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Recording-Workshop mit Sylvia Massy

Ein wunderschönes Schloss in der sächsischen Schweiz? Check! Ein angebautes Tonstudio mit Hammer-Equipment? Check! Eine Musikproduzentin, die weltweit für ihre außergewöhnlichen Produktions- und Recording-Techniken bekannt ist? Check! Zum dritten Mal macht Sylvia Massy ihren Recording-Workshop in den Castle Studios bei Dresden.

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Manche unter euch werden Sylvia Massy vielleicht (noch) nicht kennen. Ihre Produktionen hat aber fast jeder schon gehört. Von den Red Hot Chili Peppers über Prince bis Tool hat sie schon einige meiner Lieblingsbands produziert oder tontechnisch betreut. Deswegen freue ich mich umso mehr auf diesen Workshop, von dem ich euch im folgenden Artikel berichten möchte.

Die Außenansicht des Schlosses. Darin verbirgt sich ein exzellentes Tonstudio! (Foto: www.hannaschneider.com)
Die Außenansicht des Schlosses. Darin verbirgt sich ein exzellentes Tonstudio! (Foto: www.hannaschneider.com)

Ich komme nach einer sechs Stunden langen Autofahrt endlich am Schloss an. Mein erster Eindruck ist überwältigend. Mitten in der Sächsischen Schweiz hat die hier wohnende Künstlerkommune in einem alten Schloss ein wunderschönes Hotel mit Tonstudio eingerichtet, welches von Arno, einem der Bewohner, betrieben wird. Ich werde freundlich begrüßt und schaue mir das Tonstudio an. Wow! Arno ist ein klassisches Opfer des “Gear Aquisition Syndrom”. Mir fallen sofort einige Schätzchen der Audiotechnik auf, die von vielen Kollegen gerne als der “heilige Gral” bezeichnet werden: von Telefunken-Preamps über seltene Gitarrenverstärker bis hin zu Instrumenten, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. In der Regie steht das Herzstück, eine Neve-Konsole, die früher im Broadcast-Bereich genutzt wurde.

Die Workshopteilnehmer lauschen gespannt Sylvia Massy im Control Room der „Castle Studios“ (Foto: www.hannaschneider.com)
Die Workshopteilnehmer lauschen gespannt Sylvia Massy im Control Room der „Castle Studios“ (Foto: www.hannaschneider.com)

Um 20 Uhr ist das Meet and Greet in der hoteleigenen Bar. Alle Teilnehmer haben sich hier versammelt und warten gespannt auf die Gastgeberin. Die Gruppe ist sehr durchmischt, es sind Leute aus den Niederlanden, Italien und Mexiko vertreten. Um kurz nach acht kommt Sylvia endlich und begrüßt uns alle herzlich. Sie erklärt uns, dass wir morgen früh auf einen Flohmarkt gehen, um nach Gegenständen zu suchen, die wir in unser Recording integrieren können. Daraufhin fallen Begriffe wie Schweißmaschine, Käse und Lichterketten. Das sind nicht gerade die Dinge, an die man vor einer Recording-Session denkt.
Da wir es alle kaum erwarten können, gehen wir schon direkt mal ins Studio, um uns alles anzuschauen. Auf dem Workshop ist auch Vlad Kreimer, der von Arno eingeladen wurde, um die elektrotechnischen Experimente zu betreuen, da er ausgebildeter Elektrotechniker ist und beim Workshop teilweise mit gefährlich hohen Spannungen experimentiert wird. Er ist der Kopf hinter Soma-Synths, einer kleinen Firma, die Synthesizer in Russland produziert und demonstriert uns seine neueste Kreation, den Lyra-8 Organismic Synthesizer. Hierbei handelt es sich um ein Synthesizermonster, das sich nur schwer bändigen lässt. Durch eine komplexe Frequenzmodulation der acht Stimmen können schnell Klanggewitter entstehen, die einen sofort an den Sound von Nine Inch Nails erinnern. Laut Vlad hat Alessandro Cortini, der Synthesizer- und Keyboardspieler der Band, schon eines dieser Monster in seinem Besitz.

Vlad demonstriert Sylvia seine neueste Kreation: Den LYRA-8 Synthesizer. (Foto: www.hannaschneider.com)
Vlad demonstriert Sylvia seine neueste Kreation: Den LYRA-8 Synthesizer. (Foto: www.hannaschneider.com)

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Sylvia, die direkt von einem Job aus Oslo nach Dresden gekommen ist, zeigt uns einen neuen Turbonegro-Song, den sie vor einigen Tagen aufgenommen hat. Es ist noch ein Roughmix, der aber Lust auf mehr macht. Diese Frau kommt gut herum!
Danach gehen wir noch einmal zurück in die Schlosskneipe und fachsimpeln bei ein paar Bier über Mikrofone, Synthesizer und Mischpulte, bevor wir alle in freudiger Erwartung auf den morgigen Tag in die Betten fallen.

Um acht Uhr habe ich mich aus dem Bett gequält, obwohl mein Körper nach dem feuchtfröhlichen Abend gestern lieber noch etwas länger liegengeblieben wäre. Beim Frühstück besprechen wir, wonach wir auf dem Flohmarkt in der Nähe von Dresden suchen wollen. Sylvia will alte Kassettenrekorder, Telefonhörer und eine Lichterkette für ihre verrückten Experimente. Da wir nicht alle in den Van von Arno passen, bilden wir zwei Gruppen. Während die eine Gruppe auf dem Flohmarkt ist, vergleichen wir mit Arno die verschiedenen Clocks (Taktgeber) in seinem Studio. In den Ring steigen “Big Ben”, der legendäre Taktgeber des Antelope Orion und die Rubidium Atomic Clock. Die Unterschiede sind subtil, aber hörbar. Bei der Rubidium Clock wirken die Höhen in den Crash- und Cymbal-Becken definierter und feiner aufgelöst. Da es sich bei beiden Geräten um Referenz-Clocks handelt, die auf dem höchsten Level spielen, handelt es sich allerdings hierbei nur noch um Nuancen.
Die Flohmarktgruppe kommt zurück und wir begutachten ihre Ausbeute: Sie konnten tatsächlich ein altes Telefon, eine Lichterkette, diverse Boom-Boxen und ein altes Elektret-Mikrofon ergattern, die wir in unser Recording integrieren wollen.
Dann geht es endlich los. In diesem Jahr wird die polnische Band “Frühstück” von Sylvia produziert. Nach der Begrüßung beginnt Sylvia, die Bandmitglieder zu den Songs, von denen es bereits Demoaufnahmen gibt, zu befragen. Sie schreibt alles in ihr kleines Notizbuch und wählt mit der Band zwei Songs aus, die sie aufnehmen möchten. Während bei früheren Songs der Band eindeutige Einflüsse von Prog-Rock Bands wie Tool erkennbar sind, haben die Bandmitglieder ihren Sound inzwischen weiterentwickelt und ihren eigenen Sound gefunden. Am Ende entscheiden sie sich für “God Only Knows” und “Voices”. Diese Songs sind eher etwas ruhiger und spiegeln den momentanen Sound der Band besser wider.
Nach dem ersten Hören der Demoaufnahmen zeigt sich Sylvias Erfahrung im Produzieren. Sie macht der Band direkt Änderungsvorschläge für das Arrangement, um dieses zu verbessern und scheut sich auch nicht davor, zu sagen, was ihr nicht gefällt und sie für verbesserungswürdig hält. Auch Dinge wie die Reproduzierbarkeit in einer Livesituation sind Thema in diesem ersten “Beschnuppern”. Glücklicherweise ist die Band sehr offen für Sylvias Vorschläge, was ja nicht immer der Fall ist.
Die Mikrofonierung ist in den meisten Fällen klassisch. Arno und sein Assistent Peter haben das meiste schon vorbereitet. SM57 und MD421 am Gitarren-Amp, ein SM7B für den Sänger und so weiter. Allerdings gibt es hier auch einige Kuriositäten, die es zu erwähnen gilt. Ein Pärchen russischer DIY-Bändchen-Mikrofone fungieren als Overheads für die Drums und ein AKG-Kunstkopfmikrofon mit Spitznamen “Dirty Harry” aus den 70ern steht hinter dem Drumset. Harrys Signal wird vor der Aufnahme durch einen Valley-People-Kompressor gecrusht, wodurch ein sehr interessanter Sound erzeugt wird. Sylvia legt einen Gartenschlauch um das Drumset, in dem ein Mikrofon steckt. Der Sound ist sehr mittenlastig und hat so gut wie keine Cymbals und Hihat. Praktisch!

Der große Aufnahmeraum mit dem Kunstkopfmikrofon „Dirty Harry“ hinter den Drums und dem Assistenten Peter im Hintergrund. (Foto: www.hannaschneider.com)
Der große Aufnahmeraum mit dem Kunstkopfmikrofon „Dirty Harry“ hinter den Drums und dem Assistenten Peter im Hintergrund. (Foto: www.hannaschneider.com)

Auch ein Klassiker, den Sylvia gerne verwendet, ist das sogenannte “dick mic”. Auf welches Körperteil des Drummers dieses Mikrofon gerichtet ist, kann man sich ja jetzt denken. Stark komprimiert bringt es dem Drumsound sehr viel Charakter.
Eine der Boom-Boxen, die wir auf dem Flohmarkt gekauft haben, fungiert als Mikrofon für das Drumset. Genutzt wird hier das interne Mikrofon, das normalerweise benutzt wird, um Signale direkt auf die Kassette aufzunehmen. Das Mikrofon wird so verkabelt, dass das vom Mikrofon aufgenommene Signal direkt in die Neve läuft. Der Klang ist eher bescheiden, bringt aber nach einer starken Kompression doch noch ein interessantes Signal, das zur Kolorierung des Schlagzeugsounds genutzt werden kann.
Ein weiteres Highlight ist das Copperphone: Ein Mikrofon mit einem sehr verzerrten Sound, das sich ausgezeichnet für Hardcore-Sänger eignet. Beim Einpegeln fällt auf, dass Sylvia schon vor der DAW sehr viel Kompression und Equalizer benutzt. Sie weiß genau, welchen Sound sie haben will und scheut sich nicht davor, ihn auch schon vor der Aufnahme auf die Signale zu legen.
Wir haben uns dafür entschieden, die Band als Gruppe aufzunehmen, um Zeit zu sparen und die Vorteile einer Gruppenperformance zu nutzen. Die Stimme und diverse andere Elemente wie Gitarrensoli kommen dann später im Overdub-Verfahren dazu.
Am Ende des Tages kommt noch ein kleines Highlight: Vlad, der “Mad Russian Scientist”, hat zwischen Gitarrenamp und Box eine Schweißmaschine gelötet, um den monströsen Transformator des Werkzeugs zu nutzen. Aus Angst davor, eine der teuren Gitarrenboxen in die Luft zu jagen, die Arno sein Eigen nennt, testen wir das Ganze erst einmal mit einer kleinen Box. Die Spannung steigt. Der Feuerlöscher steht bereit. Dann schaltet Sylvia den Verstärker ein. Der Klang ist eine echte Überraschung: Weich und komprimiert klingt er genau richtig für das Gitarrensolo, das wir zum Abschluss des zweiten Tages aufnehmen.

Genial! Durch den Transformator dieser alten Schweißmaschine wird das Gitarrensignal gejagt. (Foto: www.hannaschneider.com)
Genial! Durch den Transformator dieser alten Schweißmaschine wird das Gitarrensignal gejagt. (Foto: www.hannaschneider.com)

Die Grundgerüste der ersten zwei Tracks sind fertig, weswegen uns am dritten Tag Zeit für Overdubs und verschiedene Experimente zur Verfügung steht. Während Sylvia die Songs editiert, bauen Arno und einige Workshop-Teilnehmer alles für das Vocal-Recording und Gitarren-Overdubs auf. Wir suchen zusammen nach Elementen, die den Songs noch eine besondere Note geben können. So werden diverse analoge Synthesizer angeschlossen und Stylus-Drumloops ausprobiert. Der Bassist spielt seinen Part noch einmal mit einem Korg Mono/Poly ein. Daraufhin wird der Synthie in den “External In” des Lyra-8 von Soma-Synths geschickt und noch einige Male nach oben oktaviert aufgenommen.
Danach wird noch mit einem Vibraphon die Bassmelodie gedoppelt. Hier zeigt sich Sylvias Liebe zum Detail. Stück für Stück arbeitet sie sich mit dem Musiker durch den Song, um die richtigen Akzente mit dem Vibraphon zu setzen. Nach der Mittagspause geht es mit Akustikgitarre weiter, mit der zum einen die E-Gitarre gedoppelt wird und zum anderen rhythmische Parts zur Unterstützung des Drum-Grooves hinzugefügt werden.
Daraufhin beginnen wir mit dem Vocal Shootout.
Arno und Peter haben für den Sänger sechs Mikrofone nebeneinander aufgebaut, die wir im Blindtest miteinander vergleichen können. An den Start gehen unter anderen Vertreter von Neumann, Brauner und Soyuz. Nach dem ersten Blindtest zeichnet sich ein klares Bild zu Gunsten von zwei Mikrofonen ab. Als endgültiger Sieger geht das Brauner Valvet (dicht gefolgt vom Soyuz SU-017) hervor, da es zur Stimme des Sängers am besten passt. Durch die präzise Höhenwiedergabe fügt es der eher zurückhaltenden Stimme des Sängers Martijn etwas “Excitement” hinzu. Auch beim Vocalrecording zeigen sich interessante Einblicke in die Arbeitsweise von Sylvia. Als Tochter einer ausgebildeten Sängerin kennt sie die Techniken, um alles aus einer Gesangsperformance rauszuholen.

Diese Gesangsmikrofone wurden von uns im Blindtestverfahren verglichen. (Foto: www.hannaschneider.com)
Diese Gesangsmikrofone wurden von uns im Blindtestverfahren verglichen. (Foto: www.hannaschneider.com)

Während die Gesangsaufnahmen laufen, bauen andere Workshopteilnehmer eine weitere Kreation von Sylvia zusammen. Mit wenigen Handgriffen wird ein Telefonhörer zu einem Mikrofon mit XLR-Anschluss umgebaut. Der Sound ist sehr mittenlastig und klingt genau so, wie man es von alten Telefonen kennt. Speakerphone im Eigenbau!
Am Ende wird alles ein bisschen chaotisch, weil viele der Teilnehmer los müssen und die Pro-Tools-Session abstürzt. Beim Neustart von Pro Tools sind die Files, die wir an diesem Tag aufgenommen haben, alle weg. Nach verzweifelter Suche finden wir sie dann schließlich im Mülleimer. Sylvia entfährt ein leises “Dude!”. Die Dateien können wieder an den richtigen Ort gelegt werden, der Tag ist gerettet.
Mit den noch verbleibenden Gruppenmitgliedern testen wir noch verschiedene Lebensmittel (!), durch die wir ein Gitarrensignal jagen. Auf den Teller kommen Schweinebauch, saure Gurken und eine Auswahl verschiedener Käsesorten. Der Salzgehalt der Lebensmittel bestimmt, wie gut sie das elektrische Signal weiterleiten. Es ist erstaunlich, wie sehr die verschiedenen Lebensmittel den Klang der Gitarre färben. Ein interessantes Phänomen zeigt sich auch, wenn man ein elektrisches Signal durch eine saure Gurke jagt: Sie beginnt zu leuchten und zu blinken. Danach vergleichen wir noch die verschiedenen Käsesorten. Nach ausschweifenden Tests geht der Harzer Roller als Sieger hervor, auch wenn er schnell schmilzt. Leider geht uns am Ende die Zeit aus, sodass wir die Vocals von einem Track nicht mehr aufnehmen können. Dann heißt es auch schon Abschied nehmen. Ich bleibe noch eine weitere Nacht und lasse die gesammelten Eindrücke auf mich wirken.

Nachbetrachtung

Im Nachhinein kann ich sagen, dass der Workshop eine äußerst bereichernde Erfahrung war. Ich habe nette Menschen kennengelernt und viele inspirierende Recording- und Producing-Techniken erleben dürfen. Auch wenn sich ein Käse oder ein Schweißmaschinentransformator nicht unbedingt als praktikabel erweisen, so kann man doch sagen, dass einem diese Momente in Erinnerung bleiben. Und darum ging es auch bei diesem Workshop. Das Tonstudio und Hotel ist einfach spitze und wird von sehr netten Leuten betrieben. Für Bands eine klare Empfehlung! Auch Produzenten können das Studio zu fairen Preisen mieten und bekommen ein wundervolles Ambiente für ihre nächsten Produktionen.

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