Tutorial: Online Recording – Remote Collaboration in der Praxis

Gemeinsam online Musik machen, das bedeutet: Live über das Internet jammen. Andere Begriffe in diesem Zusammenhang sind „Online Music Collaboration, „Remote-Recording“ oder auch„kollaborative Musikproduktion“. Gerade in der Corona-Zeit wurde das für viele Musizierende zum Thema. Wir klären auf!

Tutorial: Online Recording – Remote Collaboration in der Praxis
Jam-session und Recording über Online-Musikplattformen (Bildquelle: sessionwire.com)

Inzwischen gibt es zahlreiche Online-Musikplattformen, die das Musikmachen aus der Ferne sogar noch beflügeln können. Bekannte Online-Musikplattformen wären da Audiotool, Soundtrap, Jamulus, Jammr, SoundJack, Audiomovers, Jamkazam, Steinberg VST Connect. Alle haben ihren eigenen Fokus und jeweils andere Möglichkeiten (und Schwierigkeiten). Gute Erfahrungen habe ich in verschiedenen Projekten mit Sonobus und Sessionwire gemacht, die ich hier gerne einmal vorstellen möchte.

Inhalte
  1. Online Recording und Musik machen: Zwei Ansätze 
  2. Software #1: Jam-Session online mit Jamkazam
  3. Software #2: Remote-Recording mit Steinberg VST Connect
  4. Software #3: Online-Musik simpel und gut mit Sonobus
  5. Software #4: Die Online-Musikplattform Sessionwire
  6. Welches Equipment brauch ich für die Online-Session?
  7. Hardware-Lösung #1: Das Mini-Setup
  8. Hardware-Lösung #2: Homerecording-Setup
  9. Hardware-Lösung #3: Multichannel-Setup
  10. Weitere Praxistipps für Online Recording & Remote Collaboration

Jam-Session online im Videochat mit Skye und Zoom ?

Skype und Co. sind einfach unschlagbar, was die Verbreitung und Verfügbarkeit angeht. Trotzdem gibt es starke Einschränkungen in der Audioqualität. Zu empfehlen ist hier Zoom, da es a) immerhin die Audio-Übertragung in Stereo erlaubt und b) sich die automatische Geräuschunterdrückung justieren lässt.

Dennoch gilt für Zoom das Gleiche wie für alle Videochat-Tools: Sie sind definitiv nicht für das Online-Musikmachen erfunden worden. Da werden nämlich deutlich höhere Anforderungen an die Audioqualität gestellt.

Online Recording und Musik machen: Zwei Ansätze 

Online Music Collaboration gibt es schon eine ganze Weile. Ganz früh dabei: Steinberg mit der Rocket-Technologie – Tonstudios haben sie bereits über ISDN-Fernübertragungen (MusicTaxi), z.B. für Sprachaufnahmen, genutzt. Wenn heute über Online Music Collaboration gesprochen wird, dann sind dabei grundsätzlich zwei verschiedene Ansätze gemeint.

  1. Cloud-basiert: Die vernetzte Musikproduktion: Es geht allgemein um den Austausch von zentral verfügbaren Audio/MIDI-Daten und DAW-Projekten über Filesharing-Dienste.
  2. In Echtzeit: Die unmittelbare bi-direktionale Interaktion über das Internet, ganz ähnlich wie es mit Videochat gemacht wird, nur eben bei guter Audioqualität.

Über die Online Collaboration Tools der Kategorie 1 haben wir auf Bonedo bereits einen ausführlichen Artikel von Carsten Kaiser.

Bi-direktionale Online-Interaktion – was ist das?

Diese Art der Online-Kommunikation hat mich das letzte Jahr hindurch beschäftigt und die Lösungsansätze sind tatsächlich aus den pandemiebedingten Einschränkungen gewachsen. Drei recht unterschiedliche Anwendungen stehen dabei im Mittelpunkt.

  • Klavierunterricht: Musikschulen und Klavierlehrende erlebten schon während des ersten Lockdowns ein Desaster: Wie soll man nun weiterhin Face-to-Face-Unterricht geben? Viele haben dabei auf Videochat-Dienste wie Skype, Zoom, Whatsapp etc. gesetzt. Wie schon angemerkt, sind diese Tools eigentlich nicht zum Musikmachen gemacht. Wie man sich damit trotzdem ein wenig behelfen kann, darüber habe ich auf PIANOO.de einen kleinen Artikel mit praktischen Tipps und einfachen (günstigen) Lösungen verfasst: Online-Klavierunterricht geben mit Skype & Co.
  • Audio/Video-Produktion: Um weiterhin Content für den YouTube-Kanal von PIANOO.de zu produzieren, brauchten wir eine Möglichkeit, um parallel per Video und Audio zu kommunizieren. Weil wir nämlich nicht nur über Digitalpianos und Piano-VST sprechen, sondern bei unserer Form der Online-Kommunikation auch spielen, musste eine gute Audioqualität her. Über eine bi-direktionale Verbindung konnten wir uns die Sounds dann auch gegenseitig vorspielen und sogar zusammen spielen.
  • Musikprojekte: Ein gemeinschaftliches Elektronikprojekt mit Elektrosapiens Joker Nies wäre tatsächlich ganz zum Erliegen gekommen, hätten wir nicht die geeigneten Online-Musikplattformen gefunden. Unser Material entsteht durch Live-Jams, während denen spontan ganz unterschiedliches Equipment zum Einsatz kommen kann. Im Prinzip ist da alles erlaubt, was Sound macht: Hardware-Synthis, Software-Synthesizer, DAW, Modularsysteme.

Weitere technische Anforderungen beim Online Recording

Schon bei den drei oben genannten Anwendungen wird klar, dass die Anforderungen unterschiedlicher nicht sein können. Klavierspielen über Skype ist echt kein Spaß. Und auch bei der Übertragung fetter Bass-Drones sind den Mikrofonen von Smartphones gewisse Grenzen gesetzt. Tatsächlich haben wir aber genauso erst mal losgelegt – und haben das ganze Schritt für Schritt ergänzt, erweitert, optimiert, verworfen usw. Immer wieder haben wir vielversprechende Online-Musikplattformen und Kombinationen mit Videochat getestet. Nicht alle Tools waren gut oder brachten die erforderliche Funktionalität mit.

Halten wir also fest, welche technischen Anforderungen es gibt. Daraus lassen sich auch gleich Schwierigkeiten und Lösungen ableiten.

  • Unverfälschte Audioübertragung: Wenn man gemeinsam über das Internet spielen will, ist die Videochat-Übertragung (Sprache und Bild) zunächst zweitrangig. Die üblichen Videochat-Tools produzieren Ducking-Effekte und merkwürdige Klangänderungen wegen der automatischen Audio-Optimierung. 
  • Schnelle Audioübertragung: Völlig klar – musikalische Interaktion funktioniert nur, wenn die Übertragung der Daten ohne große Verzögerung vonstattengeht. Man muss in dieser Hinsicht aber kompromissbereit sein: Ganz ohne Latenz läuft das leider alles nicht. In einem bestimmten Rahmen funktioniert es aber durchaus!
  • DAW: Es hängt sehr von der Komplexität des eigenen Musik-Setups ab, generell kann man mit oder ohne DAW online Musik machen. Ansonsten ist es von Vorteil, wenn Music Collaboration Tools DAW-unabhängig funktionieren. Es soll ja schließlich vorkommen, dass nicht alle mit der gleichen DAW arbeiten. Bei unseren Projekten (s. o.) nutzt jeder seine gewohnte Umgebung, darunter Steinberg Cubase, Apple Logic Pro und Bitwig Studio.
  • Videoübertragung: Die Bildqualität würde ich erst mal nicht in den Vordergrund stellen. Es kommt natürlich trotzdem ganz darauf an: Kommuniziert man mit einer Person, die man zum ersten Mal für eine Session trifft? Oder möchte man auch mal die Computer-Screens austauschen? Dann ist eine gute Bildqualität schon hilfreich.
  • Routing/Monitoring: Das ist abhängig vom jeweiligen Setup. Möchte man einfach nur zwei bis drei Signale (Key/Git/Mic) übertragen, ist das schnell gemacht (siehe Mini-Setup). Bei einigen unserer Anwendungen kommen allerdings Software-Instrumente und -Effekte sowie externe Hardware zum Einsatz. Die DAW ist hier das beste Tool, um die erforderlichen Routings zu managen.
  • Recording: Es geht nicht nur darum, sich selbst und seine:n Session-Partner:in beim gemeinsamen Spielen gut zu hören. Ziel des Ganzen ist natürlich auch die Aufnahme des Materials. Da man grundsätzlich ohne Synchronisation (Wordclock oder MIDI) arbeitet, muss man auch hier kompromissbereit sein. Zu berücksichtigen ist dabei immer, dass die Audiokommunikation immer mit einer Datenkompression (ähnlich MP3) arbeitet. In vielen Fällen ist das völlig okay, aber für hochauflösendes Audio gibt es Lösungen!
  • Schnelle Internetleitung: Völlig klar – mit einem Internetzugang, der schon für das Filmeschauen kaum ausreicht, wird man bei der bi-direktionalen Online-Kommunikation per Audio und Video kaum weiterkommen. Mit 50 MBit/s lässt es sich arbeiten – je schneller, desto besser.
  • LAN-Verbindung: Alle Online-Musikplattformen empfehlen ausdrücklich, keine Drahtlos-Internetverbindung zu nutzen. Eine WLAN-Verbindung erzeugt zu viel Latenz. Mit einer kabelgebundenen LAN-Verbindung ist die Datenübertragung deutlich besser.
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