Praxis
Schon bei meinem Erstkontakt mit dem Shure KSM9HS habe ich mich gewundert, wieso man nur zwischen zwei Polar-Patterns auswählen kann, denn zumindest die “normale” Niere wäre doch noch eine interessante Option gewesen – und dank des Braunmühl-Weber-Prinzips sicher ohne großen Schaltungsaufwand zu realisieren. Eine maximale Rejection bei 180° ist bei Verwendung nur eines Wedge-Monitors sinnvoll, oft wird aus Gründen der Rückkopplungssicherheit die breite Niere nicht in Frage kommen, zudem hat die übliche Niere einfach eine hohe Tradition und ist bei Engineers wie Sängern bekannt.
Gesetzt den Fall, dass jemand das KSM9HS in einer stressigen Livesituation das erste Mal in der Hand hält, wird ihn vielleicht der Aufdruck mit den beiden Richtcharakteristika verwirren. Statt “Ja was denn nun, Hyper- oder breite Niere?” wird sich sicher jeder denken können, dass man umschalten kann. Ein Hinweis auf diese Fähigkeit und die dafür notwendigen Handgriffe (à la “Screw off grille to switch polar pattern.”) wäre nicht verkehrt gewesen, aber wo soll sich solch eine Funktion auch sonst verstecken. Dass diese nicht frei zugänglich ist, ist zur Vermeidung von Fehlbedienungen sinnvoll – viele unerfahrene User würden es vielleicht sogar für einen dieser widerlichen On-/Off-Schalter halten.
Anders als beim DPA d:facto, bei dem das Pad unter der Kapsel geschaltet wird, kann beim KSM9HS das Mikrofon in Betrieb und die Phantomspeisung aktiviert bleiben. Muten sollte man bei der Umschaltung natürlich trotzdem, doch vergisst man es doch einmal, hält sich das Knacksen in Grenzen.
Die Schleusen der Phantomspeisung werden geöffnet und die Schaltkreise im Inneren des KSM geflutet – das Mikrofon ist zum Betrieb bereit und kann in die Hand genommen werden. Obwohl es sehr kopflastig aussieht, liegt das Bühnen-Kondensatormikrofon wohlbalanciert in der Hand – sehr schön. Der vorne stark abgeflachte Grill erlaubt eine sehr geringe Nähe zur Membran. Zu nah vielleicht? Mit der Richtcharakteristik Superniere betrieben, ist der Nahbesprechungseffekt doch recht deutlich, das Signal tendiert leicht ins Dumpfe, doch in keiner Weise derart, dass man sich Sorgen machen müsste. Es helfen wie bei anderen Mikrofonen eine etwas bessere Mikrofondisziplin und ein Abstand von wenigen Zentimetern – anhand der Audiobeispiele ist das sicher nachzuvollziehen. Mit der Sängerin hat eine Umschaltung der Charakteristik Wunder bewirkt: Die breite Niere klingt schon bei gleichem Abstand weitaus luftiger und natürlicher – allerdings ist die Rückkopplungsgefahr hier deutlich höher, weshalb diese Mischform zwischen Kugel und Niere von Shure für ein Live-Umfeld mit gemäßigten Pegeln empfohlen wird. Im Vergleich mit dem Shure SM58 wird der Vorteil des Kondensatorprinzips anhand des Detailreichtums, der Linearität und der Höhen deutlich, aufgrund der deutlich anderen Konstruktion kann ein Live-Mikro aber klanglich gegen ein Bühnenmikrofon natürlich nicht “gewinnen”.
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Insgesamt zeigt das KSM9HS Shures Fähigkeiten, Livemikrofone zu bauen, von der Schokoladenseite. Transienten sind blitzschnell, die Auflösung und Textur der Höhen für ein Bühnenmikrofon wirklich sehr gut. Die Delle im Frequenzgang zur Verringerung von scharfen S-Lauten wird bei den meisten Sängerinnen und Sängern gut passen, mag aber für manche Stimme zu hoch angesetzt und zu schmal sein. Es gilt also auch hier: ausprobieren! Sehr effektiv arbeitet die Popplaut-Unterdrückung des HS, die Griffgeräusche hat das Mikrofon im Griff. Haha… natürlich sind Handgeräusche nicht ganz wegzubekommen, doch das Kondensatormikrofon arbeitet auch diesbezüglich sehr ordentlich.