Philipp Kohnke vom „Überschlag“-Percussionfestival: U + E = Ü 

Zum zweiten Mal findet vom 28. August bis 1. September 2024 das internationale „Überschlag“-Festival in Hannover statt. Wir haben uns mit dem künstlerischen Leiter Philipp Kohnke über dieses außergewöhnliche Percussionfest unterhalten. 

Foto: Simona Bednarek

Philipp Kohnke (hinten Mitte) und das Orga-Team von „Überschlag“. (Foto: Simona Bednarek)

Wie kam es vor zwei Jahren zur erstmaligen Veranstaltung des „Überschlag“- Festivals? 

Ich bin hauptberuflich als Schlagzeuger an der Staatsoper Hannover beschäftigt, und mit meiner Gruppe hatten wir schon längere Zeit Schlagzeugkonzerte gespielt, etwa einmal pro Jahr eine Produktion. Das schlief aber aus verschiedenen Gründen irgendwann ein – und das war der ausschlaggebende Punkt für die erste selbständige Veranstaltung des „Überschlag“-Festivals 2022. Wir wollten dabei ganz verschiedene schlagzeugerische Theaterabende auf eine Bühne bekommen. Also habe ich Freunde eingeladen, gemeinsam an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden Konzerte zu spielen. Dazu kam auch schnell die Idee zu den Masterclasses tagsüber. Dass das Festival bereits bei der Premiere so groß geworden ist, war nicht unbedingt beabsichtigt. Es hat sich aber schnell herausgestellt, dass nicht nur in der Community, sondern auch bei Förderern und Publikum reges Interesse vorhanden war. Schlagzeugkonzerte funktionieren einfach sehr gut, vor allem natürlich durch die allgemeine Offenheit und die verschiedenen Genres. 

Musik und unterschiedliche mediale Darstellungen verbinden sich zu einem Gesamtkunstwerk. (Foto: Simona Bednarek)
Musik und unterschiedliche mediale Darstellungen verbinden sich zu einem Gesamtkunstwerk. (Foto: Simona Bednarek)

Dieser offene Ansatz zwischen „Klassik“ und „populärer Musik“ hatte von Anfang an einen hohen Stellenwert? 

Ja. Wir wollten keine Konzerte machen, die zum Beispiel nur für Operninteressierte gedacht waren – aber auch kein herkömmliches Drum- oder Percussionfestival. Unser Ziel war es vielmehr, abzubilden, was Schlagzeug als Gesamtheit sein kann, und das nebeneinanderzustellen. Es ist doch im Prinzip alles ein einziges Ding! Das Publikum macht diese Unterscheidungen eh noch weniger als wir, und wir sollten es auch nicht tun. Diese breite Fächerung ist meines Erachtens der wichtigste Punkt, denn sie macht unser Festival letztlich authentisch und einzigartig – ich selber habe ja auch von ganz früh an ganz unterschiedliche Arten von Musik gehört. Diese Bandbreite von Metallica bis Bach zu vermitteln, finde ich auch heute sehr, sehr wichtig.

Im Vergleich mit „handelsüblichen“ Drumfestivals nehmt ihr mit dieser Ausrichtung einen immer noch besonderen Posten ein… 

Ja – wobei ich denke, dass mittlerweile die Grenzen schon merklich aufweichen. Es gibt viele klassische Schlagzeuger, die sich auch durch Weiterbildung und Unterricht sehr intensiv mit anderen musikalischen Bereichen beschäftigen. Die Welten verschmelzen immer mehr. Das merkt man auch in neuen Kompositionen: Beim kommenden Festival zum Beispiel werden wir eine Welturaufführung haben, die von uns in Auftrag gegeben wurde und ganz bewusst überhaupt nicht mehr in irgendwelchen Genres gedacht ist [Óscar Escudero/Belenish Moreno-Gil: „Empty Rave“]. Dazu kommt der Einsatz verschiedener Medien. Musik ist so neben Elektronik und Video auch nur noch ein Teil des Ganzen. Diese experimentelle Offenheit empfinde ich als eine wunderschöne und vor allem interessante Entwicklung. 

Wie ist das Festival locationmäßig organisiert? 

Es gibt auch jetzt wieder verschiedene Spielstätten, aber das „Kulturzentrum Pavillon“ ist mit mehreren Bühnen und einem großen Foyer schon das Herz des Festivals. Das ist zum einen aus logistischen Gründen ganz wichtig, denn dort werden bei unserem Instrumentarium schon jede Menge Dreineinhalbtonner vorfahren müssen [lacht], zum anderen gehört dieses Zuhause zur Konzeption des Festivals: Es gibt so einen Ort, an dem im besten Fall von morgens bis nachts etwas los ist. Jeder kann jederzeit vorbeikommen und sicher sein, jemanden aus der Community zu treffen. So kann möglichst viel Austausch stattfinden. 

Wie stellt ihr das Festival wirtschaftlich auf die Beine? 

Das bleibt auf jeden Fall eine Herausforderung, klar. Die ganze Idee ist in der Corona-Zeit gereift, als viele große Festivals finanzielle Schwierigkeiten bekommen haben. Das war bei allen Turbulenzen dieser Zeit, paradoxerweise, ein wenig unser Glück, denn manche Gelder wurden auf einmal frei. Davon haben wir profitieren und unsere Lücke finden können. Jetzt lautet die Aufgabe natürlich, das alles zu halten. Seit dem letzten Festival sind wir stark gewachsen, und ich bin wahnsinnig glücklich zu erleben, dass die Geldgeber in unserem Festival einen Sinn sehen und uns so toll unterstützen. Man hat einfach gemerkt, dass das Schlagzeug mittlerweile in der Mitte des allgemeinen Konzertgeschehens angekommen ist. Das Thema ist total prominent. Im Grunde ist das ja alles neue Musik, also Stücke aus den letzten Jahrzehnten. Trotzdem ist die Hütte voll und alle sind begeistert. Das ist, finde ich, einmalig. 

Inhaltlich offene Percussionkonzerte in schickem Ambiente sind Kernstück von „Überschlag“. (Foto: Simona Bednarek)
Inhaltlich offene Percussionkonzerte in schickem Ambiente sind Kernstück von „Überschlag“. (Foto: Simona Bednarek)

Wie sind die Masterclasses und Kurse inhaltlich organisiert? 

Das liegt im Grunde komplett in der Hand der Dozenten. Sie sollten das machen, was sie gerade beschäftigt – schlussendlich überzeugt’s dann ja auch am meisten. Die Mischung ist also schon bewusst sehr bunt. Gleichzeitig haben wir aus dem letzten Festival als Selbstkritik mitgenommen, dass wir die Inhalte bei einem so großen Spektrum von Anfänger- bis hin zu Spezialistenkursen ein wenig strukturieren müssen: Wir wollen auch weiterhin sozusagen Exzellenzförderung für besonders engagierte Studenten, aber eben auch Kurse und Workshops für alle anbieten. Die sind jetzt räumlich und zeitlich getrennt. So ist das „Überschlag Camp“ entstanden, das schon vor dem eigentlichen Festival beginnt [25. bis 28. August] – in Anlehnung an die bekannten Drumcamps. Alles, was im Rahmen des eigentlichen Festivals stattfindet, ist hingegen so konzipiert, dass es für alle interessant und selbst für rhythmusinteressierte Laien umsetzbar ist.

Masterclasses und Workshops gehören zum Angebot, jetzt auch erstmalig das vorgelagerte „Überschlag Camp“. (Foto: Simona Bednarek)
Masterclasses und Workshops gehören zum Angebot, jetzt auch erstmalig das vorgelagerte „Überschlag Camp“. (Foto: Simona Bednarek)

Mit wie vielen Leuten bist du vor und während des Festivals aktiv? 

Das Ganze läuft ja in der Trägerschaft eines Vereins, beyond music e.V. Mittlerweile sind wir zu fünft im engeren Organisationsteam. Dazu kommen Leute, die sich beispielsweise um Design und Dramaturgie kümmern. Auch auf diesem Gebiet mussten wir professionell orientiert sein, um beispielsweise Förderer – wie jetzt die Kulturstiftung des Bundes – an Bord holen zu können. Zur Durchführung des eigentlichen Festivals kommen jede Menge Helfer dazu, ohne die es natürlich nicht gehen würde. 

Ist das Etikett „Klassik“ in Sachen Förderung auch ein Türöffner? 

Ja, das denke ich schon. Ich bekomme zwar nur von außen mit, was in der Pop- und Rockbranche los ist, aber es scheint in Sachen Förderung dort schon schwieriger zu sein, etwas auf die Beine zu stellen. Es herrscht wohl immer noch das Klischee, dass „die ja wohl für sich selbst zurecht kommen“. Vieles ist einfach noch ziemlich verstaubt gedacht und bildet sicher nicht ab, wie es tatsächlich ist. Ich fände es toll, wenn wir einen Teil dazu beitragen können, dass sich Dinge ein wenig ändern. Die Unterscheidung zwischen E oder U ist ja eh schon lange hinfällig – daher ja bei uns das Ü im Logo [lacht]. Das war zwar mehr oder weniger ein Zufall, hat aber in diesem Kontext schon einen ganz besonderen Sinn. 

Mitreißende Konzerte mit Knalleffekt: Beim „Überschlag“-Festival soll das Schlagwerk in seiner ganzen Bandbreite präsentiert werden. (Foto: Simona Bednarek)
Mitreißende Konzerte mit Knalleffekt: Beim „Überschlag“-Festival soll das Schlagwerk in seiner ganzen Bandbreite präsentiert werden. (Foto: Simona Bednarek)

Wo siehst du das „Überschlag“-Percussionfestival in den kommenden Jahren? 

Das Tolle ist ja, dass das Schlagzeug eine Never-ending-Story ist. Ich habe also überhaupt keine Sorgen, dass uns irgendwann die Ideen ausgehen. Es ist eher so, dass die Listen von Dingen, die wir machen wollen, überquellen und wir traurig sind, dass wir bis zum nächsten Festival immer so lange warten müssen. Erstrebenswert wären für mich noch größere Projekte, ohne natürlich das eigentliche Konzept der kammermusikalischen Besetzungen aus den Augen zu verlieren. Ich würde zum Beispiel gerne mal Konzerte mit einem richtig großen Orchester machen, bei denen es in der Hauptsache um das Schlagzeug geht.  

Die Konzeption der Festivalzukunft ist also bereits auf die nächsten Jahre ausgelegt? 

Ja, auf jeden Fall. Es soll ferner darum gehen, abgesehen vom eigentlichen Festival, das auch weiterhin alle zwei Jahre stattfinden soll, dauerhafter präsent zu sein. Wir versuchen deswegen zum Beispiel, auch im Internet künftig etwas anzubieten oder das eine oder andere Konzert beim Festival aufzuzeichnen und eventuell zu übertragen. Kompositionsaufträge sind für die Zukunft sicher auch ein wichtiges Thema, denn in diesem Kontext haben die Komponisten leider immer weniger Möglichkeiten. Wenn wir es schaffen, unseren kleinen Beitrag zu alldem zu leisten, dann ist schon sehr viel getan. Die Offenheit spielt bei uns nach wie vor die wichtigste Rolle – auch und gerade für Dinge, die man auf den ersten Blick nicht so recht einordnen kann.

Biografie: 

Philipp Kohnke, geboren 1981 in Braunschweig, begann im Alter von zehn Jahren mit Schlagzeug- und Paukenunterricht an der Städtischen Musikschule. Nach dem Abitur studierte er an der Universität der Künste Berlin und schloss sein Studium an der Hochschule für Musik in Trossingen bei Professor Franz Lang ab. Kohnke ist aktuell erster Schlagzeuger an der Staatsoper Hannover und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Er ist künstlerischer Leiter des „Überschlag“-Festivals. 

Programm und weitere Infos unter: www.ueberschlagfestival.de

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Überschlag Percussion Festival 2024 (Foto: Simona Bednarek)

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