Reverb lässt sich natürlich nicht so einfach quantifizieren, aber man kann dennoch analysieren, wie Produzenten mit Hall umgehen, welche Präferenzen sie haben – und wie sich das über die Jahre verändert.
Wieviel Hall ist richtig?
Viele Produktionen der Siebziger und Achtziger trugen ihren Hall mit Stolz. Seitdem hat sich der Geschmack verändert und Reverb wird eher in einer Hintergrund-Funktion eingesetzt. Dieser Wandel wird von vielen Produzenten bestätigt. “Ich war damals ganz glücklich mit ‘Avalon’ von Roxy Music”, sinniert Bob Clearmountain, “aber wenn ich es heute höre, würde ich es ganz anders machen. Ich habe viel zuviel Hall benutzt.” “Ich verwende heute vielleicht ein Viertel des Halls, den ich früher gebraucht habe”, stellt Eddie Kramer fest.
John Leckie schlägt eine Erklärung für diesen Trend vor, die auch die wichtige Frage aufwirft, wie das Monitoring die Beurteilung von Hall beeinflusst: “In unterschiedlichen Regieräumen hört sich der Hall anders an. Wenn man zum Beispiel in einem kleinen, toten Raum abhört, fügt man vielleicht mehr Hall hinzu, als nötig wäre. In einem lebendigeren Raum ist es dann plötzlich zuviel. Heute geht der Trend in Richtung größerer, lebendigerer Regieräume, in denen trockenere Mixes entstehen. Die Leute machen einfach nicht mehr soviel Hall drauf, weil sie schon den Raumklang hören und glauben, sie bräuchten ihn nicht. Aber wenn man ihn wegnimmt, klingt es trocken.”
Eine oft vorgeschlagene Faustregel ist es, den Hall so einzustellen, dass man ihn nicht als eigenständigen Effekt wahrnimmt, aber vermisst, wenn man ihn stummschaltet. Viele Top-Producer scheinen auf diese Weise vorzugehen. Jason Goldstein: “Ich mag Klarheit. Ich will Reverbs nicht wirklich hören können.” Elliot Scheiner: “Wenn ich einen Hall benutze, möchte ich, dass er unauffällig ist.” Al Stone: “Ich hasse es, wenn es klingt, als sei einem Sound ein anderer aufgepfropft worden. Aber wenn man es schafft, dass sich der Hall natürlich anfühlt, ist er sehr effektiv.”
Heutzutage ist es auch üblich, die meisten Reverbs recht kurz zu halten. “Wenn ich Hall benutze”, erklärt Eddie Kramer, “ist es ein kurzer, aus Rücksicht auf die heutigen Sounds, eine Sekunde oder eine halbe, mit kurzen Nachhallzeiten.” Jack Douglas schlägt eine weitere Taktik vor: “Die Hallzeit hängt vom Instrument ab. Ich richte mich immer nach der Tragkraft des Instruments, weil man nicht viel Hall hört, bevor das Instrument aufhört.”
Ein kurzer Hall kann sogar dazu führen, dass sich der Mix trockener anhört, wie John Leckie erklärt: “Manchmal kann man Effekte benutzen um den Eindruck zu erwecken, dass noch weniger als gar kein Hall im Spiel ist! Man kann den Sound tatsächlich trockener machen, indem man etwas hinzufügt. Zum Beispiel mit dem Small Room aus dem 480L, oder etwas mit einer frühen Reflexion, 40 Millisekunden oder so. Alles, was kurz ist und ein bisschen dunkel, macht den Klang größer und auch etwas trockener.”
Eine Reihe von Produzenten sind asketischer, was Reverb angeht – Leute wie Mitchell Froom, Tchad Blake (er sagte 1997: “In den letzten 10 Jahren habe ich vielleicht auf zwei Alben Hall benutzt”) und Steve Albini. “Ich glaube nicht, dass Hall so wichtig ist, wie die meisten Engineers und Produzenten meinen,” sagt Albini. “Er wird fast reflexartig benutzt: Wenn ein Sänger zu singen anfängt, legen sie Hall darauf. Oft wird es nur pro forma gemacht; sie tun es, weil sie glauben dass sie es müssen. Ich hatte diesen Reflex nie. Ich warte, bis jemand sagt, dass es sich komisch anhört, und dann probiere ich es mit Reverb.”
Auf einigen sehr erfolgreichen Alben haben die Produzenten vollständig auf Hall verzichtet, um den Sound vom Standard glatter Studioproduktionen abzuheben. Craig Bauer erinnert sich an seine Arbeit an “Late Registration” von Kanye West: “Es ist nicht ein Gramm Hall darauf. Ursprünglich hatte ich bei dem Titel recht viel Hall auf die Vocals gegeben um es satt klingen zu lassen, wie ein R&B-Track. Auch auf den Strings war Hall, es klang sehr üppig. Er schickte es mir zurück und sagte ‘Nimm das alles raus.’ Also habe ich neu angefangen und mir die trockene, nackte Instrumentation angehört, bis es mir dämmerte: Kanye wollte keinen brillanten, dichten R&B-Mix, er wollte dass es rau und ‘street’ und nach Hip Hop klingt, auch wenn der Song eigentlich nicht das war, was man normalerweise in diesem Stil machen würde.”
Auch viele Künstler kennen sich heutzutage besser mit den technischen Aspekten aus und manche von ihnen lehnen Reverb ab. Das ist eine Herausforderung für den Engineer, der natürlich immer noch einen Zusammenhalt im Mix erreichen muss. “Künstler sagen, dass sie trockenere Vocals möchten”, bestätigt Michael Brauer, “aber in Wirklichkeit möchten sie etwas anderes als Hall. Wenn man den Gesang ganz trocken lässt, verliert er an Lebendigkeit. Also sucht man nach anderen Effekten.” Jeder hat seine eigenen Tricks um dieses Problem zu lösen; ich habe erlebt, wie Kompression, Delay, Distortion, Chorus, Doppelungen, Re-Amping, Pitch Shifting und sogar Autotune statt eines Reverbs verwendet wurden.
Wieviele verschiedene Reverbs?
Eine Frage, die mir oft gestellt wird, ist: Wie viele verschiedene Reverbs sollte man in einem Mix verwenden? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten und die Engineers gehen unterschiedlich damit um. Die gängigste Praxis ist es, zwei oder drei globale Reverbs als Send-Effekte einzurichten und die einzelnen Signale damit zu versehen, um die Illusion zu schaffen, dass sie in der gleichen räumlichen Umgebung sind. “Manche Leute benutzen so viele verschiedene Reverbs, dass sie miteinander konkurrieren”, kommentiert Mike Clink. “Dann passt nichts so recht zusammen. Für mich ist Hall der Klebstoff, der den Anschein erweckt, alles sei im gleichen Raum aufgenommen worden. Also schicke ich mehrere Instrumente durch einen oder zwei Reverbs.”
Dann ist die nächste Frage natürlich, wie diese Reverbs eingestellt sein sollten. Unabhängig davon, welches Equipment genau verwendet wird, tendieren die Profis zu Kontrasten, sodass jeder Hall seine eigenen nützlichen Charakteristiken mitbringt. Die Hallzeit ist dabei natürlich ein wichtiges Kriterium, wie schon zu Zeiten der analogen Hallgeräte: “Ich stellte die drei EMT Plates normalerweise so ein, dass eine sehr kurz, die nächste mittellang und die dritte etwas länger klang”, erzählt John Fry. Oft präparierten wir auch unsere drei Hallkammern auf diese Weise.”
Auch Elliott Scheiner und Chuck Ainlay verwenden globale Reverbs, ergänzen sie aber in manchen Situationen. Scheiner: “Ich benutze weitere Reverbs für spezielle Sachen, die vielleicht einen etwas anderen Charakter brauchen.” Ainlay meint: “Meistens habe ich drei oder vier Halleffekte für den allgemeinen Mix. Und dann nehme ich gezielt spezielle Reverbs für einzelne Instrumente, zum Beispiel ein gegatetes PCM70 auf der Percussion. Manchmal benutze ich auch Rückwärts-Hall und solche Geschichten, oder kleine Räume.”
Eine andere Herangehensweise ist es, die einzelnen Instrumente individuell mit Hall zu versehen – eine Taktik, die lange den großen Studios vorbehalten war und erst seit dem Aufkommen von Plug-Ins auch in kleineren Studios umgesetzt werden kann. “Jedes Instrument bekommt seinen eigenen Effekt”, erklärt Eddie Kramer. “Ich benutze acht bis zehn Effekte, mehrere Schichten von Reverb. Sie sind subtil, manche sind wirklich kaum wahrnehmbar und heute meistens sehr kurz.”
Jon Gass treibt es auf die Spitze und verwendet Hall nicht nur wegen seiner räumlichen Eigenschaften, sondern auch wegen seiner tonalen Qualitäten: “Manchmal verwende ich in einem Mix 10 oder 15 verschiedene Reverbs und Delays, aber es ist nur selten ein wirklich langer Hall dabei. Die meisten sind sehr kurz, fast wie ein Chorus, und ich benutze sie um Platz zu schaffen ohne die Spur mit einem EQ zu zerstören. Das wäre das Letzte, was ich tun würde. Ich schaffe lieber eine Atmosphäre, und das ist keine Sache des Trainings, sondern einfach eine musikalische Art zu mischen.”
EQ und Pre-Delay
Einer der am häufigsten geäußerten Tipps in Produzenten-Interviews ist es, den Reverb Return mit einem EQ zu bearbeiten. Dafür gibt es zwei Hauptgründe, Phil Tan bringt den ersten davon auf den Punkt: “Manchmal muss man den Hall mit einem EQ anpassen und die Parameter wie Attack, Release-Zeit, Länge und so weiter justieren, damit er nicht mit anderen Frequenzen im Song kollidiert.”
Der zweite Grund, weshalb viele Engineers ihre Reverbs durch EQs schicken, ist es, die Launen charakterstarker Halleffekte wie Federhall oder Plate in den Griff zu bekommen. “Am schwierigsten ist es den Leuten beizubringen, sich das Gerät anzuhören”, beschwert sich Phil Ramone. “Nehmt die Quelle heraus und hört euch das Gerät an. Ihr werdet euch wundern, wie lausig manche dieser Dinger klingen! Flanging, Phasing, Auslöschungen, es kommt alles vor.” Aber es gibt Hoffnung: “Manchmal können die merkwürdigsten Sachen wie ein alter Federhall wirklich phänomenal klingen”, meint Jack Douglas. “Alleine hört es sich grauenhaft an, aber wenn man es richtig einsetzt und vielleicht etwas filtert oder durch einen EQ schickt, dann klingt es im Mix cool.” Und wie soll man den EQ einstellen? Manny Marroquin hat dazu einen Tipp: “Ich suche nach der Frequenz, wo der Hall mit dem Eingangssignal zusammenkommt, und justiere diese.”
Der am meisten diskutierte Hallparameter ist natürlich die Nachhallzeit, aber danach folgt gleich das Pre-Delay. Schon vor einem halben Jahrhundert haben Engineers Signale aus Hallkammern mit Bandechos verzögert, und die Technik wird in Interviews von Eddie Kramer, Alan Parsons, Tony Visconti und anderen erwähnt. Glen Ballard beschreibt einen der Gründe, weshalb man Pre-Delay einsetzt: “Ich möchte die Worte des Sängers verstehen, also habe ich es gern, wenn das trockene Signal ein bisschen Abstand zum Effekt hat, nur für die Artikulation. Bei einem langsamen Song wie einer Ballade ist das Pre-Delay wahrscheinlich etwas länger.” In anderen Fällen wird Pre-Delay verwendet, um den Beginn der Hallfahne am Tempo des Songs auszurichten, damit er den Rhythmus unterstützt. “Die genaue Hallzeit ist mir meistens nicht so wichtig,” sagt Phil Tan. “Nur bei Delays und Hall-Pre-Delays kommt es wirklich auf ein exaktes Timing an.”
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Mono oder Stereo?
Fast immer wird der Ausgang eines Stereo-Hallgeräts dem Mix in Stereo zugeführt, aber das ist bei Weitem nicht die einzige Möglichkeit. Elliot Scheiner: “Ich fand schon immer, dass es auf alten Platten einen besonderen Charme hat, wenn der Hall an der gleichen Stelle wie das Instrument zu hören ist. Wenn die Gitarre links liegt, kommt auch der Hall links an, sodass der ganze Sound an einer Stelle passiert. In den 70ern habe ich oft drei EMT140-Platten benutzt: eine links, eine rechts und eine in der Mitte. Auch bei “Everything Must Go” von Steely Dan haben wir das so gemacht.”
Auch Joe Chiccarelli verwendete auf “Icky Thump” von den White Stripes Mono-Reverbs, die an der gleichen Position im Stereobild liegen wie die trockenen Spuren. Bei “The Most Beautiful Girl” von Charlie Rich ging Lou Bradley entgegengesetzt vor und legte den Plattenhall auf Pete Drakes Slide-Gitarrenpart an die gegenüberliegende Position, um einen netten kleinen Hinhörer zu erzielen.
Auch wenn man es macht wie die meisten und mit Stereo-Reverbs arbeitet, sollte man sich damit befassen, wie Phil Ramone erklärt: “Man muss sich den Hall auf jeden Fall in mono anhören um sicherzugehen, dass man auch das bekommt, was man hört. Deshalb klingen viele TV-Shows so schlecht. Sie benutzen diese ganzen tollen Effekte, aber wenn man es sich in mono anhört, verschwindet die Hälfte vom Signal oder vom Hall.”
Reverb automatisieren
Der letzte heiße Tipp, der von den Profis wieder und wieder erwähnt wird, ist das Anpassen des Reverb-Levels mit dem Fader im Verlauf des Tracks. Gerade heute, wo Automation eine Selbstverständlichkeit ist, führt kein Weg daran vorbei. So weist Al Stone darauf hin, dass die Wirkung des Halls nachlässt, wenn er immer eingeschaltet ist: “Oft schalte ich den Hall nur an zwei oder drei Stellen hinzu, statt ihn im gesamten Song einzusetzen. Das ist es, was ein Effekt sein sollte. Wenn er immer an ist, nutzt er sich ab.”
Ausgewählte Passagen eines Songs lassen sich durch einen separaten Hall hervorheben und dramatischer gestalten. “Ich suche mir die Stellen für den Hall heraus”, sagt Tony Maserati, “zum Beispiel einen emotionalen Höhepunkt im Song.” Auch das Muten des Halls für einen kurzen Moment kann ins Ohr stechen, besonders wenn es um den Leadgesang geht. “Ich nehme gerne einen kleinen Raum oder etwas in der Art, und sobald sich der Hörer an den Klang gewöhnt hat, nehme ich ihn heraus, nur um ihn dann wieder zurückzubringen” schlägt John Leckie vor.
Der zweite Grund, weshalb Top-Engineers ihre Effekte automatisieren, ist die Dynamik, die einen Mix vorantreibt und deutlich macht, wann der Chorus erreicht ist. Zum Beispiel ging Tom Elmhirst bei “Rehab” von Amy Winehouse so vor: “Ich hatte den Federhall für die Drums auf einem separaten Fader, den ich ständig bewegte. Man kann in dem Song hören, dass die Drums in den Strophen trockener sind. Im Chorus und in der Bridge wird der Hall lauter.”
Diese Technik ist besonders nützlich, wenn der Track auf Loops basiert. “Wenn ich einen Loop habe, der lange Zeit unverändert läuft”, sagt Mark Endert, “dann kann ich Struktur schaffen, indem ich die Effekte verändere. Am Anfang von ‘Makes Me Wonder’ von Maroon 5 sind kaum Effekte auf dem Gitarrenloop, in der ersten Strophe kommen Delays hinzu und später dann Chorus, Delay und Hall. In den Strophen ist es eher ein 16tel-Slap-Feeling. Im Chorus habe ich den Loop mit einem AMS 1580S harmonisiert und mit Pitch-Shiftern angedickt. Man kann eine Menge herausholen aus einer Spur, der es an Dynamik fehlt, indem man die akustische Umgebung variiert.”
Die Automation kann auch praktisch sein um spezielle Probleme zu lösen. John Leckie: “Wenn da ein Zischen ist oder ein harter Attack, der im Hall stark zu hören ist, justiert einfach den Effekt-Send, bis es nicht mehr stört. Die Größe bleibt, aber es klingt nicht zu verhallt.”
Fazit
Der Halleffekt ist nur eines von vielen Werkzeugen, mit denen man Räumlichkeit erzeugen kann, und es schadet nicht, schon bei der Aufnahme etwas Raumklang einzufangen. Selbst wenn ihr nur einen digitalen Hall zur Verfügung habt, so hoffe ich, dass ihr ein paar nützliche Tricks zur Verbesserung eurer Mixes gefunden habt – und in Zukunft mehr Nutzen aus euren Plug-Ins ziehen könnt.