Praxis
Erster Eindruck; Instrumente & Presets
Die beste Strategie ist und bleibt, sich einfach hineinzustürzen – und genau das mache ich: Presets aller Art laden, Felt, Pure, Particles, Grand Piano – egal. Ein mir bekanntes Gefühle bestätigt sich dabei wieder einmal: Ich bin kein Fan von Yamaha-Flügeln. Das bezieht sich explizit nicht auf diese Library, sondern das ist mein persönliches Empfinden. Von daher ist die Tatsache, dass ich mit dem Pure-Instrument nicht so viel anfangen kann, eine klare Geschmackssache meinerseits, während es anderen da genau umgekehrt gehen mag, denn die klangliche Abbildung ist ohne Frage super. Die Felt-Variante gefällt mir allerdings sehr gut.
Die Presets machen beim Testen ebenso viel Spaß wie Sinn, denn so lernt man die Möglichkeiten des Instruments schnell kennen. Davon abgesehen, spiele ich noch mit den beiden Reglern Color und Tonal Shift herum. Beide sorgen im Grunde genommen für denselben Effekt, der Ton wird entweder weicher, wattiger, dunkler, oder härter, heller, crisper. Die Effekte arbeiten jedoch auf unterschiedliche Arten: Während unter Color verschiedene Samples angesteuert werden, ändert Tonal Shift die Playback-Geschwindigkeit der Samples. Durch diese unterschiedlichen Verfahrensweisen hat derselbe Effekt grundverschiedene Timbres.
Piano Tab & FX; Pedale, Obertöne, und und und
Jetzt geht es ans Finetuning. Piano Tab und FX halten so einiges bereit, um dem Sound Leben einzuhauchen. Ein drastisches, aber amüsantes Werkzeug ist natürlich der Attack-Regler. Unnötig zu sagen, dass man damit etwas herstellen kann, das so ähnlich wie gestrichene Saiten klingt. Ein Klavier-Pad herzustellen, ist also schon mal easy. Die Overtones arbeiten etwas subtiler, machen aber auch einen guten Job. Wie gewünscht wird der Klang heller und etwas glockiger. Das wird mir beim Pure-Instrument schnell etwas zu viel des Guten, aber bei der Felt-Variante ist das sehr willkommen, um im Zweifelsfalle schnell gegensteuern zu können. Und natürlich kann man die Overtones, wie auch jeden anderen Parameter, per CC-Befehl steuern, also Oberton-Fahrten einbauen, und dadurch tun sich wiederum viele interessante musikalische Möglichkeiten auf.
Geräusche gibt es verschiedene, zum einen die üblichen, klaviereigenen Sounds: Pedalgeräusche, Geräusche von Hämmern und Filz. Das klingt alles fein und außerdem sehr facettenreich: Sei es als subtiler Effekt, der dem Sound eine gewisse Patina verleiht, oder als eher drastischer Effekt, der das Instrument klingen lässt, als hätte es 50 Jahre lang in einer alten Scheune gestanden, in der es durchs Dach regnet. Dann gibt es tatsächlich Geräusche, die vomPianisten ausgehen. So was habe ich bisher noch nirgendwo vorgefunden, aber hey, warum nicht? Ich bedaure zwar, dass der Pianist niemals anfängt, wüst zu fluchen, nicht mal dann, wenn man den Regler auf Anschlag stellt, aber das Geknarze der Klavierbank hat auch was. Und dann wären da noch die Geräusche der Aufnahmeumgebung, sprich: Saal-Atmo, Bandrauschen, Mikro-Brummen, Vinyl-Geknister. Das gefällt mir auch sehr gut, zumal die Geräusche konsistent durchrauschen und nicht an den Anschlag der Töne gekoppelt sind. Das bedeutet, Noire ist auch eine feine Geräuschquelle für Projekte, für die man das Klavier an sich gar nicht braucht.
Da in der Neoklassik ja eine weiche Klangästhetik im Vordergrund steht, macht es natürlich Sinn, den Bässen besondere Aufmerksamkeit zu schenken, hier geschehen durch z. B. Tonal, Depth, Low Keys und Sub. Tonal Depth macht den Ton in meinen Ohren fülliger und verleiht ihm dadurch mehr Tiefe. Eine weitere Möglichkeit ist, per Low Keys alle Töne unterhalb von C1 hochzupegeln, was ebenfalls für einen wärmeren, wattigeren Klang sorgt, wenn auch auf eine andere Weise. Und wem das alles noch nicht genügt, der kann per Sub ein extra aufgenommenes Sub-Signal beimischen, das wahrlich spektakulär klingt und ein weiteres Werkzeug darstellt, mit dem sich der Klang ordentlich verdrehen lässt. Ich mag so was. Wenn man es schon artifiziell macht, dann doch bitte mit allen Schikanen? Außerdem kann man festlegen, in welcher Range die Sub-Signale arbeiten sollen. Die Klanggestaltung funktioniert also ausgesprochen feinmechanisch. Sollte man eher nach dem Gegenteil Verlangen haben, also den Klang anzuspitzen, ist der Transienten-Regler ein gutes Werkzeug. Lange Rede kurzer Sinn: Es gibt für beide Richtungen mehrere Werkzeuge (Klang dunkler oder heller werden lassen), die sich leicht unterschiedlich verhalten und demnach auch zu leicht unterschiedlichen Ergebnissen führen.
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Next Level Shit; die Particle-Engine
Um es vorweg zu nehmen: Die Particles-Engine klingt sensationell. Ich hatte ja schon berichtet, dass sie so ähnlich wie ein Chaosdelay funktioniert. Aber natürlich ist sie wesentlich spezieller. Das geht schon damit los, dass man aus verschiedenen Quellen für den tonalen und den geräuschhaften Anteil der Particles wählen kann. Alsdann lässt sich das Timbre, die Attack, die Dichte und der Variantenreichtum der Particles sowie die Decay einstellen. Das generelle Verhältnis von reinem Pianoklang zu Particles oder aber verschiedene Algorithmen zur Particles-Generierung – die Möglichkeiten sind endlos und reichen vom übersichtlichen Delay bis hin zum vollständigen Soundgewaber. Ich habe so etwas in dieser Form noch nie gehört und schätze es insbesondere als kompositorische Möglichkeit. Denn auch hier – Überraschung – lassen sich sämtliche Parameter per CC-Befehl automatisieren, was bedeutet, dass sich das Particle-Verhalten innerhalb eines Stücks drastisch ändern lässt. Dadurch wird es auch als vollwertiges Gestaltungsmittel interessant, das weit über den bloßen Effekt hinausgeht. Alle bisher besprochenen Werkzeuge haben Noire ja schon allein zu einem interessanten Kandidaten für Klavierwelten jenseits des Standards gemacht, aber die Particles-Engine macht es erst so richtig einzigartig.
Neoklassik im Weltraum; Delay & Reverb
Es bleiben Reverb und Delay. Zu beiden gibt es nicht unendlich viel zu sagen, denn deren Funktion unterscheiden sich nicht weiter von allen anderen Reverbs und Delays. Hervorheben möchte ich die Tatsache, dass der Reverb zwei verschiedene Arten der Reverb-Generierung bietet: Convolution und Algorithmik. Das istwirklich fein, zumal auch beide gut klingen und der algorithmische Reverb einen Regler für Modulation bietet.
Delayarten gibt es fünf, die sich ebenfalls alle recht drastisch in der Grundanmutung unterscheiden und die ebenfalls alle sehr gut klingen. Was ich mag, aber vermutlich nicht jedermanns Sache ist, ist die Tatsache, dass es keine festen Werte (Halbe, Viertel, Achtel) für das Delay gibt, sondern nur einen Regler für Millisekunden. Das macht die Einstellung für ein notenwertgenaues Delay auf der einen Seite zwar schwieriger, für die kreative Soundgestaltung auf der anderen aber umso hilfreicher. Überhaupt würde ich diese beiden eingebauten Effekte in erster Linie zur Soundgestaltung an sich verwenden. Geht es um einen speziellen Hall-Raum oder um ein besonderes Delay, greift man ja eh zu den üblichen Verdächtigen. Aber um den Grundklang auf interessante Weise zu formen, sind diese beiden Kandidaten schon sehr gut.