Ich habe auf dem Berliner Campus des SAE Institutes lange das rote Telefon mit der Direktverbindung zu Onkel Petrus gesucht. Anders kann ich mir nicht erklären, dass das Wetter wieder so hervorragend mitgespielt hat, als sich Mitte Oktober 2013 die Fachwelt – bestehend aus Herstellern und Vertrieben, SAE-Staff sowie aktiven und ehemaligen Studenten – zu Messe, Vorträgen, Diskussionen, Workshops, Award-Verleihung und natürlich auch zum Feiern zusammengefunden hat.
Traditionell beginnt die Convention mit einem kleinen Meet’n’Greet im Kreise der SAE-Internen am Mittwoch, bevor am Donnerstag die Tore der Ausstellung geöffnet werden und die ersten deutschen oder englischen Vorträge in den verschiedenen Seminarräumen beginnen, die für die Zeit der Convention illustre Namen von Städten erhalten, in denen SAE-Institute zu finden sind (darunter Atlanta, Cape Town, Oxford – und Bochum). Das Programm war auch dieses Jahr reichhaltig – irgendwie schade, dass man sich manchmal nicht sechsteilen kann, sondern sich entscheiden musste. Von der Entry-Level-Veranstaltung à la “Mischen über Kopfhörer” bis hin zu hoch spezialisierten Themen wie Vorträgen über 3D-Auralisationssysteme war wirklich für jeden genug dabei.
Da das SAE Institute bekanntlich nicht nur Studiengänge im Stammthema Audio anbietet, waren auch bei Workshops und Vorträgen die Bereiche Film, Web und Game Design nicht unterrepräsentiert – so war beispielsweise der Photoshop-Crack Calvin Hollywood dermaßen gefragt, dass für Zuspätkommer die Türen zubleiben mussten.
Mit dem Etablieren von Gewohnheiten kann es bekanntlich recht schnell gehen, und so sind in den meisten Räumen, Fluren, Nischen, Regien, Studios und auch im Forum die meisten Stände auch ohne Plan schnell zu finden. Denn trotz der mittlerweile beachtlichen Größe des Events gibt es selten Gedränge. Das wird nach wie vor von allen Besuchern sehr geschätzt, denn eigentlich nirgendwo kann man so nah und ungestört mit dem “Gear” spielen und andere “Gearheads” treffen. Und natürlich werden bei derartigen Anlässen auch Neuigkeiten ausgetauscht. So war etwa zu erfahren, dass SSL – obwohl mit dem eigenen Mynx-System in dieser Gattung vertreten – den Kompressor und den EQ der E-Series auch für das API-500-System herausbringen wird. Diese Module werden wohl weder signifikant teurer oder günstiger sein, aber nicht über die Total-Recall-Fähigkeit der Mynx-Kassetten verfügen können.
New Audio Technology GmbH ist kein Unternehmen, welches einen großen Bekanntheitsgrad hätte, doch der Stand weckte Interesse: Hier gab es das Headphone Surround 3D zu bestaunen, welches dreidimensionales Hören mit einem normalen Stereokopfhörer ermöglicht. Erreicht wird das durch Verwendung des Plug-Ins Spatial Audio Designer in eigentlich jeder verfügbaren DAW.
Von Zaor gab es ein neues Audioworkstation-Möbel zu bestaunen, welches vor allem die Keyboarder interessieren wird: Durch einen riesigen, schweren Auszug mit einem stabilen Doppelschienensystem kann man nun problemlos auch schwere 88-Tasten-Schiffe dort im Arbeitsplatz einfügen, wo sie gebraucht werden: Vor der Computertastatur.
Dass an Ständen auf Pro-Audio-Messen hin und wieder Musik zu hören ist, dürfte nachvollziehbar sein. Ein besonderer Stand hatte jedoch auch die jungen, angehenden Engineers im Blick, denn diese konnten sich bei “Record Your Band” – ins Leben gerufen durch Roland, Boss, Fender und Cakewalk – austoben und das Standpublikum beglücken. Das geschah natürlich auf Produkten wie Rolands V-Drums und Fender-Gitarren. Den Stand verlassen konnte die Band dann mit einem fertig gemixten und gemasterten Song auf einem USB-Stick.
Computerhardware ist vielleicht nicht das Kreativste unter der Sonne, doch die Schweden von Frost AB beweisen, dass das dann nicht auch für das Marketing gelten muss:
Für dich ausgesucht
Auf dem Stand des deutschen Edelvertriebs SEA musste ich nicht lange bitten, einen Blick auf die neue DSP-Karte werfen zu dürfen. Auf der Universal Audio UAD-2 Octo werkeln satte acht DSP-Chips, die eine fast schon brutale Leistungsfähigkeit ermöglichen. Damit kommt man der Möglichkeit, im DAW-Mixdown einen aufwändig zu berechnenden Kompressor, einen EQ und eine Bandmaschinenemulation zu verwenden, einen entscheidenden Schritt näher. Die Antwort auf die Frage allerdings, welchen Stellenwert analoge Hardware heute noch besitzt, beantwortete allerdings das prall gefüllte Rack direkt neben der DAW. Dort tummelten sich Chandler, Universal Audio, Little Labs und andere Schätzchen aus SEAs Vertriebsprogramm.
Solid State Logic mit Solid State Drives: Xi-Machines zeigten neben imposanten Audio-PCs mit geradezu überirdischer Leistungsfähigkeit auch den neuen 1HE-Recorder, der nicht nur “SSL Live Recorder” heißt, sondern wirklich auch der kleinste von drei offiziellen Recordern/Workstations für das englische Unternehmen Solid State Logic ist. Habe ich “klein” gesagt? Naja, mit zwei MADI-Schnittstellen und 128 Spuren kann man davon sicher kaum sprechen. Das Ding macht einen hervorragenden Eindruck, ist einfachst zu bedienen und mit vier hot-swap-fähigen SSD-Speichern ausgestattet.
Eisenberg aus Berlin hatten einen kleinen Stand – haben aber große Ideen. Herzstück des gesamten Unternehmens ist die “Artificial Intelligence Studio Technology”, mit deren Hilfe die Parameterflut heutiger Syntheszier eingedämmt und auf auch für den Laien verständliche Einstellmöglichkeiten reduziert werden kann.
Avid hatten keine so ausufernden Standdimensionen wie das Jahr zuvor, doch immer noch ausreichend Platz, um so einige Schätzchen aus der riesigen Produktpalette vorzuführen. Die interessanteste Neuigkeit war tatsächlich das “Pro Tools HD Native Thunderbolt”-Interface, welches hohe Geschwindigkeiten und geringe Latenzen auch bei Benutzung von Mobilrechnern verspricht.
Tom Jansen von Audio Import zeigte neben Klassikern aus dem Vertriebsprogramm (Manley, GML) vor allem Produkte hierzulande (noch) nicht so gefestigter Firmen. Besonders der Preamp DRS-8 von Phoenix Audio und ein REQ-2.2 von Buzz Audio sorgten für interessiert knöpfchendrehende Standbesucher.
Tascam waren wie immer mit einem kleinen Stand und sachkundigem Personal vertreten. Ferner zeigten Rebeat ihr Royalty-System vor, bei dem sich das Unternehmen um alle notwendigen Schritte zur Bereitstellung und Abrechnung bei Streaming- und Online-Diensten kümmert. Steinberg zeigten im gemütlichen Regieraum Soft- und Hardware aus der großen Produktpalette, bei ADAM und bei Genelec konnte man sich durch die riesige Range an Lautsprechern hören. Die Vertriebsfirma Mega Audio war vor allem mit Mikrofonen von SE Electronics und Produkten von Fostex dabei. Eines der wenigen Analogpulte wurde vom britischen Hersteller Audient ausgestellt: Die ASP4816-Konsole ist kompakt, ordentlich ausgestattet und rangiert – wie immer bei Audient – in preislich angenehmen Sphären. Weiter waren zu sehen: Mikrofone von Pearl, Sontronics und Lewitt, eine riesige Produktrange von SPL sowie Neues und Cooles von Focusrite und Novation. Wer Gitarre spielt und den Kemper-Amp noch nicht in “Ohrenschein” genommen hatte, der konnte sich von Christoph Kemper persönlich instruieren lassen und es in einer Studio-Booth so richtig krachen lassen. Beyerdynamic zeigten Mikrofone und Kopfhörer, Ambient Recording waren wie immer mit Unterwassermikrofon-Spektakel von der Partie.
Bei Audiowerk gab es die Thirdfloorlab Switch-Maid zu begutachten. Dies ist ein kleines Helferlein, das eigentlich jedes Studio braucht: Mit seiner Hilfe kann man vier verschiedene Mikrofone (bei Bedarf auch mit Phantomspeisung) auf acht verschiedene Preamps routen, um die zur Situation und zum Sprecher/Sänger passende Kombination herausfinden zu können, ohne lange umkabeln zu müssen und den Sound schon wieder fast vergessen zu haben. Übrigens: Das kann in dieser Art kein Pult! Um das Signal nicht zu weit zu beeinflussen, werden unter anderem Goldkontakt-Relais eingesetzt. Derartige kleine Werkzeuge von verschiedenen vornehmlich deutschen “Hinterhof-Herstellern” werden demnächst bei Audiowerk unter dem Label “Audiowerkzeug” firmieren – ohne ihre Fähigkeit zu verlieren, Custom-Anfertigungen herzustellen. Interessant, wir bleiben dran! Die dänischen Blaublüter von Lydkraft werden Anfang 2013 den Nachfolger des Tube-Tech MP-1A (folgerichtig den MP-2A) herausbringen, welcher quasi eine 19″-Variante des RM-Moduls PM-1A ist und beispielsweise über eine Umschaltung der Eingangsimpedanz verfügt.
Ebenfalls zu sehen gab es den Source von Dangerous Music, ein Abhörmodul, bei dem in von Dangerous gewohnter Qualität Quellen (darunter AES/EBU und S/PDIF) gewählt werden und Abhören geschaltet werden können. Das Tool hat zwei Kopfhörer-Amps an Bord, deren Signal unabhängig von der Abhöre geschaltet werden kann. Plug-Ins von Slate Digital gab es auf einer DAW am Audiowerk-Stand zum direkten Ausprobieren – besonders VTM, die Bandmaschinenemulation machte auf die Standbesucher einen hervorragenden Eindruck!
Microtech Gefell bieten eine Armbanduhr an, deren Ziffernblatt der M7-Kapsel nachempfunden ist. Langweilig? Ok, wie wäre es dann mit einem M7-Mikrofon? Der Hersteller aus Gefell hat sich seiner alten Neumann-Tradition besonnen und bietet eine M7-Kapsel und das Röhren-“Handstück” CMV 563 (kompatibel zu den alten Kapseln M8, M55K und dergleichen) in einem Kit an. Gemeinsam mit einem Netzteil N 61 und einer wundervollen Holzbox haben MG ein modulares Mikrofon wieder aufleben lassen, welches in wirklich große Fußstapfen tritt. Schaut auf die Hammerschlag-Oberflächen! Sieht das alleine nicht schon phantastisch aus?
Bei KRK gab es die Möglichkeit, sich mit selbst mitgebrachter Musik durch fast das gesamte Lautsprecherprogramm zu hören – und noch mehr, denn zwischen den KRKs standen auch Lautsprecher von Genelec, Dynaudio und Adam. Ferner gab es die RP5 in Schneeweiß zu bewundern. Ob der Anhang “White Noise” an den Produktnamen allerdings klug gewählt war, weiß ich nicht.
Wer immer schon mal verschiedene Neumann-Mikrofone im Direktvergleich vor der Nase haben wollte, war am Sennheiser/Neumann-Stand gut aufgehoben. Zu erkennen war auch, dass dort wohl zunehmend die digitalen Solution-D-Mikrofone gefeatured werden.
Niemand kann sich ununterbrochen Geräten und Software widmen, daher konnte man glücklicherweise vernünftiges Catering genießen. Neben richtig gutem Espresso und Crêpes aus frankophoner Hand konnte man auch fürchterliche Currywurst erstehen (Berlin eben…spätestens damit geht für mich die Currywurstkrone ins Ruhrgebiet…), nach deren Genuss man spätestens reif für eine Sitzung auf (nein, nicht was ihr denkt) den angebotenen Massagestühlen war.
War man schon einmal draußen, konnte man sich davon ein Bild machen, was es heißt, in beengten Platzverhältnissen arbeiten zu müssen: Der RBB war mit einem kompletten Ü-Wagen vor Ort, zudem parkte das Recording-Mobil von Globe-Music von Sebastian Twele und Hannes Kruse aus Hamburg auf dem Hof, welches ebenfalls von vielen Interessierten begutachtet wurde.
Im Fritzclub am altehrwürdigen Ostbahnhof musste der Indian Summer zwischen den beiden Messetagen dann draußen bleiben: Die mittlerweile schon legendäre Party stieg nach Reden (u.a. von SAE-Gründer Tom Misner) und der Verleihung der Awards, die die Alumni-Association des SAE Institutes ausschreibt. Anschließend gab es ein riesiges, kostenloses Buffet, für einige Zeit Freibier sowie DJ-Sets und Konzertauftritte – unter anderem die hauptsächlich aus Münchener Dozenten rekrutierte “SAE All-Star Band“, bei der auch Tom Misner höchstselbst fleißig die Finger auf dem Griffbrett kreisen ließ.
Die erste Convention hatte 2005 noch im sehr kleinen Rahmen auf dem Campus der SAE Frankfurt stattgefunden, danach bot sich der neue, große Campus in Berlin mit seinem weit verzweigten Neu- und Altbau sowie dem Studiokomplex und dem Freigelände an. Da das Murmeltier mittlerweile jährlich grüßt, ist es offenbar Zeit für neue Wege: Die nächste Convention wird in der Grachtenstadt Amsterdam stattfinden.
Anonymous sagt:
#1 - 27.10.2012 um 15:38 Uhr
Bei den SAE-Internen sind Frauen offensichtlich unterrepräsentiert. Wie kommt's?