Das Fundament der Songs der „größten Rockband aller Zeiten“ basiert auf der Besetzung von Drums, Bass und zwei Gitarren. Schlagzeug und Bass spielen sehr dezent und ohne viel Schnörkel und lassen damit den beiden Gitarristen genügend Freiraum, sich im Mittelfeld die Bälle zuzuspielen. Ron Wood und Keith Richards sind seit über dreißig Jahren ein eingespieltes Team. In einem Interview hat Keith auf die Frage, wer von beiden denn der bessere Gitarrist sei, gesagt: „Wir sind beide nicht besonders gut, aber zusammen sind wir besser als alle anderen“ …
Die Riffs und das besondere Teamplaying werden wir in dieser Folge der bonedo Play Alike Serie unter die Lupe nehmen. Wie bereits von Keith erwähnt, ist der Schwierigkeitsgrad nicht extrem hoch, doch auch dieser Style ist nicht zu unterschätzen und erfordert etwas Eingewöhnung.
Technik
Zum Einstieg gibt es ein paar Erläuterungen und Übungen, die uns mit den spieltechnischen Eigenarten der Gitarristen vertraut machen sollen.
OPEN TUNINGS
Keith Richards benutzt sehr oft Open Tunings, meist Open G oder E, manchmal auch Open D, das eigentlich vom Tonverhältnis gleich gestimmt ist wie das Open E, allerdings einen Ganzton tiefer. Böse Zungen behaupten, dass Keith einfach nur zu faul ist, normale Akkorde zu greifen und deshalb seine Gitarren umstimmt. Andere sagen, dass es der Einfluss der Blues-Gitarristen wie beispielsweise Muddy Waters (ein großes Vorbild der Stones) war, der auch sehr oft Open Tunings für sein Slide-Spiel benutzte. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte, aber Keith Richards ist ohne Zweifel ein sehr pragmatisch denkender Mensch, denn für sein Open G-Tuning hat er noch eine kleine Modifikation vorgenommen: Die tiefe E-Saite wird nicht gebraucht und deshalb gar nicht erst aufgezogen! Das liegt daran, dass der Grundton des Hauptakkords bei dieser Stimmung auf der A-Saite liegt und die E-Saite ständig abgedämpft werden müsste. Also wird das lästige Stück Draht abgespannt. Falls die E-Saite tatsächlich benötigt werden sollte, kann das der zweite Gitarrist übernehmen. Probiert es mal mit diesem Tuning aus, es klingt auch tatsächlich anders, weil man eben härter in die Saiten schlagen kann, ohne dass man Bedenken haben muss, dass die tiefe E-Saite noch irgendwie mitschwingt.
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Open G-Tuning
Beim Open G-Tuning müssen nur drei Saiten verändert werden, hier die Übersicht:
- E (tief) >>> D (2 Halbtöne tiefer oder gleich abspannen!)A >>> G (2 Halbtöne tiefer)D >>> DG >>> G B >>> BE >>> D (2 Halbtöne tiefer)
Jetzt hat man beim Anschlag der leeren Saiten einen G-Dur Akkord, daher auch der Name. Der kann dann entsprechend verschoben werden und es ergeben sich neue Griffmöglichkeiten. Ich habe einmal eine kleine Auswahl der Standardakkorde, die von Keith häufig benutzt werden, aufgezeichnet.
Open E Tuning
Beim Open E müssen ebenfalls nur drei Saiten verändert werden, diesmal aber die A, D und G-Saite. Hier werden alle sechs Saiten benutzt, der Grundton befindet sich auf der E-Saite. So wird umgestimmt:
- E >>> EA >>> B (2 Halbtöne höher) D >>> E (2 Halbtöne höher)G >>> F# (1 Halbton höher)B >>> BE >>> E
So sehen dann die Stones-typischen Akkorde aus:
Hier wird häufig der Akkord mit dem Zeigefinger komplett gegriffen und mit den anderen drei Finger werden dann die kleinen Variationen erledigt. So kann man dem einfachen Akkordspiel etwas Abwechslung ohne großen Spielaufwand geben. Sehr gut zu hören ist das in der Bridge von Jumpin´ Jack Flash, die später im Text auch dokumentiert ist.
(HYBRID) PICKING
Keith schlägt die Saiten nicht ausschließlich mit dem Pick an, er zupft auch des Öfteren mit den Fingern, manchmal auch mit Pick und Finger, was im Gitarrenjargon als Hybrid-Picking bezeichnet wird. Wenn man das auf das folgende Beispiel überträgt, dann muss die G-Saite mit dem Pick und die hohe E-Saite mit dem Mittel- oder Ringfinger angeschlagen beziehungsweise gezupft werden. Das ist die Basis für das Riff von „Honkytonk Women“. Wichtig ist dabei außerdem, dass die Töne kurz klingen (Staccato). Das heißt, die Anschlagsfinger und/oder das Pick stoppen die Saiten direkt nach dem Anschlag. Probiert bei der Übung folgende Variationen aus:
1. G-Saite: Mit Daumen zupfen E-Saite: Mit Zeigefinger zupfen
2. G-Saite: Mit Pick anschlagen E-Saite: Mit Mittel- oder Ringfinger zupfen
(Das „Zupfen“ sollte eher ein „Rupfen“ sein). Die Saiten müssen schon auf den Hals knallen, damit der amtliche Sound erzeugt wird.
Hier das Hörbeispiel und das Playback zum Üben:
BENDING
Beim Intro von „Honkytonk Women“ und auch bei „Love Is Strong“ benutzt Keith die typischen Country-Bendings, bei denen zwei Töne gleichzeitig angeschlagen werden und nur ein Ton gezogen wird. Hier die Version im Open G-Tuning. Jetzt kommt noch ein Bending auf der G-Saite hinzu. Auch dabei sollten die Saiten jeweils auf den Zählzeiten 2 und 4 mit den Anschlagsfingern oder dem Pick abgestoppt werden.
Auch dazu Hörbeispiel und Playback:
SONGS
Die anschließenden Noten und Tabs sind nicht die Originaltranskriptionen, sondern Beispiele, die dem Original sehr nahe kommen.
(I Can´t Get No) Satisfaction
Das legendäre Riff, das den Sound des Maestro Fuzz weltberühmt machte. Es besteht nur aus drei Tönen, das Motto “weniger ist mehr” hatte auch hier ausschlagenden Erfolg. Keith variiert das Riff im Laufe des Songs immer mal wieder, indem er den zweiten Ton einmal länger hält und dann wieder ganz kurz spielt. Übrigens ist es eine ganz große Eigenheit im Gitarrenspiel der Rolling Stones, alle Riffs und Licks ständig zu verändern, dadurch kommt weder beim Zuhörer noch beim Gitarristen Langeweile auf. Das ist die Freiheit, die Ron Wood und Keith Richards haben, weil Bass und Schlagzeug ein sehr solides Fundament liefern.
Brown Sugar
Auf dem 1971 erschienenen Album “Sticky Fingers” hat Keith sein Trademark-Akkordlick im Open G-Tuning verewigt. Die Basis dieses Akkordlicks besteht aus zwei Griffen: Der erste ist ein C/G (C-Dur mit G als tiefsten Ton), gegriffen mit Zeigefinger (Barre), Mittel- und Ringfinger. Dann werden diese beiden Finger losgelassen und es klingt der G-Dur im 12.Bund komplett nur mit dem Zeigefinger-Barré gegriffen. Diese Akkordvariation wird von ihm sehr häufig angewendet: Er greift einen Dur-Akkord mit dem Zeigefinger und je nach Lust und Laune werden mit den anderen Fingern Zusatztöne gegriffen.
Sympathy For The Devil
In diesem Song gibt es ein Gitarrensolo mit einem sehr höhenbetonten oder besser gesagt sägenden Gitarrensound. Keith ist sehr stark von den alten Blues-Spielern, besonders von Muddy Waters, beeinflusst worden. Hier hört man sehr klar die vom Blues inspirierte Herangehensweise an das Solo. Die Band spielt folgende Akkorde: | E | D | A | E |
Keith spielt sein Solo in der E-Moll Pentatonik, das erzeugt schon eine größere tonale Reibung als die E-Dur Pentatonik; schließlich geht es im Song ja auch um den “Herrn der Finsternis” persönlich … Dabei wird hauptsächlich um den 12. Bund herum gespielt, wo die so genannte “Longform-Pentatonik” folgendermaßen aussieht:
Keith spielt selbstverständlich nicht alle Noten ständig auf und ab, sondern pickt sich vier, die gut greifbar sind, heraus. Da wären zum Beispiel die Töne D, E, G und A auf der D- und G-Saite in der 12. Lage oder dieselben eine Oktave höher in der 15. Lage auf B- und E-Saite:
Mit diesen vier Tönen wird eine kleine Melodie gespielt, die dann wiederholt und variiert wird.
Honkytonk Women
Wir kommen jetzt zu den Country-Elementen der Stones-Songs. Dieser Titel wurde von Jagger und Richards als Akustik-Country Song komponiert, verwandelte sich aber dann in einen Slow-Rock Groove; geblieben ist das Intro-Riff mit den Country-Style Bendings. Die Gitarre ist in Open G gestimmt und hier wird die Technik angewandt, die ich in den Vorübungen schon vorgestellt habe: Die G- und E-Saite werden gleichzeitig angeschlagen und nur die G-Saite wird einen Ganzton hochgezogen. Eine Technik, die schon etwas Kraft erfordert, denn das Ganze findet im zweiten Bund statt. Ihr habt zwei Anschlagsmöglichkeiten: Entweder beide Saiten zupfen (G: Daumen, E: Zeigefinger) oder die G-Saite mit dem Pick anschlagen und die E mit dem Mittel- oder Ringfinger zupfen.
Love Is Strong
Bei diesem Song gibt es eine weitere Verwendung des Bendings aus “Honkytonk Women”, diesmal aber ausschließlich rückwärts. Im ersten Takt sind Powerchords gefragt (G5 nach A5), dann geht es mit einem Slide zum nächsten Akkord (Csus2), dessen Töne nacheinander angeschlagen werden, und im dritten Takt haben wir das Bending. Dabei handelt es sich um ein Pre-Bending: Die G-Saite wird auf der Zählzeit 1 (Achtel Pause) hochgezogen, bei 1+ angeschlagen und auf 2 soll die Saite herunterkommen. Das Ganze wird dann noch dreimal wiederholt.
Start Me Up
Das Intro-Riff von “Start Me Up” erinnert ein wenig an “Brown Sugar”, die gleichen Griffe, allerdings andere Tonart und Reihenfolge. Respekt, das ist effektive Riff-Verwertung. In den letzten beiden Takten des Beispiels sehen wir die Vorzüge des Open G-Tunings, denn hiermit kann man die typische Blues-Begleitung aus Powerchord/Sextakkord ohne große Fingerstreckungen erledigen.
Jumping Jack Flash
Jetzt kommen wir zum Teamwork und dem Thema “Zwei Gitarren klingen besser als eine …”. Von diesem Riff gibt es mittlerweile sehr viele Versionen. Keiner kann mehr so richtig sagen, wie und in welchem Tuning es gespielt wurde. Wahrscheinlich weiß Keith auch nicht mehr, wie das Original war, aber er kriegt es auf allen Gitarren und in allen Tunings irgendwie hin … Hier ist meine Variation:
Gitarre 1
Das ist vermutlich Brian Jones Part, der heute von Ron Wood übernommen wird, gespielt mit einer Strat in Standardstimmung.
Gitarre 2
Der Part von Keith Richards in Open E-Tuning (E-B-E-G#-B-E)
Und so klingen beide Gitarren gemeinsam:
Bridge
In der Bridge des Songs werden die Vorzüge des Open E-Tunings voll ausgeschöpft. Folgende Akkorde werden gespielt: | D | A | E | B |
Die Akkorde lassen sich im Open E-Tuning einfach nur mit dem Zeigefinger in den entsprechenden Bünden (10, 5, 0, 7) leicht greifen. Darüber hinaus werden mit den restlichen Fingern kleine Verzierungen zu jedem Akkord gespielt, die im normalen Tuning nicht so einfach machbar sind.
Anybody Seen My Baby
Zum Schluss sehen (und hören) wir uns mal das Gitarren-Arrangement für “Anybody Seen My Baby” aus dem 1997er Album “Bridges To Babylon” an. Die Struktur und der Aufbau sind simpel, aber wirkungsvoll: Im Verse spielen nur Drums und Bass, in der Bridge setzt eine Gitarre ein, am Ende der Bridge kommen noch zwei hinzu und im Chorus bilden vier Gitarren eine breite Soundwand.
Hier ist das Akkord-Sheet, beginnend mit der Bridge und den Einsätzen der jeweiligen Gitarren:
Gitarre 1
Die cleane “Flächengitarre”, eine Strat mit Chorus und Delay. Die Akkorde Am, G und F in der Bridge werden permanent mit leerer B- und E-Saite gegriffen und ergeben dadurch eine interessante Harmoniestruktur. Es wird auch sehr sparsam angeschlagen, damit noch Steigerungsmöglichkeiten im Chorus sind. Die kommen dann in Form von durchgehenden Achtelnoten, auch wieder mit vielen Leersaiten.
Gitarre 2
Weiter geht es mit dem Part von Keith. Eine Melodie, die mit Doublestopps aufgelockert wird; das Ganze recht sparsam gespielt mit einem leicht angezerrten Ton auf der Tele. Der Einsatz ist zwei Takte vor dem Chorus.
Gitarre 3
Die erste “Additional Guitar” sorgt für tragende Töne im tiefen Bereich. Lange Töne mit etwas mehr Verzerrung. Sie startet ebenfalls zwei Takte vor dem Chorus.
Gitarre 4
Hier kommt die “Dreck-Schrammel-Gitarre”. Sie steigt direkt im Chorus ein und es werden die Akkorde mit Leersaiten in konstanten Achtelnoten gespielt. Zu Unterstützung des Grooves werden die Zählzeiten 1, 2+ und 4 akzentuiert, also lauter angeschlagen.
Und so klingen die Vier dann, beginnend mit der Bridge, zusammen mit Bass und Drums.
Janmann sagt:
#1 - 03.04.2016 um 11:48 Uhr
Man kann die dicke E-Saite auch einfach 3 Halbtöne nach oben stimmen, statt diese 2 Halbtöne nach unten zu stimmen. Ist in der Praxis auch durchaus gängig (Eagles of Death Metal, John Butler Trio). Das "doppelte G" macht den Sound auch noch etwas wuchtiger, insbesondere bei Powerchords. Ich persönlich stimme auch so, dämpfe live jedoch trotzdem oft die dicke E-Saite ab, weil es auf Dauer anstrengend werden kann, durchgehend Barrés über das gesamte Griffbrett zu greifen. Es ist entspannter für mich, die unteren 5 Saiten zu greifen und den Finger am Hals etwas abwinkeln zu können.