Schlagzeugfelle aus Kunststoff – Wer hat’s erfunden? 

Es ist immer wieder eine heiß diskutierte Frage, wer die Schlagzeugfelle aus Kunststoff erfunden hat. Bis heute nimmt die Firma Evans für sich in Anspruch, die ersten gewesen zu sein. Genau lässt sich das wohl nicht mehr ermitteln, doch vermutlich ist es doch der Hersteller Remo gewesen, der eine sowohl technisch als auch kommerziell funktionierende Lösung einer breiten Masse anbieten konnte. Doch bereits lange zuvor hatten Tüftler in verschiedenen Teilen der Erde mit alternativen Bespannungen experimentiert. So gibt es in Deutschland zum Beispiel Patentschriften aus der frühen Zeit des 19. Jahrhunderts von einer Bespannung aus doppellagigen Leinen und einer dünnen Metallschicht, getränkt in einer wasserabstoßenden Substanz. In allen Bereichen kamen über die Jahrzehnte Gerichte immer wieder zu der Erkenntnis, dass mehrere Erfinder zur gleichen Zeit und unabhängig voneinander an der gleichen Idee arbeiteten.

Die Geschichte des Schlagzeugfells aus Kunststoff.

Entscheidend für die ersten Plastik-Trommelfelle war die Erfindung von PET

Ganz essenziell auf dem Weg zu Fellen, wie wir sie heute kennen, war die Erfindung des Polyethylenterephthalats – kurz PET. Diese Erfindung geht auf die beiden Engländer John Rex Whinfield und J. T. Dickson im Jahr 1943 zurück. Biaxial orientierte Polyesterfolien, wie wir sie von Getränkeflaschen und Trommelfellen kennen, kamen ab 1953 auf den Markt. Neben Imperial Chemistry Industries (ICI) in England (Handelsname Melinex) und DuPont in den USA (Handelsname Mylar) erhielt auch Hoechst in Deutschland (Handelsname Hostaphan) eine Produktionslizenz und begann 1955 in Wiesbaden mit der Herstellung.

Ein weiteres Problem auf dem Weg zum heutigen Trommelfell, das zunächst noch gelöst werden musste, war jedoch, wie man die Folie in einen Spannreifen bekommt, da beim Spannen der Felle eine Zugbelastung von 1000 Kilo und mehr auftreten kann.

Laut dem Drum-Historiker Brian LeVan war Jim Erwin, ein Chemieingenieur bei der Firma 3M, der erste, der 1953 Mylar als Trommelfell verwendete, indem er es so zuschnitt, dass er es am Holzreifen eines Naturfells befestigen konnte. Er gab das Fell dem Drummer Sonny Greer, der meinte, es sei das beste, auf dem er je getrommelt hätte. Etwa zeitgleich experimentierte auch Joe Grolimund von der Firma Selmer mit verschiedenen Materialien, darunter auch Mylar, und schlug seine Idee für ein Kunststoff-Fell Bill Ludwig Sr. vor. Dieser zeigte sich zunächst wenig interessiert, doch als er hörte, dass auch sein Erzrivale Bud Slingerland an der Idee arbeitete, begann er sich ebenfalls damit zu beschäftigen. 

Remo Belli konstruierte 1956 sein erstes Mylarfell

Remo Belli war ein erfolgreicher Schlagzeuger und Mitinhaber des Shops Drum City in Hollywood. Er besuchte auf seinen Reisen auch Hersteller und andere Drumshops und war so am Puls der Zeit. Bud Slingerland zeigte ihm sein erstes Mylarfell, doch Remo zeigte zunächst kein Interesse und wünschte ihm viel Erfolg. Doch die Idee ließ ihn nicht los und so konstruierte er 1956 ein erstes Fell, das er ebenfalls auf einen Holzreifen tackerte.

Ein Vintage Evans Schlagzeugfell. Bild von Fritz Steger.

Im gleichen Jahr besuchte er Marion „Chick“ Evans in Santa Fe, der ihm sein Mylarfell zeigte, was zwischen einen äußeren und einen inneren Holzring getackert war. Der Legende nach bot er Remo seine Firma zum Preis von 5000,- $ zum Kauf an. Doch Remo war nicht überzeugt, weder von dem Fell, das sich kaum von seinem eigenen Versuch unterschied, noch von der Fabrik im Keller einer Fremdenpension. Doch er nahm Evans-Felle in das Sortiment von Drum City auf. Bald erkannte er, dass die Befestigung den Bedürfnissen der immer lauter werdenden Musik einfach nicht standhielt.

Bill Ludwig: „Sowohl Grolimund als auch Evans schickten uns die ersten Mylarfelle, die wir je gesehen hatten, getackert! Ja, an unsere Holzreifen getackert. Die Felle waren zwar tatsächlich wetterfest und funktionierten gut auf einer Trommel, wenn man sie nicht zu fest anzog. Wenn das jedoch passierte, löste sich das Mylar einfach vom Holzreifen und der Mylarfilm verbeulte komplett“.

Sam Muchnick half Remo Belli bei der Konstruktion des Fellkragens

Remo wiederum konsultierte den Chemiker Sam Muchnick und entwickelte mit ihm das noch heute von Remo verwendete Befestigungssystem, bei dem der gelochte Fellrand in einen Aluminiumkanal gelegt und mit Polyesterharz ausgefüllt wird. Bald darauf – so Remo Belli – begann auch Chick Evans, mit Polyesterharz zu arbeiten, füllte es jedoch in eine Gießform, sodass der fertige Reifen aus flexiblem Gießharz bestand und nicht aus einem verwindungssteifen Aluminiumprofil. Trotz diverser Nachteile hielt Evans bis in die 1980er Jahre an dieser Bauweise fest, bis sie ebenfalls auf das Remo-Prinzip umstellten.

Das erste Remo-Logo. Foto von Fritz Steger.
So sah das erste REMO Ambassador-Logo aus. Foto von Fritz Steger.

Remo Belli: „Die Idee des Mylarfells stammte nicht von Chick, obwohl er sie 1964 in seinem Katalog „Historische und aktuelle Fakten“ selbst erwähnte.  Jim Erwin, Jim Grolimund von Selmer, Ludwig und Slingerland hatten die Idee Jahre vor Chick. Die Idee war nicht patentierbar, das Design des Fells schon. Die Trommelfelle von Remo und Evans unterschieden sich erheblich, ebenso wie die von Ludwig und Slingerland“

Über die Herstellungsverfahren wurde zum Teil  ausgiebig vor Gericht gestritten

Ludwig wurde einer von Remos ersten Kunden und verkaufte die Felle unter dem Namen „Ludwig Play On“. Parallel dazu arbeitete die Firma jedoch noch an einer anderen Methode, nämlich, die Folie um einen Stab zu wickeln und sie in einem Aluminiumprofil rein mechanisch gegeneinander zu verschränken (Crimping-Prinzip). Ludwig meldete diese Methode 1959 unter dem Namen „Weather Master” in den USA zum Patent an und verwendet sie noch bis heute. Großer Nachteil dieses Verfahrens ist, dass man kaum mehrlagige Felle herstellen kann. Nun kopierte Mitte der 60er Jahre die Firma Solar, eine Tochterfirma von Slingerland, genau dieses Verfahren.

Bill Ludwig zog 1965 in Chicago vor Gericht. Im Verfahren selber versuchte Bud Slingerland nachzuweisen, dass Ludwig überhaupt kein gültiges Patent für dieses Verfahren besitze, da er diese Erfindung bei einem Besuch der Firma Paiste in der Schweiz, im Juni 1958 im Musikgeschäft Hug in Zürich, gesehen hätte. Die beiden Felle, die er dort gekauft hatte, trugen den Stempel Imperial. 

Oskar Bauer und Walter Gassmann fertigten ihre Version von (Natur-)Fellen mit Metallreifen in der Schweiz

Der Schreibmaschinenmechaniker Oskar Bauer baute Basler Trommeln unter dem Namen Imperial. Diese Trommeln wurden sehr straff gespannt, um möglichst viel Rebound zu erzeugen. Doch die Felle hielten dieser Spannung oft nicht stand und rutschten vom Reifen. Bauer hatte die Idee, die (Natur-)Felle statt um einen Holzreifen zu wickeln, in einen Metallreifen zu pressen. Er beauftragte damit den Metalldrücker Walter Gassmann. Metalldrücker stellten damals zum Beispiel Siebe oder Lampenschirme her. 

Ludwig leugnete seine Anwesenheit in der Schweiz für den betreffenden Zeitraum. Er argumentierte, dass er durch ein Verfahren aus dem Zugbau inspiriert wurde, bei dem die Fenster nach einem ähnlichen Prinzip befestigt wurden. Sein Pass wurde beschlagnahmt, mit dem Ergebnis, dass er sich in dem betreffenden Zeitraum tatsächlich in der Schweiz aufgehalten hatte. Über die Amerikanische Botschaft in der Schweiz wurden Unterlagen beschafft, zum Beispiel ein Lieferschein von Gassmann an Bauer. Die Diskussion über Mr. Ludwigs Schweiz-Aufenthalt zog sich über mehr als ein Jahr hin, was auch eine beträchtliche Summe an Geld verschlang. Schlussendlich entschied der Richter gegen Bill Ludwig, nicht so sehr wegen Herrn Bauer, sondern weil es das Prinzip schon lange vorher in anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem Zugbau oder bei Omas Kaffeesieb, gab. 

In Windeseile eroberte sich die Firma Remo eine absolute Vormachtstellung, die lange Jahre anhielt. Erst als Evans 1995 an den Saitenhersteller D’Addario verkauft wurde und dieser massiv in moderne Produktionsanlagen investierte, konnte Evans Boden gut machen. In diesem Zeitraum gesellten sich in den USA noch die Mitbewerber Aquarian und Attack dazu.

Wie sah die Fellproduktion in England und Kontinentaleuropa aus?

In England stellte die Firma Premier Felle aus ICI Melinex nach dem Crimping-Prinzip her. Premier-Felle unterschieden sich daher im Klang und waren vor allen Dingen unter Vintage-Freunden sehr beliebt, da sie ein leichtes Übermaß besaßen und daher auch problemlos auf Vintage Drums passten. Im Jahr 2000 stellte die Firma Premier ihre Fellproduktion ein und veräußerte ihren gesamten Fellbestand mit über 3500 Fellen an einen Vintage Drum Händler in Süddeutschland. Seit ein paar Jahren gibt es mit Code Drumheads wieder einen Fellhersteller von der Insel.

Werbung von Premier Drums für die "Everplay Extra Plastic Heads".
Werbung von Premier Drums für die “Everplay Extra Plastic Heads”.

In Westdeutschland beantragten sowohl die Firma Rimmel aus Kempten-Leubas, als auch die Firma RKB (Reichelsheimer Kunststoffbetriebe Dingeldein & Grosch OHG) im Auftrag der Firma Tromsa ein Patent für Felle nach dem Crimping-Verfahren beim Deutschen Patent- und Markenamt. Laut Angabe des Tromsa-Spezialisten Ekkehard Pfau wurde Tromsa wegen Patentrechtsverletzung von der Firma Ludwig verklagt. Vor Gericht konnte jedoch nachgewiesen werden, dass deren Entwicklung, wenn schon nicht früher, so doch zumindest parallel stattfand. Tatsächlich unterscheidet sich das RKB-Fell auch darin, dass in den Metallreifen zusätzlich noch Polyesterharz eingebracht wurde. Laut Pfau bezog Tromsa zuletzt seine Felle durch die Firma Schmidtgen in Beerfelden / Odenwald. Die Firma Sonor bot ab 1962 eigene Felle nach dem Crimping-Prinzip an.

In der DDR pflegte die Familie Conrad seit 1882 die Tradition des Baus von Trommelfellen. Auch sie stellten ab 1963 Kunststoff-Felle nach dem Crimping-Prinzip für den DDR-Markt sowie den Export in die UdSSR, Kuba, China, Korea und Vietnam her. Der Betrieb wurde 1972 enteignet, fand jedoch nach der Wende einen neuen Besitzer und bietet auch heute noch metrische Fellgrößen und Sondergrößen an.

Seit den 1970er Jahren haben „Made In USA“-Felle die Vormachtstellung

Im Gegensatz zu den heutigen Fellen, deren PET-Folie so gut wie immer von der Firma DuPont hergestellt wird, gab es in den frühen Jahren große Klang- und Qualitätsunterschiede. Deutsche Felle mit ihrer milchig-trüben Folie lieferten wenig Bässe und Mitten und bekamen bei heftiger Schlagweise schnell Dellen. Daher waren US-Felle bald State of the Art, jedenfalls für den, der sie sich leisten konnte. In Deutschland machte Sonor in den 1970er Jahren den Anfang, ihre Felle ausschließlich von Remo und Evans aus den USA zu beziehen. Ab den 1980er Jahren bezogen so gut wie alle Hersteller Felle von Remo oder Evans und verschrotteten ihre eigenen Produktionsanlagen. 

So sah die Verpackung eines Evans Fells in den Anfangstagen aus. Bild von Fritz Steger.
So sah die Verpackung eines Evans Fells in den Anfangstagen aus. Bild von Fritz Steger.

Für günstige Drumsets wird zumeist auf in China produzierte Felle zurückgegriffen

Heutzutage liefern die meisten Hersteller ihre Trommeln bis zur Mittelklasse mit Fellen nach dem Crimping-Prinzip aus Taiwan, Korea und China aus. Diese gecrimpten Felle sind deutlich günstiger in der Herstellung, da weniger Arbeitsschritte erforderlich sind und keine speziellen chemischen Verfahren und Fachkenntnisse erforderlich sind. Einzig die Maschinen der Firma Rimmel haben bis heute überlebt und sind im Besitz der Firma ST-Drums in Pirmasens, die damit ein breites Angebot aus metrischen Fellgrößen und Sondergrößen herstellt. 

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