Die Meldung, dass sich mit dem Neural DSP Quad Cortex ein neuer Big-Player im Modeling-Amp-Geschäft aufmacht, den Markt aufzumischen, machte Anfang 2020 in Gitarrenkreisen die Runde, nachdem ein erstes Video auf YouTube aufgetaucht war. Wer mit Plug-Ins und Amp Modeling-Software nichts am Hut hat, dem wird der Name Neural DSP erst einmal nichts sagen. Aber die finnischen Spezialisten haben sich in diesem Genre bereits einen sehr guten Namen mit einigen Amp Plug-Ins erarbeitet, die auch in unseren Tests für sehr gut befunden wurden.
Mit dem Quad Cortex wagt man nun den Schritt von der virtuellen in die reale Welt und überträgt die Expertise aus der digitalen Klangerzeugung mit Computersoftware in ein Hardware-Paket, das dem heutigen Stand der Technik angepasst ist: 2 GHz Quad Core Sharc Prozessor, hochauflösender 7″ Touch Screen, 11 Kombi-Fußschalter mit Drehreglerfunktion, Neural Capture-Funktion zur Analyse und digitalen Nachbildung von Röhrenamps und vieles mehr. Das Ganze in einem kompakten und solide verarbeiteten Gehäuse. Preislich liegt das Quad Cortex mit runden 1600 Euro in der Oberklasse der Modeling-Gerätschaften und in etwa auf einer Linie mit dem Line 6 Helix (1299 Euro) oder dem Kemper Profiler Stage (1595 Euro). Was unser Neuling alles zu bieten hat und wie er klingt, erfahrt ihr in diesem Testbericht.
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Details
Gehäuse/Optik
Das Quad Cortex kommt im Floorboard-Format und in einem schnörkellosen modernen Design, dessen Zentrale das 7″ Multi-Touch Display bildet. Das Gehäuse aus eloxiertem Aluminium fällt mit den Maßen 290 x 191 x 48 mm recht kompakt aus und liegt auch mit einem Gewicht von 1,95 kg noch im moderaten Bereich – es passt auch mal locker in eine große Tasche des Gitarren-Bags. Neben dem Display als Zentrale zum Editieren gibt es auf der Oberseite noch den Volume-Regler links neben dem Display, darüber den Power-Schalter und 11 Fußschalter, und das wars – alles klar und übersichtlich. Parameter-Regler unter dem Display, wie man sie von vielen Modeling-Geräten kennt, gibt es keine. Klar, bei einem Touch-Display ist das eigentlich nicht nötig, aber diesbezüglich haben sich die Damen und Herren aus Finnland nicht lumpen lassen, denn die Fußschalter verfügen über eine integrierte Reglerfunktion. Man dreht also quasi an den Schaltern und findet dabei Regler vor, die auch gerastert sind, was das Einstellen erleichtert. Bis zu elf davon stehen so zum Einstellen zur Verfügung – sehr clever gelöst und es spart auch noch Platz.
Die acht Fußschalter unterhalb des Displays haben je nach Betriebsmodus unterschiedliche Funktionen und sind mit den Buchstaben A bis H gekennzeichnet. Jeder Schalter besitzt eine eigene LED zur Statusanzeige. Am rechten Rand warten ein weiterer Schalter zum Eintippen der Geschwindigkeit für tempobasierte Effekte und die beiden Up/Down-Schalter zum Wechseln der Bänke. Mehr gibt es erst einmal von der Optik her nicht zu vermelden. Das Quad Cortex macht einen sehr aufgeräumten Eindruck und auch an der Verarbeitung gibt es nichts auszusetzen, alles solide Bauteile und für den Einsatz im Bühnenbetrieb auf jeden Fall geeignet. Im Inneren werkelt ein 2 GHz Quad-Core Sharc-Prozessor und mit ihm hat unser Testkandidat auch einige PS unter der Haube. Laut Papierform ist das natürlich eine sehr gute Basis für satte Ampsounds und Effekte mit guter Ansprache und hoher Klangqualität. Bei vielen Geräten in der günstigeren Preisklasse hängt es oft an einem zu schwachen Prozessor, der die vielseitige Dynamik eines richtigen Amps nicht wirklich in sein digitales Modell übertragen und wiedergeben kann. In dieser Hinsicht ist der Quad Cortex recht muskulös aufgestellt.
Rückseite/Anschlüsse
Alle Anschlüsse sind auf der Rückseite angebracht. Los geht es mit zwei Eingangsbuchsen im Klinken/XLR-Kombiformat (Input 1, 2). Es folgen die Anschlüsse für die beiden internen Effektloops, je einmal Send und einmal Return. Hierüber werden externe Effektgeräte in die Signalkette des Quad Cortex integriert. Weil die Buchsen als 6,3 mm Stereoklinke ausgelegt sind, können sie auch mit Stereopedalen bestückt werden. Insgesamt gibt es vier Ausgänge, zwei im XLR-Format (Output 1, 2) und zwei mit 6,3 mm Klinkenbuchsen. Output 1/2 ist im Live-Betrieb für die Verkabelung zum Mischpult gedacht und an Output 3/4 kann man seinen Bühnenamp oder ein Full Range-Cab anschließen. Außerdem warten ein Anschluss für Kopfhörer und einer mit der Bezeichnung Capture Out, der zur Verbindung mit einem Amp oder Overdrive bei der Neural Capture Funktion benutzt wird. Dazu gleich mehr.
MIDI kann unser Testkandidat natürlich auch, zur Parametersteuerung per MIDI stehen ein MIDI In und ein MIDI Out/Thru-Anschluss (5-pol) zur Verfügung. Beim Quad Cortex hat man auf ein integriertes Expression-Pedal verzichtet, aber selbstverständlich besteht die Möglichkeit, externe anzuschließen. Zwei davon können über die EXP 1- und EXP2-Anschlüsse (Stereoklinke) verbunden werden. Die mittlerweile obligatorische USB-Buchse darf selbstverständlich auch hier nicht fehlen. Über sie verbindet man das Quad Cortex mit einem Computer und nutzt es als Audio-Interface. Außerdem ist vorgesehen, das Quad Cortex auch über eine App am Computer editieren zu können. Zum Zeitpunkt des Tests war diese Funktion allerdings noch nicht verfügbar. Ganz rechts befindet sich schließlich noch der Anschluss für das mitgelieferte Netzteil.
Bedienung
Das Quad Cortex ist im Prinzip ein kleiner Computer mit Touchscreen und hat deshalb ein paar Möglichkeiten mehr als herkömmliche Modeling-Gerätschaften. Es ist WLAN-fähig, und zwar in der Form, dass man sich per Router ins Internet einwählen und Updates aufspielen kann. Ein zusätzlicher Computer ist dafür eigentlich nicht mehr notwendig. Zum Laden von zusätzlichen Presets und für Backups in der Cloud muss ein User-Account erstellt werden. Der Support von Neural DSP kann bei Bug-Reports auch direkt vom Quad Cortex aus angefunkt werden. Nicht schlecht!
Natürlich hat der Hersteller sich auch bei den Mitbewerbern umgeschaut, was sich beispielsweise bei der grafischen Oberfläche und der Bedienstruktur zeigt, die auf den ersten Blick stark an das Line 6 Helix erinnern.
Die Struktur des internen Speichers ist in Setlists geordnet, eine Setlist hat 32 Bänke mit je acht Speicherplätzen (A-H). Das macht dann 256 Speicherplätze pro Setlist, bis zu zehn Setlists können im Gerät gespeichert werden. Darüber hinaus lassen sich Presets auch über den Computer oder in der Cloud ablegen.
Zum Bedienen während des Spielens gibt es die drei unterschiedliche Modi Preset, Stomp und Scene. Drückt man Tempo- und Down-Schalter gleichzeitig, kann der Modus gewechselt werden. Im Preset-Mode werden mit den Up/Down-Schaltern die Bänke durchgesteppt, die Speicherplätze werden mit den Schaltern A-H angewählt. Beim Stomp-Mode ist Pedalboard angesagt und man hat die Möglichkeit, mit den Schaltern A-H einzelne Effektmodule zu aktivieren/deaktivieren – alle frei zuweisbar. Im Scene-Mode werden unterschiedliche Einstellungen der aktuell aktivierten Effektmodule in vier verschiedenen Szenen gesichert und dann über die Schalter A-D aufgerufen. So ist man sehr flexibel in der Bedienung der einzelnen Presets und hat nicht nur starr abgespeicherte Sounds zur Verfügung, sondern kann immer direkt auf bestimmte Einstellungen Einfluss nehmen. Natürlich muss das entsprechend vorbereitet werden, womit wir zum Editieren am Gerät selbst kommen.
Editieren
Das Editieren über das Touch-Display ist sehr komfortabel. Im Display wird die Signalkette groß in vier Reihen dargestellt. Tippt man auf ein Effektmodul, erscheinen die Parameter des Moduls im Display und können verändert werden. Das funktioniert entweder direkt über das Touch-Display oder durch Drehen an den Schaltern A-H. Die vier Signalstränge sind so ausgerichtet, dass man immer zuerst den Eingang wählt, dann bis zu acht Effektmodule platzieren kann und auf der rechten Seite den Ausgang ansteuert. Alles bleibt dabei variabel. Theoretisch können bis zu vier Instrumente angeschlossen werden, wenn man als Eingänge die beiden Inputs und dazu die Return-Buchsen der beiden Einschleifwege benutzt. Die lassen sich dann auf vier unterschiedliche Ausgänge routen und jedem Instrument können bis zu acht Effektmodule zugeordnet werden – zumindest so viel, wie der Prozessor leisten kann.
Wer sich das Quad Cortex mit niemandem teilen möchte, kann natürlich auch mehr Module im Signalweg einbauen, indem zum Beispiel der Ausgang der Reihe 1 als Eingang für eine neue Reihe angelegt wird, sodass das Signal einfach über eine zweite Reihe fortgeführt wird. Außerdem gibt es die Möglichkeit, von einem Eingang ausgehend mehrere Signalwege anzusteuern, um zum Beispiel verschiedene Amp-Modelle zu benutzen. Vier Amps und Cabs sind möglich, alles natürlich abhängig von der Auslastung der CPU. Bei vier Marshall Amp Models mit Cabs und jeweils einem Ambience Reverb pro Signalstrang zeigt die CPU 55 % Last an – da ist wirklich ordentlich was unter der Haube. Die Darstellung der Signalkette in Symbolen ist sehr übersichtlich und man findet sich sehr schnell zurecht. Das Bedienkonzept ist wirklich ausgezeichnet.
Ausstattung
Das Quad Cortex ist natürlich mit den üblichen Verdächtigen bestückt, also einer Menge an Effekten, Amp Models und Cab Simulationen. 52 virtuelle Gitarrenamps und 13 für Bass sind zum Zeitpunkt des Tests im Gerät integriert. Dabei handelt es sich um die Klassiker von Fender, Marshall, Vox, Hiwatt, etc. Bei den Cab-IRs sieht es ähnlich aus, von denen 39 an Bord sind. Dann kommen die Effekte und für die gibt es folgende Bereiche:
- Guitar Overdrive (16 Models)
- Bass Overdrive (4 Models)
- Delay (4 Models)
- Reverb (6 Models)
- Compressor (5 Models)
- Pitch (3 Models)
- Modulation (8 Models)
- Filter (3 Models)
- EQ (4 Models)
- Wah (3 Models)
- Utility – Gate, etc. (4 Models)
Neural Capture
Das war aber noch nicht alles, denn es gibt außerdem einen Block, der sich Neural Capture nennt und mit dessen Hilfe externe Gerätschaften analysiert und quasi als digitaler Abdruck ins Gerät verpflanzt werden können. Im Prinzip ein ähnliches Konzept wie beim Kemper Profiler, mit dem man Amps und Cabs als sogenannte Profile im Gerät selbst ablegt. Beim Quad Cortex ist es laut Hersteller auch möglich, auf diese Weise Overdrive-Pedale zu digitalisieren. Es gibt bereits einige Amps und Overdrives im Gerät, aber das Ganze ist komplett offen und es werden mit Sicherheit interessante weitere von Usern und/oder auch professionellen Anbietern kommen, ähnlich wie beim Kemper Profiler. Klangliche Beispiele zum Thema Neural Capture gibt es gleich im Praxisteil.
Rainer sagt:
#1 - 04.05.2021 um 14:35 Uhr
... sehr ehrliches und informatives Review, finde ich.
Über Geschmack kann man sich streiten.
Aber nach meiner Meinung ... und im Kontext zu dem monatelangen Influencer-Marketing für diese immer noch nicht erhältliche Kiste .... sind die Sounds nach meiner Meinung keine Revolution..... harsch .... das ist der überwiegende Höreindruck für mich.Überhaupt kommt es langsam in Mode, neue Produkte fast ein Jahr vorher anzukündigen, zu bewerben und künstlich zu verknappen .... und dann den Kunden z.T. noch zu Vorauszahlungen zu bewegen.Das schafft bei mir jedenfalls keinen Kaufanreiz.By the way ... wenn der Sound einzigartig ist, dann verzichte ich auch gerne auf einen Touchscreen ... und nicht anders herum.Dann lieber Kemper ... für mich der Gold-Standard im digitalen Amp-Segment.
Oliver Schroeder sagt:
#1.1 - 30.08.2021 um 12:27 Uhr
Hallo Rainer, nachdem ich jetzt 2 Wochen mit dem QC arbeite, kann ich Entwarnung geben. Der QC klingt mit eigenen Captures genau so gut, wenn nicht noch näher am Original, wie der Kemper. Man muss ihn selber füttern und dann urteilen. Die Presets sind leider nur die halbe Wahrheit. Meine Plexis aus den 60ern klingen absolut fantastisch aus dem QC. Ich empfehle dir es mal auszutesten.
Antwort auf #1 von Rainer
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenManfred sagt:
#2 - 08.05.2021 um 05:26 Uhr
Ganz ehrlich ?!
Was bringt es ein Produkt zu bewerten was man sowieso nicht kaufen kann.
Seit der NAM 2020 ist das Einzige was wie geschmiert läuft die Marketing-Maschine dieser Firma. Egal wie gut das Produkt zu sein scheint, es ist nicht verifizierbar. Ich kenne Leute die seit gut eine Jahr ein preorder bezahlt haben und immernoch auf die Auslieferung warten. Wie es da mit Service und Garantie läuft möchte ich garnicht wissen. Ich kann nur sagen Finger weg bei Firmen die ihre Lieferversprechen nicht halten können.
Frank sagt:
#3 - 09.05.2021 um 16:50 Uhr
Endlich hat ein Hersteller den Anspruch der Musiker erkannt und ein kleines Gerät mit Topsounds erschaffen.Das Display ist schön und sollte auch auf einem neuen Kemper sein.Jetzt wäre es doch noch schön ein Minikemper in Form von Line 6 Pod go zu bekomnen. Das mit den Lieferschwierigkeiten ist wirklich grauenvoll. Die Größe des Quad Cortex überzeugt mich und ich bin froh das es auch im Highendmodeling endlich Alternativen gibt.Der Test war auch gut geschrieben und ich freue mich bald das Gerät zu testen.