Kurz vor Jahresende kommt der Streaminggigant Spotify mit der nächsten kruden Neuerung seines Abrechnungsmodells um die Ecke. In Zukunft werden Songs nur noch dann vergütet, wenn sie jährlich mindestens 1000 Streams vorweisen können. Und neue Songs werden erst ab dem tausendsten Stream vergütet, was meint, dass euer Track im krassesten Fall 999 mal kostenlos gestreamt werden wird, bevor ihr für Stream 1000 die ersten 0,03 Cent erhaltet. Branchenverbände wie Pro Musik oder der VUT laufen Sturm, die Musiker/innen posten weiterhin unterwürfig ihr Spotify Wrapped. Die Major Plattenfirmen freut es, denn die 40 Millionen US-Dollar, die Spotify an kleine Künstler/innen nicht mehr auszahlt, werden nach oben umverteilt.
Bevor wir uns mit den Einzelheiten den Neuerungen des Spotify Abrechnungsmodells auseinandersetzen, möchte ich einen kurzen Rundumblick zu Spotify geben.
Spotify Status Quo – Wie wird vergütet?
Musiker/innen sind einiges von Spotify gewöhnt. Seit Jahren wird ein anderes Bezahlungsmodell für Streams diskutiert und gefordert. Weg vom bisherigen Pro-Rata-System, wo nicht nur nach Stream, sondern auch nach Bekanntheit vergütet wird, hin zum User-Centric-Bezahlmodell, wo das Geld der Hörer/innen direkt und ausschließlich an die gehörten Künstler/innen gezahlt wird. Die Schere, mit Musikstreaming Einnahmen generieren zu können, ist bereits weit offen. Für wenig gestreamte Künstler/innen bleiben die Einnahmen oft auf Taschengeldniveau, für die großen Player haben sich Musikstreams zur Haupteinnahmequelle gemausert. Zur Erinnerung: Pro Stream gibt es zwischen 0,03 und 0,05 Cent. 1000 Streams generieren 3,39 € . Die Produktion eines Songs kostet gerne mal 1000 €. Was ca. 300.000 Streams bedeutet, um nur die Kosten zu decken.
Spotify 2023 zum ersten Mal in den schwarzen Zahlen
Im dritten Quartal 2023 schreibt Spotify zum ersten Mal schwarze Zahlen und weist, laut dem Finanzmagazin Capital einen Gewinn von 32 Millionen Euro aus. Seit seiner Gründung 2006 war Spotify immer im Minus. Was Spotifys CEO Daniel Ek trotzdem nicht davon abhielt, 2021 100 Millionen in ein Münchner Unternehmen, welches KI für den militärischen Einsatz entwickelt, zu investieren und sich auch gleich selbst in den Vorstand wählen zu lassen. Wird jetzt bei Spotify gefeiert? Nein, lieber entlässt das Unternehmen laut Spiegel ein Fünftel seiner Belegschaft (1.500 Menschen), um die Kosten weiter zu drücken und die extrem hohen Ausgaben für Promi-Podcasts, wie den von Prinz Harry und Meghan Markle, auszugleichen.
Schöne neue Welt – Survival of the fittest
Natürlich sind die Fakten hier von mir verdichtet und verkürzt zusammengestellt worden und natürlich hat auch Spotify ernste wirtschaftliche Beweggründe für sein Handeln. Steigende Zinsen machen Verluste unattraktiv und Investoren verlangen eine schnellere und höhere Profitabilität. Vergessen wir nicht, wir befinden uns „im Turbokapitalismus at it’s best”, so der Verband Pro Musik, und da geht es um ein Survival of the fittest. Darwin lässt grüßen. Und auch die Hörer/innen werden nicht verschont. Ab 2024 steigen die Abopreise um bis zu 3 Euro pro Monat. Warum davon noch weniger als bisher bei den kleinen bis mittelgroßen Musiker/innen ankommen wird, schauen wir uns jetzt an.
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Spotify – Neuerungen ab 2024
So wird das Abrechnungsmodell von Spotify angepasst.
1. Songs werden nur noch vergütet, wenn sie jährlich mindestens 1000 Streams generieren. Alle Monate vorher fallen aus der Zahlung heraus.
2. Songs sind erst berechtigt, vergütet zu werden, wenn sie zum ersten Mal überhaupt 1000 Streams insgesamt erreicht haben. Wobei alle Monate vor dem tausendsten Stream aus der Berechnung herausfallen.
3. Diese Mindestgrenze von Streams ist an eine vom Konzern geheim gehaltene Mindestanzahl an Hörer/innen gekoppelt.
4. Sollten gut gestreamte Songs mit der Zeit weniger gestreamt werden, können sie wieder aus der Vergütungsberechtigung herausfallen. „Die Beliebtheit von Songs kann sich im Laufe der Zeit ändern, sodass sie irgendwann vielleicht nicht mehr berechtigt sind.”, schreibt Spotify lapidar.
5. Die Erträge all der nicht vergüteten Songs, ca. 40 Millionen US-Dollar, werden an die nach den Kriterien des Unternehmens vergütungsberechtigten Künstler/innen verteilt.
Was bedeutet das für die Künstler/innen?
Wie kommt ein Unternehmen darauf, eine Leistung nicht bezahlen zu wollen? Ist das nicht eine Grundvoraussetzung im Kapitalismus? Leistung gegen Geld! Wobei die bisherige Vergütung eh schon knapp an der unteren Unverschämtheitsgrenze kratzt. Dr. Birte Wiemann vom VUT (Verband Unabhängiger Musikunternehmer*innen e.V.) schreibt im Pressestatement vom 15.11.23
„Seit wann darf der Lizenznehmende entscheiden, ob er die vertraglich vereinbarte
Bezahlung leisten will oder nicht? Zudem gibt es ein gesetzliches Recht auf angemessene Vergütung für jede wirtschaftliche Musiknutzung. Wenn Spotify diese nun vorenthalten will, ist das für uns nicht hinnehmbar. Das gilt umso mehr, da Spotify die betroffenen Tracks weiter anbieten will und der Schwellenwert willkürlich gewählt zu sein scheint”.
Richtig gelesen. Die Tracks, die unter die Bezahlgrenze fallen, bleiben natürlich auf der Plattform, damit Spotify weiterhin mit seinem riesigen Musikangebot werben kann.
Es könnte außerdem argumentiert werden, dass 1000 Streams ja nur knapp 5 Euro bedeuten.
„Dabei bleibt aber außer Acht, dass es Künstler*innen gibt, bei denen gleich mehrere Songs in ihrem Katalog nicht diese Schwelle erreichen. Diesen Artists fehlt dann insgesamt dennoch ein nennenswerter Betrag pro Jahr. Abgesehen davon hat es nichts mit Wertschätzung oder Respekt zu tun, eine künstlerische Leistung schlicht nicht mehr zu vergüten”. So Christopher Annen, Vorstandsvorsitzender von Pro Musik. Alles ist genau so, wie im Rest der Welt. Das Geld wandert immer nach oben.
Wie argumentiert Spotify?
Die jährliche Abrechnung von Songs unter 1000 Streams lohnt sich nicht. Genau wie andere Musikvertriebe oder Labels zahlt Spotify erst ab einem Mindestbetrag Geld an Künstler/innen aus. Songs, die weniger als 1000 Streams pro Jahr generieren, kommen nie auf diesen Mindestauszahlungsbetrag. Würden sie monatlich ausgezahlt, wären die Kosten für den Geldtransfer höher als die ausgezahlte Summe. Die Gelder werden auf Konten geparkt. Da haben sich jetzt „zig Millionen Dollar“ angesammelt. Geld, das „verloren geht, oder vergessen wird“. So Spotify. Und dieses Geld soll jetzt Künstler/innen, die „am meisten von Streaming-Einnahmen abhängig sind, zugutekommen“.
Spotify profitiert finanziell nicht von dieser Änderung. Es werden die gleichen 70 % der Einnahmen an Künstler/innen ausgezahlt, wie immer.
Zudem gibt es zwei positive Neuerungen. Geräusche, wie White Noise werden in Zukunft erst ab zwei Minuten Spielzeit vergütet.
Und Spotify will vermehrt gegen betrügerische Streams vorgehen. Mit der Vergütungsgrenze ab 1000 Streams sollen Betrüger, die große Mengen von 30 Sekunden langen Soundsamples hochladen und mit einer Masse an Kleinstbeträgen, die sich zu großen Summen hochrechnen, Kasse machen, ausgehebelt werden. Warum das nur so gehen soll und Spotify als modernes Tech-Unternehmen mit hochentwickelten Algorithmen keine anderen Möglichkeiten hat, betrügerische Accounts auszusortieren, will sich mir nicht erschließen. Pro Musik bezeichnet diesen Fakt als eine Farce und weist darauf hin, dass „der Streamingdienst durch seine Algorithmen und kuratierten Playlisten zu großen Teilen selbst in der Hand hat, welche Künstler*innen erfolgreich und sichtbar auf seiner Plattform sind.“ Es lebe der neu eingeführte „Discovery-Mode“, mit dem sich Spotify zusätzliche Sichtbarkeit bezahlen lässt.
Pro Musik startet eine Petition
Alles nicht so schlimm? Euch wird das nicht betreffen, da eure Streams durch die Decke gehen? Oder mit der „Da-kann-man-ja-nichts-machen”-Haltung lieber doch bunte Kacheln mit Turtur-der-Scheinriese-Zahlen – groß aus der Ferne, aber klitzeklein aus der Nähe – posten und weiter schöne neue Welt spielen? Ich jedenfalls habe die Nase gestrichen voll und möchte euch alle bitten, die von Pro Musik initiierte Petition zu unterschreiben, zu teilen und eure Mitmusiker/innen anzustiften, es euch gleich zu tun.
„Mit großer Sorge beobachten wir, dass die Pläne Spotifys bislang keinen größeren Aufschreiverursacht haben. Das liegt womöglich an der komplexen Thematik, an dem Vermischen mit weiteren, durchaus positiven Ankündigungen, sowie der vermeintlichen „Bagatellgrenze” von 1000 Streams. Spotify weiß um seine Marktbedeutung und dass Musiker*innen Angst haben, in der Industrie nicht stattzufinden, wenn sie ihre Musik dort nicht veröffentlichen. Diese Marktmacht erlaubt es dem Streamingdienst, Änderungen auch gegen Widerstände durchzusetzen. Spotify ist aktuell nicht nur der Streaminganbieter mit dem größten Marktanteil, sondern auch einer von denen, die am schlechtesten pro Stream bezahlen. Die Willkür der Grenze und die Kurzfristigkeit, mit der so weitreichende Änderungen vorgenommen werden, kritisieren wir ausdrücklich und möchten Musikschaffende und Verbände aufrufen, unseren Appell mitzuzeichnen und zu unterstützen.”
Danke, Pro Musik. Besser hätte ich es nicht formulieren können.
Hier geht es lang zur Petition
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Lian sagt:
#1 - 05.03.2024 um 14:49 Uhr
Bin da voll auf der Seite von Spotify und finde alle Änderungen sinnvoll. Dass der Dienst mindestens 10x besser läuft als andere anderen, spricht auch Bände; die sind nicht dumm. Kann das musikertypische Beschweren hier wiedermal nicht nachvollziehen, finde dass diese Energie besser investiert wäre, seine eigene Streamingsituation zu verbessern und freue mich, so wie viele andere, über die bessere Verteilung.