Der Produzent und Rapper Alex ‘Cores‘ Hayes ist seit Anbeginn musikalischer Partner des britischen Durchstarters Professor Green. Dessen zweites Album „At Your Inconvenience“ wurde im Oktober 2011 in Großbritannien veröffentlicht, die erste Single „Read All About It“ erreichte noch im selben Monat Platz 1 der britischen Charts. Ende Januar 2012 wurde das Album auch bei uns veröffentlicht. Die Mischung aus Pop-, Drum&Bass-, Garage- und HipHop-Einflüssen (inklusive der klassischen Formel „MaRaWoSi“ (Man Raps Woman Sings) bietet einen Crossover-Sound – der offensichtlich genau den Nerv der Hörer trifft: In Großbritannien hat es bereits Goldstatus erreicht, heutzutage nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Auch in Deutschland ist „Read All About It“ auf dem Weg nach oben – Sender wie N-Joy haben ihn bereits in der Rotation.
Das Album wurde aufwändig und mit großem Team produziert: In nicht weniger als acht Studios, inklusive so feiner Adressen wie Strongroom und die Abbey Road Studios, wurde aufgenommen. Es gibt jede Menge Gesangs-Features wie z.B. von Emeli Sandé, Luciana oder Fink. Für 4 Songs wurden echte Streicher aufgenommen. Gemischt wurde „At Your Inconvenience“ vom mehrfachen Grammy-Gewinner Ken Duro Ifill in New York (Jay-Z, Usher, Alicia Keys, Ashanti etc.) – großes Kino. Alex hat viel zu der Produktion beigetragen: neben mehrerer Writing-Credits hat er bei fast allen Songs aufgenommen, bei vielen Beats programmiert oder weitere Elemente beigesteuert. Zusätzlich ist er laut der Liner Notes Executive Producer – was heißt das genau? „Das ist eine gute Frage“, lacht er. „Ich denke, mein Job war es vor allem, Kontinuität zu gewährleisten, und einfach dafür zu sorgen, dass alles läuft!“ Beim Lesen der Credits fällt auf, dass jeder gut 10 Zeilen Liner Notes hat – und fast ebenso viele Beteiligte. Braucht man ein solches Team, um ein Major-Album auf diesem Niveau abzuliefern? „Das ist im HipHop eh nicht unüblich. Aber so sind wir nicht an das Projekt rangegangen. Wir haben nicht gesagt, dass wir möglichst viele Leute involvieren müssen – es hat sich einfach so ergeben. Einige Songs haben wir auch ganz allein produziert. Es ging immer darum, das Beste für den jeweiligen Song zu tun. Und wenn der Song danach verlangte, haben wir uns eben jemanden dazu geholt.“
Wie produziert Alex Drums und Beats? „Ich habe eine große Library eigener Samples. Ich mache alles mit Native Instruments Battery und trommele Grooves mit Drum-Pads ein. Ich benutze nie Presets, ich starte mit 16 Outputs aber immer leer. Sampleauswahl und Bearbeitung mache ich immer speziell für den jeweiligen Song. Presets kommen bei mir eigentlich nur zum Einsatz, um in Drucksituationen einen Künstler nicht dazu zu verdammen, stundenlang neben mir zu sitzen, während ich einen Synthsound designe. Das wäre nicht so ‚vibey’! Aber die bearbeite ich dann später so, dass man sie nicht mehr wiedererkennt.“ Das Timing quantisiert er nur, wenn es nötig ist – und nutzt dann meistens die Adaptive Quantisierung mit einem Wert von maximal 70, damit es nicht zu „tot“ klingt. Die fetten Kick-Drums sind ein weiteres Stilelement dieser Produktion: „Die richtigen Samples sind da erstmal der Schlüssel. Meine Kicks bestehen aus bis zu 3 Sounds. Auf jeden Fall eine für den Bauch, wo ich Höhen raus drehe, und eine für den „Snap“, bei der ich die tiefen Frequenzen abschneide. Auf der hohen Kick habe ich dann noch einen Kompressor mit schneller Releasezeit. Wenn eine Kick größer sein soll, ziehe ich die Snap-Kick ein paar Millisekunden vor die Zählzeit – und ein weiterer Trick sind „Carry-Kicks“ ohne Transienten, die ich direkt vor die Hauptkick im Beat platziere. Dann rollt alles noch besser. Manchmal mache ich diese unterschiedlichen Sounds auch aus einem Sample „on the fly“, indem ich einen Enveloper einsetze. Hallräume mache ich gern so, dass sie eher einem Einzelinstrument als dem Gesamtmix zugeordnet sind.
Wie lief die Produktion der Hit-Single „Read All About it“ ab? „Das Produzententeam TMS hatten Green den ursprünglichen Beat geschickt, und auch schon Pilot-Vocals im Chorus drauf. Dann kam iShi (schwedischer Produzent) dazu und fügte Drums und ein paar weitere Elemente hinzu.“ Ein hervorstechendes Merkmal des Tracks sind die Vocals von Emeli Sandé, die sich auch als Songschreiberin für z.B. Leona Lewis einen Namen gemacht hat. „Eigentlich singt sie keine Songs, die sie nicht selbst geschrieben hat. Hier war sie aber sofort dabei – und ihre besondere Interpretation macht eine Menge aus“, sagt Alex. Für die Streicheraufnahmen mietete man sich dann in den Abbey-Road Studios ein. Warum echte Streicher? „Natürlich kann man mit Sample-Strings auch eine Menge erreichen, aber ein akustisch aufgenommenes Streichorchester ist einfach etwas anderes: dieser Vibe, der Raum – echte Gitarren, Klavier oder Streicher geben einem Song einfach mehr Dynamik.“
„Astronaut“ ist ein weiterer Song, der heraussticht: Das tragende Instrument dieses ruhigen, traurigen Tracks ist ein Flügel. Die Räumlichkeit des Pianos und die Vocals (Emeli Sandé ist auch bei diesem Song wieder mit von der Partie) geben „Astronaut“ eine besondere Tiefe. „Wir fangen fast nie mit den Drums an, auch hier gab es zuerst das Piano. Es wurde sehr aufwändig mit 10 Mikrofonen aufgenommen, damit wir uns bis zum Mix alle Sound-Optionen offen halten konnten. Dann mussten wir nachträglich den Beat darunter ersetzen – und das führte zu einer Menge Probleme: Im ursprünglichen Beat war irgendwie ein unauffälliger Tempo-Change, was dazu führte, dass plötzlich die Teile nicht mehr zusammen passten. Und das wiederum zwang uns, das Piano teilweise neu aufzunehmen – versuch mal so was vom Sound genauso wieder hinzubekommen. Zu allem Überfluss hatte dann der ursprüngliche Pianist keine Zeit, so dass wir auch noch 2 unterschiedliche Pianisten für den Song hatten .“ (Anm.: Der steinige Weg hat sich aber gelohnt – „Astronaut“ ist mein Anspieltipp auf dem Album.)
Mixing the ‚Beast‘: Das Professor Green Album wurde aber nicht von ihm gemischt, sondern in New York vom mehrfachen Grammy-Gewinner Ken Duro Ifill (JayZ, Ashanti, Usher, Alicia Keys, …). Klingt nach einer optimalen Wahl für diesen Musikstil: wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? „Das Label hatte Duro vorgeschlagen, dann hat er mal „Read All About It“ gemischt, und wir dachten: Yeah! Sofort das richtige Feeling, er versteht die ‚Britishness’. Es war ursprünglich nicht geplant, dass er das ganze Album mischt – denn sowas ist ja auch eine Kostenfrage, aber nach dem Mix waren alle dafür. Er hat dann zwei Songs aus der Ferne gemischt, mit Skype-Konferenzen und hin-und-herschicken und so. Aber das dauerte dann alles recht lang, auch durch die Zeitverschiebung, und so flog ich dann für insgesamt 10 Tage nach New York. Es war vom Zeitplan am Ende alles sehr eng – den Track „Avalon“ habe ich am letzten Tag original im Flieger fertig gemacht: ich hatte die Anmerkungen von Green dabei, und dann die ganzen 8 Stunden des Fluges über gearbeitet. Dann rein ins Taxi und ab ins Studio, wo Green und die anderen Produzenten schon warteten, um aufnehmen zu können.“ Insgesamt haben sie am Album 9 Monate von Dezember 2010 bis September 2011 gearbeitet, also sozusagen ein Baby geboren. Eine ziemlich kurze Vorlaufzeit vom Ende der Produktion bis zum Nummer 1 Hit: mal eben ein Monat!
Was liegt als nächstes an? „Wir haben schon angefangen, an neuem Material zu arbeiten, und ich mache auch noch einige andere Projekte – aber über ungelegte Eier sollte man nicht reden“, meint Alex. Ist das Spaceship sein natürlicher Lebensraum? „Auf jeden Fall – ich bin eigentlich jeden Tag mindestens 12 Stunden oder länger hier. Ich bin definitiv mehr im Studio als anderswo.“ Ich bin gespannt, was noch so alles von Alex in nächster Zeit zu hören sein wird …
Mehr Infos zu Professor Green: http://www.professorgreen.co.uk/ Das Album “At Your Inconvenience” ist bei EMI/Virgin rausgekommen.