Bislang konnte man DJs und ihre bevorzugten Mischpulte grob in vier Kategorien einteilen: DJs, die auf Mischpulte mit internen Action-Effekten Wert legen, spielen mit Pioneer-Mixern. DJs, die dem optimalen Klangbild auf der Spur sind, bevorzugen Allen & Heath-Mixer mit ihren Multimode-Filtern und Vierband-EQs. DJs, die gerne sanft und gemächlich mit dem ganz breiten Klangpinsel durch die Frequenzen streicheln, schwören auf Rotary-Mixer mit großformatigen Dreiband-Isolatoren. Und für DJ-Duos, die sechs Kanäle brauchen, um mit Decks, FX und zwei Laptops zu brillieren, gibt’s den Allen & Heath XONE:96 oder gleich den von Richie Hawtin höchstpersönlich designten PLAYdifferently Model 1.
Doch jetzt werden die Karten neu gemischt, denn Pioneer wartet mit einer echten Überraschung auf. Anstatt einfach nur einen neuen Aufguss des mittlerweile auch schon vier Jahre alten Erfolgsmodells DJM-900 NXS2 anzubieten, bringen die Japaner alle oben genannten Konzepte in einem einzigen großen und imposanten Gehäuse zusammen:
Dreiband-Isolatoren wie bei Boutique-Rotary-Mischpulten, Vierband-EQs und Low-/Highpass-Filter à la Allen & Heath, zwei separate Kopfhörer-Pfade und Kanalkompression ähnlich dem PLAYdifferently Model 1, digitale Eingänge für alle Kanäle und eine merklich aufgebrezelte digitale Effektsektion mit zwei zusätzlichen Effekt-Send/Returns. Das alles verpackt in einem aufgeräumten Layout, auf dem sich Pioneer-erfahrene DJs immer noch gut zurecht finden werden. Ob der V10 wirklich das Beste aller Welten vereint, soll dieser Test ergründen.
Details
Groß ist der V10 geworden: mit 44 x 47 x 11 cm ist er so tief wie ein Technics Turntable breit. Ein um 90° in Battlemodus gedrehter 1200er passt also perfekt seitlich an den V10. Mit 12 kg Gewicht ist der V10 auch richtig schwer und da seine vier Gummifüße sehr flach sind, kommt man mit den Fingerspitzen nicht gut unter den Mixer. Kurzum: Es macht keinen Spaß, ihn ständig hin und her zu bewegen. Dafür liegt er sehr satt auf dem Tisch und wirkt auf den ersten Blick sympathisch aufgeräumt. Alles ist immer noch dort, wo man es bei einem Pioneer Flaggschiff-Mixer in etwa erwartet, aber er wirkt nicht nur wegen der Größe seriöser als bisherige DJM-Mischpulte: Alle Buttons sind rund, schwarz und nur sehr dezent hintergrundbeleuchtet.
Die Farben Grün und Blau fehlen völlig, sämtliche Lichter sind in Rot, Amber und Weiß gehalten, auch die jeweils 15 Segmente der Lautstärke-LED-Anzeigen. Dadurch wirkt der V10 gerade im Dunkeln ruhiger, übersichtlicher und schlicht professioneller. Ein weiterer Blickfang ist das 72 x 52 mm große schwarz-weiße Display für die Beat-FX-Parameter, das sich bei zufälliger Berührung als unprätentiöses Touch-Display entpuppt. Klasse!
Fader
Aber erst mal von vorne, ganz vorne: Dort sitzt der hauseigene magnetische Magvel-Crossfader, der extra-smooth flutscht. Darüber in jedem der sechs Kanäle die versenkten und auch im Dunkeln gut ersichtlichen Dreiwegeschalter zur Crossfader-Zuordnung und die 5 cm langen, sahnig-leichtgängigen Lautstärkeschieberegler. Die gesamte Fader-Sektion kann übrigens separat abgeschraubt werden, um schnell Zugang zur Unterseite zu erhalten. Natürlich können für die Fader verschiedene Charakteristika angewählt werden, dies geschieht über das Hauptmenü im Display.
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Cue
Über der Fader-Sektion dann die erste Neuigkeit: zwei hintergrundbeleuchtete Vorhörschalter pro Kanal und im Master. Cue A ist größer, Cue B ist kleiner und beide haben ihre eigenen Regler für Lautstärke und Cuemix sowie Kopfhöreranschlüsse in 6,3 und 3,5 mm Ausführung. Mit zwei völlig unabhängigen Kopfhörerwegen ist der V10 schon mal optimal für DJ-Teams geeignet, die jeweils in andere der sechs Kanäle reinhören können, deren schiere Anzahl damit auch gerade für Duos enorm sinnvoll ist.
Send-FX
Über den Cue-Buttons finden wir pro Kanal einen Regler für die Send-FX. Pioneer hat das Konzept der „Color FX“ aufgebohrt und etwas umgestellt. Es gibt nun mit Short Delay, Long Delay, Dub Delay und Reverb vier interne Send-Effekte. Dazu kommen zwei Sendewege für externe Effektgeräte.
Beat FX
Über dem Send-FX-Regler finden wir einem dropsgroßen Taster zu Beat-FX-Zuordnung, dessen Lichtring bei Aktivierung rot leuchtet. Bravo, endlich wird der Effekt dort angewählt, wo er benötigt wird, nicht per Drehschalter irgendwo am Rand, sondern im Kanal selbst. Die Beat-FX sind nach wie vor Insert-Effekte und die Zuschaltung ist exklusiv, das heißt, es kann immer nur ein einzelner Kanal oder alle (Master) oder die Mikrofon-Sektion der Beat-FX-Engine auf der rechten Seite des Mixers zugewiesen werden.
Die übrige Bedienung ist weitgehend identisch mit dem DJM-900NXS2, nur gibt es jetzt statt des X-Pads gleich ein Touch-Display, auf dem wichtige Parameter per Fingerdruck beeinflusst werden. Folgende Beat-FX stehen zur Verfügung: Delay, Echo, Ping-Pong, Spiral, Helix, Reverb, Shimmer, Flanger, Phaser, Filter, Trans, Roll, Pitch und Vinyl Brake.
Filter
Das vom DJM-900NXS2 bekannte Color-FX-Filter fehlt in den Send-FX des V10, aber das hat seinen guten Grund: Jeder Kanal und auch der Master sind mit einem eigenen Filter-Poti ausgestattet. Die dazugehörige Filtersektion sitzt links über den Send-FX und offeriert die beiden Modi Tiefpass und Hochpass. Dazu gibt es einen Resonanzregler, der auf gleicher Höhe mit den Kanalfilter-Reglern liegt und ebenso wie diese einen prägnanten silberfarbenen Ring auf den Potikappen aufweist. Das sieht stringent und edel aus, mit angenehmem Hang zum Understatement. Mikrofon Links über der Filtersektion befindet sich die Mikrofon-Sektion ohne besondere Neuzugänge: zwei Regler für Mikro 1 und 2, dazu Bass- und Höhen-EQ mit jeweils 12 dB Cut und Boost und ein Dreiwegeschalter für Off, On und Talk-Over, also alles wie gehabt.
EQ, Kompressor, Gain
Aber jetzt wird’s crazy: ein Vierband-EQ wie bei Allen & Heath-Mixern! Ein Kanalkompressor wie bei PLAYdifferently! Der V10 markiert die Abkehr von der reinen Pioneer-Lehre des kräftigen Dreiband-Equalizers. Der Boost der vier Bänder mit jeweils 6 dB ist moderat. Die Einsatzfrequenzen des V10 liegen bei 200 Hz im Bass, 400 Hz und 1,2 kHz in den beiden Mitten und 3 kHz in den Höhen, also leicht anders als beim XONE:96 (180 Hz, 350 Hz, 1,1 kHz, 3 kHz).
Duales Audiointerface
Um den DJM-V10 als Soundkarte einzusetzen, wird mindestens macOS 10.13 High Sierra oder Windows 8.1 in den jeweils höchsten Versions-Updates vorausgesetzt. Dann ist er nach Installation des Treibers als Soundkarte für rekordbox, Traktor Pro 3.3.0, ShowKontrol und demnächst auch für Serato DJ Pro einsetzbar.
Wie bereits vom DJM-900NXS2 bekannt, verfügt auch der V10 über gleich zwei Anschlüsse für Laptops, sodass DJ-Teams mit separaten Systemen spielen können und der Wechsel zwischen Laptop-DJs stressfrei vonstatten gehen.
Die Laptop-Signale können mittels der Acht-Wege-Schalter auf jeden der sechs Kanäle gelegt werden. Jeder Mixerkanal hat ebenfalls einen Digitaleingang und einen Line-Eingang. Die Phono-Eingänge sind für die Kanäle 1, 3, 4 und 6 vorgesehen.
Der Multi-In/Out ist auf den Kanälen 2 und 5 als Eingang anwählbar. Das ist der USB-B-Anschluss ganz oben rechts auf dem Mixer. „Multi“ deswegen, weil er auch als Record-Out für Pioneers iOS Recording-App DJM-REC oder als Insert für externe Effekte wie z. B. Pioneers RMX-1000 dient.
Der Ausgang des Multi-Out kann aber auch Kanal 2 oder 5 zugeführt werden. Die übrigen drei möglichen Kanalquellen sind in amberfarbener Schrift gehalten und weisen die Returns der Send-Effekte den Kanalwegen zu.
Master
Rechts neben der EQ-Sektion zieht sich schmal von unten nach oben die Master-Sektion des V10. Über der Sektion für den Kopfhörerweg B finden wir den Booth-Regler mitsamt Zweiband-EQ-Klangregelung (300 Hz und 3 kHz, 12 dB Cut und 6 dB Boost), darüber die Taster für Kopfhörer-Cue und Beat-FX-Zuordnung, dann das bereits erwähnte Filter-Poti, eine 15-segmentige Level-Anzeige und eine Clip-Leuchte, die DJ tunlichst beachten und bei Bedarf das sich darüber befindliche Master-Potentiometer etwas leiser drehen sollte. Denn der V10 ist nach wie vor ein digitaler Mixer, der allerdings sehr analog klingt und sogar über einen schicken Dreiband-Isolator verfügt.
Master Isolator
Das ist ein weiteres Novum und Highlight des V10: ein Dreiband-Isolator mit schön großen, griffigen mittig gerasterten Potentiometern. Die Potis sind senkrecht angeordnet, ähnlich wie beim Mastersounds Radius 4.
Bässe, Mitten und Höhen des V10 werden um jeweils bis zu 9 dB geboostet oder unendlich gecuttet. Werden alle drei Regler hart nach links gedreht, herrscht Ruhe im Karton. Dabei sind die Grenzfrequenzen mit 150 und 2200 Hz durchaus eigenwillig gewählt. Wie das klingt, erörtern wir nachher im Praxisteil. Ganz Neugierige hören schon mal in die Klangbeispiele rein.
DVS-Control und mehr
Der DJM-V10 ermöglicht DVS-Kontrolle für rekordbox, Serato DJ Pro und Traktor Pro 3. Ebenfalls unterstützt der DJM-V10 das erweiterte PRO DJ LINK ShowKontrol-Protokoll, mit dem DJs über die Fader und Regler den Ton vom Mixer und die Visuals einer Videoshow untereinander anpassen können
Anschlüsse
Bei so vielen Anschlussmöglichkeiten ist natürlich die gesamte Rückseite mit Buchsen übersät: 4x Phono, 6x Line, 6x Digitaleingang sowie ein AES/EBU-Digitalausgang für die Summe. Die analogen Summenausgänge sind als XLR und Cinch ausgeführt, der Booth-Ausgang ist symmetrische Klinke, Record-Out wiederum Cinch.
Die Stereo-Sends und -Returns der externen Effektschleifen sowie des Multi-I/O liegen im Dutzend-Block als Klinkensteckerbuchsen vor, die jeweils linken Aus- und Eingänge wirken auch Mono, falls DJ z. B. ein Mono-Gitarreneffektpedal anschließen möchte.
Die beiden Mikrofoneingänge sind als XLR- und Klinkenbuchse ausgeführt, darunter befinden sich ein MIDI-Out im DIN-Format und eine mit „Link“ bezeichnete Ethernet-Buchse zur Integration des V10 in ein Netzwerk mit angeschlossenen Pioneer Playern.
Zwei wirklich einfach zu bedienende fette Erdungsschrauben für Plattenspieler und eine verriegelbare Kaltgerätenetzkabel-Anschlussbuchse runden das sehr positive Gesamtbild des Mixers ab. Hier fehlt nichts und wie das klingt, finden wir jetzt im Praxisteil heraus. Bitte folgen Sie mir unauffällig!
Toby O. Rink sagt:
#1 - 28.07.2020 um 18:04 Uhr
Hi,ich hätte ein Contra. Sorry. Habe ihn selbst und was mich echt nervt ist, dass die vier EQs nicht komplett off sind, wenn man sie runter dreht. Ich habe noch den Rane MP 2015, da ist das ein absoluter Pluspunkt. Schade eigentlich für diese Preisklasse.