Praxis
Mit dem Polyend Tracker arbeiten
Wichtig: Ohne eingesteckte SD-Karte macht der Tracker erst mal gar nichts. Weil der kleinen Speicherkarte so eine große Bedeutung zukommt, legen Polyend ihrem „Tracker“ auch einen Mini-SD-Card-Reader in Form eines USB-Adapters bei – gut. Ebenfalls gut gelöst: Entfernt man die Karte im laufenden Betrieb, fährt der „Tracker“ kurz in den Standby, um beim Wiedereinlegen genau in dem Zustand zu sein, wie zuvor – inklusive des Projektes, an dem man gerade arbeitet. Das impliziert allerdings, dass man für das Ergänzen eines Sample natürlich jedes Mal die SD-Karte entfernen und an einen Rechner stecken muss. Auch Stromunterbrechungen sind unproblematisch, da der komplette Ist-Zustand im Speicher existiert und bei erneuter Spannungsversorgung unverändert wieder da ist. Nach kurzer Orientierung und Einarbeitung geht die Arbeit mit dem Tracker erstaunlich flüssig und geschmeidig von der Hand – auch, wenn ich mir stellenweise doch gewünscht hätte, dass das Display über eine Touch-Funktionalität verfügt.
Das allerdings hätte nicht nur den Preis nach oben verschoben, sondern auch das Hardware-nahe, „olschoolige“ Bedienkonzept verwässert. Grundsätzlich muss man sich hier schon auf eine Bedienung einlassen wollen (und können), die stellenweise an die Arbeit in einer Tabellenkalkulation erinnert. Die souveräne Beherrschung von Bedienschritten wie Shift-Mehrfachauswahl, Copy & Paste und das Navigieren in Menüeinträgen mit den Cursor-Tasten sind hier einfach essentiell, um zügig zu arbeiten. Polyend haben – wie bereits gesagt – dieses formal etwas starre Prinzip ziemlich klasse umgesetzt – sprich: Sind die wirklich zahl- und hilfreichen Shortcuts erst einmal verinnerlicht, fliegt man nur so durch die Tracker-Spalten, schneidet Drumloops in Nullkommanichts und kommt auf Strukturen, die einem an einer modernen DAW nicht unbedingt einfallen würden, sondern eben dem „minimalistischen“ Tracker-Prinzip geschuldet sind: So lässt sich beispielsweise mit der Fill-Funktion in Windeseile ein Pseudo-Delay realisieren (Sound wiederholen und leiser werden lassen) oder ein Pad-Sample mit einem Trance-Gate versehen (Pad rhythmisch triggern und dabei die Start-Position des Samples verschieben).
Aber auch das Umschalten von Sounds pro Note ist etwas, was man beim Tracker Prinzip-bedingt viel häufiger macht, als in der DAW. Ungeachtet des Workflows hat es eine ganz eigene Magie, wenn die kryptischen Kommandos über den Bildschirm rauschen und daraus Musik entsteht. Und auch wenn der Tracker die Möglichkeit bietet, mehrere Stimmen über verschiedene Spuren zu verteilen, um so polyphone Akkorde zu spielen, ist die ganze Architektur und damit auch der Workflow auf monophones Arbeiten ausgelegt. Damit einher geht automatisch eine gewisse Sparsamkeit und Effektivität in der Instrumentierung, die wiederum Auswirkungen auf die ästhetische und stilistische Qualität der Tracks hat, die mit dem Tracker entstehen – „Minimal by design“, so zu sagen.
Um dem Zeilen-basiert entstandenen Werk noch externen klanglichen Feinschliff zu geben, bietet der Tracker umfangreiche Export-Funktionen, indem sich wahlweise der komplette Song, einzelne Spuren (Stems) oder Pattern als Audio-Datei rendern lassen. Vorbildlich: Tracker exportiert dabei sowohl den Hall, wie auch das Delay separat, was einem beim externen Mixdown entsprechende Freiheiten lässt. Apropos externe Freiheiten: Wenn es etwas gibt, was ich am Polyend Tracker vermisst habe, dann sind es CV/Gate-Ausgänge. Ich bin mir bewusst, dass der Einbau den Preis deutlich nach oben getrieben hätte, auf der anderen Seite dürfte es Anwendern, die sich in den Tracker und seine Funktionsweise „verlieben“ am Ende egal sein, ob er zweihundert Euro mehr kostet oder nicht.
Und den Tracker als Steuerzentrale im Verbund mit einem Modularsystem einzusetzen, ist mit eines der sinnvollsten Einsatzszenarien überhaupt. Denn zum einen passt die monofone Spurauslegung ideal zur ebenfalls (meistens) einstimmigen Klangerzeugung von Modularsystemen, zum anderen holt man sich hier durch den Sampler noch eine elementare Klang-Komponente hinzu, die von Modularsystemen eher schlecht bedient wird. Wer also ein Modularsystem besitzt und mit dem Kauf des Trackers liebäugelt, ist gut beraten, direkt auch noch ein MIDI-to-CV/Gate-Interface einzuplanen.
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Effekte des Polyend Tracker
Die beiden integrierten DSP-Effekte sind Reverb und Delay. Im Falle des Halls greifen Polyend – nachdem es anfänglich Kritik gab – auf einen Algorithmus von Émilie Gillet (Mutable Instruments) zurück. Beide Effekte machen das, was sie sollen, wobei das Delay optional im Ping-Pong-Modus und rhythmisch mit einem metrischen Teiler zum Songtempo agiert – sehr schön.
Wie klingt der Polyend Tracker?
Da die Sample-Engine in mono arbeitet, erfährt alles, was in den Tracker hinein kommt Prinzip-bedingt eine Verdichtung und wird entsprechend kompakter. Verbreiterung erfährt das Klangmaterial nur durch die internen Effekte. Grundsätzlich arbeiten die D/A-Wandler das ihnen zugeführte Material druckvoll ab. In seiner Gesamtcharakteristik – auch und gerade dann, wenn die epische Effektsektion zum Einsatz gebracht wird – ist der Tracker allerdings ein eher rauer Geselle und nicht unbedingt ein High-End-Filmmusik-Texturpad-Generator. Und das will er auch gar nicht sein, denn konzeptionell geht es hier ja darum, das Feld des „modern-retro“ zu bearbeiten und da gehört eine gewisse Kantig- und Körnigkeit einfach dazu. Das betrifft auch den Algorithmus des Filters (HP, LP, BP): Seidige Sweeps sind nicht sein Din. Dafür aber eine gewisse Angriffslust, die sehr viel digitale Signatur und Charakter hat.
Wo ich mir im Zuge eines Updates noch ein bisschen mehr Sorgfalt in der Berechnung wünsche, ist allerdings bei der Interpolation der Granular-/Wavetablesynthese hier entstehen bei der Modulation gelegentlich leichte Artefakte – das darf noch ein bisschen geschmeidiger klingen. Im Sinne des All-in-One-Gedankens hätte ich mir am Ende auch noch eine Art-Kanal-EQ, idealerweise sogar auch noch ein Dynamik-Modul gewünscht. Letzteres besonders deshalb, weil die Repeat- und Random-Funktionen – gerade wenn man mit Drumloops arbeitet – gelegentlich leichte Doppelungs- und Nulldurchlauf-Glitches produzieren. Das liegt in der Natur der Sache: Denn klar kommt es zu einem leichten Knacks, wenn ein Sample nicht am Nulldurchlauf getriggert wird und/oder sogar das vorherige Sample an einem Wellengipfel abschneidet. Dem könnte ein robust agierender Kompressor/Limiter entgegenwirken.
Schon jetzt haben Polyend glücklicherweise einen globalen Limiter integriert, von dem man auch Gebrauch machen sollte, um das Ausgangssignal des Tracker bei Bedarf ein bisschen zu zähmen. Wer es am Ende dagegen noch rauer und kantiger haben will, der dreht einfach die globale Sampling-Rate in den Keller, die stufenlos von 16 bis hinunter zu krachigen 4-Bit einstellen lässt. Wobei besonders der Bereich zwischen 14 und 8 Bit für Retro- und LowFi-Freunde interessant sein dürfte, zaubert er doch sofort eine Verengung der Dynamik, die klanglich an Vintage-Sampler und Computer erinnert.
Im Blick zurück entstehen die Dinge
Ich stelle meinem Fazit zunächst ein Statement voran, das gegensätzlicher nicht sein könnte: Einerseits halte ich den Polyend Tracker für ein absolut überflüssiges Gerät, gleichzeitig gebe ich ihm fast die volle Punktzahl. Wie kann das sein? Nun, rein technisch und klanglich betrachtet, kann das schicke, schwarze Brettchen von Polyend nichts, was in der DAW (sogar mit Bordmitteln) nicht besser und schneller ginge – Punkt. Auf der anderen Seite holt man sich mit ihm nicht nur einen ausgesprochen portablen und vielseitigen Hardware-Sampler/Sequenzer ins Studio, sondern vielmehr ein ganzes Bedienkonzept, einen Workflow – vielleicht sogar ein Stück weit eine Haltung. Es geht dabei nicht um blinde Retromanie, denn es hat ja (gute) Gründe, warum „Tracker“ auf breiter Front von DAWs ersetzt wurden und – abgesehen von der klandestinen Tracker-Szene – bald dreißig Jahre in der Versenkung verschwunden sind.
Es war (und ist auch mit dem Polyend Tracker) eben ein ziemlich determinierter Rahmen, in den man hier seine Musik pfercht – man macht hier gewissermaßen automatisch metrisch getaktete und Prinzip-bedingt sparsam instrumentierte Maschinenmusik und keine ausufernd-polyphon instrumentierte und elegisch schwebende Klangcollagen. Ich möchte so weit gehen, zu behaupten, dass sich hier auf neuronaler Ebene zwei grundverschiedene Musiker-Hirn-Strukturen voneinander trennen lassen: Die, die Tracker lieben und die, die sie hassen. Wer also auf neuronaler Ebene keine Freude beim Programmieren von Musik in Parameter-Tabellen hat, wird auch mit dem Polyend Tracker nicht glücklich. Es ist einfach eine sehr abstrakte, in gewisser Weise geradezu „bürokratische“ Art, Musik entstehen zu lassen. Für manche Musiker ist das also völlig „unsexy“ und unfrei, für die, die neuronal anders gepolt sind, fühlt sich es sich hingegen sinnlich und aufregend an, den beschränkten Rahmen zu sprengen und den Tracker gefühlt „zum qualmen“ zu bringen.
Ungeachtet der Frage, welcher Gruppe man angehört, hat es aber – in der Jetztzeit mit ihren unendlichen Möglichkeiten angekommen – wieder einen geradezu unwiderstehlichen Charme, mit beschränkten Mitteln und in festen Strukturen zu arbeiten. Man darf in dem Zusammenhang nicht vergessen: In der Tracker-Ära, starrten die Musiker ja nicht in trauriger Depression auf ihre Bildschirme und vermissten die Möglichkeiten, die sie nicht hatten – im Gegenteil: In dieser Zeit ist sehr viel Musik entstanden, mit Melodien und Strukturen, die eine ganze Generation von Gamern (Stichwort: Commodore C64/Amiga) musikalisch geprägt hat – oder um poetisch die Feuilleton-Band Tocotronic zu zitieren: „Im Blick zurück entstehen die Dinge“.
Polyend Tracker Workflow Demo (no talking)
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