“People can’t clap anymore, because they’ve got a fucking texting thing in their fucking hand, and probably a drink, too!” beschwert sich Jack White über sein Konzertpublikum. Mit seiner Kritik ist er nicht alleine, viele Künstler/innen und Besucher sind mit der derzeit gängigen Atmosphäre auf Konzerten unzufrieden. Doch Not macht erfinderisch: In den letzten Jahren sind einige alternative Konzertkonzepte aus dem Boden gesprossen. Über den Zauber von Live-Musik, die Krux mit der Gage und Authentizität im echten Leben.
Live-Musik lässt die Herzen im Gleichtakt schlagen
Live-Musik ist die unvergesslichste Form aller musikalischer Beschäftigungen – das sagt die Forschung. Anders als bei Aufnahmen spielt bei Konzerten auch der soziale Kontext, die Unvorhersehbarkeit der Musik und das eigene Taktgefühl eine Rolle. Jeder kennt das Phänomen: bei mitreißender Musik kann sich niemand zurückhalten: der Kopf nickt im Takt, die Knie wippen, der Fuß tappt. Dabei spricht man von Entrainment. Auch körperliche Rhythmen wie die von Herz und Atem synchronisieren sich. Entrainment ist auch dafür verantwortlich, dass, sofern die Menge synchron im Takt wippt, wir uns mit den anderen Konzertteilnehmern verbunden fühlen. Aber nicht nur das Publikum ist untereinander verbunden, auch das Verhältnis zwischen Künstler/innen und Zuhörenden ist überhaupt erst vorhanden. Die Anwesenheit des Publikums kann wiederum den/der Künstler/in und dessen Musik in diesem Moment beeinflussen. Wenn wir die Aufnahmen unseres Lieblingssongs unzählige Male gehört haben, kennen wir jeden noch so unscheinbaren Ton auswendig. Auch darin liegt eine Magie, die aber nicht mit derer der Live-Performance mithalten kann. Denn wird das Stück live gespielt, gesellen sich Spannung, Erwartungshaltung und Unabsehbarkeit in den Vordergrund und machen die Performance damit aufregend und einmalig.
Der Haken am Konzert
Das klingt ja alles ganz wunderbar. Doch es gibt ein großes aber. Mehr und mehr Leute sind gegenwärtig mit dem Ambiente auf Konzerten unzufrieden.Nicht nur Jack White kritisiert Smartphonesund Unaufmerksamkeit seitens des Publikums. Viele andere Künstler/innen, aber auch Konzertbesucher/innen, stören sich am Verhalten ihrer Mitmenschen. „Natürlich liegt es nicht an der Musik oder an der Performance. Es liegt an uns,“ schreibt Barbara Greshake, „an unserer egoistischen Einstellung und an unserer unverbindlichen Haltung gegenüber Freizeitangelegenheiten.“ Und ich weiß, was sie damit meint. Sie, und so viele andere Leute, die sich im Internet darüber beklagen, dass sie, obwohl selbst größte Musik-Nerds, den Live-Konzerten abgeschworen haben.
Hier kommen Hauskonzerte ins Spiel, die selbst ernannten Retter der Live-Musik. Deren Vorteile sind rasch aufgezählt. Musizierende dürfen ein aufmerksames Publikum erwarten und auf einen Fanbase-Zuwachs hoffen. Bei traditionellen Hauskonzerten landet auch der Großteil der Einnahmen in der Tasche der Künstler/innen und die Chance auf ein paar CD-Verkäufe scheint überdurchschnittlich hoch zu sein. Für die Zuhörerschaft eröffnet sich gleichzeitig ein intimes und authentisches Konzerterlebnis, in Reichweite der Künstler/innen und ohne betrunkene oder konstant am Handy hängende Nachbar/innen.
Die Musikerin Shannon Curtis erzählt im DIY Musician Podcast über ihre positive Erfahrung mit Hauskonzerten. Für alle, die es ihr nachtun wollen, hat sie einen Leitfaden veröffentlicht.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Weitere Informationen Weil Hauskonzerte aber schon lange kein Geheimtipp mehr sind und weil wir im Internetzeitalter leben, gibt es mittlerweile natürlich zahlreiche Mittel und Wege, auch über Internetplattformen Hauskonzerte zu organisieren oder organisieren zu lassen. „Big companies are paying attention to the fact that people are seeking more genuine, authentic interactions in real life, and as a result these companies are taking on more socially-charged experiences and participating in smaller acts of activism or intimacy,“ erläutert Sarah Klearman, Creative Director bei shesaid.so und Mitorganisatorin des Women in Music concert Series-Netzwerks, gegenüber der Musikjournalistin Cherie Hu. Der Trend geht also hin zu Intimität und Authentizität, und große Firmen sehen darin Potenzial. Klearman fügt hinzu, „it’s a really complex change that’s happening, but in general I think it’s positive and coming from a good place“ Viele Musizierende, aber auch Musikunternehmen, nutzen die online-connection, um offline an belangvollere Künstler-Fan-Beziehungen zu arbeiten.
Sofar Sounds machte die Hauskonzerte bekannt
Einer der berühmtesten Vertreter für Hauskonzert-Plattformen ist Sofar Sounds. Sofar steht dabei für „Songs from a room“, Lieder aus einem Raum. Das Unternehmen ist weltweit vertreten, in 444 Städten finden sich Musikliebhaber/innen an lauschigen Orten zusammen, um gemeinsam der Live-Musik zu frönen. Vor knapp 10 Jahren, so die Gründungsgeschichte, rief Rafe Offer gemeinsam mit Freunden in London sein erstes Hauskonzert ins Leben, weil die Gruppe genug von ungehobelten Konzertbesucher/innen hatte. Die Veranstaltung begeisterte und mehr folgten. Heute spricht Stephanie Mitchell, Sofar Sounds City Direktorin in New York, von einer „global community.“ Montréal, Lima, Friedrichshafen, Jekaterinburg, Nairobi oder Manila – in nahezu allen Ecken der Welt ist Sofar vertreten.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Für dich ausgesucht
Der typische Konzertabend besteht dabei aus drei Acts aus unterschiedlichen Genres mit jeweils ungefähr 20 – 25 Minuten Performancezeit. Wer auf der Bühne steht, erfährt das Publikum erst im Moment der Aufführung selbst. Gekauft wird also die Katze im Sack. Die ist jedoch so beliebt, dass die Tickets oft zwischen den Bewerber/innen ausgelost werden. Denn der Platz im heimeligen Wohnzimmer ist ja nur begrenzt. Und alles, was nur limitiert vorhanden oder schwierig zugänglich ist, gewinnt bekanntlich im Auge des Liebäuglers noch mehr an Reiz. Wer sein Wohnzimmer hingegen selbst zur Verfügung stellen möchte, kann sich ebenfalls einfach auf der Website des Unternehmens bewerben.
Sofar ist der Caretaker für alles und kümmert sich ebenfalls um die komplette Organisation des Abends. Die Musiker/innen müssen eigentlich nur noch auftauchen und spielen. Als Kompensation dafür gibt es 100$ sowie den Erlös aus den Merch-Verkäufen und ein Video der Performance, sowie darüber hinaus meist noch einige neue Follower in den sozialen Medien. Weil das Publikum jedoch pro Kopf 15-20$ Eintritt zahlt, muss sich das Unternehmen immer wieder Kritik anhören. Denn das größte Stück vom Kuchen, so Cherie Hu, behielte Sofar selbst. In Zeiten des Streamings, wo Konzerte zur wichtigsten Einnahmequelle von Künstler/innen gehören, sind das keine guten Nachrichten. Joshua McClain geht so weit, das Unternehmen mit Uber und Lyft, „gerissenen Mittelsmann-Tech-Start Ups mit machtvollen Marketing-Muskeln“, zu vergleichen, die sich seiner Meinung nach „unempfindlich zwischen Händler und Kunden zwängen“. “I think they talk a lot about supporting local artists, but what they’re actually doing is perpetuating the idea that it’s okay for musicians to get paid shit,” erklärt Madeline Kenney, eine Singer-Songwriterin aus Oakland.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen Sofar Sounds kann also für Künstler/innen ein guter Weg sein, ohne viel Eigenorganisation Hauskonzerte zu spielen. Mit stattlicher Bezahlung darf aber nicht gerechnet werden.
SofaConcerts – für Fair-Play im Wohnzimmer-Business
Bei der in Hamburg angesiedelten Plattform SofaConcerts, die ebenfalls für Live-Musik im Wohnzimmer steht, ist die Sache ein wenig anders aufgebaut. SofaConcerts agiert als Plattform, mit deren Hilfe die passenden Leute für die eigenen Wünsche gefunden werden können. Das reicht von der Ausrichtung eines Wohnzimmerkonzerts über die Teilnahme an desselben bis hin zur Buchung von Musizierenden für Privatveranstaltungen. „Was uns von anderen Bookingplattformen abhebt,“ erklärt mir Co-Gründerin und Geschäftsführerin Marie-Lene Armingeon am Telefon, „ist, dass sich Künstler auch initiativ auf Bühnen bewerben können.“ Viele Bands würden diese Möglichkeit nutzen, um Off-Days während ihrer Touren zu füllen oder gar komplette SofaConcerts-Touren zu spielen.
Darauf solltest du achten, wenn du einen Konzertvertrag abschließt.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen In drei Kategorien ist die Webseite eingeteilt: Künstler entdecken, Gastgeber finden und Konzerte besuchen. Wer selbst ein Konzert organisieren möchte und nur noch auf der Suche nach den passenden Musikant/innen ist, kann sich unter Künstler entdecken durch die Profile aller Musizierenden klicken. Künstler/innen haben hier die Möglichkeit, sich anhand Text und Ton vorzustellen. Ein Steckbrief am Rand ermöglicht den Suchenden, einen schnellen Überblick zu bekommen. Weiter unten kann man sich Bewertungen der bisherigen Gastgeber/innen durchlesen.
Für Musiker/innen ist insbesondere der bereits erwähnte Reiter Gastgeber finden besonders spannend. Ähnlich wie bei den Künstlerprofilen stellen hier Gastgeber/innen ihre Wohnzimmer oder anderweitigen Locations vor. Musiker/innen können sich hier bei den Gastgeber/innen vorstellen und somit selbst die Initiative ergreifen.
Wer weder selbst musizieren noch ein Konzert organisieren möchte, hat unter Konzerte besuchen die Möglichkeit, Events in der Nähe zu finden. Manche der Konzerte sind privat, andere öffentlich und frei zugänglich. „Du findest auch Konzerte, wo Leute eine Gästeliste freigeben, das heißt wo du auf Anfrage dazu kommen kannst,“ erklärt Marie-Lene Armingeon weiter. „Also bei uns gibt’s im Grunde alles. Bei uns ist aber der Gastgeber jeweils die Person, die eben entscheidet, wer zum Konzert kommt.“ Darüber hinaus könne man sich auch für einen Konzertnewsletter eintragen, beispielsweise in Hamburg, Stuttgart oder London. Einmal im Monat kommt dann ein Update mit einer Übersicht aller Konzerte in der Umgebung in’s Postfach geflattert.
Alle Kategorien sind mit Filtern ausgestattet, welche die Suche dank Stadt-, Budget- oder Genre-Auswahl stark erleichtern. Und Apropos Budget: Eine Gage haben Bands auf jeden Fall zu erwarten, wenn sie über SofaConcerts gebucht werden. „Gagen werden vom Künstler festgelegt und individuell zwischen Künstlern und Gastgebern verhandelt. Das heißt, wir nehmen darauf keinen Einfluss drauf. Worauf wir Einfluss nehmen ist, dass eine Gage gezahlt wird,“ so Marie-Lene Armingeon, „Es gibt bei uns keine Pro bono-Gigs. Und je nachdem wie gut und etabliert und engagiert der Künstler ist, kann er dann eben dementsprechend auch seine Gagen gestalten.“
Fazit: Wer sich für SofaConcerts entscheidet, den wird auf jeden Fall mehr Workload erwarten. Die Plattform nimmt Künstler/innen die Booking-Arbeit nicht ab, sondern gibt ihnen lediglich die Tools an die Hand. SofaConcerts ermöglicht, die eigene „Fanbase nicht nur als passive Konzertticketkäufer wahrzunehmen, sondern die Base auch wirklich in Konzertgastgeber zu verwandeln.“ Wer sich auf einer Plattform wie SofaConcerts etabliert, kann jedoch anschließend mit einer guten Einkommensquelle rechnen.
Hauskonzerte in der eigenen Stadt
Letztendlich braucht es zunächst keine Plattformen, um ein Hauskonzert zu organisieren. Katalysatorisch unterstützen sie jedoch im Organisationsprozess, nehmen Arbeit ab und vermitteln Kontakte. Wer sich nun für ein Konzert im gemütlichen Wohnzimmer interessiert, dem sei auch nochmal die Eigenrecherche geraten. Denn abseits der Allround-Player gibt es oft auch lokale Veranstalter. Sei es in Berlin, München oder Schwalbach am Taunus.
Gute Live-Musik kann überall funktionieren
Dies soll ein Anregung dazu sein, welche Bühnen sich neben denen in den konventionellen Clubs für Musizierende und Hörer/innen auftun. Es geht nicht darum, einzelne Veranstalter auszudiskutieren oder Live-Clubs schlecht zu reden. Für jede Art von Musik passen unterschiedliche Bühnen. Wohnzimmerkonzertanbieter tendieren in ihrem Storytelling dazu, konventionelle Club-Konzerte abzuwerten, um sich selbst besser darzustellen. Das sollte nicht passieren. Was aber passieren sollte ist die Wertschätzung von Live-Musik und der Respekt gegenüber den Künstler/innen und anderen Besucher/innen. „Das“ Konzert gibt es nicht, auch nicht „das“ Publikum oder „die“ Konzertatmosphäre. Jeder Live-Musik-Moment ist einzigartig und gerade das macht dessen Magie aus.
Habt ihr bereits selbst Erfahrungen mit Hauskonzerten gemacht? Nehmt an der Umfrage teil und erzählt uns in den Kommentaren über euer Erlebtes.
Leseempfehlung:
10 Tipps für eine gute Live-Performance
11 frustrierende technische Schwierigkeiten on stage, die dir bei einer Akustik-Session erspart bleiben
Gute Akustiksession-Plattformen in Deutschland