Vintage, Baby! Alte Gitarren sind heiß begehrt, und viele Gitarristen würden für eine alte Fender oder Gibson, ohne mit der Wimper zu zucken, ihre Großmutter bei Ebay versteigern. Inzwischen setzt sich das Phänomen „Alte Klampfe, gute Klampfe“ aber auch in der nächsten Generation fort und so ermöglichen die „echten“ japanischen Nachbauten von Squier oder Tokai aus den 80er Jahren heutzutage vielen Musikern einen ersten Einstieg in die Welt der „bereits getragenen“ Bretter. Aber muss es immer von weit her kommen?
Was ist eigentlich mit den Vintage E-Gitarren aus dem Deutschland der 60er Jahre? Wo man für eine alte Strat schnell mal fünfstellige Beträge über die Theke schwenken muss, gibt es eine alte Höfner oder Hopf weit unterhalb des vierstelligen Bereichs. Woran liegt das? Taugen die Instrumente nur für Beat- und Schrengelmusik a la Hamburger Schule? Wir waren neugierig und besorgten uns zwei baugleiche Höfner-Gitarren in Strat-Form (die sogenannte „173 Super-Solid“), ausgestattet mit drei Single-Coils in Humbucker-Optik, Tremolo und Lackierung in Sunburst. Die beiden Gitarren wurden zwischen 1965 und 1972 gebaut – also definitiv vintage, die Beiden!
Step1 – Der Check: Als Erstes baten wir Andreas Einhorn, seines Zeichens Profigitarrist aus Bremen und absolut Strat-erfahren, beide Gitarren im Ist-Zustand zu begutachten. Die eine Gitarre befand sich im „Ebay Dachbodenfund-Zustand“, also von der Substanz OK, aber mit fehlender Abdeckung, einer fehlenden Mechanik und teilweise defektem Tremolo und Elektrik. Die andere war sehr gut erhalten, voll funktionsfähig – und auch die Mechaniken wurden schon mal gewechselt. Mit einer aktuellen Gitarre von der Stange konnte aber keine von beiden mithalten. Dennoch hatten beide ihren Charme – aber seht selbst.
Step2 – Zum Gitarrenbauer: Der Schritt, den man sich normalerweise nicht leistet – wir waren neugierig und sind ihn gegangen. Klar, man denkt ja immer, man könne das selbst – aber ein erfahrener Gitarrenbauer macht aus einem erträglichen Instrument mit einigen Handgriffen und gezielten Tunings oftmals schnell etwas richtig Gutes. Der Gitarrenbauer unserer Wahl war in diesem Fall Thomas von Cyan Guitars in Hamburg Sankt Pauli, der u.a. für Farin Urlaub eine Signature-Gitarre entwickelte und kürzlich Mastodon mit einem seiner neuesten Modelle begeisterte. Doch wir wollten nicht nur das Minimalpaket: Wir baten ihn, zu versuchen eine der beiden Klampfen zur modernen Rockgitarre aufzubohren – und die andere zum Gegencheck so weit wie möglich im Originalzustand zu belassen. Den Boxen-Stop der beiden Teile könnt ihr im folgenden Video en Detail verfolgen.
Step3 – Das Fazit: Andreas und Thomas treffen sich zur Übergabe der beiden vollendeten Werke wieder. Beide Gitarren wurden gereinigt, abgerichtet und eingestellt. Bei der „aufgepimpten“ Gitarre wechselte Andreas gleich noch die Pickups, die komplette Elektronik, Potiknöpfe, Stringtrees und die Mechaniken. Sie erhielt also quasi ein zeitgemäßes Upgrade. So mancher Vintage-Freak wird jetzt vielleicht Angstschweiß triefend vorm Rechner sitzen, weise den Kopf schütteln und sagen: „Oh, nein – diese Scharlatane.“ Aber bildet euch doch am besten eure eigene Meinung!
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Die Kosten: Unterm Strich schlug das „Aufbrezeln“ der gepimpten Gitarre mit etwa EUR 600 zu Buche – plus Anschaffungspreis von etwa EUR 250 – also im Endzustand ein Gesamtpreis von 850 Euro. Der Preis für die andere Gitarre, die in der Anschaffung allerdings auch mit etwa 450 EUR deutlich mehr kostete, belief sich auf insgesamt 550 EUR. Summen also, für die man durchaus „eine gute, neue Gitarre“ kaufen kann. Ob das eine dem anderen vorzuziehen ist…? Schwer zu sagen! Es ist die klassische Frage nach Vanille oder Schokolade! Halt Geschmackssache… für den Einstieg ist der Kauf einer neuen Gitarre sicher das geringere Risiko. Bei alten Gitarren geht es aber immer auch um einen speziellen Charakter – und die sichtbare Geschichte des Instrumentes. Mich hat auf jeden Fall überrascht, dass es Thomas gelungen ist, einen abgezockten Profigitarristen mit einer alten „uncoolen“ Gitarre zum Schwärmen zu bringen.
DIE GEPIMPTE AXT KONNTET IHR GEWINNEN!
Tja, leider leider ist diese Chance schon vorbei – dafür freut sich aber Frank von der Band Soul:On aus Kaarst über seine “neue Alte”! Er war so nett, uns ein Feedback seines ersten Eindrucks zu schicken – ein hervorragender Abbinder für unsere Geschichte:
“Die Saitenlage ist leicht bespielbar, auch für große Fingerchen. Die Gitarre ist sehr leicht und ohne Verstärker klingt die Gitarre etwas “dünn”, beinahe nach Sperrholz. An den Verstärker angeschlossen ändert sich das Verhalten: Hier gefällt mir vor allem die dezente Verhaltensweise des Hals-Pickups. Die angespielten Saiten klingen sehr “weich” der Ton entwickelt sich zu einem richtig schönen warmen Bluessound. Der mittlere Pickup bietet den vollen Vintage-60er Jahre Sound. Den werde ich ich wohl eher seltener nutzen. Der Steg-Pickup gibt schöne rockige Töne von sich. Die hohen Töne treten nicht so in den Vordergrund, das gefällt mir. Damit kann man auch schöne leichte Verzerrungen spielen. Gut gefällt mir auch, dass die Saiten insgesamt sehr ausgewogen übertragen werden. Meine Fender-Strat z.B. stellt sich da bei der E-Saite etwas bockig an. Nicht so die Höfner. Insgesamt bietet die Höfner-Gitarre einen eigenwilligen und warmen Sound mit vielen Möglichkeiten. Das gute Stück ist aus den 60er Jahren und hat bestimmt schon viel erlebt – das sieht man dieser Gitarre förmlich an. Die Überarbeitung von Gitarrenbauer Thomas Harm finde ich super. Damit bietet die Gitarre mehr als nur einen Vintage-Sound. Ich freue mich schon, mit meiner “neuen” Gitarre bald aufzutreten…”
Danke Frank – und wie sagt man so schön: Rock On! 🙂
Was Cyan Guitars sonst so macht: Wer neugierig ist, was Thomas sonst so macht – in folgenden Film erzählt er Andreas was über seine Firma und zeigt ein paar seiner Schätzchen. Mastodon und Farin Urlaub gehören zu seinen Kunden …