Praxis
Wie alle Rackmount-Topteile stellt auch der Orange 4 Stroke 500 den Käufer vor die Entscheidung “So lassen, wie es ist” oder “Doch lieber in ein Rack einbauen”. Positiv ist sicherlich, dass man bei einem Rackgehäuse selber darüber entscheiden kann, ob der zusätzliche Aufpreis für ein solches Gehäuse notwendig ist, statt vor vollendete teure Tatsachen gestellt zu werden. Das Gehäuse des Orange 4 Stroke 500 ist, wie bereits erwähnt, allemal stabil und robust genug für die Verwendung ohne Rack. Man kann den Amp auch relativ bequem an einem der Rackbügel tragen, wenngleich das doch bei längeren Distanzen schon irgendwann spürbar in die Finger schneidet. Ein seitlich angebrachter Koffergriff wäre hier durchaus hilfreich.
Einmal in Position auf der Box gebracht, steht der 10kg leichte Amp sehr solide und rutschfest und kein Bassgewitter der Welt vermag ihn mehr aus der Bahn zu vibrieren. Doch bevor das Gewitter hereinbricht, ist erst einmal geradezu himmlische Ruhe angesagt, denn das Einschalten des 500 Watt starken Aggregats wird von keinerlei Nebengeräuschen begleitet: kein Klicken, Klacken, Poppen, Husten, Plustern, Gurgeln oder Quieken ist zu vernehmen! Eine Einschaltverzögerung verhindert souverän sowohl das Einknicken des Stromnetzes, als auch jegliches unangenehmes Geräusch, welches bei diversen Amps auch schon einmal so laut sein kann, dass man um seine Speaker fürchtet. Auch das allseits bekannte Herausfliegen der Haussicherung bleibt einem sichtlich erspart.
Auch der integrierte Lüfter bleibt erst einmal aus, denn dieser meldet sich ja erst, wenn er benötigt wird. Erst wenn dem Amp wirklich stärkere Leistung abverlangt wird, setzt auch der Lüfter ein. “Geht doch”, murmele ich so vor mich hin, nachdem Lüfter ja häufig bei Amps einen der nervigsten Störfaktoren darstellen können.
Eine Routinebewegung, an die man sich gewöhnen muss, ist das Herunterdrehen des riesigen Lautstärkereglers auf Null, bevor man seinen Bass anschließt oder das Kabel zieht, denn der Orange 4 Stroke 500 besitzt leider keinen Mute-Schalter. Ich stehe dem etwas ambivalent gegenüber: Einerseits ist ein Mute-Schalter ja nicht unbedingt nötig, denn nahezu jeder Bassist verwendet ein Stimmgerät, mit dem man auch eine Mutefunktion ausführen kann. Und Bassisten mit mehreren Bässen verwenden häufig Switcher, die ebenfalls gemutet werden können. Dennoch wäre es sicher ganz nett, zumindest die Option einer Mute-Möglichkeit direkt am Amp zu haben. Andererseits ist der Lautstärkeregler derart opulent groß gestaltet, dass es wirklich einfach ist, die vorherige Einstellung visuell wiederzufinden.
Abgesehen davon ist die Haptik des Rasterpotis ein wahrer Genuss – und wer spielt nicht schon seit früher Kindheit gerne an großen Knöpfen? Ich persönlich habe im Verlauf des Tests niemals einen Mute-Schalter vermisst, und die puristische Orange-Philosophie, auf jeden nicht unbedingt notwendigen Schalter oder Regler aus dem Schaltkreis zu verzichten, kann ich ebenfalls gut nachvollziehen.
In medias res gehend, stelle ich umgehend fest, wie effektiv die Semiparametrik der Klangregelung greift. Eine gute Methode mit einer solchen Klangregelung zu arbeiten ist, alle vier Boost/Cut-Regler in die Neutralstellung zu versetzen und sich dann durch die vier Bandbereiche durchzuarbeiten. Ich beginne meistens mit den tiefen Mitten, dann kommen die hohen Mitten, danach die Bässe und zuletzt die Höhen. Am Ende nehme dann noch etwas Finetuning vor.
Während ja tiefe Mitten meistens angehoben werden, sieht man häufig eine Absenkung bei den oberen Mitten, die häufig nasal-topfig und unangenehm werden können. Die Auswahl der gewünschten Frequenz ist mit der Klangregelung dieses Topteils wirklich sehr einfach zu bewerkstelligen. Einfach den Boost/Cut-Regler eines der vier Frequenzbänder in Boost-Stellung bringen und mit dem darunterliegenden Frequenzregler durch die Frequenzen sweepen. Man hört dann ziemlich schnell, welche Frequenzen dem gewünschten Sound entgegenkommen oder eher stören. Auf diese Weise kann man auch sehr effektiv gegen unerwünschte Boxen-, Bühnen- oder Raumresonanzen angehen, wenngleich der Q-Faktor (also die Breite der angewählten Frequenzbereiche) beim Orange relativ breit ausgelegt zu sein scheint – und nicht so eng wie beispielsweise ein Notchfilter.
Der EQ ist jedoch irre effektiv und ich bin ziemlich aus dem Häuschen, wie potent die Rasterpotis greifen. Jeder Rasterklick bewirkt sofort hörbare Veränderungen! Die Raster sind dabei groß genug, um sich die Rasterpositionen merken zu können, aber auch klein genug, um nicht zu große Sprünge pro Klick zu generieren. Das ist wirklich super, denn man kann auf diese Weise sehr einfach A/B-Vergleiche zwischen den Positionen der Regler ausführen.
Die Tiefbässe des Orange 4 Stroke 500 sind opulent, sodass ich sie im Test nur dezent eingesetzt habe. In basslastigen Räumlichkeiten und natürlich abhängig von den verwendeten Boxen ist es sogar effektiver, die tiefen Frequenzen am EQ zu reduzieren und dafür nur die tiefen Mitten zu boosten (der Tiefmittenregler reicht schließlich bis 80 Hz, was ihn effektiv auch zu einem Bassregler machen kann!). Die beiden Tief- und Hochmittenbänder miteinander zu kombinieren, ist ebenfalls interessant bei diesem EQ, denn die Frequenzbereiche überlappen sich deutlich zwischen 250 und 800 Hz. Hier muss man einfach selber einmal Hand angelegt haben, um zu spüren, wie sich das auf den Sound auswirken kann.
Sensationell ist auch die Wirkung des Höhenreglers; hier bekommt der Amp seinen Glanz aufgesetzt. Auf mich wirkt das Ganze wie ein Presence-Regler eines Vollröhrenamps. Der Sound wird crisp, obertonreich und durchsetzungsstark, aber niemals harsch oder gar unangenehm. Auf der anderen Seite kann man ihn in Richtung Vintage wie bei einer passiven Tonblende am Bass sehr effizient abmildern und weich gestalten. Nach einer wirklich nur kurzen Eingewöhnungsphase lernt man diesen Vierband-EQ wirklich zu schätzen und lieben!
Die grundsätzliche Klangausrichtung des Orange 4 Stroke 500 ist “clean”. Ich muss dem Begriff “clean” bei diesem Amp allerdings attestieren, dass man dem noch weitere Attribute hinzufügen muss. Diese klingen vielleicht etwas abgedroschen, aber ich kann sie nur assoziieren mit den Worten “Wärme” und “Obertonreichtum”. Wüsste ich es nicht besser, ich würde bei einem Blindtest schwören, dass Röhren in diesem Amp schlummern.
Dieser Eindruck der generellen Soundästhetik – unabhängig von der Einstellung des EQ – wird noch einmal deutlich verstärkt, sobald man beginnt den Kompressor in den Signalweg zu blenden. Der Kompressor arbeitet deutlich anders, als ich es gewohnt bin, denn es existiert nur ein einziger Regler. Normalerweise arbeiten derart simpel aufgebaute Kompressoren lediglich mit einer Dynamikbeschneidung der Pegelspitzen und wirken sich ohne Lautstärkekompensation meistens in einer Reduzierung des Lautstärkepegels aus. Der Kompressor im Orange 4 Stroke 500 verhält sich jedoch entgegengesetzt: Dreht man ihn herein, so steigt auf der Lautstärkepegel. Will man den Pegel gleich halten, muss man also gleichzeitig mit dem Hereindrehen des Kompressors die Lautstärke am Volumeregler herunterdrehen. Diesen Kniff hat man innerhalb von Sekunden drauf!
Was dann allerdings geschieht, ist verblüffend: Im Gegensatz zu dem Phänomen vieler Onboard-Kompressoren bei Bassamps, bei denen der Sound einfach nur flacher und dynamisch begrenzt wird, wirkt sich der Compressor im Orange 4 Stroke 500 absolut bereichernd auf den Sound aus. Er wirkt deutlich lebendiger, wiederum hervorgerufen durch deutlich hervortretende Obertöne, wie man sie von Röhrenamps kennt, die kurz vor der hörbaren Verzerrung stehen. Schon bei einem geringen Regelweg des Kompressor-Potis bekommt der Sound richtig Fahrt, bleibt jedoch clean.
Erst wenn man den Regler richtig weit hereindreht und die Pegelspitzen deutlich abmildert, beginnt eine blaue LED neben dem Regler aufzublinken. Sie signalisiert damit den Sättigungsbereich, der auch in deutlich hörbaren Verzerrungen resultiert, die gleichfalls untypisch für einen Kompressor sind, sondern gemeinhin eher mit Röhrenverhalten assoziiert werden. Allerdings wirkt die Verzerrung klar “transistorisch” und im Gegensatz zum restlichen Klangverhalten des Orange 4 Stroke 500 weniger röhrenverwandt.
Wie gesagt: die Ausrichtung des Orange 4 Stroke 500 ist vorrangig clean. Für meinen Geschmack leistet der Kompressor seine besten Dienste und Soundeigenschaften in den ersten 50% seines Regelweges – dort ist er eine absolute Bereicherung für den Sound!
Kommen wir zur Leistung: Es ist schon merkwürdig, wie sehr wir uns an hohe Leistungsangaben gewöhnt haben. Bei 200 Watt fängt heutzutage schon so manch einer an, die Nase zu rümpfen, dabei reichen sie bei einem Röhrenamp locker aus, um die Eingeweide nach außen zu stülpen. Leistungsangaben von 1.200 Watt sind in der heutigen Zeit keine Seltenheit mehr und man sollte sich bewusst die Frage stellen, was “Lautheit” eigentlich bedeutet, wie wir sie empfinden und wie viel davon wir in der Praxis wirklich benötigen.
Ich erwähnte ja eingangs die Orange-Philosophie – zumindest so, wie ich sie persönlich interpretiere: “So viel wie nötig, so wenig wie möglich!”. Obwohl man das nicht auf die Leistung des Amps beziehen kann, so beziehe ich es auf das, was auf der Bühne passiert. Somit sollte klar sein, dass Leistung auch eine gewisse Sinngrenze erfahren kann, die man ab einem bestimmten Punkt auch nicht mehr mit “ausreichend Headroom” legitimieren kann. Ich kann guten Gewissens sagen: der Orange 4 Stroke 500 wird in allen erdenklichen Belangen sein Volumensoll locker erfüllen können, denn er ist wirklich sehr, sehr laut! Wer den Amp im Wohnzimmer einsetzen möchte, wird mitunter feststellen, dass die Lautstärke kaum zu bändigen ist. Selbst die ersten zwei Raster des Volumenreglers sorgen bereits für ein ausgiebiges Flattern der Hosenbeine. Man wird mitunter also eventuell die Lautstärke am Bass selbst zurückdrehen müssen, wenn man seine Nachbarn nicht verärgern möchte.
Für dich ausgesucht
Die 500 Watt sollte man somit durchaus mit Sorgfalt einsetzen, womit ich meine, dass die Boxen auch in der Lage sein müssen, das Gebotene zu verkraften. Andernfalls empfehle ich den Griff zum leiseren 300er-Modell. Doch dieser Amp klingt nicht einfach nur laut, sondern er behält stets die Hoheit über einen runden, cleanen und obertonreichen Sound.
Diesen Klang liefert das Topteil auch über den integrierten DI-Ausgang. Wie bereits erwähnt, ist der DI-Out so geroutet, dass er das Signal hinter Klangregelung, Kompressor und Lautstärkeregler abgreift. Der DI verfügt über keine feste Pegelanhebung oder Absenkung (oft mit -10dB und +4dB angegeben), aber ich habe bei der Anpassung des DI-Pegels an den Input der DAW keine Probleme festgestellt. Die Pegel bewegen sich somit in praxisüblichen Toleranzgrenzen. So hören wir in den nun folgenden Soundbeispielen auch immer einen 50/50-Mix zwischen DI- und Speaker-Signal. In nahezu allen Beispielen ist auch der Kompressor dezent hinzugemischt.