In der heutigen Folge geht es um eine Album, das für viele als bestes Konzeptwerk nach Pink Floyds “The Wall” gilt, nämlich “Operation: Mindcrime”, das dritte Album der aus Seattle stammenden Band Queensryche. Erschienen ist das Album 1988 und wurde, wie bereits erwähnt, als Konzeptalbum designt. Die inhaltliche Idee stammt von Sänger Geoff Tate, wohingegen der kompositorische Hauptanteil von den Gitarristen Chris deGarmo, der die Band in den 90ern verließ, und Michael Wilton mitbestimmt wurde. Insgesamt hat man es hier mit einem wirklichen Band-Gesamtwerk zu tun, denn das Schlagzeugspiel von Scott Rockenfield und Eddie Jacksons Bass wirken ebenfalls sehr charakteristisch und soundprägend.
Hinzu kommt ein sehr spezieller, höhenreicher und aggressiver Sound, der sich deutlich von den sonstigen typischen 80er-Jahre-Produktionen abhebt und einen hohen Erkennungswert hat. Die Produktion stammt von Peter Collins, der das Album auf einer digitalen 24 Spur Bandmaschine aufnahm und auch so namenhafte Arrangeure wie z.B. Michael Kamen für das Album gewinnen konnte. Ein Großteil der Kritiker überschlug sich nach dem Release und das Rolling Stone Magazine rankte Operation: Mindcrime auf Platz 67 der größten Metal-Alben aller Zeiten. Da es für mich definitiv zu den neuen Klassikern des Metal-Genres zählt, wollen wir euch einen kleinen Workshop zu diesem Meisterwerk anbieten.
Konzeptstory
Protagonist der Story ist der junge Junkie Nikki, der in die Hände des Revolutionsführers Dr. X gerät und von diesem manipuliert und mit Drogen versorgt wird. Hirngewaschen und mit dem Heroin als Druckmittel wird dieser nun von Dr.X als Auftragskiller aufgefordert, Politiker oder führende Persönlichkeiten zu beseitigen. Im späteren Verlauf begegnet Nikki der Nonne und ehemaligen Prostituierten Mary, in die er sich verliebt. Als Dr. X ihn dazu zwingt, auch sie umzubringen, erkennt Nikki allmählich, dass auch diese neue Revolutionsbewegung nur von Machtwillen und Gier motiviert ist und will aus dem System ausbrechen. Nikki wacht im Krankenhaus unter Polizeibewachung aufgrund seiner Morde auf und kann sich nur bruchstückhaft an das Geschehene erinnern. Ab hier beginnt das Album quasi als Rückblende.
Equipment
deGarmo und Wilton spielten beide Marshall JCM800 in der 100-Watt-Version über 4×12″ Boxen mit Celestion 30 Speakern, wobei auch Roland JC120 Jazz Chorus Amps verwendet wurden. Wie für die 80er Jahre üblich, kamen natürlich auch etliche 19″ Effekte von Roland oder Yamaha zum Einsatz. Stammten die Gitarren ursprünglich noch von Kramer, Fender oder Gibson, wechselten Chris und Michael zur Mindcrime-Zeit zu ESP und hatten dort Signature-Modelle mit Floyd-Rose-Tremolo und einer HS-Bestückung.
Der Gitarrensound hatte eine leicht spitze Tendenz mit aggressiven Höhen. Hierzu sagt Chris deGarmo: “On Mindcrime, I went for a colder, icier approach. We were going for a brutal sound – almost annoying, really.”
Prinzipiell spiele ich alle Tracks mit zwei Sounds, einem Rhythmsound mit einer Friedman BE100 Simulation im AXE FX III und einem Cleansound, der stark mit Chorus, Delay, Reverb und auch Kompression versehen ist. Das bedeutet, dass ihr, um klanglich dem Original nahezukommen, ruhig einen etwas heißeren britischen Sound fahren dürft, denn Queensryches Marshalls waren sicherlich ebenfalls getunt.
Der Workshop:
Der Sound des Albums lebt zu einem großen Teil von dem sehr harmonischen Zusammenspiel der beiden Gitarristen, die ihre Parts sehr clever aufteilen und orchestrieren. Aus diesem Grund werdet ihr auch zu den meisten Songs mehrere Gitarrentabs finden, die eigentlich simultan gespielt werden müssten. Da das Album sich insgesamt über eine Spiellänge von fast einer Stunde erstreckt, kann ich hier keine komplette Transkription anbieten, sondern beschränke mich auf die Hauptriffs einiger ausgewählter Songs.
1. “Revolution Calling”
Intro:
Nach zwei Instrumentalnummern kommt mit “Revolution Calling” gleich der erste Rocker in Am. Im Intro zum Song spielt Chris deGarmo die offenen Akkorde zunächst auf die Zählzeit 1 und wechselt im letzen Durchgang auf die 4+. Die cleanen Am-Akkorde bilden übrigens ein Line-Motiv, bestehend aus der Quarte, Quinte und kleinen Sexte – etwas ähnliches werden wir später erneut zu hören bekommen!
Nach dem Intro spielen deGarmo und Wilton eine zweistimmige Melodie. Natürlich wurden im Studio noch Rhythmusgitarren mit Powerchords daruntergemischt. Im Playback hört ihr nur die untere der beiden Stimmen.
Intro 2:
In der Strophe kommt ein knackiges Riff, bestehend aus Quinten, Sexten und Terzen, eine Spielweise für Powerchords, die die ganze Platte dominieren soll. Achtet darauf, die Synkopen nicht zu früh zu spielen.
Vers:
2. “Operation Mindcrime”
Der Titelsong kommt mit einem mächtigen Riff in F#-Moll:
3. “Speak”
“Speak” ist eine Uptempo-Nummer mit einigen technischen Herausforderungen. Der Intropart wird von Michael Wilton mit leerer d-Saite gespielt und geht dann in ein E-aeolisch-Riff über, das ich mit Wechselschlag und leicht abgedämpft spielen würde.
Intro:
Strophe:
4. “The Mission”
Das gepickte Intro von “The Mission” besteht erneut aus einem Line-Klischee, und zwar hören wir einen Em-Akkord, bei dem die Quinte ganz in James-Bond-Manier nach oben wandert:
Intro:
Im Folgepart hören wir wieder Powerchords, die jedoch selten aus reinen Quinten bestehen, sondern wieder als Terzen oder Sexten daherkommen. Sehr schön wird im Refrain die Gesangslinie in die Akkorde gepackt:
Strophe/Refrain:
5. “Suite Sister Mary”
“Suite Sister Mary” beschert uns ein paar sehr interessante Akkorde mit Tritonus, die dem Song etwas sehr Unheimliches und Unheilvolles verleihen. Das Intro ist in einem Odd-Meter, denn hier wechseln sich 4/4tel und 3/4tel Takt ab, die man natürlich auch als 7/4tel zählen könnte. Um euch die ungerade Taktart etwas zu erleichtern, hört ihr im Klicktrack die Zählzeiten 1 deutlicher.
Intro:
Strophe:
Auch im Interlude bleibt uns der Tritonus treu, diesmal jedoch in verzerrter Form:
Interlude
Die Hook zeigt wieder einmal sehr clever ausgearbeitete Gitarrenparts. Auch wenn wir hier nur die für Rock üblichen Progressionen wie Em, C, D, usw. antreffen, zeigt uns das Saitenduo deGarmo/Wilton, wie man auch solche Harmonien intelligent und musikalisch ausarrangieren kann.
Refrain:
6. “Waiting for 22”
Dieser Song ist ein reines Instrumentalstück, das ebenfalls mit tollen offenen Voicings gespielt wird und nach sechs Takten D-Dur im 4/4tel Takt in einen 7/8tel Takt übergeht. Auch hier hört ihr im Klicktrack für Übungszwecke die 1en deutlich.
7. “Breaking the silence”
Wieder ein tolles Riff in Gm, das in ein halbgedämpftes Akkordpicking übergeht, bestehend aus Gm7 und Fsus4.
8. “I don’t believe in love”
“I don’t believe in love” wurde 1990 sogar für einen Grammy in der Kategorie “Best Metal Performance” nominiert und zählt damit zu den bekannteren Queensryche-Songs. Im Intro übernimmt eine Gitarre die Powerchords, die andere die verzerrten Double Stops.
Intro:
Die Strophe wird von einem cleanen Picking und dem Achtelbass dominiert. Auch hier findet man wieder ein Arsenal an tollen, offenen Akkorden.
Strophe:
9. “Eyes of a stranger”
Den Abschluss des Albums übernimmt “Eyes of a stranger“. Nach dem Intro-Riff zeigt sich die erste Strophe mit schönen Leersaiten-Voicings und Harmonien, die interessanterweise im Song nicht mehr erscheinen, denn Strophe zwei wird deutlich rockiger gespielt. Die kommt, ebenso wie der darauffolgende Refrain, wieder mit clever arrangierten Powerchords, die die Gesangslinie unterstützen. Diese Parts sind wirklich ein Musterbeispiel dafür, welche Akkorde verzerrt gut klingen können, seien das Tritoni, Sexten, add9 Powerchords oder Terzen. Gerade der Einsatz auf dem mittleren Saitenpaar g und d ist ganz ausschlaggebend für den Sound der meisten Queensryche-Songs.
Intro:
Strophe:
Refrain:
Und damit sind wir am Ende unseres Workshops angelangt. Ich wünsche euch viel Spaß bei diesem Klassiker der Rock- und Metal-Geschichte!
JennY sagt:
#1 - 09.10.2019 um 18:31 Uhr
Vielen Dank mal wieder, wie hab ich mich über das „ausgraben“ bzw. persönliche wiederentdecken gefreut, die OP Mindcrime ist echt ein Meilenstein, eine CD von Typ durchhören ohne Schwächen,klasse, Danke Heiko, genial wie immer, auch im vorspielen!!
Nur noch ne Frage, wtf, was ist das für eine AZ in weiß, selbst lackiert? die Heiko Heinz Signature (sicherlich verdienter Weise) oder ein Prototype?
JennY sagt:
#1.1 - 09.10.2019 um 19:17 Uhr
Ibanez AZ2402-PWF, ok, bin selbst drauf gekommen??
Antwort auf #1 von JennY
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenHaiko Heinz sagt:
#1.1.1 - 10.10.2019 um 06:35 Uhr
Danke Dir vielmals:)!!
Antwort auf #1.1 von JennY
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenOliver Meyer sagt:
#2 - 15.10.2019 um 07:05 Uhr
Das ist das größte Geschenk dieses Jahres! Ich habe beim Üben ein ganz, ganz fettes Grinsen auf dem Gesicht und dank Deiner Arbeit kann ich endlich das für mich größte Album der 80er nachspielen.
Ich wünsche Dir und diesem Workshop die Wertschätzung, die er verdient hat. Tausend Dank! Was müssten wir Dir bieten für einen ähnlichen Workshop, der sich mit den Gitarrensoli befasst?
Haiko Heinz sagt:
#2.1 - 16.10.2019 um 07:03 Uhr
Danke für den sehr netten Kommentar!! Lass uns mal sehen, vielleicht kann das eine oder andere Solo mal Gegenstand von der Solo of the week Rubrik werden;)!
Antwort auf #2 von Oliver Meyer
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenKlaus Deininger sagt:
#3 - 04.12.2019 um 19:40 Uhr
Sehr cool, eines meiner absoluten Lieblingsalben. Wäre cool wenn ihr die Classic Album Serie fortsetzen würdet. Ich muss an dieser Stelle mal ein fettes Lob aussprechen. Die ganze Internetseite ist hervorragend gemacht!