Querschläge: Kein Klang ist Dein Klang.

Was muss das Leben früher angenehm gewesen sein: keine Staus, kein Klimawandel und keine Werbeunterbrechungen. Gut, ein bisschen Typhus, hier und da die Pest, eine allgemein niedrigere Lebenserwartung und der Rechtsstaat als Utopie – nichts, womit man nicht irgendwie klar käme. Wenn früher tatsächlich besser war, dann auch die Zukunft.  Die nicht nur von Charlie Chaplin eindrucksvoll portraitierten „Modern Times“ bleiben auch knappe hundert Jahre nach ihrer Premiere ein zweischneidiges Schwert. Dass der Fortschritt ohne dass man sich’s versieht in die falsche Richtung galoppiert, zeigt sich nirgendwo deutlicher als beim Musikhören, genauer, bei den Standards für den Klangkonsum!

Komprimierte Grütze 24/7? (Foto: © Fotolia / rangizzz)
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Kein Klang ist Dein Klang: Noch vor 150 Jahren war eine Trennung zwischen Musikhören und Musikmachen überhaupt nicht denkbar – von Spieluhren einmal abgesehen. Mit den Erfindungen von Edison und Hertz allerdings entwickelten sich zunächst Klangspeicherung und –übertragung (in der logischen Folge später dann auch dessen Wiedergabe) zu eigenständigen Geschäftsfeldern. Wie es sich für Märkte gehört, wollten auch diese wachsen. Das Bestreben nach Höher-Schneller-Weiter blieb nicht ohne Konsequenzen für Güte und Qualität der für die Aufnahme, Übertragung und Wiedergabe angesetzten Standards. Von  Mono über Stereo- und Quadrophonie bis zu den Half Speed Masters der Audiophilen-Szene ergab sich eine ziemlich eindeutige Tendenz in Richtung ‘High Fidelity‘ – von Dolby und Rauschunterdrückungs-Equalizer-Wahn ganz zu schweigen. Bis zu einem Punkt, an dem die Technologien zur omnipräsenten Verfügbarkeit den allgemein geltenden Hör-Standards in den Schwanz bissen, Stichwort MP3. Seither – und das sind mittlerweile über 20 Jahre – können immer weniger Menschen mit dem Begriff „Klangqualität“ überhaupt etwas anfangen. Die Zahl derer, die „Klangqualität“ nicht einmal dann buchstabieren könnten, wenn sie wollten, hingegen steigt. Kontinuierlich.

Wenn das Daft Punk wüssten!?
 Kevin, Chantalle, Nazan, und Leon ist das Latte wie Hose. Sie interessiert vor allem, dass sie alles und das Neueste haben – oder zumindest Zugang dazu, und zwar via Smartphone. Warum sollten sie auch noch darauf Wert legen, dass Justin, Carly, Kanye und Co besonders gut klingen. Und was heißt hier überhaupt „gut“. Es plärrt laut genug, um mitsingen zu können. Was wollen die alten Säcke mehr? Und schließlich: Alter schützt vor Taubheit nicht. Dass Laptops, die schlechter klingen als Kofferradios von anno dazumal, als Quelle für die Klangtapete in einer gemütlichen Runde (neudeutsch Get-together) herhalten müssen, hält niemand für abwegig. Ein Zustand, der angesichts der überirdischen Anstrengungen in der stetig schrumpfenden Anzahl an Aufnahmestudios – in denen nebenbei bemerkt, die alte Welt noch sehr viel präsenter und intakter ist – nach noch mehr Fein-Klang durchaus als schizophren beschrieben werden könnte. Smartphone-Mastering existiert bisher vor allem im Bereich der Klingeltöne. Warum das so ist? – Keine Ahnung, steht ja nicht drauf.
Dass die Allverfügbarkeit dieser Entwicklung ein unglaubliches Momentum verschafft hat, dürfte unbestritten sein. An dieser Stelle kann der Seitenblick auf die Lebensmittelkultur weiterhelfen. Noch nie war Kulinarisches derart prominenter Bestandteil des öffentlichen Lebens. Noch nie war die Nachfrage nach Fertiggerichten größer. Alles bestens also. Oder wie Andreas Dorau es formuliert: “Die Welt ist schlecht, das Leben ist schön, was ist daran bitte nicht zu verstehen”.

Über Joinmusic

Unser neuer Kolumnist Thomas Kühnrich ist seit 2011 Redaktionsleiter bei Joinmusic.com. Dieses Online-Magazin und Label-Portal will getreu des Mottos “Good Music Only” eine Anlaufstelle für Labels und Musikinteressierte abseits der Top 20 Playlists sein. Und weil Justizia zwar blind, nicht aber taub ist, gibt sich Joinmusic subjektiv, voreingenommen und parteiisch. Mit News, Track-Tweets, Reviews und Hintergrund-Geschichten informiert das Magazin über Künstler, die den Unterschied machen. Das einzige Genre, das für sie wirklich zählt, heißt „großartige Musik“. Mit diesem Hintergrundwissen gewappnet, wird uns Thomas ab sofort mit seinen “Querschlägen” ein wenig Pfeffer in den Alltag bringen…

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Profilbild von Andy

Andy sagt:

#1 - 21.08.2013 um 13:49 Uhr

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Ja, Ja, Ja, damals war alles besser! Ich kanns nicht mehr hören un dbitte nicht immer so schwarz weiß! Na klar verändern sich die Dinge, einige zum guten anderen zum schlechten und ja ich reagieren auch immer allergisch auf bestimmte Personen, die ihre Musik öffentlich in Bussen und Bahnen mit ihrem Handy Lautsprecher hören müssen, aber im Gegenzug dazu stelle ich auch fest, dass der Plattenspieler wiederkommt. Immer mehr Leute in meinem Umfeld fangen an Platten zu sammeln! wie nehmt ihr anderen das denn war? ist der Plattenspieler wieder im kommen?
Naja trotzdem sehr interessante Kolumne!

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andrius sagt:

#2 - 22.08.2013 um 17:01 Uhr

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Mir rauchen auch oft die Ohren. Nirgends bekommt man mal Ruhe.

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Thomas Kuehnrich sagt:

#3 - 23.08.2013 um 19:00 Uhr

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@Andy - nein, früher war nicht alles besser. Weder steht es so im Text, noch habe ich das impliziert. Ich bin weder HiFi-Freak noch Mp3-Hasser. Vielmehr ist mein Anliegen, auf eine Entwicklung aufmerksam zu machen, die so wohl nur wenige vorausgesehen haben (ich auch nicht): die praktische Allverfügbarkeit von Musik fällt nicht zusammen mit einem gesamtgesellschaftlichen Konsens über Standards bei der Klang-Qualität. Das ist doch bemerkenswert. Als Musik noch nicht jeden Winkel des Alltags durchdrungen hatte, spielte ihre Klang-Qualität eine weitaus größere Rolle als heutzutage.Was die Plattenspieler angeht - ich gebe mich nicht der Illusion hin, der Zuwachs bei den Vinyl-Abverkäufen ließe sich auf gesteigerte Hör-Ansprüche zurückführen. Ich glaube vielmehr, dass die Music-As-File-Entwicklung einfach ihre eigenen Gegenbewegung provoziert. Ob bewußt oder nicht, sagen deren Apologeten: "Keine Ahnung, wie wertvoll 2 Terrabyte Musik sind - aber mir sind 50 LPs lieber." Mit Klang dürfte das nur am Rande zu tun haben.

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Fritz Koenig sagt:

#4 - 27.08.2013 um 20:29 Uhr

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Tja! Anhand der ersten Kommentare ist ja zu ersehen, daß da keine Spur von Verständnis zu existieren scheint. Über "Klang" scheinen sich ja auhch nur die Produzenten Gedanken zu machen. Die wiederum den Künstlern die Qualität verkaufen wollen die danach sowieso keiner wahrnimmt. Beispiel: Super Aufnahme-Qualität, Top-Masteringingeneer und dann: MP3 mit 128kHz und Handylautsprecher! Da hilft NUR LAUT! Das ist sozusagen die einzige "Qualität" die wahrgenommen wird. Die Prarallele zum Lebensmittelkonsum ist unbestreitbar. Vor lauter Zusatzstoffen und Geschmacksverstärkern weis keiner mehr wie es wirklich schmeckt. Aber noch schlimmer ist, daß keiner das hinterfragt. So "gewöhnen" wir uns an immer höhere Level - physisch und vor allem psychisch. Das Ergebnis zeichnet sich teilweise schon ab nd ist mit "krankmachender Unzufriedenheit" zu beschreiben. Glücklicherweise findet man immer wieder Menschen die das "Andere" zumindest probieren und sich dann Gedanken darüber machen. Mein einziger Lichtblick sind "tontechnisch" gute "echte" Live-Konzerte. Egal welche Musikrichtung, da gibts noch Emotionen die nicht nur durch technischen Gigantismus alleine ausgelöst werden. Ich habe schon oft gehört das ein Konzert "echt super" war. Super Show, super laut, super Technik. Aber, daß ein "nicht unbedingter Musik-Fan" sagt: "Also wie der/die das gesungen hat, nur mit Gitarre/Klavier o.ä. Das ging mir unter die Haut!" Das hab ich bisher nur in o.g. Live-Konzerten erlebt. Fazit: Es ist nicht alles verloren aber die Gemeinde der "erlebnisbereiten" ist sehr klein und die Gruppe der dumpfen, kritiklosen Konsumenten scheint zu wachsen.

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