Praxis
Praxis und Sound
In der Praxis sollte man Amp und mitgelieferte Software immer zusammen betrachten, denn ansonsten kommt man nie in den Genuss der klanglichen Vielfalt, die dieser Amp bietet. Arbeitet man zu Hause am Rechner an Gitarrentracks, braucht man den Amp im Grunde genommen nicht, denn hier kann man direkt in die Soundkarte einspielen und die Sounds im Nachhinein weiter verändern. Deshalb sehe ich den Amp eher als Erweiterung der Software und natürlich für den Einsatz im Proberaum und auf der Bühne. Wer jetzt denkt, dass ein iPad, oder ein Laptop mit einem transportablen Audiointerface denselben Dienst tut wie der Amp, hat sich getäuscht. Das Topteil bietet optimale Bedienbarkeit, eine nicht wahrnehmbare Latenz sowie zahlreiche Anschlussmöglichkeiten. Zudem besitzt die integrierte Endstufe eine mehr als ausreichende Power und eine exzellente Dynamik, mit der man in jeder Bandsituation seinen Mann oder seine Frau steht. Aber wie klingt das Ganze? Diese Frage zu beantworten ist bei aller gebotenen Vielfalt gar nicht mal so einfach, denn hier warten unglaublich viele Soundmöglichkeiten, die zudem mittels Softwareupdates ständig erweitert werden. Das Spielgefühl ist wirklich hervorragend, eine Latenz ist für mein Empfinden nicht spürbar.
Kommen wir zunächst zu den cleanen Sounds. In den ersten Audiobeispielen stelle ich euch eine Auswahl an Standardsounds vor, von völlig unverzerrt bis leicht gesättigt. Die Gitarre ist eine Stratocaster mit Kloppmann-Pickups.
Die Abbildung von dezenten Verzerrungen und der weiche Übergang von clean zu angezerrt ist für Gitarrenamp-Simulatoren eine große Herausforderung. Hier klingen die viele Standard-Presets für meinen Geschmack in den oberen Mitten einen Tacken zu glasig. Allerdings kann man mit geübten Ohren und viel Geduld und Spucke erstaunliche Ergebnisse erzielen. Eine sehr gute Lösung ist die ausgefuchste Kompressoreinheit, die das “Pumpen” der Endstufe imitiert. In den folgenden Soundbeispielen hört ihr eine Reihe angezerrter Modelle in Anlehnung an diverse Marshall-, Fender- und Hiwatt-Amps.
Die High-Gain-Abteilung kommt sehr authentisch um die Ecke und man merkt, dass die Entwickler und Sounddesigner bei Positive Grid auf diesen Bereich ihr größtes Augenmerk gelegt haben. Dank des großen Frequenzumfangs von bis zu 20 kHz lösen die Sounds bis in die oberen Höhen fein auf. Die klanglichen Unterschiede zwischen den einzelnen Ampmodellen kommen gut zur Geltung, aber hört selber.
Jedes Amp-Modell kann mit bis zu fünf virtuellen Vorstufenröhren ausgestattet werden, wobei sich mit zunehmender Röhrenstufe nicht nur der Verzerrungsgrad, sondern auch die Zerrstruktur ändert. Je mehr Röhren ins Spiel kommen, um so feiner und stabiler wird die Verzerrung. Im folgenden Beispiel stelle ich euch den Klangunterschied vor, der beim allmählichen Hinzufügen einer weiteren “Bratstufe” entsteht. Zu hören ist das Preset “Power Plade”. Das Audiobeispiel beginnt mit einer Röhrenstufe, im weiteren Verlauf schalte ich immer mehr Röhren dazu, bis sich am Ende alle fünf Vorstufenröhren im Signalweg befinden.
Aber wie klingen die unterschiedlichen Röhrentypen? Um den Klangunterschied einmal zu demonstrieren, habe ich für euch einen virtuellen Röhrenwechsel “On the fly” durchgeführt. Wie man gut hören kann, ändert sich beim Tauschen nicht nur ein Teil der Zerrstruktur, sondern auch die dynamische Gestaltung des Tons. Das folgende Soundbeispiel besteht aus drei Teilen. Im ersten Drittel hört ihr die 12AX7, gefolgt von der 12 AT7 und der 12AU7.
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Auch die Endstufenröhren haben einen großen Einfluss auf den Gesamtsound des Amps. Je stärker sie in den Verzerrungsprozess einbezogen werden, umso drastischer fallen die Klangunterschiede aus. Die hier simulierten Endstufenröhren gehören zu den Klassikern des Röhrenverstärkerbaus der letzten 40 Jahre. Das Audiobeispiel beginnt mit 6L6GB, gefolgt von 6V6GT, EL34 und zu guter Letzt EL 84.
Einen weiteren Einfluss auf den Sound hat auch der jeweilige Trafo. Normalerweise ist es ein irrsinniger Aufwand, so ein Teil zu wechseln, speziell, wenn es um ein anderes Modell geht. In diesem Fall müsste ein Techniker noch eine Reihe weiterer Modifikationen vornehmen. In den virtuellen Schaltkreisen des Bias Head kann man diesen ansonsten sehr komplizierten Eingriff in wenigen Momenten bewerkstelligen und einfach schauen, was passiert. Die drei simulierten Modelle in unserem Testamp hören auf die Namen American, British und Fat. Ihr Einfluss auf den Ton ist ein weiteres Glied in der Kette, mit der man seinen Sound auf den persönlichen Geschmack abstimmen kann.
Der Topology-Regler wählt zwischen vier verschiedenen Endstufenschaltungen, die neben den unterschiedlichen Röhren einen wichtigen Beitrag zum Klang liefern. Zur Auswahl stehen Single Ended, Split-Load, Push Pull und Solid State, deren Klangunterschiede ich euch im Rahmen dieses Tests nicht vorenthalten möchte.
Zum Schluss möchte ich euch noch die Amp Match-Funktion vorstellen. Als Referenz-Sound habe ich meinen alten Vox AC 30 im Zusammenspiel mit dem Stegpickup meiner Stratocaster hinzugezogen. Anzugleichender Sound soll das Preset British TB 30 sein. Der Amp Match-Vorgang funktioniert folgendermaßen: Im ersten Durchgang bzw. nach Drücken des Source Buttons spielt man ein Riff mit dem ausgewählten Preset des Bias Amps ein.
Danach folgt der zweite Durchgang. In ihm drückt man den Target Button und spielt mit dem Amp, dessen Sound man kopieren möchte, entweder direkt ein oder man benutzt eine separierte Audiospur. Nach dem Einspielen beider Tracks erscheinen zwei Frequenzkurven, die den Unterschied zwischen den beiden Sounds darstellen. Nun muss man nur noch den Match Button drücken, wodurch die Frequenzen des Bias Amp-Sounds an die des Wunschsounds angeglichen werden. Man kann mit dem Mix Button beide Sounds stufenlos mischen und die Frequenzen mit einem Dreiband-EQ manipulieren. Das Resultat ist wirklich beeindruckend. Aber hört selbst.
Im ersten der folgenden drei Audiobeispiele hört ihr den originalen Vox AC 30. Das zweite File beinhaltet den Sound des Bias Amps ohne Amp Match und im dritten File könnt ihr euch das Ergebnis nach dem Amp Match-Vorgang anhören.