Praxis
Das Wichtigste zuerst: Das Mikrofon klingt phantastisch! Anders kann man es nicht ausdrücken. Ich hatte das TLM 107 zum ersten Test im Büro angeschlossen, selbst dort klang es mit Sprache schon wirklich hervorragend. Natürlich kann es zur einen oder anderen Stimme nicht passen, doch ist der Klang besonders für gesprochenes Wort schon so optimiert, dass es vielleicht noch einiger Kompression bedarf (und in manchen Fällen sogar auf EQing verzichtet werden kann!), dass man einen sehr professionellen Sprechersound hinbekommt. Schön ist besonders neben den präsenten, aber nie scharfen Höhen und der extremen Nähe des Klangs auch der trockene, kräftige Bass. Sehr nah besprochen macht sich der Nahbesprechungseffekt sehr deutlich bemerkbar, das sonst häufige Verschwimmen bleibt aber aus! Und noch etwas ist wirklich hervorragend: Das Neumann TLM 107 hat eine enorm geringe Anfälligkeit für Popplaute! Chapeau!
Als Sprechermikrofon kann es ordentlich punkten, mit Vocals blüht es sogar richtig auf. Besonders für Stimmen, die im Mix weit vorne sitzen sollen (das gilt also für den Großteil!), ist die Präsenz ein Segen. Gleichzeitig ist der Klang durch den Hochmitten-Dip nicht aufdringlich und kantig, ein Balanceakt, der wenigen Mikrofonen so gut gelingt. Gleiches gilt für den Umgang mit scharfen, harten Konsonanten. Besonders bei deutscher Aussprache sind oftmals die “S”-Laute problematisch, das TLM 107 schafft es bei allen getesteten Stimmen, diesen die Bissigkeit zu nehmen und sie groß und breit klingen zu lassen. Dies geschieht jedoch – und da kommt die angesprochene Balance wieder ins Spiel – ohne dass dem Signal auch ein kleines Stückchen seiner enormen Transparenz genommen wird: Das Neumann ist nämlich gleichzeitig voluminös und leichtfüßig. Zurückzuführen ist dies nicht zuletzt auf die wirklich gute Dynamik des Mikrofons.
Ich persönlich zähle das TLM 103, das TLM 170 R und das M 149 Tube zu den besten aktuellen Neumann-Mikrofonen. Klanglich (und auch aufgrund der Flexibilität) zählt das TLM 107 nach diesem Test dazu. Dabei füllt es für den Vocal-Einsatz durchaus eine Lücke: Während das 170 R schnell zu neutral und akribisch vorgeht und das 149 dem Signal immer seinen edlen Hauch und seine harmonische Anreicherung mitgibt, bleibt das 107 zwar präzise, ist aber dennoch ein “Nachvorneholer” für das Signal. Die Überhöhung im Frequenzgang bei ca. 12 kHz sorgt eher für ein wenig Frische im Signal, als tatsächlich als Anhebung aufzufallen.
Ich fühle mich manchmal auch an das kleine U 89 erinnert – 107, 170 und 89 verwenden übrigens jeweils nicht mittenkontaktierte Kapseln. Vom Neumann-Ingenieur, der das TLM 107 geplant hatte, war aber zu erfahren, dass das Kapseldesign auf das des ersten Neumann-Digitalmikrofons D-01 aufbaut. Bezüglich der Konstanz der Richtcharakteristik zeigt sich das 107 als unproblematisch, lediglich mit den für Doppelmembran-Mikrofone typischen Besonderheiten, besonders der zu hohen Frequenzen achterähnlich werdenden Kugel, muss man rechnen.
Selbstverständlich sind die beschriebenen Eigenschaften auch den anderen Aufgaben zuträglich, die ein Großmembran-Kondensator-Mikrofon bekommen kann. Für die Instrumentalaufnahme sind besonders die umschaltbaren Charakteristika von Vorteil, genauso aber die Erweiterung der Dynamikgrenze und die Beeinflussung des Bassbereichs mittels Sperre. Letztere, also das Hochpassfilter, arbeitet in beiden Settings äußerst akkurat und stört auch nah an der Grenzfrequenz nicht mit Welligkeit.
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Ich habe mich bei der Beschreibung unter Details vorhin schwer in Zurückhaltung geübt. Das hat zwar funktioniert, doch will ich jetzt Klartext schreiben: Ich kann die Entscheidung für die Joysticksteuerung nicht verstehen. Ich halte es für Unfug und habe auch sehr viele Gründe für meine Einstellung. Es ist mir schleierhaft, wie hier die wenigen Vorteile die Nachteile des neuen Systems ausgleichen sollen. Ich beginne mit den Vorteilen: Das neue Navigationselement mit den anzeigenden LEDs leuchtet. Alle Settings können mit einem einzigen Bedienelement gesteuert werden. Das Leuchten geht nach einer kurzen Zeitspanne wieder von alleine aus. Und… ähm… und. Gut: Vielleicht kann man noch anführen, dass es sich um einen neuen, modernen Ansatz handelt – alles per se zu verteufeln, was neu ist, passt weder in unsere Zeit noch auf die Webseite eines Magazins einer doch sehr technikbegeisterten Branche. Doch so kurz die Liste der Vorteile, so umfangreicher ist die der Nachteile:
Ein Manko, das vor allem aktuelle österreichische Mikrofone mit dem TLM 107 teilen, ist die Tatsache, dass es nicht möglich ist, das Mikrofon erst einzustellen und dann zu verkabeln und zu positionieren. Bei Vocal-Recordings ist das reichlich egal, doch wenn ich ein Mikrofon beispielsweise unter der Snare einsetzen möchte, ist mein übliches Vorgehen, die Acht oder Hyperniere, das Filter und das Pad gemütlich in meiner Hand einzustellen und daraufhin unterzubringen. Immerhin “merkt” sich das TLM 107 auch ohne Phantomspeisung die letzten Einstellungen, was bei Kabel-, Preamp- oder Wallbox-Wechsel natürlich angenehm ist. Ein Pluspunkt für die Joystick-Steuerung ist das aber nicht, denn ein stinknormaler mechanischer Schiebeschalter merkt sich seine Einstellung natürlich auch. Selbstredend vergisst man beim Voreinstellen in der Hand mal etwas oder stellt beim Soundcheck fest, dass doch noch etwas verändert werden muss. Doch hier haben wir den nächsten Nachteil der 107-Steuerung, nämlich die fehlende Blindbedienbarkeit. Ob nun halb vergraben unter Percussion oder in der kleinen Vocalbooth in einer Position, in welcher man nicht mal eben zur Rückseite des Neumanns gelangt: Man muss sehen können, um einzustellen. Die Mikrofone aus meinem Fundus kenne ich allesamt in- und auswendig. Dort kann ich Filter, Pads und Charakteristika setzen, ohne hinzusehen oder die genaue aktuelle Stellung im Kopf zu haben. Ach – und über den Versuch, die Settings des 107 abzulesen und zu bedienen, wenn das Mikrofon in seiner elastischen Halterung steckt, möchte ich gar nicht erst anfangen… Aber wo wir beim Ablesen sind: Um die Settings zu erfahren, muss man den “Navigationspömpel” kurz herunterdrücken, denn sonst leuchtet nichts. Wenn das 107 als Drum-Overhead seine Rückseite der Studiodecke entgegenstreckt, bringt es auch nichts, wenn man sich auf den Schlagzeughocker stellt, um an das Einstellbesteck zu gelangen. Besonders koinzidenzstereophone Mikrofonierungen reagieren stark, wenn man Mikrofone dauernd dejustiert, weil man sie zum Einstellen drehen und neigen muss. Vom etwaigen Einsatz in mehreren Metern Höhe über Chor, Orchester oder im Kirchenschiff möchte ich in diesem Zusammenhang nicht reden. Oder doch? Eine wirklich stimmige Begründung für die Verwendung der nichtmechanischen Verstellungen wäre es, wenn in naher Zukunft eine Fernbedienung über das Mikrofonkabel ermöglicht werden würde. Schließlich kennt man dies vom TLM 170 R (“R” wie “Remote”!) und dem nicht mehr hergestellten TML 127, welche mittels Stereo-Netzgerät N 248 fernumgeschaltet werden können. Eine ähnliche Technik ist also prinzipiell vorhanden. Allerdings ist, so ließ Neumann auf Anfrage verlauten, nichts dergleichen geplant oder vorgesehen.
Doch wieder zurück zur Ablesbarkeitsthematik: Ist es recht dunkel im Studio, strahlen besonders Pad- und Filter-LEDs gerne so hell, dass man nur aufgrund der Position erraten muss, was das bedeutet, da die benachbarte Aufschrift überstrahlt wird. Bei starker Sonneneinstrahlung hingegen kann auch die helle weißblaue LED nicht hell genug sein. Und wieder: Mechanische Schalter kennen diese Probleme nicht.
Zum Ablesen muss man also drücken. Mir ist es – schließlich bin ich Schlagzeuger und kein Uhrmacher – auch schon passiert, dass ich dann gleichzeitig aus Versehen etwas verstellt habe. Dann mal schnell wieder etwas zurückstellen wollen hat es streckenweise noch schlimmer gemacht, denn so richtig zufrieden bin ich auch mit der Schaltlogik nicht: Die vertikal dargestellten Funktionen Vordämpfung und Hochpassfilter werden durch Drücken des Joysticks nach rechts bzw. links (also in horizontaler Bewegung) immer durchgecycelt. Die horizontal dargestellten Richtcharakteristika werden mit vertikalen Bewegungen ausgewählt – ist man an einem der Extrempunkte Kugel oder Acht angekommen, kann man jedoch nicht einfach weiterskippen, sondern muss den kleinen Joystick wieder in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Verstehe das, wer wolle. “Intuitiv”, wie in Neumanns Presseerklärung verkündet, ist das beileibe nicht.
Im Grunde tut es mir ja leid, auf dem Navigationselement des Neumann so dermaßen herumzureiten – die Thematik betrifft ja in weiten Teilen auch AKG und Lewitt. Allerdings finde ich es sehr schade, dass ein so hervorragendes Unternehmen wie Neumann ein so hervorragend klingendes Mikrofon wie das TLM 107 unter dieser Fehlentscheidung leiden lässt. Nun gut: Für den richtigen Sound nimmt man bekanntlich viel in Kauf, darunter problematische Halterungen, enorme Gewichte, hässliches Äußeres. Eines meiner Lieblingsmikrofone ist das Coles 4038, von dem ich zu sagen pflege, dass daran eigentlich alles schlimm ist – bis auf den grandiosen Sound. Und genau dieser ist es ja schließlich auch, der das TLM 107 trotzdem ein hervorragendes Mikrofon sein lässt.
Dux sagt:
#1 - 24.04.2014 um 09:57 Uhr
Das einzig interessante wäre ein direkter Vergleich, z. B. mit dem allgemein bekannten TLM103. In dieser Form gleicht der Artikel einer Werbeerklärung...
PeterPesl sagt:
#2 - 24.04.2014 um 15:39 Uhr
Ja ist den schon Mai?
Nick (bonedo) sagt:
#3 - 26.04.2014 um 11:13 Uhr
Hallo Dux,es kann nicht jeder Testbericht als umfangreicher Vergleichstest ausgeführt werden, das ist auch nicht notwendig. Und: Ich glaube kaum, dass Neumann meine Ausführungen über das Navigationselement in einer Werbebroschüre abdrucken würde.Beste Grüße,
Nick
Jonny Jones sagt:
#3.1 - 26.12.2016 um 13:33 Uhr
Hallo Nick, ich würde dennoch gerne wissen wie sich denn die S-Laute im Vergleich zum TLM103 verhalten. Sind sie denn beim 107 tatsächlich wie angepriesen etwas weicher? LG Jonny
Antwort auf #3 von Nick (bonedo)
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenNick (Redaktion Recording) sagt:
#3.1.1 - 27.12.2016 um 12:35 Uhr
Hallo Jonny,sie sind etwas weniger scharf und "eckig" – statt "weich" würde ich sie eher als "breit" bezeichnen. In jedem Fall sind sie etwas weniger scharf, das 107 geht somit auch bei der Stimme ein wenig mehr in Richtung "Mix-ready".Beste Grüße,
Nick Mavridis (Redaktion Recording)
Antwort auf #3.1 von Jonny Jones
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenKlaus Joter sagt:
#4 - 18.04.2018 um 07:32 Uhr
Diese erbärmliche Stimme passt nicht zur Qualität des 107-ers. Wie kann man für so ein schönes Mikro einen Amateursänger mit all seinen Unbeherrschtheiten verwenden? Da würde auch ein 58-er reichen.
Ab TLM107 und ähnlichen Mikros sollte eigentlich ein prof. klassischer Sänger - oder In - verpflichtend sein.
Nick (Redaktion Recording) sagt:
#4.1 - 18.04.2018 um 12:37 Uhr
Hallo Klaus,da bin ich anderer Meinung, auch sind die Fakten andere: Der Sänger ist tatsächlich erfahrener Profi (Major), viel in Studios gebucht und live viel über Europa hinaus unterwegs. Wieso die Stimme also "erbärmlich" sein soll, ist mir nicht ganz klar, außerdem finde ich das reichlich gemein, um ehrlich zu sein.Eine seiner wesentlichen und für mich und meine Arbeit wichtigen Qualitäten ist die gute Fähigkeit, Linien zu wiederholen und auch sonst sehr konstant zu singen, was bei Mikrofontests sehr wichtig ist. Seine Stimme ist vielleicht nicht die charaktervollste, aber genau dadurch "verdeckt" er wenig von den Eigenschaften eines Mikrofons. Insofern ähnlich wie bei klassischen Sängern… Ich bin seit vielen Jahren sehr zufrieden: Mit seinem Signal gelingt es mir besser, Mikrofone auch klanglich darzustellen – und eben nicht "Musik" zu liefern.Und der Sänger ist nicht zuletzt ein sehr zuverlässiger, freundlicher, unkomplizierter und umgänglicher Mensch, mit dem ich sehr gerne zusammenarbeite.Und zum SM58: Das ist ein hervorragendes Mikrofon und "reicht" wie viele finden in manchen Situationen nicht manchmal nur, sondern ist die absolut beste Wahl. Ich nutze sehr gerne und oft Unidyne-Mikros wie das 545D, das SM7B, das 5575 oder eben das SM58, gerade für Vocals.Aber klar gibt es unterschiedliche Meinungen zu Musik und Equipment, das sei auch jedem zugestanden.Beste Grüße
Nick Mavridis (Redaktion Recording)
Antwort auf #4 von Klaus Joter
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenHarry Wolf, Bass (Profundo) sagt:
#4.1.1 - 18.03.2024 um 02:41 Uhr
uuups- ist da gerade ein Hellene explodiert? Natürlich aollen hier die Eigenschaften des Mikrophones (altgr.: mikros=klein/ phonos=Ton etc. also kleinlaut ;-) also: bitte nicht schreien, ich bin nicht blind... Im Ernst: Der Kollege Kommentator hat teilweise Recht: Die Stimme ist a) bei alles Vergleichen dieselbe, das ist für einen Test nicht geeignet. Pavarotti konnte zwar in Grenzen Rock/Pop singen und logisch Klassik. Popsänger sind umgekehrt kläglich gescheitert. Man muss hier aufpassen, was man wählt. Klar wäre für Sprachtakes ein Jan Hofer besser gewesen und für Nemorino ein ordentlicher Tenor, aber die sind für solche Sachen nicht bezahlbar, das kann man in ein Mike nicht einrechnen... Trotzdem gibt es sicher bessere Stimmen, die bezahlbar sind. Man will schließlich verkaufen und da spielt die optische Sympathie des Sängers keine Rolle. Für die Demo eines Pop Mikes muss ein anderer Sänger ran als für eine Bass-geeignete Großmembran Röhre. Das wird einmal aufgenommen und gut für Jahre. Das sind aber sachliche Kritiken und damit Anregungen. Ich stand selbst bis vor 5 Jahren noch als Opern-Buffo auf der Bühne, weiß also, wovon ich rede. Ich werde mich jetzt zur Erhaltung des "Materials" testweise auf das 107er einlassen, es scheint für mich der derzeit beste Kompromiss zu sein. Stimmprobe von Duetten mit Günter Wewel und Hans Theesinck können gerne angefordert werden. Ein noch so netter Schleusenfrosch (Fachjargon in der Opernszene für einen "Sängerlehrling") ist keine Reklame. Da hat der Kollege recht.
Antwort auf #4.1 von Nick (Redaktion Recording)
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenJazzthing71 sagt:
#5 - 02.04.2022 um 00:31 Uhr
Ein sehr gutes Mikrofon mit nur 4 von 5 möglichen Punkten weil die einwandfrei funktionierende Einstellung der Richtcharakteristiken, des Pads und des LC’s nicht gefällt? Echt jetzt? Nur mal so: Wie oft wird die Richtcharakteristik für eine Aufnahme eingestellt und worauf kommt es am Ende einer Aufnahme an? Der Punktabzug wirkt nicht nur seltsam voreingenommen, sondern beschädigt meiner Meinung nach die Glaubwürdigkeit des angewendeten Bewertungsschemas. Vorsichtig gesagt und ohne in diesem Zusammenhang das Wort „Rundablage“ direkt zu verwenden.