Rückblende: Ich saß 1997 vor meinem damals sündhaft teuren Pentium I 166/MMX (mit unfassbaren 32 MB RAM!). Ihr versteht: Das ist entwicklungsgeschichtlich noch eher dem Dunstkreis der “elektrischen Schreibmaschine” denn dem der “richtigen” Computer zuzuordnen. Auf meinem 15”-Röhrenmonitor waren nach einer kleinen Investition zwei Roland TB-303 und eine TR-808 als digitale Wiedergeburt abgebildet. Für mich, der eher dem Trip-Hop und dem IDM zugewandt war, waren die Sounds dieser virtuellen Maschinen zwar nicht gerade erste Wahl, doch in einer Zeit, in der Instrumente in Sequencern (ja sogar entsprechende Schnittstellen) noch in der Wiege lagen, war ich froh um alles, was man nicht als teure Hardware kaufen musste, sondern sich für wenig Geld als Software erstehen ließ (im Musikladen natürlich … ein Download mit einem 28k-Modem? Nein, danke …).
ReBirth war der erste wirklich geglückte Versuch, ein kleines, natives Produktionstool auf den Markt zu werfen, welches bei sehr guter Performance und geringem Ressourcenverbrauch guten Sound liefert. Zudem konnte es bei Bedarf eine abgeschlossene Einheit bilden, da der Sequencer im Song-Mode das Erstellen kompletter Tracks erlaubte. ReBirth war der Einstieg des schwedischen Unternehmens Propellerhead in den Markt. Mit ReCycle, Reason, Record und den ReFills sind die Propellerköpfe heute nicht mehr wegzudenken. Mit ReWire ist zudem eine Schnittstelle entstanden, die ohne großes Konfigurieren das Hin- und Herschieben von Steuer- und Audiodaten zwischen Programmen ermöglicht. 1997 habe ich noch einzelne Phrasen als Waves aus ReBirth exportiert und in Cubase importiert – bis nach vier Monospuren die Performance unterirdisch wurde. Heute hält fast jeder Telefonbesitzer mehr Rechenleistung in einer Hand, als die Menschheit bis 1950 insgesamt produziert hat. Das iPhone war wohl Grund genug, eine etwas spätere Version von ReBirth (u.a. mit Schranztechno-Klassiker TR-909) auf das iOS zu portieren und dort wieder aufleben zu lassen. Hinduisten und Buddhisten wird diese Nachricht freuen: Es gibt die Wiedergeburt einer Wiedergeburt!
App Store besuchen, nach “Propellerhead ReBirth” suchen, “5,49 € App kaufen” drücken, ein paar Sekunden auf den Download warten, die App starten und Play drücken. Schon dudeln zwei der beliebten 303-Bassline-Synths, eine 808 und eine 909 in einem Default-Pattern vor sich hin. Nein, wie schön! Die grafische Oberfläche ist nicht verändert worden, die Anordnung der Bedienelemente die Gleiche wie bei der großen Version. Hier scheint also einfach nur auf iOS portiert worden zu sein. Die Aufteilung gestaltet sich wie folgt: In der Mitte befinden sich untereinander die vier angesprochenen Geräte, die neben den Parametern zur Soundbeeinflussung auch einen Step-Sequencer mit Lauflichtprogrammierung beinhalten. Erstellte Patterns können für jedes Instrument einzeln in Bänken und auf Speicherplätzen verwaltet werden. Im globalen Pattern-Mode können diese als Skizze erstellt werden. Dort kann man frei drauflos kombinieren. Schaltet man dann im Kopfbereich der Oberfläche auf den Song-Modus, lassen sich Patternabfolgen zu einem Song zusammenstecken und alle Parameter automatisieren. Editierbare Tracks mit Automationsdaten gibt es allerdings nicht, verschiedene Automationsmodi wie Overwrite und Latch ebenfalls nicht. Im Grunde wird ein Touch-Mode verwendet.
Rechts der Klangerzeuger befindet sich eine Zeile, in der die individuellen Outputs mitsamt Parametern wie Pan, Distortion, Compression und Delay-Send untergebracht sind. Am rechten Rand findet man die Mastersektion, in welcher in erster Linie die genannten Effekte mit einigen grundlegenden Bedienelementen bearbeitet werden können. Spezifisch für die iOS-Version wurde eine kleine Menüleiste kreiert, die sich aus Platzgründen einklappen lässt. Dort finden sich Einträge wie File (für Save, Open und dergleichen), Edit (Copy, Paste, Clear, Randomize Pattern etc.) und Share (zum Upload der winzigen Song-Files auf den Propellerhead-Server). Unter dem Menüpunkt Mods findet man die beliebten Modifikationen. Diese bestehen weiß Gott nicht nur aus einer Veränderung der grafischen Oberfläche, sondern tauschen in erster Linie die Drummachines aus. In erster Linie wird also ein anderes Sample-Set geladen. Die beiden 303 bleiben übrigens bei allen Mods identisch. Neben den “Pitch Black”- und “Orbit 2.0“-Mods entdecke ich dort auch die “Sid Station”! Jauchz! Warum habe ich damals bloß meinen C64 verkauft?
Um die Bedienung etwas zu erleichtern, gibt es in der angesprochenen Leiste einen Pan-Button. Ist dieser gedrückt, lässt sich die Oberfläche des ReBirth gefahrlos hin- und herschieben. Tut man dies nicht, läuft man Gefahr, einen Parameter zu verändern. Anhand der Screenshots keimt in euch möglicherweise die Frage, wie sich diese winzigen Reglerchen bedienen lassen. Mit dem Finger, das ist schon klar, doch sind die Funktionen teilweise derart nah beieinander, dass man um Zoomen nicht herumkommen wird, um sicher ein bestimmtes Bedienelement zu verändern. Nach klassischen iOS-Konventionen wir der Zweifinger-Zoom angewendet.
ReBirth ist kein vollständiges Sequencersystem mit einer Flut von Editierungsfunktionen, Audioaufnahme, Sample-Import und dergleichen. Das will es nicht sein und wollte es auch nie sein. Schließlich gibt es mit Reason und Record aus gleichem Haus auch Systeme, die dazu in der Lage sind, doch freilich (noch?) nicht für iOS.
Daher muss man bei ReBirth ReBorn auch mit einigen Einschränkungen leben, die nicht nur die Sound und Editierungen, sondern auch das Routing betreffen. Die Bassdrum einzeln komprimieren? Forget it! Allerdings erhält man eine funktionierende “all-in-a-box” Techno-Maschine, deren Sound im Regelfall schon sehr ausgewogen tariert wurden. Meine frühe Vorgehensweise, Phrasen zu erstellen und dann per Export in eine DAW zu verfrachten, kann auf dem iPhone nicht benutzt werden, denn Rendering ist generell nicht möglich. Das ist wirklich Käse! Docks mit digitalem Audio-Output oder vernünftige Streamer sind noch Mangelware, man wird also oft mit einem 3,5mm-Klinkenkabel arbeiten, um Audio auf ein anderes Medium zu transportieren. Der Tontechniker in mir schüttelt sich gerade gewaltig. Wo wir gerade bei der Konnektivität sind: Es ist ärgerlich, dass zwar MIDI-In- und Sync-LEDs im GUI vorhanden, jedoch ohne jegliche Funktion sind. ReBirth ReBorn wird also auf einer einsamen Insel wiedergeboren. Schade!
Bisher also der berühmte Satz mit “X”: “War wohl nix”. Aber noch ist der traditionell wichtigste Teil eines bonedo.de-Tests noch nicht über die Bühne gegangen. Richtig, es geht um Sound. Keine Frage: Die 303-Klone pusten in bekannter Manier fette Bässe in die Ohren, zwitschern bei höherer Resonanz und Filterhüllkurve in gewohnter Manier direkt ins Gehirn oder versprühen aggressiv ihr ätzendes Knarzen: Aciiiid! Das 303-Remake ist nicht umsonst der Gründungspfahl von Propellerheads Daseinsberechtigung. Geil. Immer noch. Nach 13 Jahren (beziehungsweise beim Original seit 28)! Sounds, die fast jeder kennt, können einfach was reißen, das gilt auch für die Drummies. Dass die Welt auch ohne 808 und 909 heute eine andere wäre, muss kaum wiederholt werden. Wichtig ist die Umsetzung, und die hat es in sich: Manchmal ein wenig sehr grainy, erzeugen die virtuellen Maschinen in fast jeder Einstellung den gleichen Druck, den man von den Hardware-Originalen gewohnt ist. Originale, Wiedergeburten und wiedergeborene Wiedergeburten sind klanglich allesamt klasse. Aus heutiger Sicht etwas lasch hingegen sind die Effekte. Die Distortion etwa lasse ich lieber ausgeschaltet, den Kompressor kann ich eigentlich gar nicht ernst nehmen. Die genrespezifischen Mods kommen mit wirklich passenden Sounds daher, vor allem Trancer können mit “Orbit 2.0” ihre wahre Freude haben. Die Samples der “Metallicon”-Mod hingegen klingen etwas altfränkisch. “RB-SEMx” sei in jedem Fall empfohlen, die analoge Percussion ist wirklich spitze. Den Vogel schießt jedoch die “Sid Station Mod 2.0” ab. Die sowieso grandiosen FM-Percussions sind hervorragend umgesetzt, bleiben aber flexibel genug, um nicht nur Computerspiele à la “Giana Sisters” und “Space Taxi” zu untermalen. Das macht Spaß!
Audio
Samples
0:00
/
0:00
0:00
OriginalOrbit-ModSid-Mod
Klanglich superb, Nachteile bei der Verbindung mit der Außenwelt: Wie kann es also sein, dass ReBirth ReBorn nicht mehr als nur 2,5 Punkte abstaubt? Ich will versuchen, euch die Antwort zu geben, ohne in die Fäkalsprache abzugleiten, die meinem Mund bei der Bedienung der App entfleucht ist. Um genau zu sein: beim Versuch der Bedienung. Denn das User-Interface ist zwei Sachen gleichzeitig – eine Zumutung und eine Frechheit!
Das GUI sieht zwar wirklich nett aus, doch ist es sehr anstrengend zu bedienen. Im ungezoomten Zustand ist so gut wie unmöglich, mit den Fingerspitzen den gewünschten Parameter wirklich zu erwischen – allzu oft langt man daneben. So habe ich beim Programmieren von Drum-Patterns oftmals statt den Selektionsbutton eines Samples anzuwählen einen in der Nähe liegenden Regler bewegt, Tune zum Beispiel. Naja, kann ja mal passieren. Doch oh Schreck: Eine Undo-Funktion gibt es gar nicht! Also muss man für alles, was man macht, weit hinein zoomen. Dadurch verliert man aber vor allem bei zwei identischen 303 den Überblick. Zumindest die Aufteilung in verschiedene Tabs (303 a, 303 b, Drummachines a und b, Mastersection, Header) wäre notwendig, um die Situation zu entzerren. Den Wechsel zwischen diesen könnte man meinetwegen mit Zweifinger-Wischen erzeugen, um nicht aus Versehen Parameter zu ändern. Nach den ersten beiden Stunden mit der Wiederwiedergeburt taten mir meine rechte Hand, meine Augen und mein Gehirn weh. Es gibt einen Haufen Audio-Applikation da draußen, die eine einfachere Bedienung zulassen, die “Techno Box” wäre eine davon. Wer bei den Schweden diese Portierung einer wirklich hervorragenden (ja sogar identitätsstiftenden!) Software auf das iOS zu verantworten hat, hat dem Unternehmen keinen Gefallen getan und sollte sich im stillen Kämmerlein einfach mal schämen. Ebenfalls schämen sollten sich die Strategen, die entschieden haben, für das Progrämmchen Geld nehmen zu wollen: Als kostenlose Version hätte man höchstens den Begriff “Zeitverschwendung” ins Spiel bringen können, doch der Download der App kostet immerhin gut fünf Euro! Zur Info: Nach dem Aufkommen von Reason war der Download von ReBirth umsonst!
Rebirth Reborn ist auf dem iPhone nur ein Programm mit reiner Nostalgie-Funktion. Ein System mit so gut wie nicht vorhandener Konnektivität und grauenhaftem Bedieninterface hat leider die Grundanforderungen an ein Audioprogramm nicht erfüllt. Da kann die Propellerhead-App noch so gut klingen (und sie klingt wirklich verdammt gut, vor allem dank einiger Mods!). Von Professionalität kann leider keine Rede sein, von einem gelungenen Spielzeug auch nicht. Natürlich ist es lustig, ein wenig in der U-Bahn an Patterns herumzuschrauben, doch einen kompletten Song zu erstellen, das ist mit der grauenhaften Bedienung kein Spaß. Die Applikation dürfte so für über fünf Euro eigentlich nicht angeboten werden, Nachbesserungen sind dringend notwendig! Sollte ReBirth allerdings demnächst mit vernünftigen Export-Funktionen und erneuerter Grafik herauskommen, dann ist die Welt wieder in Ordnung.
Das waren noch zeiten, als ich (nicht Musiker und nicht Ton-Techniker) Stundenlang am 486er mit Rebirth gesessen habe, um halbwegs etwas cooles rauszuholen. Für mich als nicht Musiker war die Bedienung OK.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
YaKa sagt:
#1 - 13.02.2023 um 13:05 Uhr
Das waren noch zeiten, als ich (nicht Musiker und nicht Ton-Techniker) Stundenlang am 486er mit Rebirth gesessen habe, um halbwegs etwas cooles rauszuholen. Für mich als nicht Musiker war die Bedienung OK.