Praxis
Praxis und Sound
Beide Amps bieten eine große Palette an cleanen und verzerrten Sounds, die viele kleine Röhrencombos alt aussehen lassen. Auch hier beweist sich wieder einmal der gute Geschmack der Orange-Konstrukteure, die in der Lage sind, auch aus den Transistoren wirklich das letzte Quäntchen Wärme herauszukitzeln. Dass man für einen absolut authentisch klingenden Röhrensound keine Glaskolben benötigt, kenne ich vom Baldringer Dual Drive, dessen Schaltung auf einer patentierten Röhrensimulation beruht. Bei unseren Testkandidaten klingt der cleane Kanal knackig und organisch. Er hat nichts von der typischen Transistor-Kälte, wie man sie von anderen Solid-State Gitarrenverstärkern kennt. In meinem ersten Audiobeispiel hört man den cleanen Kanal in der 9-Uhr-Position. Der Sound ist also sehr clean und eignet sich bestens für Funky-Gitarrenklänge und Singlenotes. Die verwendete Gitarre ist eine Stratocaster in der Zwischenstellung von Hals- und Mittelpickup.
Dreht man den Volume-Regler weiter auf, geht der Kanal allmählich in eine leichte Sättigung über. Im nächsten Beispiel habe ich den Regler auf die 12-Uhr-Position gestellt, und obwohl der Ton schon leicht komprimiert wirkt, ist er noch weit von einer hörbaren Verzerrung entfernt. Eine Tatsache, die ich als sehr positiv empfinde, denn so bleibt der Amp auch bei höheren Lautstärken klanglich stabil. Für den Hausgebrauch ist die 12-Uhr-Position schon viel zu laut, denn die 20 Watt wirken in einer Wohnung wesentlich heftiger als in einem mittelgroßen Proberaum. Ich würde den Lautstärke-Eindruck der beiden Orangenkisten mit einem Fender Princeton vergleichen, was für eine ernsthafte Probe gerade noch funktionieren kann, wenn alle Beteiligten sehr zahm spielen. Schade, dass man dem Amp keinen Anschluss für einen externe Box spendiert hat, denn mit einer 2 x 12 Box könnte man hier sicher noch etwas mehr Schalldruck herauskitzeln.
In der 16-Uhr-Position zerrt auch der cleane Kanal schon ordentlich. Der Sound ist zwar nicht so mächtig, wie man es von einem ausgewachsenen Röhrenamp mit einer 2 x 12 oder 4 x 12 Box kennt, aber dennoch erstaunlich fett. Lediglich der Bassbereich ist weniger gut unterfüttert, weshalb der Bassregler bei allen Audiobeispielen grundsätzlich auf Maximum steht. Der Sweetspot des Treblereglers liegt in einem Bereich zwischen 12 und 15 Uhr, darüber hinaus wird es für meinen Geschmack zu eierschneidermäßig. Unterhalb der 12-Uhr-Marke dagegen empfand ich den Gesamtklang als zu dumpf und undifferenziert. Beim Mittenregler war es ähnlich. Außer beim letzten High-Gain-Soundbeispiel, bei dem ich die Mitten bewusst ausgehöhlt habe, steht der Regler zwischen 12 Uhr und 13 Uhr.
Der Dirty-Kanal macht dort weiter, wo der cleane Kanal aufhört. Man befindet sich hier also nicht plötzlich in einer ganz anderen Soundwelt und muss beim Kanalwechsel daher auch die Klangregelung nicht neu einstellen. Ebenfalls positiv zeigt sich, dass man die angezerrten Sounds, die dem cleanen Kanal bei höherer Lautstärke zu entlocken sind, mit dem Dirty Kanal ohne weiteres auch bei Zimmerlautstärke realisieren kann.
Aber kommen wir zum nächsten Soundbeispiel. Hier habe ich den Gainregler auf 13 Uhr gestellt, um einen etwas höheren Zerrgrad zu erreichen. Der Sound ist klassisch rockig und eignet sich gut für kantige Gitarrenriffs. Er lässt sich nicht ganz so fluffig spielen wie ein kochender Marshallbolide, aber zwischen den beiden Verstärkern liegen schließlich nicht nur bautechnische, sondern auch finanzielle Welten.
Kommen wir zu den High-Gain-Sounds der beiden Brüllwürfel. Zu diesem Zweck habe ich meine alte PRS angeschlossen, die nachträglich mit Dommenget-Humbuckern bestückt wurde. Diese Pickups bieten eine mittlere Ausgangsleistung, denn je nachdem, welches 6- oder 7-saitige Holzbrettchen ihr hier anschließt, kann der Zerrgrad stärker oder schwächer ausfallen. Ab der 16-Uhr-Position des Gainreglers beginnt es nicht nur mächtig zu zerren, sondern es komprimiert auch sehr stark. Der Sound ist eher amerikanisch gefärbt und dementsprechend sahnig. Das Spielgefühl ist gut und eine leichte Schönfärbung stellt sich ein, die spielerische Unzulänglichkeiten etwas zudeckt. Alles in allem macht es Spaß, mit dem Amps zu spielen, denn der Sound ist bei weitem nicht so platt, wie es bei vielen Übungamps dieser Größenordnung und Preiskategorie der Fall ist.
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Eigentlich wollte ich bei meinem letzten Soundbeispiel einen Metal-Sound einstellen, was ich aber nicht wirklich hinbekommen habe. Dazu sind die Amps speziell im Bassbereich letztlich nicht brachial genug. Ich habe die Mitten auf 10 Uhr zurückgenommen und den Trebleregler auf 15 Uhr gestellt. Der Bass befindet sich auch hier in der Vollgasposition. Der Sound ist immer noch ein klassischer Rocksound mit leicht ausgehöhlten Mitten und etwas mehr Britzeln im oberen Frequenzbereich. Die starke Kompression kommt schnellem Spielen sehr entgegen, was ich dann auch einfach mal dazu genutzt habe, ein flottes verschachteltes Pentatonik-Lick zum besten zu geben.