Punk singen – Tipps und Tricks l Singen nach Genres

Punk „singen“? Wohl eher: Punk sein! Ausdruck von Rebellion und Anti-Haltung, Herausforderung von Schönheitsstandards und Autoritäten, „Do It Yourself“-Philosophie und Community, Individualität und Nonkonformität. Im Punk geht es zwar nicht nur, aber vor allem um die Attitude. Der ursprüngliche Grundgedanke steht sogar fast schon im Gegensatz zu außerordentlichen musikalischen Fähigkeiten oder ist zumindest vollkommen unabhängig davon.

Und gerade deswegen gibt es unzählige verschiedene Stile, Nischen, Subgenres und Beispiele dafür, wie sich die Punk-Attitüde in den unterschiedlichsten Gesangs- und Musikstilen etabliert. Wir geben euch einen Überblick darüber, wie expressiv und individuell Punk ist und wie ihr euch stimmlich und künstlerisch im Punk ausdrücken könnt.

Protopunk – Roher Ausdruck, Dilettantismus & Kunst

Patti Smith – Piss Factory  

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The Stooges – I Wanna Be Your Dog

Fangen wir mal ganz am Anfang an. In den späten 60ern und frühen 70ern, als sich vor allem in New York im starken Kontrast zur Hippie-Bewegung etwas formte, das heute als Protopunk bezeichnet wird – so etwas wie ein ideologischer Prototyp für Punk. Rauer Sound, radikale Worte und roher Ausdruck, der bis heute Punker/innen aller Generationen inspiriert.

Patti Smith, die sogenannte „Godmother of Punk“, macht direkt im ersten Beispiel klar, dass bei Punk Rock Vocals wirklich alles erlaubt ist. Kaum erkennbarer Rhythmus, keine Reime, gedankenstromartiger Text, vulgäre Wortwahl und grotesker Titel. Eine radikale Rebellion gegen Dogmen in der Musik, gegen klassische Frauenbilder und Prüderie, begleitet von einer komplexen Klavierbegleitung.

The Stooges mit ihrem legendären Frontmann Iggy Pop sind hier im direkten Vergleich noch verhältnismäßig konventionell unterwegs mit ihrer klassischen Rockband-Besetzung. Abgesehen davon ist jedoch an „I Wanna Be Your Dog“ kaum etwas zu entdecken, das nicht im starken Kontrast zum damaligen musikalischen Mainstream steht. Bewusst kaputter Gitarrensound, monotones und simples Arrangement, im wahrsten Sinne des Wortes eintönige Vocals und ein kritisch-kryptischer Text. Mehr gesprochen als gesungen, trotzdem mit klarer Rhythmik und einigen Reimen, aber immer noch mit klarem Fokus auf den Inhalt, Aussage und Attitüde des simpel gehaltenen Textes gehört dieser Song eindeutig zum Protopunk.

Zwei gute Beispiele für eine der Grundsäulen in der Philosophie des Punk: das bewusste Zelebrieren des Dilettantismus. Mit minimalen Mitteln ausdrucksstarke Kunst machen, die sogar von ihrer „dilettantischen“ Ausführung lebt. Das soll nicht bedeuten, dass Iggy Pop oder Patti Smith es nicht draufgehabt hätten, ganz im Gegenteil. Beide haben im Laufe ihrer Karrieren ein außergewöhnliches musikalisches und stimmliches Können unter Beweis gestellt und sich trotzdem und bewusst dagegen entschieden, ihr Können zu präsentieren. Iggy singt kaum, intoniert bewusst daneben, Patty singt gar nicht, sie spricht nicht einmal rhythmisch. Und das ist Punk as Fuck!

70s Britpunk – Zynismus, Dystopie & Rock ‘n’ Roll

Sex Pistols – God Save The Queen

The Clash – London Calling

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Auch in Großbritannien etablierte sich eine Punk-Szene in den 70er Jahren. Allen voran natürlich mit den legendären Sex Pistols, die für die ultimative Rebellion gegen gesellschaftliche und politische Standards sowie Schönheitsnormen standen. „God Save The Queen“ zeigt all das. Mit minimalen instrumentalen Skills, deutlich rauerer und giftigerer Attitüde und Stimme als zum Beispiel Patti und Iggy, dafür jedoch mit hin und wieder zumindest erahnbaren Melodien und noch klassischerem Rock-Arrangement. Und der Text? Klare Kritik am politischen Establishment des Vereinten Britischen Königreichs der 70er, sarkastisch, zynisch, düster und wütend, sich gipfelnd im legendären und mit vor allem frühen Punk fast schon synonymen Ausruf: NO FUTURE!

The Clash schlugen Ende der 70er Jahre eine ganz andere Richtung ein. Stilistische Collage mit Elementen aus Punk, Pop, Reggae und Jazz. Doch der rohe Sound und die rebellische Einstellung blieben und brachten den vier Briten einen Ruf als so etwas wie die Beatles des Punk ein. „London Calling“ ist nicht nur der Titelsong ihres populärsten zweiten Albums, sondern auch ein gutes Beispiel für britsche Punkmusik. Im Song findet sich ein eingängiges Arrangement, ein zwar roher aber nicht übermäßig stilisierter, kaputter Sound wie zum Beispiel bei Iggy Pop, der von Joe Strummers expressiven und rauen Vocals getragen wird. Der Text soll eine Radiosendung in einer dystopischen Zukunft darstellen. Das ist sehr kunstvoll und dabei doch simpel; roh, aber mit Köpfchen, und expressiv ohne Selbstdarstellung.

Diese beiden Beispiele machen klar: Melodien sind natürlich nicht verboten, nur weil die Protos darauf verzichtet haben! Aber getragen werden die Melodien trotzdem von eine großen Ladung Wut, Zynismus und Power, die sich, weil sie ehrlich ist, automatisch in der perfekten Unperfektion entlädt. Die Stimme bricht, Töne verrutschen und Konsonanten springen einen auf eine glaubhaft und authentische Art nur so an.

Hardcore Punk – Straight Edge und Moshpits

Gouge Away – Only Friend

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Minor Threat – Straight Edge

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In den 80er und 90er Jahren entwickelten sich in die Welt der verzerrten Gitarren eine Menge verschiedener Stil- und Spielarten, von Metal über Grunge und Alternative Rock bis hin zu zahllosen Subgenres. Eine ganz besondere davon ist Hardcore Punk.

Als Begründer dieser speziellen Spielart werden häufig Minor Threat aus Washington D.C. genannt. 1981 erschien auf dem selbstgegründeten und bis heute aktiven Label Dischord Records die erste, den Namen der Band tragende EP. Schneller, aggressiver und bestechender als alles andere zuvor im Punk stach die Band sofort heraus und löste mit dem Stück „Straight Edge“ quasi versehentlich die gleichnamige subkulturelle Bewegung aus. Und die Vocals? Aggressiv, schnell, rhythmisch und, pardon my french, f*king pissed. Ein klares Statement gegen Drogenkonsum und für mentale Klarheit – simpel und authentisch.

Gouge Away gehören zur moderneren Riege von Hardcore Bands, in der sich meiner Meinung nach nicht nur die stilistische Vielfalt dieser Szene offenbart, sondern ein weiteres Vermächtnis zeigt, an dem Minor Threat Sänger Ian McKaye nicht ganz unbeteiligt war: Emotional Hardcore, manchmal auch Emocore, Post Hardcore oder einfach Emo genannt. Was die meisten Menschen seit den 2000er Jahren mit schwarz gefärbten Haaren, bunten T-Shirts, Vans und Röhrenjeans verbinden, begann als eine szeneinterne Gegenbewegung zu einem Trend im Hardcore, der vor allem durch das Idealbild wütender und „harter“ Männer geprägt war und in den 90er Jahren immer mehr erweicht und zum Teil abgelöst wurde.

Dieser Ansatz an Punk existiert in den vielfältigsten Auslegungen bis heute und Gouge Away sind für mich ein sehr gutes, wenn auch nicht allzu bekanntes Beispiel, das mit einem klar hörbaren Einfluss des 90er-Jahre-Noise-Rock eine ganz besondere stilistische Nische abbildet.

Sowohl musikalisch als auch gesanglich bewegt sich die Band immer zwischen Dissonanz und Harmonie, zwischen purer Aggression und emotionaler Zerbrechlichkeit. Manchmal leise und zurückhaltend gesungen, oft aber ohne Rücksicht auf Verluste losgeschrien. Extrem expressiv und emotional trägt Frontfrau Christina Michelle die metaphorischen und oft verzweifelten Texte vor, in einer ganz eigenen stilistischen Melange aus Emo, Noise-Rock und Hardcore.

Skate-Punk, Horrorpunk & Grunge

Wenden wir uns der melodischeren Seite der Punkwelt zu.

NOFX – Linoleum

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NOFX sind ein Paradebeispiel für den Sound, der gemeinhin als Skate-Punk bezeichnet wird. Schnell, rotzig und unperfekt, aber gleichzeitig mit catchy Melodien und einer großen Portion Humor bewaffnet gehen die Kalifornier in den Kampf gegen Nazis, Spießigkeit und Konformität. Musikalisch gehen die Herren um Frontmann, Bassist und lebender Punklegende Fat Mike recht versiert ans Werk. Kompakte Songs, die zwar unter der Lupe nicht perfekt gespielt oder gesungen, aber trotzdem mit genug Power und Präzision performt sind, sodass sie einen ziemlichen Impact entwickeln. „Linoleum“ ist ein schönes Beispiel dafür. Fat Mike trifft nicht jeden Ton perfekt und auch nicht jede Metapher des Textes über seinen besten Freund den Bodenbelag ergibt zu hundert Prozent Sinn, aber die Message über seinen leichtfüßigen Lifestyle, der ohne großartigen Besitz oder starre Regeln auskommt, kommt trotzdem – oder wahrscheinlich gerade deswegen – definitiv bei den Zuhörer/innen an. Man muss also manchmal gar nicht alles, was mit der Stimme passiert so perfekt unter Kontrolle haben. Ich kann es gar nicht oft genug betonen: Erst wenn es unperfekt ist, ist es perfekt! Genau dafür ist Punk da, und das kann und sollte die Stimme, die vor allem anderen im Fokus steht, zelebrieren!

Hole – Violet

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An dieser Stelle dürfen natürlich Courtney Love und ihre Band Hole nicht ungenannt bleiben. Je nach Song schon fast im Alternative Rock zu verorten, fungierte Courtney Love mit ihrer freizügigen und kontroversen Art und dem klaren Punk- und Grunge-Einfluss in ihrer Musik als wichtiges Vorbild für viele junge Mädchen und Frauen in den späten 90er Jahren und frühen 2000ern. Meist melodisch, aber immer zumindest ein bisschen rotzig, auffällig und mit viel Mittenfrequenzen nölend behält sich Mrs Love ihre Punk-Attitude selbst in den musikalisch zahmeren Momenten ihrer Diskografie bei.

The Misfits – Die, Die My Darling

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Die Misfits, die sich in den späten 70er Jahren gründeten, begründeten ein Subgenre, das den klangvollen Namen Horrorpunk trägt. Warum? Opulent und klar gesungene Vocals über Akkorde, die eher nach frühem Rock ’n’ Roll oder sogar Doo-Wop klingen, werden von einigen dunkel und mächtig klingenden, grotesk verkleideten Bandmitgliedern vorgetragen, deren Texte quasi ein verschriftlichter Horrorfilm sind. Das ergibt eine ganz besondere stilistische Melange, wobei hier gesagt sei, dass der Text aus heutiger Sicht vor allem in Bezug auf Gewaltverherrlichung und die Objektifizierung von Frauen kritisch zu hinterfragen ist. Sänger und Visionär Glen Danzig betont seine einzigartige Auslegung von Punk und seine Radikalität nicht unbedingt über das Brechen musikalischer Prinzipien, sondern drückt sich in Texten, Sound und Erscheinungsbild aus.

Nirvana – Lithium

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Zu Nirvana wurde wahrscheinlich schon alles gesagt, deshalb fasse ich mich kurz. Mit ihrem Album Nevermind lösten die drei Punkrocker quasi über Nacht die weltweite kulturell bedeutende Grunge-Bewegung mit aus, die in der Punk- und Alternative-Rock-Szene von Seattle mit verschiedenen Auslegungen und Nuancen schon lange brodelte und in dem Song ‘Smells Like Teen Spirit’ ihren kommerziellen Durchbruch fand. Auch andere Bands wie Soundgarden, Pearl Jam, Alice in Chains oder The Melvins trugen die Grunge-Bewegung.

Aber warum eigentlich? Laut Dave Grohl, damaliger Drummer bei Nirvana und heutiger Frontmann der Foo Fighters, entstanden Kurt Cobains Songs aus der Liebe zu den Beatles, zu Punk-Rock und Metal – eine einzigartige Mischung also. Ergebnis waren bildhafte, aber verständliche Lyrics und kunstvolle Melodien, die die Geisteshaltung vieler Teenager und junger Erwachsener in den 90er Jahren wie den Nagel auf den Kopf trafen. Aber anstatt von Anzug tragenden, grinsenden Pilzköpfen standen dort drei individualistische Außenseiter mit lauten Gitarren und Reibeisenstimme. Große Songs, große Wahrheiten, großer Sound und ein ganz besonderer, eigensinniger Künstler und großartiger Sänger, der leider viel zu früh von uns gegangen ist.

Schrei es raus!

Die Basis für eure Vocals im Punk ist eure Haltung und eure Emotion, der Stimmsound ergibt sich daraus von ganz alleine, denn die Stimme ist der direkteste Spiegel eurer Emotionen. Einfach gerade raus singen, ihr braucht keine großen Verzierungen, denn es geht nicht um stimmliche Virtuosität, sondern um möglichst viel Energie in jedem einzelnen Ton – genau deshalb sind Sprechen beziehungsweise Rufen und Schreien ein tolles Stilmittel, um sich erstens auf nichts als die Emotion konzentrieren zu müssen, und zweitens nichts als die Emotion zu transportieren. Für eine klare Intonation kann das ein viel an Emotion sein, aber wie der deutsche Produzent Moses Schneider schon treffend sagte: Performance schlägt Pitch. Viele Punkvocals halten sich daran, nicht unbedingt, weil die Sänger/innen keine Intonation können, sondern weil sie im Punkkontext nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Honorable FLINTA* Mentions

Das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Künstler/innen ist ein wenig unausgewogen geraten. Warum? Nicht weil es weniger gute Musikerinnen und Punkerinnen gibt, sondern weil ich als Autor zu den vorgestellten Künstlern einen besonderen Bezug habe, der sich praktischerweise mit der musikhistorischen Relevanz dieser Acts zumeist deckt und für mein persönliches Dafürhalten eine sehr schöne stilistische Mischung abdeckt. Deswegen hier noch ein paar VERY honorable Mentions einiger weiblich gelesenen oder non-binären Sänger/innen, die zumindest vom Punk und dessen Auswüchsen beeinflusst worden sind.

Schrottgrenze & Finna – Happyland

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The Distillers – Drain The Blood

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Paramore – Misery Business

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Sonic Youth – Bull in the Heather

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Punk ist, was du bist. Egal wie ausgefallen, merkwürdig, erschreckend oder anstößig deine Ideen sind und wie weit du deine Stimme oder dein Instrument beherrschst – im Punk ist alles erlaubt (natürlich solange niemand beleidigt oder diskriminiert wird). Und wenn du mir nicht glaubst, dann hör dir nochmal alle im Artikel genannten Beispiele an, spätestens dann sollte der Groschen fallen.

Erinnern wir uns, Punk bedeutet auch DIY. Und genau das verbindet alle obengenannten Artists. Egal ob mit minimalen und dilettantischen Mitteln oder mit ausgefeiltem Konzept und geschärften Skills, mit purem Geschrei, schönem Gesang oder irgendwas dazwischen – im Punk kannst du es einfach selber machen! (Link: https://www.bonedo.de/artikel/musik-selbst-vermarkten-smile-and-burn/)

Und leider passen nicht alle tollen Punk-Acts dieser Welt in einen Artikel und ich möchte mich an dieser Stelle dafür entschuldigen, wenn deine ganz persönliche Lieblingsband hier nicht auftaucht. Wenn das der Fall ist, schreib es doch einfach in die Kommentare unter diesem Artikel, dann haben wir alle was davon.

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