Rick Rubin ist spätestens seit der Veröffentlichung seines Buches The Creative Act und mit seiner Präsenz in Podcasts und Interviews genau so viel Phänomen und polarisierender Repräsentant einer Auffassung von Musikproduktion, künstlerischer Philosophie und Lebensstil, wie er Musikproduzent ist. Nun ist der aufgrund seiner Art, seinem Aussehen und seiner Vorliebe für Meditation manchmal scherzhaft als Zen-Meister der Musikproduktion bezeichnete Produzent von Rick Beato, einem der größten Musik-YouTuber mit derzeit 4,5 Millionen Abonnenten, interviewt worden. musictech.com titelt über das zweistündige Gespräch: Rick Rubin weiß nicht, wie man eine 808 Drum Machine programmiert.
Breitgefächerter Musikgeschmack, breitgefächerter Erfolg
Der Kontrast seiner ersten eigenen Hardcore Punk Band Hose zu der ersten Single, die seinen Durchbruch als Produzent markierte, könnte wohl kaum größer sein. 1984 veröffentlichte Rubin auf seinem eigenen Label Def Jam Records die von ihm selbst produzierte Single It’s Yours des Interpreten T La Rock. Sowohl die schon hier erkennbare stilistische Bandbreite als auch der sofortige Durchbruch besagter Single ist nach eigener Aussage unter anderem auf Rubins Aktivität in der New Yorker Kunst- und Musikszene in den frühen 80er Jahren zurückzuführen.
Ob Art-Pop-Legende David Bowie oder die Hardcore-Punk-Pioniere Bad Brains, Rubin erlebte eine enorme Bandbreite an Kultur – und brachte zunächst den Sound der Hip-Hop-Jams als einer der ersten Produzent*innen überhaupt auf eine Schallplatte.
„Ich liebte diese Musik und die Energie bei den Konzerten. Aber die Aufnahmen, die man zu dieser Zeit kaufen konnte, klangen nicht wirklich so. (…) Die meisten, mit ein paar wenigen Ausnahmen, wurden von professionellen Produzenten gemacht, die nicht wussten, was Rap war und sie deshalb polierter und eigentlich eher wie R’n’B klingen ließen. (…) In den Clubs, mit der Drum-Machine und DJ-Kultur, war Rap viel mehr eine raue und experimentelle Art von Musik.“So nahm sich Rubin mit Turntables und Drum-Machines statt Studio-Musiker*innen der Sache selbst an und verzeichnete seinen ersten großen Erfolg.
Der als erster Rap/Rock-Crossover berühmte Song Walk This Way von Run DMC und Aerosmith entstammte ebenfalls einer Idee Rubins. Ein Executive aus dem Musikgeschäft stellte in einem Gespräch mit Rubin klar, Hip-Hop sei für ihn keine Musik. Walk This Way war Rubins Versuch zu beweisen, dass Rap Musik ist – indem die Rapper Run DMC die von Steven Tyler einige Jahre vorher schon mit Sprechgesang interpretierten Strophen des Songs übernahmen, eine Drum Machine das echte Schlagzeug ersetze und Aerosmith mit Gesang und Rock-Gitarren die Sache abrundeten – ohne eine einzige Note des Originalmaterials zu verändern. Der Song wurde so erfolgreich, dass er neben seiner Wirkung als Crossover-Pionier sogar Aerosmiths marodierende Karriere wieder zum Leben erweckte. „Es war ein Bildungsexperiment, eine Übung.“
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Die Mischung verschiedener Genres, wie es Rubin weiter in seiner Zusammenarbeit mit den Beastie Boys kultivierte und wie es für einige Musiker*innen und Konsument*innen bis heute ungeliebt bis blasphemisch bleibt, ist für Rick Rubin „ganz natürlich“.
„Ich habe eine Verbindung dazu gespürt, weil es meine Erfahrung war“, erklärt Rubin in Bezug auf seinen vielfältigen Musikgeschmack. „Und andere Menschen haben dazu eine Verbindung gespürt, weil es ihre Erfahrung war. Niemand hatte es bis zu diesem Zeitpunkt getan, aber es war nicht außergewöhnlich auf irgendeine Art. Wir teilen Musik in Genres ein und denken, es gibt Country-Leute, die Country hören und Rock-Leute, die Rock hören, während in Wirklichkeit alle möglichen Menschen alle mögliche Musik hören. Ich hörte viel Rock und viel Hip-Hop und das war das Ergebnis davon. Und der Erfolg der Musik zeigt, dass es viele Menschen gab, die diese beiden Dinge auch mochten. Es war nur einfach noch nicht passiert.“
Bescheidenheit, Intuition und unkonventionelle Ideen
Rick Rubin zeigt auch in diesem Gespräch seine mittlerweile berühmt gewordene Bescheidenheit. Er beharrt darauf, kein guter Gitarrist zu sein, kaum eine Drum Machine bedienen zu können, nichts über das Musikgeschäft zu wissen und kein guter Audio-Engineer zu sein.
„Wenn wir in ein Studio gehen würden, könnte ich alleine keine Session leiten. (…) Die technisch versierten Menschen, die mit mir arbeiten, haben Fähigkeiten, die ich nicht habe. Ich kann deren Arbeit nicht übernehmen, ich könnte nicht für sie einspringen. Ich brauche eine technisch versierte Person, die versteht, wie das Studio funktioniert und ich kann sagen: mehr hiervon, weniger davon. Und das ist alles, was ich jemals getan habe.“
Im Austausch über das ebenfalls von Rubin produzierte Slayer-Album Reign in Blood spricht er darüber, dass er dem verantwortlichen Toningenieur schon vor der Produktion klarmachte, dass er einen Sound kreieren wolle, der dem Tempo der Musik gerecht werde. Als Negativbeispiel führt er frühe Metallica-Alben an, bei denen Rubin fand, dass die gesamte Musik undeutlich klinge, weil alle Signale so groß, bassig und ausufernd klangen. Der aus dieser Idee entstandene Sound war wegweisend für das Metal-Genre. „Nachdem wir gerade schon über die frühen Hip-Hop-Alben gesprochen haben, fällt mir auf, dass der Schlüssel vor allem darin lag, nicht zu wissen, wie es ‚richtig‘ geht.“
„Weil ich noch kein R’n’B produziert hatte, nutze ich keines der typischen Werkzeuge und verzerrte den Sound von Hip-Hop. Und weil ich keine groß klingenden Rock-Alben produziert hatte, nutze ich keines der typischen Werkzeuge für Heavy-Metal-Alben und verzerrte Speed-Metal. Es war sozusagen eher substraktiv als additiv, in beiden Fällen.“
Es gibt nicht den einen richtigen Weg zum Ziel
Mit dem Drumsound im Tom-Petty-Song You Don’t Know How It Feels, bei dem auf Becken verzichtet wurde, um die Raummikrofone möglichst laut drehen zu können, vertieft Rick Rubin seinen Approach zu Schlagzeugsounds zu einem für ihn typischen Grundansatz der Musikproduktion, den er über die Jahre gelernt hat.
„Was auch immer du für Equipment vor dir hast, die beste Version davon ist besser als der Versuch, es wie etwas anderes klingen zu lassen. Früher haben wir oft versucht, die Dinge so klingen zu lassen wie andere Dinge, die wir mochten. Das funktioniert nicht. Aber wenn du nimmst, was immer es ist, und es für sich bestmöglich klingen lässt, wird es interessant klingen. (…) Die Dinge zu nutzen, die man hat und daraus das Beste zu machen, anstatt zu versuchen, es zu dem zu machen, von dem du hoffst, wie sie wären, ist ein guter Ansatz.“
Ebenso verhält es sich mit der Frage Beatos nach einer Präferenz Rubins zum Thema Click-Tracks beim Aufnehmen von Musik. „So etwas ist immer fallspezifisch. (…) Das Schöne an all den Regeln zur Musikproduktion ist ja, man kann sie alle wegwerfen. Man kann sie benutzen, wenn sie hilfreich sind. (…) Es gibt nicht den einen richtigen Weg, Dinge zu tun.“ Es ergibt sich ein Bild eines musikbegeisterten Menschen, der an Musik, egal ob im Produktionsprozess oder als Konsument, das Interessante, Ungewöhnliche und Individuelle schätzt, und sich keine Illusionen über einen potenziellen kommerziellen Erfolg macht.
„Es überrascht mich immer, wenn etwas erfolgreich ist, weil es so viele Barrieren gibt, die man einfach nicht unter Kontrolle hat. (…) Ich mag merkwürdige Dinge. Ich mag es überrascht zu werden, ich mag es, etwas zu hören, dass ich vorher noch nicht gehört habe, ich mag es, von Musik herausgefordert zu werden und wenn etwas es schafft, mich zu überzeugen, anstatt, dass ich es hasse oder es mich nervt, was natürlich auch oft passiert, dann will ich es nähren. (…) Deswegen schreibe ich auch in meinem Buch: Das Publikum steht an letzter Stelle. Ich glaube das wirklich.
Wenn deine Entscheidungen darauf basieren, was du darüber denkst, dass das Publikum mögen könnte, dann verfälschst du es.“
Aktuell hat sich mit Jacob Collier ein international populärer und erfolgreicher Künstler kritisch zu einigen Kernaussagen Rubins geäußert.
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