Das Jahr geht bald zu Ende und wieder einmal haben Solo-Musiker Charts und Streamingzahlen dominiert. Der Trend hat bereits vor einigen Jahren begonnen und scheint unaufhaltbar. Warum ziehen Bands nicht mehr so wie früher?
Bei einem Blick auf die Line-Ups von großen Festivals fällt schon seit Jahren eine Sache auf. Die Headliner sind entweder Solo-Artists oder Bands, die schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Während von den 50er bis 90er Jahren Bands die Charts, Festivals und Plattenverkäufe nach Belieben dominiert haben, hat sich mit der Jahrtausendwende einiges getan. Das trifft dabei nicht nur Rock-Musik, sondern auch auf andere Genres zu. Selbst im Hip Hop oder Elektro gab es viele erfolgreiche Bands – heute ist das die Ausnahme. Ein paar bekannte Beispiele: Wu-Tang Clang, Tribe Called Quest, Bestie Boys, The Prodigy, Pendulum und Depeche Mode.
In den letzten 20 Jahren hat sich das Bild stark Richtung Solo-Künstler mit Begleitband oder DJ entwickelt. Der Blick auf die zehn meistgestreamten Acts 2024 auf Spotify überrascht daher gar nicht – keine einzige Band ist vertreten.
- Taylor Swift
- The Weeknd
- Bad Bunny
- Drake
- Billie Eilish
- Travis Scott
- Peso Pluma
- Kanye West
- Ariana Grande
- Feid
Vergrößern wir das Feld bis in die Top 400 und schauen uns an, wie viele Bands, die in den letzten zehn Jahren gegründet wurden, vertreten sind. In den Top 100: nicht eine einzige. Die erste Band ‘Grupo Frontera’, eine mexikanisch-amerikanischen Band aus 2022, ist auf Platz 135. Als nächstes folgt die italienische Band ‘Måneskin’, die 2021 den Eurovision Song Contest gewonnen hat, auf Platz 248. Platz drei dieses Rankings geht an ‘Richy Mitch & the Coal Miners’, eine unabhängige Folk/Rock-Band aus Colorado. Das wars, drei Bands aus den letzten zehn Jahren sind in den Top 400.
Ein Auslöser der Debatte um das Verschwinden von Bands war ein Beitrag des britischen Fernsehmoderators Richard Osman. Dabei belegt er den Wegfall von Bands mit klaren Zahlen. In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre führten Bands in Großbritannien 146 Wochen von möglichen 260 Wochen die Charts an. In der ersten Hälfte der 1990er waren es noch 141 Wochen. Von 2020 bis 2024 waren es hingegen nur drei Wochen. Eine Woche davon geht dazu an die Beatles mit ihrem KI-unterstützen Comebacksong ‘Now And Then’. Hier der virale Clip von Osman.
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Doch woran liegt das Verschwinden von neuen Bands in den Charts? Es geht um Geld, neue Technologien und veränderte Gewohnheiten der Hörer.
Bands sind ein finanzielles Risiko
Die Gründung einer Band ist ein gewisses wirtschaftliches Risiko. Viele wagen den Schritt nicht mehr, da Equipment, Studioräume und aufwendige Tourneen ein Loch ins Budget schlagen würden. Selbst als Solo-Künstler ist es verdammt schwierig von Streaming-Einnahmen oder Live-Auftritten zu leben. Wenn man den Kuchen dann aber stets durch mehrere Mitglieder teilen muss, bleiben oft nur ein paar Krümel über. Viele angehende Musiker haben sich daher bestimmt die Frage gestellt: Wie kann ich am ehesten von meiner Musikleidenschaft leben? Und die Antwort: Alleine scheinen die Chancen größer zu sein.
Der technologische Wandel spielt hier eine bedeutende Rolle. Während in den 70ern die Solo-Produktion relativ schwer war, gibt es heute dank Computer und Internet viel mehr Möglichkeiten. Statt mit einem Lehrer werden Tutorials auf YouTube angesehen, statt in der nächsten Musikschule werden mögliche Kollaborationspartner auf Instagram oder Reddit gefunden. Musikdateien kennen keine Grenzen und werden aus Österreich nach Neuseeland und wieder zurück gesendet, bevor dieser Artikel zu Ende gelesen wird. Eine Vocal-Spur einer Sängerin aus Nigeria, der Elektro-Beat aus dem Homestudio in Bonn und ein paar Samples von Gitarristen aus Mexiko – so wird Musik heute produziert.
Algorithmen bestimmen Musik
Vor Zeiten des Internets machten Bands was sie wollten. Die drei Songs aus dem Album ‘Close to the Edge’ von Yes haben eine gesamte Spielzeit von 37 Minuten und 51 Sekunden: ‘Close to the Edge‘ – 18:12, ‘And You and I’ – 10:09, ‘Siberian Khatru’ – 9:30. Bad Bunny, der aktuell erfolgreichste Sänger im spanischsprachigen Universum hat bei seinem Hitalbum ‘Un Verano Sin Ti’ 23 Songs reingepackt, die durchschnittlich 3 Minuten und 29 Sekunden lang sind. Das ist der neue Standard.
Die Streaming-Anbieter tragen hier eine Mitschuld, da ab 30 Sekunden ein Stream gezählt wird. Kürzere Songs erzeugen daher mehr Geld, da sie einfach öfter abgespielt werden können. Auf diesen Umstand machte die Rockband ‘The Pocket Gods’ aufmerksam. Sie veröffentlichten ein Album mit 1.000 Songs die je 30 Sekunden lang sind. Dazu kommt, das automatisierte Playlisten auch auf die länge der Songs achten. Als regelmäßiger Spotify-Nutzer ist es noch nie passiert, dass in einer Playlist sowohl 3-Minuten als auch 10-Minuten+ Songs enthalten waren.
Natürlich liegt Teil der Verantwortung bei den Musikschaffenden, die Profite über Kunst stellen. Nils Frahm komponiert wohl auch noch in 20 Jahren seine 10 Minuten Piano-Stücke und Tools Intros sind weiterhin länger als Nina Chubas ‘Mangos mit Chili’. Solange allerdings die Rahmenbedingungen für Erfolg bereits vor der Kreation der Kunst festgelegt werden, wird es immer mehr Einheitsbrei geben.
Mehr Genres, mehr Musik, neue Gewohnheiten
Ein weiterer Grund sind die veränderten Gewohnheiten beim Musikkonsum. Jahr für Jahr entwickeln sich neue Subgenres und Musiktrends, die plötzlich Millionen-Reichweiten auf den großen Streamingplattformen erreichen. Während in den 70ern ein Großteil der Musikhörer irgendwo zwischen Klassik, Jazz, Rock- und Popmusik gewechselt hat, gibt es heute ein endloses Angebot. Die TikTok-Raver hören Acid-Techno, Tropical House und dazu eine Priese Afro-Trance, während Generation Alpha am meisten zu Hip Hop und Dance die Arme schwingt. Die Fülle an neuer Musik hängt stark mit neuer und billiger Technologie für die Produktion zusammen. Das sieht auch Ek so.
Für das Zitat hat Ek allerdings einen regelrechten Shitstorm im Internet erhalten. Der elektronische Musikproduzent Deadmau5 reagierte daraufhin emotional: “Inkorrekt. Die Kosten, Content zu kreieren, waren über 25 Jahre meines Lebens und ein Großteil der Erlöse gehen an deine Firma du komplett verf****ter Idiot.” Für die klaren Worte gab es viel Zuspruch, allerdings steckt hinter der Aussage auch eine Wahrheit. Es war noch nie so einfach wie heute als Solo-Künstler einen Song zu produzieren.
Es braucht kein Studio, Instrumente oder verschiedene Aufnahmegeräte. Mit einem Computer, einer DAW und einem MIDI-Keyboard lässt sich schon einiges anstellen. Das führt zu einer Überflutung von Streamingdiensten, wie wir es noch nie gesehen haben. Laut einer Analyse von Luminate aus 2023 werden täglich 123.000 Songs veröffentlicht. Bei der Fülle landet natürlich auch viel Musik im Internet, die qualitativ schlecht ist oder einfach niemand hören möchte. Von den 158 Millionen Songs, die im Jahr 2022 auf Streamingdiensten hochgeladen wurden, kamen 38 Millionen auf 0 Streams.
Bands sind für Labels Risiko
Musiklabels sind am Ende des Tages Wirtschaftsunternehmen, die Gewinne erzielen möchten. Die Vermarktung von einzelnen Artists ist dabei deutlich einfacher und günstiger als von einer Band. Es gibt weniger Meinungen, weniger Kompromisse und einfachere Anpassungsmöglichkeiten. Auch die großen Stars wie Beyoncé, Taylor Swift und The Weeknd haben Bands im Hintergrund. Doch warum sollte ein Label den Aufwand betreiben, Akteure mit passender Persönlichkeit zu finden und auch noch an die Öffentlichkeit zu bringen?
Stattdessen wird der effizientere Weg gegangen: Solo-Artists stehen in der ersten Reihe und sind nicht nur ein musikalisches Produkt, sondern zugleich Werbebotschafter. Hinter ihnen arbeiten zahlreiche hauseigene Produzenten, die sich nicht mit den Bedürfnissen der zahlreichen Egos rumschlagen müssen. Songwriter kümmern sich dann noch um die Lyrics und Melodien und das massentaugliche Produkt ist perfekt.
Am Ende steht ein Performer auf der Bühne, der durch die Industrie geformt wurde und das Geld für den ganzen Apparat einspielen soll. Warum sollte man diese Formel verändern, solange sie funktioniert und die machtvollen Streaming-Anbieter diese Art von Musik auch noch belohnen?
Es gibt sie doch noch, diese Bands
Hier eine Abgesang auf Bands zu singen ist allerdings quatsch. Es gibt noch immer zahlreiche talentierte Gruppen, die Erfolg haben und Leute in Kneipen, Sporthallen und Volksfesten zum Tanzen bringen. Durch das Internet haben sie viele Möglichkeiten sich selbst zu promoten und sind nicht mehr von den Entscheidungen von großen Labels abhängig. Dazu können sie ein Gegenmodell zu den aktuellen Trends darstellen: Die Rebellen die nicht an Algorithmen während des Songwritings denken und nur Einheitsbrei generieren, um in den Charts zu landen. Denn Authentizität wird immer wieder aufs neue belohnt.
Dr. Noetigenfallz sagt:
#1 - 13.12.2024 um 09:06 Uhr
Wie im letzten Abschnitt beschrieben, liegt es wahrscheinlich am ehesten an den Labels. Wenn enn man sich überlegt wie viele Skandale, Trennungen und weitere Katastrophen die großen Bands hinter sich haben, ist es einfach leichter mit Solo-Artists. Viele bekannte Sänger sind als Teil einer Band gestartet, das Label hat dann aber nur den Sänger unter Vertrag genommen. Wenn es gut läuft, dürfen dann die restlichen Bandmitglieder bei einer Tour mit auf der Bühne stehen, aber auf dem Cover sind sie nicht abgebildet.