Praxis
Wenn man mit dem System 10.1 zur Tat schreitet, macht das erst mal Freude. Die Verarbeitung ist sehr gut, das solide Gerät mit den schönen Holzecken fasst sich gut an und man postiert es gerne vor sich auf dem Tisch. Klar, bei diesem Format ist ein externes Netzteil unumgänglich, aber auch das macht einen guten Eindruck und findet am Gehäuse sein Gegenstück in einer mit Metall umrahmten Buchse, die wirklich nichts Wackeliges an sich hat. Schön auch, dass dieser Eurorack-Rahmen einen Einschaltknopf besitzt.
Alle Bedienelemente, die schönen Potis ebenso wie die Kippschalter, wirken hochwertig. Ihre Bedienbarkeit ist allerdings, das muss man schon sagen, eingeschränkt durch den geringen zur Verfügung stehenden Platz, insbesondere auf der Synthesizer Box. Natürlich sind wir Pittsburgh Modular dankbar, dass sie so viel auf so wenig Fläche untergebracht haben, aber beim Schrauben ist eher der Uhrmacher als der wilde Performance-Künstler im Vorteil. Auch wenn das bei der Bühnentauglichkeit klare Abzüge bringt, ist es im Großen und Ganzen zu verschmerzen, mit einer Ausnahme: Das Tuning des Oszillators ist ein echtes Problem. Das Hauptpoti hat einen extrem weiten Umfang, so weit, dass ich ihn gar nicht recht benennen kann – von fast unhörbar tief bis Hundepfeife. Selbst der Finetune-Knopf kann die Stimmung noch mal um eine Septime verändern. Das heißt, selbst die kleinste Berührung hat dramatische Auswirkungen. Möchte man beispielsweise den Suboszillator zuschalten, muss man einen Kippschalter betätigen, der ganz nah am Poti für das Haupttuning liegt. Da passiert es, wenn man nicht extrem darauf achtet, sehr leicht, dass man das Tuning-Poti berührt und die Stimmung sich spielentscheidend verändert. Da das System 10.1 auch über keinen Stimmton verfügt, lässt sich das Malheur gar nicht so leicht korrigieren. Eine Lösung für dieses (nicht unerhebliche) Problem ist vermutlich bei der jetzigen Größe des Moduls physikalisch fast unmöglich. Naheliegend wäre es, zumindest den Regler für das Fine-Tuning in seinem Umfang deutlich zu beschränken, so dass nicht beide Knöpfe so beherzt zupacken – was ja auch unnötig ist. Am Ende aber hätten die Planer wahrscheinlich einfach gut daran getan, die Synthesizer Box etwas größer zu machen.
Noch ein Wort zur Bedienungsanleitung. Diese ist als Download verfügbar und liegt lediglich auf Englisch vor. Die Beschreibung der Funktionen ist knapp und verständlich, nur bei einem kurzen Einführungstext über Modularsynthese und Allgemeines zum entsprechenden Signalfluss wird es ein wenig kulinarisch. Untermauert wird das von gut gewählten Ausschnittsbildern der Module. Allerdings entsprach das Bild zum Mix Mult-Modul nicht dem aktuellen Layout, was bei einem Online-Handbuch leicht zu vermeiden wäre. Sehr schön fand ich, dass die Pittsburgher nicht nur in einer Abbildung erläutern, welche Verbindungen beim System 10 bereits vorgepatcht sind, sondern sich auch die Mühe gemacht haben, die Einstellungen für eine Handvoll Sounds abzudrucken und mit ein paar Worten zu erklären. Dies zeigt erneut, dass man sich Mühe gegeben hat, auch den Neuankömmling in der Welt der Modularsynthesizer nicht im Regen stehen zu lassen, sondern ihn gleich mit einem plug-and-play-fertigen Synthesizer und einigen Beispielen herzlich einzuladen. Gefällt mir!
Sound
Nur einen Oszillator zur Verfügung zu haben, ist grundsätzlich etwas ernüchternd. Aber zum einen muss man bedenken, dass wir es ja nicht mit einem eigenständigen monophonen Synthesizer per se zu tun haben, sondern mit einer Zusammenstellung von Eurorack-Modulen, die allerdings als ein solcher Synthesizer schon ziemlich gut zusammen funktionieren. Außerdem überrascht der eine, einsame Oszillator durchaus mit einer Palette an klanglichen Möglichkeiten. Hier wäre natürlich der Suboszillator zu nennen, aber auch die zunächst kuriose Blade-Schwingungsform, die als ein etwas reichhaltigerer, aggressiverer Sägezahn beginnt und sich durch die Modulation weiter profilieren lässt, bis sie sogar eine Oktave unterhalb ihrer eigentlichen Frequenz klingt. Da die Blade-Form eine Oktave oberhalb des Haupt-Tunings liegt, lassen sich zum Beispiel mit modulierter Rechtecksform, Blade und Suboszillator gleichzeitig recht mächtige Klänge zaubern. Die Qualität des Oszillators gefällt mir gut. Im Vergleich zu den Oszillatoren des Alesis Andromeda fällt auf, dass die Box aus Pittsburgh in der Regel etwas dünner, aber dafür auch etwas obertonreicher daherkommt. Damit ist der Sound sehr durchsetzungsfähig, auch wenn der Grundcharakter eher in der aggressiven als in der smoothen Ecke zu verorten ist. Nicht zuletzt mit Hilfe des Filters kann man aber durchaus auch weichere Sounds erzeugen, so dass bei aktiviertem Glide auch schöne, geschmeidige Leads die Ausgänge verlassen.
Das Filter weiß ebenfalls sehr zu gefallen. Es lässt mit seinen 12 dB/Okt. Flankensteilheit zuerst an Oberheims SEM denken. Die (auch technisch) richtige Referenz ist aber eher der Korg MS-20. Denn zwar kann dieses Filter auch zurückhaltend und sanft klingen, hat aber sehr viel Bissiges im Erbgut, besonders, wenn man beherzt zum Resonance-Regler greift. Nicht zu vernachlässigen ist auch die „Ping“-Stellung des Modulationsschalters. Sie sorgt für einen sehr schnellen Attack und ein langes Release bei der Modulation des Filters durch die Hüllkurve und eignet sich besonders gut für perkussive Sounds. Ein sehr schönes Feature, um die Soundpalette klug zu erweitern.
Das Lowpass-Gate zu begreifen, hat mich tatsächlich einige Mühe gekostet, was mit der ungewöhnlichen Funktionsweise, aber auch mit einer etwas brüchigen Ausdrucksweise in der Bedienungsanleitung zu tun hat. Zwar ist das Konzept in der Modular-Welt nicht unbekannt; es wurde von Buchla erfunden und ein LPG-Modul wird beispielsweise auch von Doepfer angeboten. Von der “normalen” subtraktiven Klangsynthese kommend, muss man dieses Kombi-Modul aber erst mal erfassen. Zunächst war ich der Auffassung, das LPG habe drei Betriebsmodi: einen als normales 12 dB Lowpassfilter, einen als (Spezial-)Gate, das ab einem einstellbaren Schwellenwert Verzerrung hinzufügt, und schließlich eine Kombination aus beiden. Das wäre für mich eine logische Funktionsweise gewesen, so sehr, dass ich offenbar einiges überlesen habe. Schaut man nämlich auf den Wahlschalter für die Modi, stehen da die Bezeichnungen „VCA“, „LPG“ und „Lopass“. Nach einigem Haareraufen musste ich einsehen, dass „VCA“ tatsächlich genau das meint: einen schlichten Verstärker – oder zumindest so etwas Ähnliches. Denn schaltet man in diese Betriebsart, wird das Signal leiser, sobald man das Frequenz-Poti (dessen Bezeichnung hier natürlich gar keinen Sinn macht) nach links dreht. Somit wird also nichts wirklich verstärkt, sondern, wie bei einem Attenuator, nur im Pegel abgesenkt. Hier unterscheidet sich das Design auch von dem, das beispielsweise Doepfer gewählt hat, denn dort verstärkt der VCA tatsächlich. Warum der Hersteller diesen Modus integriert hat, ist mir etwas schleierhaft. Da man das LPG auch als Einzelmodul kaufen kann, freut sich vielleicht der eine oder andere im Kontext eines größeren Systems über diese Funktion. Im System 10 rsp. im Zusammenhang der Synthesizer Box macht sie für mich nicht sehr viel Sinn, denn man hat ja schon einen – tatsächlich auch funktionstüchtigen – VCA an Bord. Das, was uns das LPG an Besonderem liefert, greift erst im LPG-Modus, bei dem wir eine Kombination erleben aus dem 12 dB Filter und einer Schaltung, die dem Signal aber einer gewissen Lautstärke eine Verzerrung hinzufügt und es damit obertonreicher und bissiger macht. Dies ist zweifellos eine schöne weitere Spielart des Filters, die seinen Charakter zwar dezent, aber doch merklich und in eine gute Richtung verändert. Sehr schade ist allerdings, dass in diesem Modus keine Resonanz eingestellt werden kann (auch hier macht es die Konkurrenz von Doepfer besser). Ob dies bautechnisch bedingt ist, kann ich nicht sagen, es schmälert aber die Freude am LPG recht deutlich.
Auch wenn ich also am Ende doch ergründen konnte, was es mit dem LPG auf sich hat, muss man doch Punktabzüge geben für eine etwas unzureichende Dokumentation und auch ein insgesamt verwirrendes Konzept. Das fängt damit an, dass man doch in der Bedienungsanleitung darauf hätte hinweisen sollen, dass das LPG im VCA-Modus einfach ein – ja, was denn nun – Attenuator ist und dass in diesem Fall die Lautstärke mit Hilfe des Frequenzreglers abgesenkt werden kann. Das hätte schon mal viel Verwirrung genommen. Außerdem könnte man schon darüber nachdenken, ob nicht zwei Betriebsmodi gereicht hätten, einmal als normales Filter, einmal als „Boost-Filter“ oder so. Das wäre dann von Anwenderseite aus ganz einfach und klar zu verstehen gewesen. So sind die Hersteller offenbar in die Falle getappt, eine Umsetzung zu wählen, die den technischen Hintergründen entspricht, aber dem Benutzer nicht weiterhilft. Und obwohl man argumentieren könnte, dass ja die VCA-Funktionalität als weiteres Feature herzlich willkommen sei, so muss ich doch feststellen, dass die Umsetzung nicht optimal gelungen ist. Der Support von Pittsburgh Modular hat übrigens auf Anfragen zur Funktionsweise nicht reagiert.
Wenn man noch einmal zu der Überlegung zurückkehrt, dass das System 10.1 ja kein fertig konfektionierter Synthesizer ist, wie etwa der in seinen Möglichkeiten ganz vage vergleichbare MicroBrute von Arturia, sondern den Einstieg in ein Modularsystem darstellen soll, ist sicher die Frage gestattet, wie gut die Box diesen Zweck erfüllt. Meiner Meinung nach liefern die Amerikaner alles in allem ein gelungenes Paket. Die wesentlichen Komponenten, also vor allem die Klangerzeugung mit Hilfe der Synthesizer Box, aber auch die Verbindung zur Außenwelt in Form des MIDI 3-Moduls, sind von sehr guter Qualität und laden mit inneren wie äußeren Werten zum Schrauben ein. Aber auch die Lernkurve bei der Verwendung des System 10 ist für den Anfänger wie den leicht Fortgeschrittenen gleichermaßen passend. Man kann das Gerät auspacken, per Audio und MIDI anschließen und gleich eigene Patches probieren, wobei man – bis auf das LPG – auf keinerlei Kuriositäten trifft. Hat man auf diese Art die umliegende Gegend erkundet, kann man sich langsam weiter vorwagen und zu den Patchkabeln greifen. Da die zur Verfügung stehenden Ein- und Ausgänge überschaubar und logisch nachvollziehbar sind, fühlt man sich indes nie verloren. Wie bei einem anregenden Rätsel kann man grübeln, wie sich das eine oder andere realisieren lässt, das vielleicht bei „fertigen“ Synths selbstverständlich ist.
So hatte ich mir zum Beispiel vorgenommen, mal eine Filter-Feedbackschaltung zu patchen. Dieses Feature, bei dem das Signal hinter dem Filter/VCA abgegriffen und vor dem Filtereingang noch einmal hinzugemischt wird, ist bei einigen Synths ganz einfach per Poti zu haben – beispielsweise bei Dave Smith Instruments. Wenn man das selber patchen möchte, muss man tatsächlich ein wenig nachdenken. Denn nicht nur muss ja in diesem Fall das Signal gesplittet werden; das Feedback sollte auch regelbar sein. Erst denkt man: Gut, kein Problem, einfach Filterausgang abgreifen, Signal splitten und dann sowohl zum VCA (also zum Ausgang) als auch wieder zum Filtereingang schicken. Da aber der Filtereingang, sobald man etwas auf ihn patcht, das vorgepatchte Signal nicht mehr bekommt, läge, wenn man es so einfach steckte, am Filtereingang nur noch das hinter dem Filter abgegriffene Signal an, so dass kein Sound zu hören wäre. Das Filter braucht also einen Mix aus dem Output der Oszillatoren und dem bereits gefilterten Signal, das wieder eingespeist werden soll. Damit ergibt sich schon ein recht komplexes Patch, das beinahe alle Kapazitäten des Mix-Mult-Moduls in Anspruch nimmt. Wer mag, kann ja mal versuchen, das aufzuzeichnen. Ob es funktioniert, kann man dann leider nur am echten Objekt überprüfen.
Für dich ausgesucht
Spannend fand ich auch, dass das System 10.1 einen beim Experimentieren auf sanfte Weise in Richtung der Grenzen dieser kleinen Modular-Konstellation führt und die Lust auf Erweiterung weckt. Durch die Möglichkeit des MIDI 3-Moduls, auch duophone CV-Signale zu generieren, wird beispielsweise der Wunsch nach einem zweiten Oszillator bald laut. Kurz habe ich versucht, das selbstoszillierende Filter als zweite Tonquelle zu nutzen, aber auch dies scheitert am Fehlen einiger Komponenten. Das ist aber keineswegs als Mangel zu begreifen, sondern als Qualität: Das System 10 funktioniert gut so, wie es ist und ermöglicht bereits eine schöne Palette an Klangerzeugung. Wer sich aber damit beschäftigt, bekommt sehr bald leuchtende Augen und konkrete Ideen, wie er das System ausbauen möchte, um noch weiter zu kommen. Hat man sich dann für die Plus-Variante entschieden, muss man nicht mehr tun, als sich die entsprechenden Module zu bestellen und kann sie gleich einbauen und das Modularsystem ausbauen.
Bis auf die Problematik beim Tuning und das etwas widerspenstige Lowpass-Gate ist mir zudem nichts aufgefallen, das an diesen Modulen unfunktional wäre. Ein kleiner Lapsus ist den Pittsburghern beim LFO passiert. Dieser lässt sich ja zwischen zwei Regelbereichen umschalten, zwischen denen es aber leider eine kleine Lücke gibt, so dass der LFO einen (nicht ganz uninteressanten) Frequenzbereich nicht erzeugen kann. Hier sollte man nachbessern. Aber ansonsten Daumen hoch für ein attraktives, gut ausgestattetes System.
Das Preis-Leistungs-Verhältnis würde ich als befriedigend bezeichnen. Einerseits sind Basissysteme von Doepfer deutlich teurer (bieten allerdings auch deutlich mehr Funktionen), andererseits kostet Arturias MicroBrute, der einen annähernd vergleichbaren Funktionsumfang bietet, knapp die Hälfte und hat immerhin eine kleine Tastatur etc. Aber vielleicht vergleicht man da Äpfel mit Birnen. Wer über den Einstieg in die Welt der Eurorack Module nachdenkt, sollte das System 10.1 von Pittsburgh Modular definitiv auf dem Zettel haben. Beim Kauf ist die nur unwesentlich teurere Plus-Variante zu empfehlen, die aufgrund ihrer Erweiterbarkeit große Vorteile besitzt.
Wintermute sagt:
#1 - 01.02.2017 um 05:50 Uhr
Naja... Ein komplexer Oszillator und ein LPG passen schon zusammen. Ein sehr klassisches Buchla Konzept. (Dessen LPG übrigens auch nicht resonant ist.)In sofern verstehe ich die Kritik nicht so wirklich. Es ist eben kein Moog.