Und hier wird es wirklich spannend:
Die Listen repräsentierten seit 2016 ein zunehmend homogenes Bild von DJs und Künstlern, die männlich seien und aus den USA oder Europa stammten. Damit würden diese Charts in krassem Gegensatz zur Gesamtheit der elektronischen Musik stehen, deren Macher und vor allen Dingen Macherinnen in der Summe weitaus internationaler seien. Die Autoren der Meldung verweisen explizit darauf, dass Dance-Musik, wie sie heute dem Mainstream zuzurechnen ist, ihre Ursprünge in Szenen hatte, in denen eine besonders große Vielfalt an sexuellen Orientierungen, Geschlechterrollen, Nationalitäten und Hautfarben vorherrscht. Ferner argumentieren sie, dass es am Ende keine gute Sache sei, Musiker und Künstler überhaupt in einer Tabelle zu bewerten.
Die Meldung endet mit dem Ausblick, dass man von nun an am Jahresende ein dreiteiliges Feature über verschiedene Künstler machen werde, die sich im Lauf des Jahres, in der elektronischen Musik besonders verdient gemacht haben. Die Autoren schließen emotional, indem sie darauf verweisen, dass alle Mitglieder von RA einen innigen, gelebten Bezug zur Elektronischen Musik haben und dieses – ihnen so wichtige Lebensthema – mit Liebe und Respekt behandeln wollen.
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Kommentar:
Soweit die Meldung, die sicherlich für einigen Rummel und Aufsehen in der Community sorgen wird. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes reichte die Bandbreite der Kommentare bereits von aufrichtiger Zustimmung („Eine weise Entscheidung, die zeigt, dass ihr euch wirklich um die Szene kümmert“), über Schadenfreude („Dixon ist jetzt am Arsch“), bis hin zu herber Kritik („Whow, ihr unterdrückt die Meinung eurer Besucher im Namen künstlerischer Integrität und argumentiert mit hochtrabendem Gequassel. Ziemlich gewagt für ein vermeintlich aufgeschlossenes Medium“).
Und tatsächlich stecken RA hier im klassischen griechischen Drama: Wie man sich entscheidet – es ist verkehrt. Allen voran muss man natürlich zu Protokoll nehmen, dass sie sich am Ende doch ziemlich viel Zeit mit dieser Entscheidung gelassen haben. Zeit, in der – nicht zuletzt aufgrund der beliebten Listen – viele Klicks auf der Seite gelandet sind und für den einen oder anderen Banner-Dollar gesorgt haben dürften. Dass einem als Betreiber einer Seite Charts, in denen lauter Künstler auftauchen, mit denen man wenig anfangen kann, irgendwann gehörig auf den Zeiger gehen, ist mehr als verständlich.
Dass öffentliche Charts automatisch den Mainstream widerspiegeln liegt in der Natur der Sache. Hinzugehen und hier das ganz große moralische Besteck auszupacken wie es RA gemacht haben, wirkt da vielleicht etwas deplatziert. Letztlich missachtet man so auch den tatsächlichen, dynamischen Wandel im Bereich der Elektronischen Musik: Feministische Kollektive wie „Female Pressure“, „Chicks on Speed“ oder „Wir Schwestern“ sorgen durchaus für eine steigende Frauenquote, Künstleridentitäten wie „Arca“, „Anohni“ oder „Zebra Katz“ bringen ihre queere Lebenswirklichkeit im Huckepack urbaner Beats und aufregender visueller Konzepte ins Blickfeld. Und dass der – so genannte – Underground immer schon ein ziemlich multinationaler und ethnischer Schmelztiegel war, sollte jedem bekannt sein, der sich auch nur ansatzweise für musikhistorische Zusammenhänge interessiert.
Faktisch dürfte es den meisten schwarzen Produzenten, egal ob sie nun in Chicago „Footwork“, in London „Trap“ oder in Simbabwe „Gqom“ produzieren ziemlich schnuppe sein, ob sie in einer RA-Liste auftauchen oder nicht. Und tatsächlich hat man vereinzelt auch schon mal von Hetero- und homosexuellen weißen Jungs und Mädchen aus Europa oder den USA gehört, die mit sehr viel Seele und Hingabe und wenig Geld, fantastische Elektronische Musik produzieren und von denen keiner in seinem Leben jemals auf einer RA-Liste aufgetaucht ist (und es nun ja auch ohnehin nicht mehr wird).
Nun hinzugehen und zu sagen, “wir erwähnen den Mainstream-Geschmack unserer Hörer einfach nicht mehr, um unsere Verbundenheit mit dem unterdrückten Underground zu zeigen”, wirkt umso verwunderlicher, je länger man darüber nachdenkt. Elektronische Musik und Dance-Musik im Speziellen, war immer schon ein großer Topf Bibimbap mit fettem Ei in der Mitte. Wer an den feinen Rettich will, muss eben etwas tiefer in der Schüssel suchen.