Praxis
Klar, alte Röhrentechnik rauscht etwas – das hält sich beim Retro OP-6 aber sehr in Grenzen
Im Vergleich zu etwa einem True Systems P-Solo Ribbon rauscht ein uralter Röhrendesign natürlich etwas stärker. Auch wenn man als Vergleich einen hochwertigen Mischpult-Preamp (in diesem Falle: Harrison 950m) zum Vergleich heranzieht, ist das so. Das bedeutet aber nicht, dass man froh sein muss, das Signal im Gerausche überhaupt erkennen zu können: Selbst Mikrofone mit sehr wenig Output wie die Coles 4038 lassen sich an niederpegligen Quellen gut verwenden. Ist starke Kompression des Signals geplant und der Mix nicht besonders dicht bestückt, sollte man die Kette vielleicht noch einmal überdenken.
Mit wahnsinnig viel Gain ein Dynamik-Liebling
Mit einer ganzen LKW-Ladung an Gain schafft es der Retro OP-6 problemlos, die passiven Ribbons und Tauchspulenmikrofone hochzuverstärken. Und selbst bei diesen bleibt immer noch mehr als genug Spielraum, mit dem Gain Harmonische hinzuzufügen und den Ausgang für die nachfolgende Kette wieder zu zähmen. Hier liegt der klare Vorteil: Der OP-6 kann clean klingen, aber auch ordentlich Zähne zeigen. So platt sich das anhört, so komplex ist es in Wirklichkeit. „Clean“ bedeutet nicht „langweilig“ oder „austauschbar“: Signale sind griffig und bekommen eine wundervolle Tiefe und Plastizität. Diesbezüglich fühle ich mich an meinen geliebten Tube-Tech MP-1A erinnert. Auch eine Ähnlichkeit: Der Sound ist nicht „dick“ oder „warm“, sondern von erstaunlicher Feinheit und Klarheit in den Höhen. Im Bass zeigt sich der OP-6 hingegen etwas voluminöser als der etwas strenge MP-1A. Wollig oder bauchig ist der Retro aber in keinem Fall.
Mit zunehmendem Gain werden früh harmonische Verzerrungsprodukte zum Signal addiert. Sehr fein regelbar, kann das Signal angereichert werden. Statt direkt mit starker Wärme zu reagieren, ist es primär eine Kontur und ganz leichte (positive) Glasigkeit im Signal. Wer leichte Gitarrenamp-Endstufenzerre mit cleanem Pre kennt, kennt diesen Klangeindruck.
Es findet jedoch nicht gleichzeitig eine dynamische Änderung statt, wie man es vielleicht vom 610-Design von Universal Audio her kennt. Der macht seine Sache zwar sehr gut, aber ich freue mich über das hohe Maß an Kontrolle, indem ich dynamische Parameter mit einem separaten Gerät meiner Wahl regeln kann.
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Das Spiel mit den Impedanzen macht Spaß
Die aufgedruckten Impedanzen sind nicht die, die der Amp erwartet, sondern jene, die das Mikrofon tatsächlich „sieht“. Auch damit sind die hohen Verstärkungswerte zu erklären. Von der sonst oft vorhandenen Überanpassung um den Faktor 5 ist also nichts zu erkennen. Im Gegenteil, höherohmige Mikrofone wie das 4038 können an bald einem Zehntel ihrer Ausgangsimpedanz betrieben werden. Bei zu hohen Gains werden Peaks dann nicht mehr sanft in die Sättigung gefahren, anstelle dessen gibt es ein saftiges Krachen – diesbezüglich war bei mir die Lernkurve aber recht steil. Erschrocken habe ich mich beim ersten Mal trotzdem gehörig. Mit den geringen Impdeanzen meint man erkennen zu können, wie Mikrofone – besonders dynamische – nicht gegen einen statischen Mikrofoneingang ankämpfen müssen, sondern frei, luftig und ungebremst übertragen. Mit aktiviertem Pad ändert sich dieses Verhalten aber. Bei der Verwendung von elektrostatischen Mikrofonen sind die Spielräume durch Impedanzänderung etwas geringer. Auch meine ich, dass der Retro OP-6 dann dynamisch etwas „normaler“ verstärkt.