Um der Corona-gebeutelten deutschen Musiklandschaft ein wenig unter die Arme zu greifen, wurde in den letzten Wochen in den sozialen Medien die Forderung nach einer „Deutsch-Quote“ im Radio laut. Initiiert von „deutschen Künstlermanagern“ wird „mehr Solidarität für unsere Künstler“ gefordert. Was steckt dahinter?
50% Musikanteil auf den Sendern von in Deutschland, Österreich und der Schweiz lebenden Künstlern sowie eine fünfstündige abendliche Sendung mit Musik von in Deutschland lebenden Künstlern wird konkret in dem Facebook-Post gefordert. Denn weil die Musikschaffenden die für den Frühling geplanten Touren nicht antreten können, fehlen nun essenzielle Einnahmen. „Gebt den Künstlern die Reichweite zurück“, appelliert eine Reihe von namentlich genannten Musikmanagerinnen und -managern „an Alle (sic!) Sender und Rundfunkanstalten.“
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Mehr InformationenDie Forderung stieß auf viel Kritik. „Was für ein ekelhafter nationalistischer Scheißdreck,“ kommentierte eine Userin, „auch Künstler in anderen Ländern, an denen Du nicht verdienst, haben Einkommenseinbußen.“ Etwas gewählter formuliert es Klaus Walter in einem Artikel der FAZ: „Eine größere musikalische Vielfalt würde vielen Radioprogrammen in Deutschland guttun. Aber wie soll das gehen? Kulturelle Vielfalt durch nationale Einfalt? Heimische Künstler gegen Ausländermusik? Germany first! Pardon: Deutschland zuerst?“ Ob nun gut gemeint oder nicht: letztendlich sprechen doch wenig sinnvolle Argumente für eine solch geforderte Quote. Denn wer das Radio anschaltet, hört durchaus deutsche Künstlerinnen und Künstler. Mit dem Spielen von Max Giesinger, Sarah Connor oder Wincent Weiss ist aber nun mal den unzähligen kleineren Musikschaffenden nicht geholfen. Letztendlich meldete sich auch die ARD zu Wort: „Die meisten Popwellen spielen ohnehin schon einen hohen Anteil deutschsprachiger oder in Deutschland produzierter Musik. Eine Erhöhung dieses Anteils käme nur einigen wenigen Künstlern zugute.”
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Die Geschichte bekommt einen weiteren bitteren Beigeschmack, als herauskommt, dass Künstler ohne deren Zustimmung auf die Liste gesetzt wurden. „Hä?! In diversen Medien wurden wir in einem Atemzug mit einer Radio-Quote für deutsche Musik genannt,“ teilen beispielsweise die Beatsteaks auf ihrer Facebookseite mit, „Wir wollen klarstellen, dass wir damit nichts zu tun haben und diese Forderung auf keinen Fall unterstützen.“
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Das Problem der Dank Corona gestrandeten Künstlern ist wenig neu, die Forderung nach einer „Deutsch-Quote“ im Radio ist es noch viel weniger. Nur jetzt kommt das eine dem anderen gelegen. „Alle paar Jahre wollen Nationallobbyisten mit heimischem Liedgut die deutsche Identität stärken und verkaufen das als Akt des Widerstands gegen die fortwährende Sound-Invasion des Kulturimperialismus angloamerikanischer Prägung,“ positioniert sich Klaus Walter. 2010 setzte sich beispielsweise der Verein Deutsche Sprache (VDS) für eine Radioquote ein. Dass Stefan Niggemeyer diesen Verein in einem Artikel von Übermedien als „eine Art Sprach-Pegida“ skizziert, wirft kein besseres Licht auf deren Forderung. Aber auch damals trat die Diskussion nicht zum ersten Mal in Erscheinung. 1996 stieß der deutsche Liedermacher Heinz Rudolf Kunze in einem Spiegel-Interview die Debatte zur Quote an. „Zwar sei er ein Freund angloamerikanischer Musik und ‚ekle‘ sich sogar vor der Quote,“ wird er vom Goethe-Institut zitiert, „doch ‚die Flut von ausländischer Musik und eben auch ausländischem Schund‘ sorge dafür, dass der deutsche Nachwuchs nicht mehr gehört werde“. Bereits damals polarisierte das Thema, Sven Regner erinnerte an eine Quote für einheimische Musik aus der DDR und distanzierte sich genauso wie die Band Tocotronic von der Forderung. Seitdem grüßt regelmäßig das Murmeltier.
Wie Klaus Walter übrigens auch treffend anmerkt: „Es war die angloamerikanische Popmusik, die maßgeblich zur Entnazifizierung der Deutschen beigetragen hat. Es war die sogenannte „N****musik“, also Jazz und Blues, die dem deutschen Soldatenkörper den Drill abtrainiert hat. Diese hoch ansteckende Musik wurde übertragen von British Forces Broadcasting Service und dem American Forces Network. Danke dafür, liebe Besatzerradios!“ Und während die Diskussion sich weitestgehend auf deutsch- versus englischsprachige Musik beschränkt, wird darüber hinaus vergessen, welch musikalischen Schätze hinter dem eurozentrischen Tellerrand lauern.
Nun sollen fragwürdige Forderungen zu Recht kritisiert werden. Noch viel wichtiger ist jedoch dann, den Wind der Diskussion in konstruktive Segel zu nehmen. Denn es stimmt ja: der Musiklandschaft macht, wie so vielen anderen, Corona schwer zu schaffen. Abgesehen davon, dass Radioplays bei den meisten Künstlerinnen und Künstlern wohl nur einen kleinen Teil der Einnahmen ausmachen – sollten wir nicht mehr auf Vielfalt setzen? Radio Potsdam spielt momentan jeden Tag ab 20 Uhr für eine Stunde Musik von Musikschaffenden, die es sonst nicht ins Radio schaffen. Der NDR bietet mit seiner Initiative „Kultur trotz Corona“ Kulturschaffenden eine Plattform, 3sat zieht mit „Kultur trotz(t) Corona“ mit.
Keine dieser Initiativen kann im Alleingang den Musikschaffenden ihre Verluste ersetzen, aber genauso wenig könnte es auch eine Radioquote. Liebe Musikmanagerinnen und -manager, wir alle verfolgen wohl das selbe Ziel. Aber die Zeit mag besser in ein paar Mausklicks bei der Lieblings-Suchmaschine investiert sein. Unter Slogans wie „Support your local artist/musician“ finden sich oft unterstützenswerte Projekte, die lokalen Kulturschaffenden unter die Arme greifen. Und Radiosender wie ByteFM oder FluxFM schaffen es übrigens auch, ganz ohne Quote eine vielseitige Musikmischung zu spielen.
Wenn du selbst handeln statt nur reden möchtest, kannst du an lokale Netzwerkhilfen wie RockCity Hamburg spenden, eine Petition für bessere Bezahlung von Spotify unterschreiben oder online nach Gesangs- oder Instrumentalunterricht suchen.
Auch Soundcloud hat schon lange die Ärmel hochgekrämpelt und nun eine Reihe von Hilfspaketen angekündigt. Außerdem haben wir eine Sammlung mit allen Tipps und Tricks für Musikschaffende in dieser verrückten Zeit.