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Tutorial: Online Recording – Remote Collaboration in der Praxis

Check-1-2: Kannst du mich hören?

Kommen wir nun zu den Online-Musikplattformen bzw. den Softwarelösungen, die „musiktaugliche“ Kommunikation erlauben. Bis zu den beiden Software-Tools, die ich hier empfehle, gab es eine gewisse Durststrecke zu durchlaufen. Die ersten Gehversuche waren nicht schön. Und dieses „kannst du mich hören?“ gefolgt von – frickel-frickel – „kannst du mich jetzt hören?“ ist in der Online-Session doppelt nervig – deshalb dazu später weitere Praxis-Tipps.

Software #1: Jam-Session online mit Jamkazam

Das erste Tool, das wir uns für Online Recording angeschaut haben, war Jamkazam. Während des ersten Lockdowns hörte man immer wieder davon, und es gibt zahlreiche Videos, die Bands zeigen, die über das Internet zusammengeschaltet eine Jam-Session spielen. 

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Bei unseren Versuchen war Jamkazam die totale Niete – selbst Versuche mit bezahlten Accounts scheiterten. Die Audioverbindung aufzubauen dauerte unheimlich lange, wenn sie denn überhaupt zustande kam. In den FAQs und Foren kommt man dann zur Erkenntnis, dass die Einstellungen des Internet-Routers (UDP) und der Software etwas tricky sind. Wer sich mit so etwas auskennt – bitte. Meine Welt ist das nicht.

Software #2: Remote-Recording mit Steinberg VST Connect

Der nächste Versuch war Steinberg VST-Connect. Ein cleveres Tool, das im Gegensatz zu Jamkazam sofort funktionierte. Leider aber ist VST Connect auf eine spezielle Anwendung fokussiert: Producer mit Steinberg Cubase nimmt einen Performer auf. Letzterer braucht auf seinem Audiorechner nur die (kostenlose) Software VST Connect Performer zu installieren.

Online Recording mit Steinberg VST Connect
Für Aufnahmesessions über das Internet eine professionelle Lösung: Steinberg VST Connect (Bildquelle: Steinberg)

Und das funktioniert dann so: Producer spielt die Produktion ab, Performer performt, Producer nimmt auf. „Remote Recording“ nennt sich der Spaß und funktioniert mit VST Connect wirklich komfortabel. Allerdings hat das Ganze zwei Limits: Es funktioniert nur mit Steinberg Cubase und ermöglicht eine klassische Recording-Situation über das Internet. Es ist etwa so, als hätte man einen Vocalisten vor der Studioscheibe. Nur, dass man sich per Video sieht. Außerdem super: VST Connect überträgt Audio und MIDI. Aber miteinander Jammen? Das geht leider nicht bzw. nur über das Talkback in Mono.

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Software #3: Online-Musik simpel und gut mit Sonobus

Diese Software funktionierte bei unseren Tests auf Anhieb und wir können damit stundenlang Proben und Live-Jams spielen. Sonobus ist schnell installiert und konfiguriert, läuft stabil und das Beste: Es ist kostenlos. Ein Account oder dergleichen ist nicht erforderlich.

Jam Session in der DAW
Macht Jam-Sessions online einfach und ist sogar kostenlos: Sonobus läuft stand-alone, als Plug-in und als App (iOS/Android).

Sonobus bietet dabei eine hohe Fexibilität, denn es funktioniert auf MacOS, Windows, Linux, iOS und Android. Sonobus kann ganz einfach als Stand-alone-Applikation genutzt werden und läuft als Plugin in jeder DAW. Es arbeitet insofern plattformübergreifend und ist dabei sogar Multi-User-fähig. 

Die einfachste Anwendung: Man klemmt das Plugin in den Master-Bus und setzt eine Session mit einem frei gewählten Namen auf. Alle, die den Namen der Session kennen, können sich dann entweder über die Stand-alone-Version, die Mobil-App oder die DAW via Plugin mit der Session verbinden – man gibt einfach den Namen ein und klickt auf „Connect“.

Anschließend zeigt sich Sonobus äußerst funktional, was die Arbeit mit Multitracks, die Einstellungen des Monitormixes oder die Anfertigung von Aufnahmen angeht. Das ist ganz praktisch, wenn man schnell und spontan eine Performance mitschneiden möchte. Das funktioniert auch unabhängig von der DAW, denn Sonobus kann die Aufnahmen in hoher Auflösung lokal in einem eigenen Ordner speichern – wichtig für alle, die das Thema DAW aus ihren Live-Jams heraushalten wollen.

Sehr praktisch: Man kann auswählen, ob das Ganze als Gesamtmix, lediglich die eigene Performance bzw. die Performance der anderen Teilnehmer:innen oder alle Signale separat gespeichert werden sollen. So kann man die Aufnahmen später via Filesharing zusammenführen, um daraus einen Track zu produzieren.

Zwischen-Fazit: Audio only, einfach gut und kostenlos

Sonobus funktioniert für Online Recording super und ist perfekt für alle, die eine möglichst einfache und flexible „Audio-only“-Lösung suchen (ohne Video). Die Audioqualität ist trotz Datenreduktion bestens. Bei den Produktionen für PIANOO.de setzen wir Sonobus ein, während die visuelle Kommunikation parallel über Skype läuft.

Software #4: Die Online-Musikplattform Sessionwire

Sessionwire hat verglichen mit Sonobus ganz klar den professionelleren Ansatz und präsentiert sich überdies als Social-Plattform, die weltweit Producer:innen und Musiker:innen connectet. Sessionwire vereint Video, HiRez-Screensharing, Filesharing, Talkback plus HighQuality-Audiostream in einer Applikation.

Online Recording mit Sessionwire
Umfangreiches Online Music Collaboration Tool und Musiker-Community: Sessionwire (Bildquelle: Sessionwire)

Wie funktioniert Sessionwire?

Sessionwire wird über einen Account gesteuert, der kostenlos eingerichtet werden kann. Hier entscheidet man, ob man die funktional eingeschränkte Free-Version oder eine der angebotenen Abo-Versionen nutzen möchte. Auf seinem Rechner installiert man eine Stand-alone-App (MacOS, Windows) und eine Plugin-Suite. Die Plugins lassen sich gezielt in die DAW-Kanäle bzw. Mix-Busse integrieren. Die Kommunikation wird über die Sessionwire-App hergestellt, die parallel zur DAW läuft. In der Sessionwire-App sind die Video-Screens zu sehen, ebenso findet man hier die Grundeinstellungen für Video, Audio, Screensharing, Filesharing.

Online Recording App und Plugin
Sessionwire App und Plug-ins (Bildquelle: Sessionwire)

DAW-unabhängiges Arbeiten mit Sessionwire

Da die Audiostreams über Plugins laufen, arbeitet Sessionwire DAW-unabhängig. Allerdings fällt das Routing über Audiokanäle und Mix-Busse in jeder DAW ein wenig anders aus. Ich selber nutze z. B. Bitwig Studio, wo sich die Integration über Group-Channels sehr einfach und übersichtlich gestaltet. 

Sessionwire stellt Template-Projekte für die verschiedensten DAWs bereit. Dennoch kann ich nur empfehlen, sich in das Routing hineinzudenken, damit man weiß, was man tut. Insbesondere gilt das für umfangreichere Setups mit Soft- und Hardware.

Online Recording Invite Sessionwire
Multiclient-Sessions: Weitere Teilnehmer einfach per Session-Link einladen. (Bildquelle: Sessionwire)

Das Audio-Routing in Sessionwire

Sessionwire ermöglicht hier maximale Flexibilität. Daher ist das Thema auch nicht ganz trivial, sobald man umfangreiche Setups fährt. Die Funktionsweise ist generell aber simpel. Sessionwire unterscheidet für jede Richtung zwischen zwei getrennten „Signalleitungen“: 1. Talkback (Sprachkommunikation, mono) und 2. HQ Audio (Musikübertragung, stereo).

Insgesamt leisten also vier Plugins die Kommunikation: Talkback Send, Talkback Receive sowie HQ Audio Send und HQ Audio Receive. Praktikabel ist es, für das Send-Plugin einen Mix-Bus zu erzeugen. Diesen Submix leitet man an seinen Mastermix und über das Internet auf die andere Seite der Online-Session. Für das empfangene Signal reicht es, wenn man das Receive-Plugin in einen Stereo-Audio-Kanal setzt, der an den Mastermix überträgt. 

Ganz ähnlich geht man mit dem Talkback-Mikro um. Ganz clever: Sofern man sein Talkback-Mikro auf dem Default-Kanal belässt, kann man den Kanal in der DAW muten. Die Sessionwire App leitet das Talkback-Mikro nun am gesamten Mix vorbei. Der Vorteil: Es stört die Aufnahme nicht und man hat vor den laut aufgedrehten Monitorboxen sitzend absolut kein Feedback – genial! Man kann das Ganze aber auch frei konfigurieren, um Talkback- und Musiksignale als separate Audiospuren aufzunehmen – Stichwort: Podcast-Produktion.

Was kostet Sessionwire?

Man kann mit Sessionwire kostenlos beginnen, um sich mit der Funktionsweise vertraut zu machen. Account und Nutzung der Free-Version sind kostenlos, außerdem hat man mit dem Account bereits Zugriff auf die Sessionwire Community. 

Möchte man Sessionwire voll umfänglich nutzen, werden verschiedene Tarife angeboten, die man flexibel nach Bedarf nutzen kann. Als Monats-Abo kostet Sessionwire 15 US-Dollar. Das Abo ist jederzeit kündbar, wer das Jahr im Voraus zahlt, bekommt zwei Monate gratis. Daneben kann auch ein dreitägiger Sessionpass für sieben US-Dollar gebucht werden. 

Sehr cool ist, dass für das kollaborative Musizieren nur ein einzelner bezahlter Account notwendig ist. Wer die Session startet, überträgt das volle Feature-Set auf seine Session-Partner (auch wenn die selbst einen Free-Account nutzen).

Sessionwire in der Praxis

Was geht hier nicht? – Das Arbeiten mit online synchronisierten Systemen per Wordclock oder MIDI-Clock. Auch die Konfiguration der DAW ist unter Umständen nicht ganz einfach. Aber die Einarbeitung lohnt sich, denn mit Sessionwire kann man Online Recording oder Jam-Session komfortabel online durchziehen.

Dank des Talkback-Tricks in der Sessionwire App kann man über die Monitorboxen abhören, ohne Rückkopplungen zu befürchten. Da das Audio zwar datenkomprimiert, aber ansonsten unbearbeitet ist, gibt es auch kein automatisches Echo-Filter. Die besten Resultate erzielt man, indem man auf beiden Seiten einen Kopfhörer als Monitor nutzt (oder beim Spielen das Talkback-Mikro ausschaltet).

Die Online-Kommunikation basiert auf einer P2P-Verbindung (Peer-to-Peer). Das hat den Vorteil, dass möglichst kurze Server-Verbindungen genutzt werden – im Unterschied zu Skype, Zoom und Co. Die Qualität der Verbindung hängt allerdings auch von der jeweils im Netz verfügbaren Bandbreite ab. Selbst die schnellste Leitung bringt einem wenig, wenn auf einem Knotenpunkt gerade viel los ist –  z.B. am frühen Abend, wenn alle im Netz sind und ihre Streaming-Dienste nutzen. Wenn das Netz also etwas hakt, muss man etwas geduldig sein. Dann heißt es: Erneut einwählen oder später nochmal probieren. 

Thema Latenz: Das ist hier schon etwas gewöhnungsbedürftig. Hat man aber erst mal eine schnelle Internetverbindung erwischt, kann man wirklich gut mit Sessionwire arbeiten. Die Return-Latenz ist dann bei 20 bis 30 Millisekunden.

Die Qualität des Videosignals ist absolut ausreichend, als viel wichtiger für unsere Arbeit hat sich das HiRez Screensharing herausgestellt. Das ist beim Austausch über komplexere Modular-Patches, Software-Details, Routings oder Synth- oder DAW-Settings sehr hilfreich. Man kann zwischen den jeweils aktiven Fenstern auswählen. Und für die Face-to-Face-Kommunikation kann man das Videofenster als Float Window nutzen. Als Video-Input unterstützt Sessionwire auch Zuspieler wie EpocCam, Canon EOS Webcam-Utility oder OBS Studio.

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Online jammen und recorden: Optimal ist das, wenn man parallel zur eigenen Performance den Receive-Kanal seiner Sessionpartner:innen aufnimmt. So hat man die gesamte Performance inklusive aller einzelnen MIDI- und Audiospuren. Später kann man dann die jeweils lokal aufgezeichneten Spuren via Filesharing zusammenfügen. Das funktioniert ganz einfach per Drag-and-drop.

Zwischen-Fazit: Kostenpflichtig, aber professionell

Als Online Recording und Collaboration Tool ist Sessionwire eine tolle Lösung, um Live-Sessions zu spielen und die Performance aufzunehmen. Sessionwire kann aber noch viel mehr und ermöglicht mit Multiclient-Sessions gänzlich vernetzte Rehearsal-Situationen in der Musikproduktion. Die Audioqualität ist absolut zufriedenstellend und man kann bei relativ kurzer Latenz arbeiten. Beim Live-Jam realisiert man nach einer Weile schon gar nicht mehr, dass zwischen einem das ganze Internet ist. 

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