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Speaker Cabinets
Die Sammlung der Speaker-Cabinets ist mit 13 Variationen sehr umfangreich geworden. Man möge mir deshalb verzeihen, dass ich nicht jeden Vergleich zu den Originalen parat habe. Tatsache ist aber, dass die unterschiedlichen Modelle alle einen sehr eigenen Klang besitzen und die gewählte Registratur in Verbindung mit dem Tonewheel enorm bereichern. Hier fließen sicherlich Native Instruments Erfahrung mit Amp/Speaker-Simulationen des Guitar Rig ein.
Video
Im folgenden Video möchte ich den Einfluss der verschiedenen Cabinet/Mikrofon- und Amplifier-Einstellungen verdeutlichen.
Die B4 II als Effektgerät
Wie bereits angesprochen, wird meiner Meinung nach allzu oft vergessen zu erwähnen, dass die B4 im Studioalltag sehr gut als FX-PlugIn genutzt werden kann. In Verbindung mit gänzlich anderen Sound-Genres lassen sich so sehr interessante und schöne Klänge entwickeln.
Im folgenden Beispiel wird die Effektsektion der B4 vom Rhodes angesteuert. Zunächst erklingt das E-Piano clean, dann wird im Verlauf des Beispiels der Rotation Effekt mit den Einstellungen “Slow” und “Fast” eingesetzt. Später kommt noch der Distortion-Effekt dazu. In der FX-Variante der B4 II lassen sich alle vorhandenen Cabinetts und Amps nutzen, damit ist die B4 auch ein Amp-Modeller!
Tube Distortion
Die Reproduktion der analogen Röhrenverzerrung hat mich bis heute noch an keiner Stelle richtig überzeugt. So betrat schon mancher Gitarrist die Bühne, stolz ob seines neuen kleinen Backline-Bestecks, mir versichernd, dass sein Amp die Krone des Modelings darstelle und dass das Schleppen von Röhrenverstärkern nun endgültig der Vergangenheit angehöre. Und so nahm das Unglück seinen Lauf. Wenn auch die Teile bis zu einem gewissen Grad Erstaunliches leisten, nervt die fehlende Wärme, die detaillierte Obertonstruktur sowie der fehlende Druck, der im Laufe des Geschehens dann doch irgendwann durch noch mehr Lautstärke kompensiert wird.
Ampsimulation/Drive
Auch der Drive der Ampsimulationen der B4 klingt bis zu einem gewissen Grad
richtig gut, aber man testet im Studio auch immer mit einer „normalen“ Lautstärke. Wird eine Produktion dann aber mal richtig aufgerissen oder kommt es zum Showdown auf der Bühne, klingt das Drive-Modeling meist aufgesetzt. Eher wie die Hülle eines reproduzierten Verzerrergeräusches, die sich nicht richtig mit den Tönen verbinden mag. Dafür möchte ich ein kleines Beispiel beisteuern. Im Folgenden spiele ich drei Akkorde – zuerst ohne Drive und danach mit 2/3 Drive-Anteil.
Die Akkorde klingen durch den Drive-Anteil plötzlich verstimmt und steril, und dabei handelt es sich ausdrücklich um einen Preset-Sound der Software. Ich finde gerade in dieser Sparte gibt es für die Entwickler noch eine Menge Herausforderungen. Wen wundert’s, dass auch Tony Monaco (der nette Mann mit dem schönen Hawaii-Hemd) im Native Instruments Namm Show Video auf der NI-Webseite in erster Linie auf cleane Hammond-Sounds setzt.
Nun möchte ich hier die Kirche im Dorf lassen und betonen, dass besagter „Drive“ für viele Produktionen prima einsetzbar ist und man für den richtigen „Rumm´s“ auch andere Lösungen finden kann.
Die B4 in meinem Set-Up
Die B4 II erweist sich im Studio wie auch auf der Bühne als verlässlicher Partner. Sicherlich wird das Tool im Studio-Betrieb häufiger zum Einsatz kommen, da sich die Qualität der konkurrierenden Hardware-Keyboards mit Orgel-Emulationen in den letzten Jahren stark verbessert hat.
In meinem Bühnen-Setup ist die B4 seit Anfang des neuen Jahrtausends ein fester Bestandteil – in Verbindung mit einem normalen iBook im Stand-Alone-Betrieb. Wenn der Keyboarder nicht der Hauptakteur auf der Bühne ist, ist die B4 ein zuverlässiger Lieferant, wenn es um Hammond-Sounds geht. Sei es als Backup für den fehlenden zweiten Gitarristen oder für den ein oder anderen Solo-Moment.
Bekommt das Hammond-Spiel live mehr Gewicht, sollte man in jedem Fall sein Setup so vernetzen, dass man die Sounds ohne digital modulierte Verzerrung programmiert und die Summe anschließend durch einen echten Röhrenamp jagen. Auf diese Weise lassen sich erstaunliche Ergebnisse erzielen, und man umgeht die digitalen Unzulänglichkeiten, ohne auf die Vielfalt der Soundmöglichkeiten verzichten zu müssen. Mit einem geeigneten Controller-Keyboard lassen sich alle Parameter der B4 II ansteuern. So sind zum Beispiel die Controller einer Hammond XK3 MIDI kompatibel mit der B4 II. Aber es muss bei Leibe nicht so ein wertvolles Keyboard sein, welches ohnehin bereits eine eigene Orgel-Emulation besitzt.
Set-Up Menü
Einstellungen zu Anpassungen bezüglich externer Controller sowie Transponierungen und Anordung von Drawbarsektionen nimmt man im Set-Up Menü vor. Hier lassen sich natürlich aich User-Sets abspeichern.