Interview mit Martin Hofmann (musiker-board.de)
Bonedo: Was führte Euch nach Istanbul und welche Fabriken habt Ihr dort besucht?
Martin Hofmann: Wir haben uns im Mai drei Fabriken angeschaut: Turkish Cymbals, Agop und Amedia. Bei Turkish werden auch die “Zultan” Becken herstellt, an deren Entwicklung ich beteiligt war und bin. Wir haben dort Prototypen für eine im Herbst erscheinende, neue Serie begutachtet.
B: Wie sieht so eine Beckenfabrik aus?
M: Alle drei Firmen gießen die Bronze-Rohlinge selbst. Dieser Vorgang ist beeindruckend und erfordert große Erfahrung im Umgang mit glühendem Metall. Istanbul Agop verfügt aber auch wie andere marktführende Unternehmen über eine computergesteuerte Fertigung, die man uns jedoch, bis auf das Endprodukt – die Xist-Serie – nicht zeigen wollte. Scheinbar verfügt Agop über einige Prozesse, die man auf keinen Fall preisgeben möchte, da man auf Xist sehr stolz ist. Meiner Meinung nach zu Recht, denn diese Cymbals sind wirklich klasse! Die Fertigungsprozesse im Werk von Turkish Cymbals hingegen erinnern mit ihren riesigen Zahnrädern, Antriebsriemen und Kränen an die Stahlproduktion im Ruhrpott. Im Vergleich zu manch anderer Produktionsstätte, die ihre Beckenrohlinge von Fremdfirmen bezieht und nur für die weitere Bearbeitung zuständig ist, wird hier von A bis Z alles in Eigenregie gemacht. Das heißt, dass die Rohmaterialien Kupfer und Zinn dort gelagert und in eigenen Hochöfen im Verhältnis 80:20 zur traditionellen B20-Legierung eingeschmolzen werden. Das Lager, das wie ein riesiger, vergitterter Hühnerkäfig aussieht, wird übrigens rund um die Uhr bewacht, weil Zinn und Kupfer mittlerweile zu hohen Kursen gehandelt werden. Das könnte auch der Grund dafür sein, dass die von uns besuchten Beckenfabriken von außen erstaunlich unscheinbar wirken. Niemand käme auf die Idee, dass dort etwas zu holen ist. Wir hatten übrigens den Eindruck, dass der Hüter der metallenen Schätze dort tatsächlich wohnt. Bett, Fernseher, Möbel … alles was man zum Wohnen braucht, war vorhanden.
B: Wie geht dann der Herstellungsprozess vonstatten?
M: Das Kupfer-Zinn-Gemisch wird auf etwa 800 Grad erhitzt und anschließend in kleinen, speziell auf den zu produzierenden Beckentypus abgestimmten Portionen, in eine Art gusseiserne Bratpfanne gegossen. Es wird meist ein Beckentyp in Serie produziert, beispielsweise nur 18″ Thin Crashes am Stück. So kann man während der Entstehung die Becken leichter auf Klangkonsistenz prüfen, die übrigens, trotz der manuellen Fertigung, bemerkenswert groß ist. Eine gewisse Streuung ist natürlich vorhanden und auch erwünscht, denn so hat jedes Becken innerhalb bestimmter Grenzen seinen eigenen Klangcharakter. Das Rohmaterial wird dann mehrfach erneut erhitzt und gewalzt, wodurch der Rohling abkühlt. Nachdem die Kuppe eingepresst ist, wird der Rohling von Ecken und Kanten befreit, damit eine runde Form entsteht. Das anschließende Hämmern geschieht manuell und gilt als wichtigster Schritt im Herstellungsprozess. Danach erfolgt das Abdrehen bzw. Fräsen, ebenfalls per Hand. Hierzu wird das Becken in eine Maschine gespannt, und, während es rotiert, mit einer Art Meißel bearbeitet.
B: Ist das Hämmern nicht eine ungeheuer anstrengende Arbeit?
M: Das kann man wohl sagen. Es saßen während unseres Besuches bei Turkish Cymbals vier Leute in einem Raum beieinander, die die Becken intensiv und unter ohrenbetäubendem Lärm mit verschiedenen Hämmern bearbeiteten, alles mit reiner Muskelkraft und einem Fingerspitzengefühl, das man wohl nach und nach entwickelt. Für ein 18″-Becken benötigt man etwa 4000 Hammerschläge, von denen etwa die ersten 3000 der Formgebung und die restlichen der klanglichen Feinabstimmung dienen.
B: Tragen die Arbeiter Gehörschutz?
M: Teilweise ja, teilweise nein. Ebenso verhält es sich mit der Arbeitskleidung. Die Ausrüstung wie Sicherheitsschuhe, feuerfeste Kleidung, Helme usw. ist vorhanden, bleibt aber oft im Schrank, da sich die Arbeiter damit nach eigener Aussage eingeschränkt fühlen. Tatsächlich habe ich sogar Arbeiter beobachtet, die Flip-Flops trugen, während in der Halle mit glühendem Metall hantiert wurde. Laut Aussage des Chefs kommen Arbeitsunfälle aber angeblich so gut wie gar nicht vor und selbst wenn, sind die Verletzungen scheinbar weniger schlimm als man befürchten könnte.
B: Was hat es eigentlich mit den “geheimen Familienrezepten” auf sich, wenn doch bekannt ist, dass fast alle türkischen Becken aus B20-Bronze hergestellt werden?
M: Entscheidend ist nicht nur die Materialzusammensetzung, sondern – wie beim Kochen eines leckeren Gerichtes – auch die Qualität der Zutaten sowie der genaue Ablauf der Zubereitung. Wie groß ist die Hitze, in welcher Reihenfolge werden die Bestandteile zusammengeführt, wie oft und wie lange wird das Material abgekühlt und erneut erhitzt? Zum Beispiel werden die “Bratpfannen” mit Öl und kochendem Wasser präpariert, damit die glühende Masse nicht zu schnell erkaltet und dadurch brüchig wird. All diese Faktoren beeinflussen die Konsistenz und somit auch den Sound der Becken und sind oft nur Insidern bekannt.
B: Gibt es sie denn tatsächlich, die “Beckenfamilien”, in denen die Handwerkstradition von Generation zu Generation weitergegeben wird?
M: Es gibt tatsächlich personelle Zusammenhänge zwischen den Herstellern. Oftmals sind Beckenschmiede, die jahrelang für eine Firma tätig waren, irgendwann ausgestiegen, um ihren eigenen Betrieb zu gründen.
B: Kann man sich in der Türkei zum Beckenschmied ausbilden lassen?
M: Vermutlich nicht so eine Ausbildung im dualen System, wie wir sie in Deutschland kennen. Die Neulinge werden direkt im Werk von erfahrenen Arbeitern angelernt. Bis sie selber ein Becken komplett bzw. in Perfektion hämmern können, vergehen mindestens zwei Jahre, denn dazu gehört viel Erfahrung und natürlich ein trainiertes Gehör.