“Herr Tur Tur” wurde von Michael Ende eine Figur in seiner zu den Kinderbuch-Literaturklassikern zählenden “Jim Knopf”-Serie genannt. Diese hat die Eigenschaft, im Gegensatz zu sonstigen Lebewesen und Objekten von der Ferne aus riesig auszusehen, mit geringer werdendem Betrachtungsabstand aber zunehmend normale Maßstäbe anzunehmen. Ok: Das hat mit Mikrofonen jetzt so rein überhaupt nichts zu tun. Doch Moment, ich krieg’ gleich noch die Kurve: Im Studio bin ich für mein eigenes Set nach dem Durchprobieren der üblichen Verdächtigen und einiger Exotenmikros aus meinem Fundus bei einem Mikrofon gelandet, welches ganz klar für den Live-Einsatz konzipiert ist: dem Shure Beta 98D/S, einer schon etwas länger erhältlichen Supernieren-Version der beiden hier getesteten Schallwandler.
Dieses Mikrofon passte mir zunächst besonders deswegen in den Kram, weil es eine wirklich geringe Baugröße aufweist und somit das leidige Thema der Positionsfindung erledigt: Ich bin nämlich einer der fürchterlichen Kandidaten, deren Setaufbau fast als “unmikrofonierbar” betitelt werden muss, was insbesondere an der sehr flachen und fast auf Stoß zur Snare ausgerichteten 12″-Tom liegt. Ein langes Mikrofon mit Kabel zwischen Tom und Hi-Hat wird dort schnell zur Stick-Falle bei Bewegungen von Snare oder Tom zur Hi-Hat. Außerdem – und hier kann ich das Lummerland-Thema wieder aufgreifen – klingt dieses Mikrofon trotz winziger Ausmaße im Mix sofort groß, breit und wichtig. Schön, dass ich jetzt mit dem Beta98A und dem 98AMP zwei Serien-Neulinge im Test habe, denen ich mich in einem ausführlichen Praxistest nähern kann… äh… von denen ich mich entfernen muss, um die Details… ach, ihr wisst schon.
DETAILS
Beide getesteten Mikrofone verfügen über die gleiche Kapsel namens 98A/C, der ich mich in der Beschreibung gleich noch ausführlich widmen will. Doch vor den Gemeinsamkeiten kurz zu dem wesentlichsten Unterschied: Das 98AD/C ist vor allem deswegen äußerst kompakt, weil sich in dem kleinen Köpfchen nur die Kapsel befindet. Die Impedanzwandlung erfolgt im RPM 626, einem kleinen “Barrel”, welches mit einem C98-Kabel angeschossen wird. Dieses liefert das symmetrische Mikrofonsignal über seine XLR-Buchse an einen Mikrofonvorverstärker, wenn es im Gegenzug dafür leckere Phantomspeisung erhält. Diese Trennung von Kapsel und Mikrofonkorpus ist praktisch und wird auch von anderen Herstellern angeboten. Der sichtbare Teil kann dadurch schön winzig gehalten werden, allerdings muss die kleine Metalltonne dafür irgendwo platziert werden. Gerade bei der Verkabelung mehrerer Mikrofone sind Sonderwege unpraktisch, das gilt auch für fernumschaltbare Mikrofone, 130V- und tonadergespeiste sowie Oldtimer mit einem Tuchel- oder sogar DIN-Anschluss.
Ihr werdet die Überschrift zu diesem Testbericht nicht vergessen und die Bilder gesehen haben: Shure bietet neben dem 98AD/C auch ein 98AMP/C an. Im Grunde ist das keine Besonderheit, denn dieses ist eben nur ein Mikrofon – ohne ausgelagerte Elektronik. “Wie immer” sind dort also Kapsel und Impedanzwandler eine Einheit, das Signal wird aus einer XLR-Buchse weitergeführt. Zur besseren Positionierbarkeit befindet sich beim 98AMP zwischen beiden nicht trennbaren Bestandteilen dennoch ein Schwanenhals. Zur Erklärung oder Erinnerung: Der Impedanzwandler, der im Regelfall in das Mikrofon eingebaut oder wie beim 98A extern vorhanden ist, nennt sich auch “Mikrofonverstärker”, obwohl dort eigentlich keine Spannung verstärkt wird. Am gegenüberliegenden Ende eines Mikrofonkabels ist es der Mikrofonvorverstärker, welcher mit seinem Gain das schwache Signal des Mikrofons auf Line-Level hochverstärkt. Ihr seht, das kleine Wörtchen Vor macht einen großen Unterschied. So richtig blöd ist allerdings, dass sich das Vor nicht auf die Abfolge Kapsel – Impedanzwandler – Spannungsverstärkung bezieht, denn der Signalfluss lautet tatsächlich korrekt Kapsel – Mikrofonverstärker – Mikrofonvorverstärker. Die Wege des Herrn sind unergründlich. Ebenfalls unergründlich ist, warum Shure ihr kombiniertes 98A “98AMP” nennen und in den englischen Unterlagen von “Preamp”, in den deutschen sogar von “Mikrofonvorverstärker” die Rede ist. Es mag natürlich sein, dass in dem kleinen Zylinder das Level der winzigen Kapsel ein Stückchen angepasst wird, um dem einer normalen Kleinmembran oder sogar Großmembran zu entsprechen, doch im Wesentlichen handelt es sich weiterhin um einen Impedanzwandler. Es kann schließlich für Einsteiger verwirrend sein, dass dieses Mikrofon den Preamp gleich eingebaut haben soll. Sicher: Ein Blick in das Datenblatt verrät, dass auch das 98AMP Phantomspeisung benötigt. Und nein, es gibt natürlich kein Line-Level aus. So ganz gelungen finde ich die Bezeichnungen also nicht, aber das ist natürlich auch kein Beinbruch. Durchaus etwas erstaunt bin ich jedoch darüber, dass die gesamte Presse in Newsmeldungen und Testberichten ganz unbekümmert ebenfalls von einem “eingebauten Mikrofonvorverstärker” spricht und das sogar immer wieder fröhlich wiederholt. Ich will mich nicht der Erbsenzählerei bezichtigen lassen und auch nicht die Ellenbogen ausfahren, aber ihr wisst ja jetzt: Man braucht zum Betrieb des Shure Beta 98AMP natürlich weiterhin einen Mic-Preamp, weil eben kein Mikrofonvorverstärker integriert ist! Doch um Shure hier auch ein wenig aus der alleinigen Schusslinie zu nehmen, sei noch erwähnt, dass auch andere Hersteller munter die Begriffe Mikrofonverstärker und Mikrofonvorverstärker durcheinander würfeln – was natürlich nicht sein sollte.
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Ursprünglich war die Welt mal recht einfach, denn für Shures Beta-Mikrofone galt, dass deren Polar-Pattern immer Superniere ist. Was für Beta 57 und Beta 58 immer noch gilt, ist nun etwas aufgeweicht worden, denn das “C” im Produktkürzel steht für “Cardioid”, also Niere. Die technischen Werte der beiden Mikros sind nicht identisch. So wird 1% Klirr bei 1 kHz beim 98A bei 144 dB(SPL), beim 98AMP erst bei 153 dB(SPL) erreicht. Es ist nicht verwunderlich, dass dann auch Empfindlichkeit und Eigenrauschen unterschiedlich sind: Im AMP-Manual werden 2,5 mV/Pa und 31 dB(A) gelistet, in dem des 98A stehen 4 mV/Pa und 30 dB(A). 30 dB(A) Eigenrauschen hört sich zwar auf den ersten Blick nach sehr viel an, doch sollte man die Übersteuerungsfestigkeit nicht vergessen sowie die Tatsache, dass hier eine recht kleine Membran eingesetzt wird. Diese übrigens ist in einer Kapsel eingespannt, deren rückwirkende Schallleitung die Richtcharakteristik Niere erzeugt. Zudem ist die Rückwand permanent polarisiert, die Mikrofone sind also Elektret-Kondenser.
Keine auffälligen Unterschiede gibt es im Frequenzgang. Dieser lässt mit einem nur sehr sanften Abfall unterhalb von 400 Hz noch ausreichend Raum für den Nahbesprechungseffekt, bei etwa 7 kHz hat der ab etwa 1 kHz einsetzende Boost sein 5dB-Maximum. Der Abfall setzt darüber recht moderat ein, sodass auch das Air-Band noch ausreichend bedient wird.
Um das Shure Beta 98AMP an einer Rim zu befestigen, gibt es die zum Lieferumfang gehörende Halterung A75M. Kann man Mikrofonständer stilmäßig “ertragen”, lässt sich das Mikro aufgrund des angesetzten Verstärkers auch in eine Klemme setzen (was aufgrund von Körperschallübertragung fast immer der bessere Weg ist). Das Shure Beta 98AD/C hingegen erhält gemeinsam mit dem “D” im Produktkürzel eine Drum-Halterung. Ohne diese hieße es schlicht 98A/C.