“Möchte im Wald leben und nie wieder einen Menschen sehen”
Nils Frahm hat viele verschiede Phasen durchlebt, wird auch noch viel neues versuchen. Wenn er zwei Jahre non-stop auf Tour geht, im Studio neue Alben und Filmmusik aufnimmt, scheint er unermüdlich. Dann ist es auf einmal still um den Hamburger, er zieht sich für eine Zeit zurück, reflektiert, macht neue Pläne. Die Corona-Pause nahm zumindest die Entscheidung ab, ob weiter auf Bühnen gespielt oder im Studio produziert werden soll. Das Ergebnis ist das Piano-Album ‘Graz’, welches er überraschend zu den Piano Days 2021 veröffentlichte.
In seinem Studio in Berlin machte er sich dann auch Gedanken zu trendigen, aktuellen Themen. Etwa zu NFTs, die gerade die Kulturszene aufmischen. NFT steht für “Non-fungible Token” – zu Deutsch: “nicht austauschbare Token” – und bezeichnet einzigartige kryptografische Token. Diese Token können an digitale Güter verknüpft werden: Bilder, GIFs, Albumcover, Videoclips, etc. Der Besitzer eines NFTs hat durch das NFT einen Echtheitsnachweis als Besitzer eines einmaligen digitalen Guts, etwa von einem digitalen Kunstwerk. Mit dem NFT ist über die Blockchain fälschungssicher geregelt, dass er der einzige Besitzer eines Tokens ist, mit dem die authentische Version des digitalen Guts (in diesem Fall ein digitales Kunstwerk) verknüpft ist. Angekurbelt durch den aktuellen Hype um Kryptowährungen und dem laufenden Bullenmarkt, haben NFTs in den letzten Monaten einen regelrechten Boom erlebt. Durch die Medien gingen dabei Geschichten wie von Beeple, einem “digital Artist”. Er verkaufte eine digitale Collage seiner Bilder um unfassbare 69 Millionen USD. Also ein JPG-Bild, für das man sich auch eine 5.000 Quadratmeter Villa in Beverly Hills leisten könnte. Für Frahm ist das sinnlos, er bezeichnete NFTs als “die ekligste Sache auf diesem Planeten”. Vor allem der enorme Energieverbrauch für Kryptowährungen und die unendliche Kommerzialisierung stoßen ihn sauer auf. Als er die Geschichten um NFTs hörte, wollte er “im Wald leben und nie wieder einen Menschen sehen”.
Streaminganbieter fördern “langweilige” Musik
Der Führer der stillen Revolution, wie ihn einst das ‘Crack’-Magazin bezeichnete, hat Probleme mit der Art, wie Streamingdienste wie Youtube oder Spotify Musik präsentieren. Er profitiere zwar von kuratierten Playlists wie “Musik zur Konzentration” oder “Songs zum Schlafen”, da sie ihm viele Streams und Einnahmen bescheren. Er mag es allerdings nicht, wenn nur Musik in die Playlisten kommen, die auch reinpassen. Dazu sagte er: “Ich bin sehr überrascht, wie funktional Musik geworden ist: Die Musik muss so langweilig wie möglich sein, damit die Leute sie vergessen.” Damit meint er, dass experimentierfreude nicht belohnt wird. Das liegt daran, dass bei “drastischer Musik” die Leute nicht “in der Stimmung seien” und das Lied schnell wegdrücken. Das merkt sich allerdings der Algorithmus, weshalb manche Tracks ganz schnell im “nichts verschwinden”.
Wenn man allerdings angepasste Musik produziert, die dem Hörer nicht sofort auffällt und daher weiterhin gut im Hintergrund laufen kann, merkt sich das der Algorithmus ebenfalls und fördert die Musik weiter. Daher ist es in Folge schwer, dass ein 15-Minuten-Track in einer Playlist mit größtenteils Tracks zwischen drei und sieben Minuten einen Platz findet. Frahm lässt sich davon nicht abhalten. Er produzierte schon viele Lieder über 10 Minuten, hat seit 2005 20 volle Alben aufgenommen. Das passt sonst so gar nicht in die schnelllebige Musikzeit, wo mit Edits auf die gesunkene Aufmerksamkeitsspanne reagiert wird.
Spotify-Playlists im Trend
Die kuratierten Playlists scheinen zu laufen. Spotify versucht mit immer neuen Konzepten ihre Playlists anzupassen. Etwa mit “Track ID”, wo bekannte DJs und Producer aus dem elektronischen Bereich ihre eigenen Playlists für Spotify erstellen und pflegen. Seit Anfang April gibt es auch personalisierte Mixtapes auf der “Genau Deine Musik”-Seite auf Spotify. Dort finden sich automatisch generierte Playlists, die nach Genre, Artist oder Jahrzehnt sortiert sind. Vor allem die “Genre-Mixtapes” ähneln dabei den “Deine Mixtapes”, die es schon seit einigen Jahren gibt. Die personalisierten Playlists basieren auf ganz vielen Aktivitäten der Nutzer, die gespeichert werden. Parameter sind unter anderem Sucheingaben, Dauer von gespielten Liedern, Tempo, Genre oder Ähnlichkeiten zu “Lieblingssongs”. Insgesamt erfasst Spotify so jeden Tag über 500 Milliarden Daten von seinen 345 Millionen Nutzern.
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Eigene Meinung zu Playlists
Als Autor der selber seit 15 Jahren Musik streamt erlaube ich mir auch eine Meinung zu den Streamingergebnissen. Die Erfahrungen basieren hauptsächlich auf Youtube, Soundcloud, Spotify und Beatport. Einen großen Wandel konnte ich vor allem bei Youtube festmachen. Es ist schon von Youtube-Mitarbeitern bestätigt worden, dass die Algorithmen der Videovorschläge genau ein Ziel haben: Den Nutzer so lange wie möglich auf der Plattform zu halten. Mehr Verweildauer = mehr Werbeeinnahmen. Um in das Youtube-Rabbithole zu fallen, werden daher Videos zu Themen angezeigt, mit denen man sich zuletzt stärker beschäftigt hat. Falls man sich also zuletzt viel Fußball-Highlights, Philosophie-Reden und Back-Videos angesehen hat, werden einem selbst bei Musikvideos zu über 50% Videos von komplett anderen Bereichen vorgeschlagen. Die Musik die dann angezeigt wird ist zu 90-95% Musik, die man schon kennt bzw. Videos die man früher schon einmal abgespielt hat. Um neue Musik zu finden gibt es zwar mit Playlists, Mixe, etc. viele Möglichkeiten, im Vergleich zu früher ist es aber ein klares Downgrade. Da wurden auf der rechten Leiste passende Liedvorschläge aus ähnlichen oder gleichen Genres gezeigt, die zum Erkunden eingeladen haben. Soundcloud ist da schon besser, allerdings etwas unübersichtlich. Vor allem der “Stream”-Tab kann sehr unübersichtlich werden, wenn man hunderten Profilen folgt. Dann werden einfach Reposts, Tracks, Mixe und Songs komplett unsortiert aufgelistet. Nervig, vor allem wenn man gerade nur neue Musik aus einem bestimmten Genre sucht.
Und deshalb ist für mich Spotify die meistgenuzte Musikstreamingplattform geworden: 60.000 Minuten bzw. 41 Tage im Jahr 2020 sprechen für sich. Doch auch hier musste ich feststellen, dass immer mehr das Motto “so lange wie möglich auf der Plattform bleiben” Vorrang hat. Bei meinem “Mix der Woche” kommen immer öfter Lieder in die Playlist, welche ich schon einmal gehört habe. Auch die “Song-Radios”, die ich nutze um ähnliche Lieder aus dem selben Genre zu finden, verkommen immer mehr zu einer Liste von Liedern die ich bereits kenne und sogar “geliked” habe. Ich höre es mir auch ehrlich gesagt trotzdem an, da ich die Lieder eben gerne habe. Aber dem Ziel neue “Perlen” zu finden schränkt diese Auswahl einfach zu stark ein. Und wieso mir unter “Genau Deine Musik” eine Pop-Mix-Playlist mit Nicki Minaj, One Direction und Lady Gaga angezeigt wird, obwohl ich nicht einmal irgendetwas in diese Richtung höre, bleibt auch ein Fragezeichen. Die beste Option um neue Musik einer spezifischen Richtung zu finden bleiben daher für mich DJ-Mixe. Diese beschränken sich allerdings größtenteils auf den elektronischen Bereich.